Franz Grillparzer
Sappho
Franz Grillparzer

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Vierter Auftritt

Phaon. Melitta.

Phaon (der während des vorigen Selbstgespräches am Eingange der Grotte erschienen ist, sich aber lauschend zurückgezogen hat, tritt jetzt vor und legt Melitten von hinten die Hand auf die Schulter).
So jung noch und so traurig, Mädchen?

Melitta (zusammenschreckend).
Ah!

Phaon.
Ich hörte dich erst zu den Göttern rufen
Um eines Freundes Brust. Hier ist ein Freund!
Es bindet gleicher Schmerz, wie gleiches Blut,
Und Trauernde sind üb'rall sich verwandt.
Auch ich vermisse ungern teure Eltern,
Auch mich zieht's mächtig nach der Heimat zu;
Komm laß uns tauschen, daß des einen Kummer
Zum Balsam werde für des andern Brust.
Du schweigst – Woher dies Mißtraun gutes Mädchen?
Blick auf zu mir! Nicht schlimm bin ich gesinnt.
        (Er hebt ihr das Haupt am Kinne empor.)
Ei sieh! Du bist wohl gar der kleine Mundschenk,
Der statt des Gasts den blanken Estrich tränkte.
Darum so bang? Nicht doch! Es hat der Unfall
So mich als die Gebieterin belustigt.

Melitta (die bei dem letzten Worte etwas zusammengefahren, schlägt nun die Augen empor und blickt ihn an, dann steht sie auf und will gehen).

Phaon.
Nicht wollt' ich dich beleidigen, mein Kind.
Hat dieses sanfte Aug' so ernste Blicke?
Du mußt mir Rede stehn, ich lass dich nicht!
Schon unterm Mahle hab ich dich bemerkt,
Die jungfräuliche Stille glänzte lieblich
Durch all den wilden Taumel des Gelags.
Wer bist du, und was hält dich hier zurück?
Du warst nicht mit zu Tisch, ich sah dich dienen,
Es schien der Sklavinnen Vertraulichkeit
Gefährtin dich zu nennen und –

Melitta.
Ich bin's.
        (Wendet sich ab und will gehen.)

Phaon (sie zurückhaltend).
Nicht doch!

Melitta.
Was willst du von der Sklavin, Herr?
Laß einer Sklavin Brust sie suchen und –
        (Tränen ersticken ihre Stimme.)
Nehmt mich hinauf zu euch, zu euch, ihr Götter!

Phaon (sie anfassend).
Du bist bewegt, du zitterst, fasse dich!
Es binden Sklavenfesseln nur die Hände,
Der Sinn, er macht den Freien und den Knecht.
Sei ruhig, Sappho ist ja gut und milde,
Ein Wort von mir, und ohne Lösegeld
Gibt sie den Deinen dich, dem Vater wieder.

Melitta (schüttelt schweigend das Haupt).

Phaon.
Glaub mir, sie wird's gewiß! Wie, oder ist
Die heiße Sehnsucht nach dem Vaterlande,
Die erst dich so ergriff, so schnell verschwunden?

Melitta.
Ach sag mir erst, wo ist mein Vaterland?

Phaon.
Du kennst es nicht?

Melitta.
In zarter Kindheit schon
Ward ich entrissen seiner treuen Hut,
Nur seine Blumen, seine Täler hat
Behalten das Gedächtnis, nicht den Namen.
Nur, glaub ich, lag es wo die Sonne herkommt,
Denn dort war alles gar so licht und hell.

Phaon.
So ist es weit von hier?

Melitta.
O weit, sehr weit!
Von andern Bäumen war ich dort umgeben
Und andre Blumen dufteten umher,
In blauern Lüften glänzten schönre Sterne
Und freundlich-gute Menschen wohnten dort.
In vieler Kinder Mitte lebt' ich da,
Ach, und ein Greis, mit weißen Silberlocken,
Ich nannte Vater ihn, liebkoste mir,
Dann noch ein andrer Mann, so schön und hold
Mit braunem Haar und Aug', fast so wie – du –

Phaon.
Du schweigst? Der Mann?

Melitta.
Er auch –

Phaon.
Liebkoste dir,
Nicht so? (Sie bei der Hand ergreifend.)

Melitta (leise).
Ich war ein Kind!

Phaon.
Ich weiß es wohl!
Ein süßes, liebes, unbefangnes Kind!
        (Ihre Hand loslassend.)
Nur weiter!

Melitta.
So ging alles schön und gut.
Doch einst erwacht' ich nachts. Ein wild Geschrei
Drang laut von allen Seiten in mein Ohr.
Die Wärtrin naht, man rafft mich auf
Und trägt mich in die wilde Nacht hinaus.
Da sah ich ringsherum die Hütten flammen
Und Männer fechten, Männer fliehn und fallen.
Jetzt naht ein Wütrich, streckt die Hand nach mir,
Nun war Geheul, Gejammer, Schlachtgeschrei;
Ich fand mich erst auf einem Schiffe wieder,
Das pfeilschnell durch die dunkeln Wogen glitt.
Noch andre Mädchen, Kinder sah ich weinen,
Doch immer kleiner ward der Armen Zahl
Je weiter wir uns von der Heimat trennten,
Gar viele Tag' und Nächte fuhren wir,
Ja Monden wohl, zuletzt war ich allein
Von all den Armen bei den wilden Männern.
Da endlich trat uns Lesbos' Strand entgegen,
Man schifft mich aus ans Land. Da sah mich Sappho,
Da bot sie Geld, und ihre ward Melitta.

