Jacob Grimm
Deutsche Mythologie
Jacob Grimm

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M. aberglaube der Ehsten.etwas über die Ehsten. Leipz. 1788. p. 55–88. aus Hupels topogr. nachr. von Lief und Ehstland. Riga 1777. 2, 134–145 sind num. 93–99.

1. ehen werden zur zeit des neumonds geschlossen.

2. reitet der brautwerber nach dem hause wo er werben soll, so ist er behutsam, keine stute zu wählen, weil sonst in der ehe lauter töchter gezeugt werden würden.

3. ist die braut verlobt, so wird ihr ein rother faden um den leib gebunden, und wenn die trauung vollendet ist, muß sie sich dergestalt aufblähen, daß der faden zerreißt. dies ist ein sicheres mittel gegen schwere entbindungen.

4. an manchen orten laufen die jungen ehleute hand in hand, mit größter geschwindigkeit aus der kirche, um einen schnellen fortgang ihrer verrichtungen zu bewirken.

5. fällt die braut, nachdem sie abgeholt worden, unterweges, so bedeutet das frühen tod ihrer drei oder vier ersten kinder.

6. sieht man den bräutigam zu pferde kommen, so beeilt man sich ihm den sattelgurt zu lösen. auch dies soll bei seiner künftigen frau leichte geburt befördern.

7. man hütet sich eine braut durch die pforte auszuführen, durch welche kurz vorher eine leiche ausgetragen wurde.

8. wird die braut eingeholt, so darf sie keine ketten und schellen an sich tragen, sondern muß mit feierlicher stille eingeführt werden; sonst bekommt sie unruhige kinder.

9. gleich nach geendigter trauung hebt der stärkste unter den anverwandten oder gästen den bräutigam und die braut in die höhe, um dadurch ihr ehglück zu vermehren.RA. 433.

10. sobald das neue ehpaar das haus betritt, muß auch ein wächter geraume zeit bei dem hausfeuer zubringen, damit ihm kein fremder nahe, und geheimen zauber zum weh der ehleute veranstalte. 488

11. die junge ehfrau wird gleich nach ihrem eintritt durch alle theile des hauses geführt, durch stuben, kammern, badstuben, ställe, gärten, und ist verpflichtet in alle theile, ja selbst in den brunnen und ins feuer bänder oder geld zu werfen, wenn sie das glück und den segen ihres mannes liebt.

12. wenn sie sich setzt, gibt man ihr ein kind männlichen geschlechts in den schoß, um sie dadurch zum knabengebären fähig zu machen.

13. in einigen gegenden hatte man während des hochzeitsgelags die gewohnheit, oberwärts wo bräutigam und braut sitzen, zwei degen in die wand zu stoßen; wessen degen die längste schwingung behält, der lebt am längsten.

14. bei der mahlzeit geht man mit dem bier vorsätzlich verschwenderisch um, und gießt es bald hie bald dahin aus; damit auch bei dem neuen ehpaar überfluß eintrete.

15. wer von den neuen ehleuten zuerst einschläft, stirbt zuerst.

16. regen am hochzeitstag bedeutet der braut häufiges weinen.

17. beim hochzeitsmahl stellt man zwei lichter vor bräutigam und braut, wessen licht von selbst zuerst erlischt, der muß zuerst sterben.

18. der diener des bräutigams nimmt ein ganzes brot, schneidet einen kleinen bissen davon, bestreicht ihn mit butter und gibt ihn der braut in den mund. dies soll ihren künftigen kindern glatten, kleinen mund verschaffen.

19. wird die junge frau in des mannes haus eingebracht, so reißt man den zaun auf beiden seiten des eingangs nieder, damit sie schnell ohne hinderniß und anstoß einfahren könne. dann wird auch ihre entbindung leicht von statten gehen.

20. schwangere weiber hüten sich beim einheizen das holz nicht gegen die äste in den ofen zu werfen, weil ihnen sonst das gebären sauer werden würde.

21. bei schweren entbindungen fördert es, wenn der ehmann über sein weib steigt.

22. keine schwangere setzt sich auf ein wassergefäß, sie würde gefahr laufen, viel töchter zu gebären, oder ihre frucht könnte im wasser umkommen.

23. niesen zwei schwangere weiber zusammen, so bringen sie töchter zur welt; das niesen zweier männer, deren weiber schwanger sind, weissagt beiden söhne.

