Franz Grillparzer
Sappho
Franz Grillparzer

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Fünfter Auftritt

Eucharis. Vorige.

Eucharis.
Bist du hier, Rhamnes? Eilig komm!

Rhamnes.
Wohin?

Eucharis.
Zu Sapphon.

Rhamnes.
Was –?

Eucharis.
Ich fürchte, sie ist krank.

Rhamnes.
Die Götter wenden's ab!

Eucharis.
Ich folgte ihr von fern
Hinauf zur großen Halle und versteckt
Bewacht' ich all ihr Tun mit scharfem Auge.
Dort stand sie an ein Säulenpaar gelehnt,
Hinunterschauend in die weite See,
Die an den Felsenufern brandend schäumt,
sprach- und bewegungslos stand sie dort oben,
Mit starren Augen und erblaßten Wangen
Im Kreis von Marmorbildern fast als ihresgleichen.
Nur manchmal regt sie sich und greift nach Blumen,
Nach Gold und Schmuck und was ihr Arm erreicht
Und wirft's hinunter in die laute See
Den Sturz mit sehnsuchtsvollem Aug' verfolgend,
Schon wollt' ich nahn, da tönt ein Klingen durchs Gemach
Und zuckend fuhr es durch ihr ganzes Wesen,
Die Leier war's, am Pfeiler aufgehangen,
In deren Saiten laut die Seeluft spielte.
Schwer atmend blickt sie auf und fährt zusammen,
Wie von Berührung einer höhern Macht.
Die Augen auf die Leier starr geheftet
Beleben sich mit eins die toten Züge
Und fremdes Lächeln spielt um ihren Mund.
Jetzt öffnen sich die strenggeschloßnen Lippen,
Es tönen Worte, schauerlichen Klangs,
Aus Sapphos Munde, doch nicht Sapphos Worte.
Rufst du mir, spricht sie, Freundin? Mahnst du mich?
O ich versteh dich Freundin an der Wand!
Du mahnst mich an verfloßne Zeit! Hab Dank! –
Wie sie die Wand erreicht und wie die Leier,
Hoch oben hängend, weiß ich nicht zu sagen,
Denn wie ein Blitzstrahl flirrte mich's vorüber.
Jetzt blick ich hin, sie hält das Saitenspiel
Und drückt es an die sturmbewegte Brust,
Die hörbar laut den Atem nahm und gab.
Den Kranz dann, den Olympischen des Sieges,
Dort aufgehangen an dem Hausaltar,
Schlingt sie ums Haupt und wirft den Purpurmantel,
Hochglühend so wie er, um ihre Schultern –
Wer sie jetzt sah, zum ersten Male sah,
Auf des Altares hohen Stufen stehend,
Die Leier in der Hand, den Blick gehoben,
Gehoben ihre ganze Lichtgestalt,
Verklärungsschimmer über sie gegossen,
Als Überird'sche hätt' er sie begrüßt,
Und zum Gebet gebeugt die schwanken Knie.
Doch regungslos und stumm so wie sie war,
Fühlt' ich von Schauder mich und Graun ergriffen,
Ihr lebend toter Blick entsetzte mich,
Drum eilt' ich –

Rhamnes.
Und verließest sie! – Zu ihr!
Doch sieh! – Naht nicht? Sie ist's; sie selber kommt!


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