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Sappho. Phaon.
Sappho.
      Siehst du, mein Freund, so lebt nun deine Sappho!
      Für Wohltat Dank, für Liebe – Freundlichkeit,
      So ward mir's stets im Wechseltausch des Lebens;
      Ich war zufrieden, und bin hoch beglückt,
      Gibst du auch halb nur wieder das Empfangne,
      Wenn du dich nicht für übervorteilt hältst.
      Ich hab gelernt verlieren und entbehren;
      Die beiden Eltern sanken früh ins Grab
      Und die Geschwister, nach so mancher Wunde,
      Die sie dem treuen Schwesterherzen schlugen,
      Teils Schicksals Laune, und teils eigne Schuld
      Stieß früh sie schon zum Acheron hinunter.
      Ich weiß wie Undank brennt, wie Falschheit martert,
      Der Freundschaft und der – Liebe Täuschungen
      Hab ich in diesem Busen schon empfunden,
      Ich hab gelernt verlieren und entbehren!
      Nur eins verlieren könnt' ich wahrlich nicht,
      Dich Phaon, deine Freundschaft, deine Liebe!
      Drum mein Geliebter, prüfe dich!
      Du kennst noch nicht die Unermeßlichkeit
      Die auf und nieder wogt in dieser Brust.
      O laß mich's nie, Geliebter nie erfahren,
      Daß ich den vollen Busen legte an den deinen
      Und fänd' ihn leer!
Phaon.
      Erhabne Frau!
Sappho.
      Nicht so!
      Sagt dir dein Herz denn keinen süßern Namen?
Phaon.
      Weiß ich doch kaum was ich beginne, was ich sage.
      Aus meines Lebens stiller Niedrigkeit
      Hervorgezogen – an den Strahl des Lichts,
      Auf einen luftigen Gipfel hingestellt
      Nach dem der Besten Wünsche fruchtlos zielen,
      Erliege ich der unverhofften Wonne,
      Kann ich mich selbst in all dem Glück nicht finden.
      Die Wälder und die Ufer seh ich fliehn,
      Die blauer Höhn, die niedern Hütten schwinden,
      Und kaum vermag ich's mich zu überzeugen,
      Daß alles feststeht und nur ich es bin,
      Der auf des Glückes Wogen taumelnd wird getragen.
Sappho.
      Du schmeichelst süß, doch, Lieber, schmeichelst du!
Phaon.
      Und bist du wirklich denn die hohe Frau,
      Die von der Pelops-Insel fernstem Strand
      Bis dahin wo des rauhen Thrakers Berge
      Sich an die lebensfrohe Hellas knüpfen
      Auf jedem Punkt, den land- und menschenfern
      Ins Griechenmeer Kronions Hand geschleudert,
      An Asiens reicher, sonnenheller Küste,
      Allüberall, wo nur ein griech'scher Mund
      Die heitre Göttersprache singend spricht,
      Der Ruf mit Jubel zu den Sternen hebt?
      Und bist du wirklich jene hohe Frau,
      Wie fiel dein Auge denn auf einen Jüngling,
      Der dunkel, ohne Namen, ohne Ruf,
      Sich höhern Werts nicht rühmt als – diese Leier
      Die man verehrt weil du sie hast berührt.
Sappho.
      Pfui doch, der argen, schlechtgestimmten Leier!
      Tönt sie, berührt, der eignen Herrin Lob?
Phaon.
      O seit ich denke, seit die schwache Hand
      Der Leier Saiten selber schwankend prüfte,
      Stand auch dein hohes Götterbild vor mir!