24. beim brotanschneiden schneiden schwangere mütter zuvor einen sehr kleinen bissen, um ihren kindern einen schönen kleinen mund zu verschaffen.

25. in der mitte der schwangerschaft wöchentlich einmal die basteln (bastschuhe) zu wechseln und kurz vor der niederkunft dreimal salz hinter sich zu werfen erleichtert das gebären.

26. niemand trete über die füße schwangrer weiber, die kinder bekommen sonst krumme ungestalte füße.

27. das neugeborne kind wird den händen der mutter nicht sogleich übergeben, sondern erst vor ihre füße gelegt, damit ihr linker fuß des kindes mund berühre. dann wird es nicht widerspenstig werden.

28. badwasser des neugebornen kindes gießt man an den einsamsten ort; aus furcht, wenn es viele menschen betreten, werde das kind geringgeschätzt und verachtet werden.

29. die wehmutter hat mit dem neugebornen kinde bald nach der geburt die oberstelle am tisch einzunehmen; das bringt dem kind größere achtung zu wege.

30. man darf nichts über den kopf des kindes hinaus reichen, sonst wächst es nicht. sollte es unvorsichtigerweise geschehen, so ziehe man des kindes haare am scheitel in die höhe.

31. wonach ein kind zuerst greift, das zeigt seine künftige lieblingsbeschäftigung an.

32. wenn das kind zum erstenmal in die wiege gelegt wird, pflegt man ihm ein messer, einen kreuzschlüssel und etwas rothes garn zur seite zu legen. dadurch wird es gegen zauberei geschützt.

33. erfolgt die geburt des menschen an einem der letzten wochentage, so zeigt das an, es werde gar nicht oder spät verheirathet werden. 489

34. gebiert eine ehfrau lauter knaben, so wird krieg, gebiert sie lauter töchter, friede geweissagt.

35. besucht ein beichtvater einen kranken, so achtet man auf die haltung seines pferdes, wenn er sich nähert. geht das pferd mit gesenktem kopf einher, so verzweifelt man an der genesung des kranken.vgl. Hupel topogr. nachr. 2, 146.

36. ein leichenzug darf schlechterdings nicht über einen acker gehen, wenn er auch brach liegt.

37. dem leichnam pflegt bürste, geld, nadeln und zwirn beigelegt zu werden. einige bürsten den kopf des todten und legen die bürste neben ihn, um ihm ruhe zu verschaffen.

38. in manchem haus pflegt man nach und nach so viel nägel in die thürschwelle zu schlagen, als leute aus dem hause gestorben sind.

39. den wagen worauf ein todter weggebracht worden, läßt man nicht unmittelbar darauf innerhalb der pforte, sondern eine zeitlang außerhalb derselben stehen; sonst folgen mehrere glieder der familie nach.

40. alles stroh worauf der kranke gestorben ist, wird weggeworfen und verbrannt. man beachtet dann welche fußstapfen sich in der asche (des strohs) finden, um hieraus auf den nächsten verlust eines menschen oder thiers zu schließen.

41. stirbt einer im neumond, so raubt er das gänzliche glück; stirbt er in der fasten, so wird sein begräbnis so einfach als möglich vollzogen.

42. am tag aller seelen hält jede familie ein gastmahl für die abgeschiednen glieder, und die gottesäcker werden besucht. in einigen gegenden setzt man für die verstorbnen speisen auf den fußboden einer eignen stube. In diese stube ging spät abends der hausvater mit einem pergel (langgespaltnen brennenden holz) und forderte die verstorbnen freunde namentlich zum essen auf. nach einiger zeit, wann er glaubte daß die seelen sichs gut hatten schmecken lassen, gebot er ihnen unter zerschlagung seines pergels auf der thürschwelle sich wieder nach ihrem orte zu begeben, aber sich zu hüten unterwegs den rocken zu vertreten. entsprang miswachs, so wurde es der mangelhaften bewirtung der seelen zugeschrieben.ausführlicher bei Thom. Hiärn 1, 49.

43. mit dem jüngsten tag verbindet der Ehste die vorstellung, daß sich beim allgemeinen weltuntergang alle kirchen im sturze nach der nordseite neigen werden. er hält es daher für schrecklich, auf dieser seite des kirchhofs begraben zu werden.

44. vor der taufe legt man dem kind ein gesangbuch unter den kopf, unterhält auch ein feuer bei demselben um dadurch den teufel zu bannen und von der verwechslung des kindes abzuhalten.

