Franz Grillparzer
Sappho
Franz Grillparzer

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Fünfter Aufzug

Gegend wie in den vorigen Aufzügen. Tagesanbruch.

Erster Auftritt

Sappho sitzt halbliegend auf der Rasenbank, unbeweglich vor sich hinstarrend. In einiger Entfernung steht Eucharis; weiter zurück mehrere Sklavinnen. Rhamnes kömmt.

Eucharis (den Finger auf dem Munde).
Still! still!

Rhamnes.
Schläft sie?

Eucharis.
Die Augen stehen offen,
Der Körper wacht, ihr Geist nur scheint zu schlafen!
So liegt sie seit drei Stunden, regungslos!

Rhamnes.
Ihr solltet sie ins Haus doch –

Eucharis.
Ich versucht' es,
Allein sie will nicht! – Und noch nichts?

Rhamnes.
Noch nichts!
So weit das Auge trägt nur See und Wolken,
Von einem Schiffe nicht die kleinste Spur.

Sappho (emporfahrend).
Schiff? Wo?

Rhamnes.
Wir sahn noch nichts Gebieterin!

Sappho (zurücksinkend).
Noch nicht! – Noch nicht! –

Rhamnes.
Die Morgenluft weht kühl,
Erlaube, daß wir dich in dein Gemach

Sappho (schüttelt verneinend den Kopf).

Rhamnes.
Laß dich erbitten, folge mir ins Haus!

Sappho (schüttelt noch einmal).

Rhamnes (zurückweichend).
Du willst's – Ihr Anblick schneidet mir ins Herz!

Eucharis.
Ei sieh, was drängt sich dort das Volk!

Rhamnes.
Laß sehn!

Eucharis.
Es strömt dem Ufer zu. Mir deucht, sie kommen!

Sappho (aufspringend).
Ha! (Während des Folgenden steht sie in ängstlich horchender Stellung zurückgebeugt.)

Eucharis.
Dort tritt an den Felsen und sieh zu,
Vielleicht erblickst du sie!

Rhamnes.
Wohl, ich will sehn!
        (Steigt auf eine Erhöhung des Ufers.)

Eucharis.
Nur schnell, nur schnell! Nun siehst du?

Rhamnes.
Dank den Göttern!
Sie kommen!

Sappho.
Ah!

Rhamnes.
Die waldbewachsne Spitze
Die links dort weit sich ins Gewässer streckt
Verbarg mir vorher den willkommnen Anblick.
Ein Heer von Kähnen wimmelt durcheinander
Mit raschem Ruderschlag dem Ufer zu.

Eucharis.
Und die Entwichnen, sind sie unter ihnen?

Rhamnes.
Die Sonne blendet, ich erkenn es nicht!
Doch halt, da naht dem Ufer schon ein Kahn
Vorausgesendet mit der frohen Botschaft.
Jetzt legt er an! – Der Hirte ist's vom Tal –
Er schwenkt den Stab! – Gewiß sie sind gefangen!
Hierher, mein Freund, hierher! – Er kommt heran!
        (Herabsteigend.)

Eucharis.
Gebieterin, sei ruhig, sei gefaßt!

Zweiter Auftritt

Ein Landmann. Vorige.

Landmann.
Heil, Sappho, dir!

Eucharis.
Ist er gefangen?

Landmann.
Ja!

Rhamnes.
Wo denn?

Eucharis.
Und wie?

Landmann.
Sie hatten tücht'gen Vorsprung
Und er versteht zu rudern. Fast schon glaubt' ich
Wir würden nun und nimmer sie erreichen!
Doch endlich, schon in hoher See, erblickten
Wir seinen Kahn und drauf in rascher Jagd!
Bald ist er eingeholt und schnell umringt.
Wir heißen um ihn lenken, doch er will nicht
Und faßt sein Mädchen mit der linken Hand,
Das blanke Eisen in der Rechten schwingend. –
Begehrt ihr was, erhabne Frau?

Sappho (winkt ihm fortzufahren).

Landmann.
Nun denn!
Und schwingt das Eisen drohend gegen uns;
Bis nun ein Ruderschlag, der ihm gegolten,
Das kleine Mädchen an die Stirne trifft.

Sappho (verhüllt sich die Augen mit der Hand).

Landmann.
Sie sinkt, er faßt sie in die Arme, wir,
Den Augenblick benutzend, rasch an Bord
Und greifen ihn und bringen ihn zurück!
Sie steigen schon ans Land! Seht ihr die beiden?
Das kleine Mädchen wankt noch taumelnd –

Sappho.
Ha
Nicht hierher!

Rhamnes.
Wohin sonst, sie kommen schon!

Sappho.
Wer rettet mich vor seinem Anblick? – Mädchen! –
Du Aphrodite schütze deine Magd!

(Sie eilt dem Hintergrunde zu und umklammert den Altar, ihre Dienerinnen stehen rings um sie her.)


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