      Wenn ich in der Geschwister frohem Kreise
      An meiner Eltern niederm Herde saß
      Und nun Theano, meine gute Schwester,
      Die Rolle von dem schwarzen Simse holte
      Ein Lied von dir, von Sappho uns zu sagen,
      Wie schwiegen da die lauten Jünglinge,
      Wie rückten da die Mädchen knapp zusammen
      Um ja kein Korn des Goldes zu verlieren;
      Und wenn sie nun begann, vom schönen Jüngling,
      Der Liebesgöttin liebeglühnden Sang,
      Die Klage einsam hingewachter Nacht,
      Von Andromedens und von Atthis' Spielen,
      Wie lauschte jedes, seinen Atemzug
      Der lusterfüllt den Busen höher schwellte
      Ob allzulauter Störung still verklagend.
      Dann legte wohl die sinnige Theano
      Das Haupt zurück an ihres Stuhles Lehne
      Und in der Hütte räumig Dunkel blickend
      Sprach sie, wie mag sie aussehn wohl, die Hohe?
      Mir dünkt ich sehe sie! Bei allen Göttern,
      Aus tausend Frauen wollt' ich sie erkennen.
      Da war der Zunge Fessel schnell gelöst
      Und jedes quälte seine Phantasie
      Mit einem neuen Reize dich zu schmücken,
      Der gab dir Pallas' Aug', der Heres Arm,
      Der Aphroditens reizdurchwirkten Gürtel;
      Nur ich stand schweigend auf, und ging hinaus
      Ins einsam stille Reich der heiligen Nacht.
      Dort an den Pulsen der süß schlummernden Natur,
      In ihres Zaubers magisch-mächt'gen Kreisen,
      Da breitet' ich die Arme nach dir aus;
      Und wenn mir dann der Wolken Flockenschnee,
      Des Zephyrs lauer Hauch, der Berge Duft,
      Des bleichen Mondes silberweißes Licht
      In eins verschmolzen um die Stirne floß,
      Dann warst du mein, dann fühlt' ich deine Nähe
      Und Sapphos Bild schwamm in den lichten Wolken!
Sappho.
      Du schmückest mich von deinem eignen Reichtum,
      Weh, nähmst du das Geliehne je zurück!
Phaon.
      Und als der Vater nach Olympia
      Mich zu des Wagenlaufes Streit nun sandte,
      Und auf dem ganzen Wege mir's erscholl,
      Daß Sapphos Leier um der Dichtkunst Krone
      In diesem Kampfe streiten, siegen werde;
      Da schwoll das Herz von sehnendem Verlangen
      Und meine Renner sanken tot am Wege
      Eh' ich Olympias Türme noch erschaut.
      Ich langte an, der Wagen flücht'ger Lauf,
      Der Ringer Kunst, des Diskus frohes Spiel
      Berührten nicht den ahnungsvollen Sinn;
      Ich fragte nicht wer sich den Preis errungen,
      Hatt' ich den schönsten, höchsten doch erreicht,
      Ich sollte sie sehen, sie der Frauen Krone.
      Jetzt kam der Tag für des Gesanges Kämpfe.
      Alkäos sang, Anakreon, umsonst
      Sie konnten meiner Sinne Band nicht lösen.
      Da, horch! Da tönt Gemurmel durch das Volk,
      Da teilt die Menge sich, jetzt war's geschehn. –
      Mit einer goldnen Leier in der Hand
      Trat eine Frau durchs staunende Gewühl.
      Das Kleid von weißer Unschuldfarbe floß
      Hernieder zu den lichtversagten Knöcheln,
      Ein Bach der über Blumenhügel strömt.
      Der Saum, von grünen Palm- und Lorbeerzweigen,
      Sprach, Ruhm und Frieden sinnig zart bezeichnend,
      Aus, was der Dichter braucht und was ihn lohnt.
      Wie rote Morgenwolken um die Sonne
      Floß rings ein Purpurmantel um sie her
      Und durch der Locken rabenschwarze Nacht
      Erglänzt, ein Mond, das helle Diadem,
      Der Herrschaft weithinleuchtend, hohes Zeichen –
      Da rief's in mir: Die ist es; und du warst's.