45. während der taufe heftet man den blick auf den täufling und forscht, ob er während der handlung den kopf in die höhe richte oder sinken lasse. in jenem fall wird er lange, in diesem kurz leben.

46. der vater des täuflings lauft zuweilen unter der taufe eilfertig um die kirche, wodurch dem kinde die gabe des geschwinden laufens mitgetheilt werden soll.

47. können sie durch bestechung des küsters zuweilen das taufwasser erhalten, so gießen sie es längs der wand in die höhe. der täufling wird dann zu hohen ehren gelangen.

48. während der taufe soll man nicht reden, sonst redet das kind im schlaf.

49. unmittelbar nach einer leichbestattung soll man nicht taufen lassen, sonst folgt das kind dem todten nach.

50. dem täufling läßt man die hände frei, so wird er fleißig und geschwind.

51. gevatter sehen sich während der taufe nicht um, sonst sieht das kind gespenster.

52. viele binden ringe an die windeln des männlichen täuflings, so wird er frühe heiraten. 490

53. am geburtstage eines kinds läßt man ungern ein andres taufen.

54. manche mischen in den anzug des täuflings unvermerkt geld, brot und knoblauch; die beiden ersten werden ihm dann nie fehlen, der knoblauch bewahrt vor zauberei.

55. schlaf des täuflings bedeutet seinen nahen tod.

56. werden weibliche kinder ohne gesellschaft von männlichen zur taufe getragen, so bleiben sie lange oder ganz ohne männer.

57. kein gevatter ißt unmittelbar vor der taufe fleisch, sonst bekommt der täufling zahnweh.

58. eltern, deren erste kinder sterben, legen den neuen die namen Adam und Eva bei, so bleiben sie beim leben. (vgl. deutsch. abergl. 26.)

59. freitags läßt man nicht taufen, wohl aber donnerstags, an ihm ist die taufe kräftiger.

60. ein kind am freitag getauft wird ein böswicht und kommt dem henker unter die hände.

61. der donner entsteht, wenn gott dem teufel nachsetzt, ihn erreicht und niederschmettert. man macht während dem gewitter thür und fenster zu, damit der gejagte teufel sich nicht ins haus flüchte, und da ihn gott immer ereilt, dieses vom donner getroffen werde.

62. einige befestigen während dem gewitter zwei messer vor einem hausfenster, um sich vor dem einschlagen zu sichern.

63. manche wenn sie im jahre zuerst donnern hören, nehmen einen stein, schlagen sich dreimal vor den kopf, und bleiben dann das jahr über frei von kopfschmerz.

64. was vom wetterstrahl getroffen wird, betrachten sie nachdenklich, besonders aber gewisse große gespaltne steine. sie glauben, der teufel habe sich in oder unter dieselben geflüchtet und sei daselbst ereilt und erschlagen worden.

65. den regenbogen halten viele für die sichel des donners, welche von ihm zur bestrafung böser untergottheiten gebraucht werde, die den menschen schaden wollen.

66. viele halten dafür, den wind könne man hervorbringen und verändern. zu dem ende hieng man nach der gegend, woher man den wind wünschte, eine schlange auf, oder richtete ein beil auf, und suchte ihn durch pfeifen herbeizulocken.

67. unerwartetes geräusch in der neujahrsnacht weissagt den tod eines hausbewohners.

68. wilden thieren legt man gern umschreibende namen bei, und vermeidet ihre üblichen, wenn man von ihnen reden muß. Den fuchs nennen sie Hallkuhb (graurock), den bären Layjalgk (breitfuß).

69. wird das vieh zuerst im jahr ausgetrieben, so graben sie unter die schwelle über welche es zuerst treten muß, eier, wodurch alles ungemach von ihm gebannt wird. bei einer eingerissenen viehseuche entdeckte man, daß sie ein stück von der heerde unter die stallthür vergruben, um dem tode ein opfer zu bringen und dem viehsterben ende zu machen.

70. wenn das vieh von der weide kommt und noch gras kauet, so steht heumangel bevor.

71. den wolf weist man dadurch auf andren weg, daß man salz in seine spur streuet.

72. starkes wolfsgeheul am frühen morgen weissagt pest oder hungersnoth.

73. in älterer zeit glaubten die Ehsten bei starkem geheule der wölfe, diese thiere riefen gott um nahrung an und er werfe ihnen hierauf klumpen aus den wolken zu.

74. raubt der wolf ein schaf oder schwein, so läßt man etwas von dem anzug oder von den in der tasche befindlichen sachen fallen, und glaubt, der wolf müsse dann auch seine last zu schwer finden und das geraubte thier fallen lassen.