Phaon.
War denn dein Los so schwer in Sapphos Händen?

Melitta.
O nein. Sie nahm mich gütig, freundlich auf;
Sie trocknete die Tränen mir vom Aug
Und pflegte mein und lehrte mich voll Liebe,
Denn wenn auch heftig manchmal, rasch und bitter,
Doch gut ist Sappho, wahrlich lieb und gut.

Phaon.
Und doch kannst du die Heimat nicht vergessen.

Melitta.
Ach, ich vergaß sie leider nur zu bald,
In Tanz und Spiel und bei des Hauses Pflichten
Dacht' ich gar selten der verlaßnen Lieben.
Nur manchmal wenn mich Schmerz und Kummer drückt,
Dann schleicht die Sehnsucht mir ins bange Herz
Und die Erinnerung mit schmerzlich süßer Hand
Enthüllt die goldumflorte, lichte Ferne.
Und so auch heut! Mir war so schwer und ängstlich,
Ein jedes leisgesprochne Wort fiel schmerzend
Hernieder wie auf fleischentblößte Fibern,
Da – Doch jetzt ist es gut und ich bin froh.

Man ruft drinnen.
Melitta!

Phaon.
Horch, man ruft!

Melitta.
Man ruft? – Ich gehe.

(sie liest den angefangenen Kranz und die Blumen auf.)

Phaon.
Was hast du hier?

Melitta.
Ei Blumen!

Phaon.
Und für wen?

Melitta.
Für dich! – Für dich und Sappho.

Phaon.
Bleib!

Melitta.
Man ruft!

Phaon.
Du sollst so finstern Blicks nicht von mir gehn!
Zeig deine Blumen!

Melitta.
Hier!

Phaon (eine Rose herausnehmend).
Nimm diese Rose!
        (Er steckt sie ihr an den Busen.)
Sie sei Erinnrung dir an diese Stunde,
Erinnerung, daß nicht bloß in der Heimat
Daß auch in fernem Land es – Freunde gibt.

(Melitta, die bei seiner Berührung zusammengefahren, steht jetzt mit hoch klopfender Brust, beide Arme hinabhängend, mit gesenktem Haupt und Aug' unbeweglich da. Phaon hat sich einige Schritte entfernt und betrachtet sie von weitem.)

Man ruft von innen.
Melitta!

Melitta.
Riefst du mir?

Phaon.
Ich nicht! – Im Hause!

Melitta (die Kränze, die ihr entfallen sind, zusammenraffend).
Ich komme schon!

Phaon.
Bist du so karg, Melitta?
Verdient denn meine Gabe kein Geschenk?

Melitta.
Ich, ein Geschenk? Was hätt' ich Arme wohl?

Phaon.
Gold schenkt die Eitelkeit, der rauhe Stolz,
Die Freundschaft und die Liebe schenken Blumen.
Hier hast du Blumen ja –

Melitta (die Blumen von sich werfend).
Wie? diese hier,
Die jene wilden Mädchen dort gepflückt,
Sie die bestimmt für – Nimmermehr!

Phaon.
Was sonst?

Melitta.
Daß sie doch diese Sträuche so geplündert!
Da ist auch nirgends einer Blume Spur,
        (Am Rosenstrauche emporblickend.)
An jenem Zweige hängt wohl eine Rose,
Doch ist sie allzu hoch, ich reiche nicht!

Phaon.
Ich will dir helfen!

Melitta.
Ei, nicht doch!

Phaon.
Warum?
So leicht geb ich nicht meinen Anspruch auf!

Melitta (auf die Rasenbank steigend).
So komm; ich beuge dir den Zweig!

Phaon.
Ganz recht!

Melitta (auf den Zehen emporgehoben, den Zweig, an dessen äußerstem Ende die Rose hängt, herabbeugend).
Reichst du?

Phaon (der, ohne auf die Rose zu achten, nur Melitten betrachtet hat).
Noch nicht!

Melitta.
Doch jetzt! – Weh mir, ich gleite!
Ich falle!

Phaon.
Nein, ich halte dich!

(Der Zweig ist ihren Händen emporschnellend entschlüpft, sie taumelt und sinkt in Phaons Arme, die er ihr geöffnet entgegenhält.)

Melitta.
O laß mich!

Phaon (sie an sich haltend).
Melitta!

Melitta.
Weh mir, laß mich! Ach!

Phaon.
Melitta!
        (Er drückt rasch einen Kuß auf ihre Lippen.)


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