      Eh' die Vermutung ich noch ausgesprochen
      Rief tausendstimmig mir des Volkes Jubel
      Bestätigung der süßen Ahnung zu.
      Wie du nun sangst, wie du nun siegtest, wie,
      Geschmückt mit der Vollendung hoher Krone,
      Nun in des Siegs Begeisterung die Leier
      Der Hand entfällt, ich durch das Volk mich stürze
      Und von dem Blick der Siegerin getroffen
      Der blöde Jüngling schamentgeistert steht;
      Das weißt du, Hohe, besser ja als ich,
      Der ich, kaum halb erwacht, noch sinnend forsche,
      Wieviel davon geschehn, wieviel ich nur geträumt.
Sappho.
      Wohl weiß ich's, wie du stumm und schüchtern standst.
      Das ganze Leben schien im Auge nur zu wohnen,
      Das sparsam aufgehoben von dem Grund
      Den nicht verlöschten Funken laut genug bezeugte.
      Ich hieß dich folgen und du folgtest mir
      In ungewisses Staunen tief versenkt.
Phaon.
      Wer glaubte auch, daß Hellas' erste Frau
      Auf Hellas' letzten Jüngling würde schauen!
Sappho.
      Dem Schicksal tust du Unrecht und dir selbst!
      Verachte nicht der Götter goldne Gaben,
      Die sie bei der Geburt dem Kinde, das
      Zum Vollgenuß des Lebens sie bestimmt,
      Auf Wang' und Stirn, in Herz und Busen gießen!
      Gar sichre Stützen sind's, an die das Dasein
      Die leichtzerrißnen Fäden knüpfen mag.
      Des Leibes Schönheit ist ein schönes Gut
      Und Lebenslust ein köstlicher Gewinn,
      Der kühne Mut, der Weltgebieter Stärke,
      Entschlossenheit und Lust an dem was ist,
      Und Phantasie, hold dienend wie sie soll,
      Sie schmücken dieses Lebens rauhe Pfade
      Und leben ist ja doch des Lebens höchstes Ziel!
      Umsonst nicht hat zum Schmuck der Musen Chor
      Den unfruchtbaren Lorbeer sich erwählt,
      Kalt, frucht- und duftlos drücket er das Haupt
      Dem er Ersatz versprach für manches Opfer.
      Gar ängstlich steht sich's auf der Menschheit Höhn
      Und ewig ist die arme Kunst gezwungen,
              (Mit ausgebreiteten Armen gegen Phaon.)
      Zu betteln von des Lebens Überfluß.
Phaon.
      Was kannst du sagen, holde Zauberin,
      Das man für wahr nicht hielte, da du's sagst?
Sappho.
      Laß uns denn trachten, mein geliebter Freund,
      Uns beider Kränze um die Stirn zu flechten,
      Das Leben aus der Künste Taumelkelch,
      Die Kunst zu schlürfen aus der Hand des Lebens.
      Sieh diese Gegend, die der Erde halb
      Und halb den Fluren die die Lethe küßt
      An einfach stillem Reiz scheint zu gehören;
      In diesen Grotten, diesen Rosenbüschen,
      In dieser Säulen freundlichen Umgebung,
      Hier wollen wir, gleich den Unsterblichen,
      Für die kein Hunger ist und keine Sättigung,
      Nur des Genusses ewig gleiche Lust,
      Des schönen Daseins uns vereint erfreun.
      Was mein ist, ist auch dein. Wenn du's gebrauchst,
      So machst du erst daß der Besitz mich freut.
      Sieh um dich her, du stehst in deinem Hause.
      Den Dienern zeig ich dich als ihren Herrn,
      Der Herrin Beispiel wird sie dienen lehren.
      Heraus ihr Mädchen! Sklaven! Hierher!
Phaon.
      Sappho!
      Wie kann ich so viel Güte je bezahlen?
      Stets wachsend fast erdrückt mich meine Schuld!