75. einige tragen das äußerste eines flügels von einem huhn bei sich und halten das für ein mittel frühes aufstehen zu befördern. 491

76. den namen des hasen nennen sie nicht gern oft, sie meinen er werde dadurch beigelockt, ihrem rockengrase schaden zu thun.

77. schleppt ein hahn oder huhn im hofe im gehen einen strohhalm nach sich, so bedeutet es baldige leiche im haus, und das geschlecht des sterbenden richtet sich nach dem hahn oder huhn.

78. ein huhn kann zum eierlegen vermocht werden, dadurch daß man es mit einem alten besen schlägt.

79. einige legen beim ersten austreiben des viehs ein ei vor die stallthür; welches thier das ei zertritt, ist zum tode reif und man sucht es zu verkaufen.

80. sie verkaufen gerne die ersten kälber junger kühe, wenn die wirtin das erste kind ihrer mutter ist. denn das kalb kann nicht gedeihen.

81. das eben ab oder angespannte joch soll man nicht auf bloße erde legen, sonst reibt und verwundet es den ochsen.

82. feuersbrunst glaubt man dadurch zu hemmen, daß man ein schwarzes lebendiges huhn als opfer in die flamme wirft.

83. beim ausfegen der korn- und mehlkasten soll man einen kleinen rest liegen lassen, sonst zieht es unsegen nach sich.

84. kein bauer gibt mit gleichgültigkeit erde von seinem acker, er wähnt auch einen guten theil seines segens mit wegzugeben.

85. man soll keinen über seinen gurt steigen lassen, es zieht die krätze nach sich.

86. man hütet sich mit dürren reisern geschlagen zu werden, es zieht auszehrung oder magerkeit nach sich.

87. von neuangeschnittnem brot wirft man etwas beiseite, aus vollem trinkgeschirr läßt man einige tropfen mit fleiß auf die erde fallen; es ist dem unsichtbaren geiste gebracht.

88. viele wirte sehen scheel dazu, wenn man die tiefe ihrer brunnen zu erforschen sucht; weil dies das austrocknen des brunnens zur folge hat.

89. man gibt nicht gern alles geld auf einmal aus dem beutel; ists nicht zu vermeiden, so lasse man seinen speichel in den beutel fallen.

90. waschhölzer nimmt man sorgfältig vor dieben in acht, weil ihr verlust mangel an asche nach sich zieht.

91. wenn die viehhirten das erste mal im jahr heimtreiben, werden sie bei der ankunft mit wasser benetzt; es soll dem vieh ersprießlich sein.

92. zur saatzeit keine schafe zu scheren, weil dann die wolle nicht recht wieder wächst.

93. vom wagen gefallner mist nicht wieder aufzuheben; er bringt ungeziefer.

94. beim rupfen des flachses redet man nicht, antwortet und dankt nicht auf frage und gruß; sonst gedeiht der flachs nicht.

95. stirbt dem bauer in der neuen wohnung zuerst ein thier mit rauchen füßen, so ruht segen auf dem haus; ist es aber ein geflügel mit unbedeckten füßen, so wird er traurig, fürchtet armut und rückgang in seinen unternehmungen.

96. abends beim lichtanzünden seufzt das volk, und kreuzigt sich.

97. so oft sie etwas schlachten, wäre es nur ein huhn, legen sie ein stück davon hinter den viehstall zum opfer.

98. auf die böse stelle, wo ein haus abbrannte, bauen sie kein neues; wird bei legung des grundbalkens durch beischlag irgendwo ein funke sichtbar, so weissagt das neuen brand, und sie suchen eine andere baustelle.

99. an die stelle, wohin ein viehstall gebaut werden soll, legen sie vorher lappen und kräuter: kriechen schwarze ameisen darauf, so ists ein gutes zeichen, sind es rothe ameisen, so erscheint der ort zum bauen untauglich.

100. wirbelwind ist böser geister werk: wo sie staub zusammentreiben sehen, werfen sie steine oder ein messer mitten in den wirbel, und verfolgen ihn mit geschrei.

101. bei der trauung tritt die braut auf den fuß des bräutigams, damit sie nicht von ihm unterdrückt werde.

102. rothe streifen am himmel zeigen an, daß der drache auszieht, dunkle farbe der wolken, daß er mit beute heimkehrt. sternschuppen sind kleine drachen. 492


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