Franz Grillparzer
Sappho
Franz Grillparzer

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Vierter Aufzug

Freie Gegend wie in den vorigen Aufzügen. Mondnacht.

Erster Auftritt

Sappho (kommt, in tiefe Gedanken versenkt. – Sie bleibt stehen. – Nach einer Pause).
Bin ich denn noch, und ist denn etwas noch?
Dies weite All, es stürzte nicht zusammen
In jenem fürchterlichen Augenblick?
Die Dunkelheit, die brütend mich umfängt,
Es ist die Nacht und nicht das Grab!
Man sagt ja doch, ein ungeheurer Schmerz,
Er könne töten? – Ach, es ist nicht so! –

Still ist es um mich her, die Lüfte schweigen,
Des Lebens muntre Töne sind verstummt,
Kein Laut schallt aus den unbewegten Blättern
Und einsam wie ein spätverirrter Fremdling
Geht meines Weinens Stimme durch die Nacht.

Wer auch so schlafen könnte, wie die Vögel,
Doch lang und länger, ohne zu erwachen;
im Schoße eines festern, süßern Schlummers
Wo alles, alles, selbst die Pulse schlafen,
Kein Morgenstrahl zu neuen Qualen weckt,
Kein Undankbarer – Halt! – Tritt nicht die Schlange!

        (Mit gedämpfter Stimme.)
Der Mord ist wohl ein gräßliches Verbrechen
Und Raub und Trug, und wie sie alle heißen,
Die Häupter jener giftgeschwollnen Hyder,
Die an des Abgrunds Flammenpfuhl erzeugt
Mit ihrem Geifer diese Welt verpestet,
Wohl gräßlich, schändlich, giftige Verbrechen!
Doch kenn ich eins, vor dessen dunkelm Abstich
Die andern alle lilienweiß erscheinen,
Und Undank ist sein Nam'! Er übt allein
Was alle andern einzeln nur verüben,
Er lügt, er raubt, betrügt, schwört falsche Eide,
Verrät und tötet! Undank! Undank! Undank!

Beschützt mich Götter, schützt mich vor mir selber!
Des Innern düstre Geister wachen auf
Und rütteln an des Kerkers Eisenstäben!

Ihn hatt' ich vom Geschicke mir erbeten,
Von allen Sterblichen nur ihn allein,
Ich wollt' ihn stellen auf der Menschheit Gipfel,
Erheben hoch vor allen, die da sind,
Und über Grab und Tod und Sterblichkeit
Ihn tragen auf den Fittichen des Ruhms
Hinüber in der Nachwelt lichte Fernen.
Was ich vermag und kann und bin und heiße
Als Kranz wollt' ich es winden um sein Haupt
Ein mildes Wort statt allen Lohns begehrend
Und er – lebt ihr denn noch, gerechte Götter?
        (wie von einem plötzlichen Gedanken durchzuckt.)
Ihr lebet, ja! – von euch kam der Gedanke
Der leuchtend sich vor meine Seele drängt.
Laß mich dich fassen schneller Götterbote,
Vernehmen deines Mundes flüchtig Wort! –
Nach Chios sprichst du: soll Melitta hin,
Nach Chios, dort getrennt von dem Verräter
In Reue wenden ihr verlocktes Herz,
Mit Liebesqual der Liebe Frevel büßen?
So sei es, Rhamnes, Rhamnes, ja so sei's!
Unsterbliche habt Dank für diesen Wink!
Ich eile zu vollführen.

Zweiter Auftritt

Rhamnes. Sappho.

Rhamnes.
Was gebeutst du Herrin?

Sappho.
Sie ist mein Werk! Was wär' sie ohne mich?
Und wer verwehrt dem Bildner wohl sein Recht
Das zu zerstören was er selber schuf?
Zerstören! Kann ich es? Weh mir, ihr Glück
Es steht zu hoch für meine schwache Hand!
Wenn ihr nach Chios seine Liebe folgt
Ist sie am Sklavenherd nicht seliger
Als ich im goldnen, liebeleeren Haus?
Für das Geliebte leiden ist so süß
Und Hoffnung und Erinnrung sind ja Rosen
Von einem Stamme mit der Wirklichkeit
Nur ohne Dornen! O verbannet mich
Weit in des Meeres unbekannte Fernen
Auf einen Fels, der schroff und unfruchtbar
Die Wolken nur und Wellen Nachbar nennt
Von jedem Pfad des Lebens rauh geschieden,
Nur löschet aus dem Buche der Erinnrung
Die letztentflohnen Stunden gütig aus;
Laßt mir den Glauben nur an seine Liebe
Und ich will preisen mein Geschick und fröhlich
Die Einsamkeit, ach einsam nicht, bewohnen!
Bei jedem Dorn, der meine Füße ritzte,
In jeder Qual wollt' ich mir selber sagen:
O wüßt' er es! und: o jetzt denkt er dein!
Was gäb' er dich zu retten! Ach und Balsam
Ergösse kühlend sich in jede Wunde!

Rhamnes.
Du hast gerufen, hocherhabne Frau!

Sappho.
O Phaon, Phaon! Was hab ich dir getan? –
Ich stand so ruhig in der Dichtung Auen,
Mit meinem goldnen Saitenspiel allein,
Hernieder sah ich auf der Erde Freuden,
Und ihre Leiden reichten nicht zu mir.
Nach Stunden nicht, nach holden Blumen nur,
Dem heitern Kranz der Dichtung eingewoben,
Zählt' ich die Flucht der nimmerstillen Zeit.
Was meinem Lied ich gab, gab es mir wieder
Und ew'ge Jugend grünte mir ums Haupt.
Da kommt der Rauhe und mit frechen Händen
Reißt er den goldnen Schleier mir herab,
Zieht mich hernieder in die öde Wüste
Wo rings kein Fußtritt, rings kein Pfad,
Und jetzt, da er der einz'ge Gegenstand
Der in der Leere mir entgegenstrahlt,
Entzieht er mir die Hand, ach und entflieht!

Rhamnes.
O Herrin magst du weilen so im Dunkeln
Beim feuchten Hauch der Nacht, der Meeresluft?

Sappho.
Kennst du ein schwärzres Laster als den Undank?

Rhamnes.
Ich nicht!

Sappho.
Ein giftigers?

Rhamnes.
Nein wahrlich nicht!

Sappho.
Ein fluchenswürd'geres, ein strafenswerters?

Rhamnes.
Fürwahr mit Recht belastet's jeder Fluch!

Sappho.
Nicht wahr? Nicht wahr? Die andern Laster alle
Hyänen, Löwen, Tiger, Wölfe sind's,
Der Undank ist die Schlange! Nicht? Die Schlange!
So schön, so glatt, so bunt, so giftig! – Oh! –

Rhamnes.
Komm mit hinein. Drin fühlst du dich wohl besser,
Mit Sorgfalt ist das Haus dir ausgeschmückt
Und Phaon wartet deiner in der Halle!

Sappho.
Wie, Phaon, harret meiner?

Rhamnes.
Ja, Gebietrin!
Ich sah ihn sinnend auf und nieder schreiten.
Bald stand er still, sprach leise vor sich hin,
Trat dann ans Fenster, suchend durch die Nacht.

Sappho.
Er harret meiner? Lieber, sagt' er es
Er harre meiner? Sapphos?

Rhamnes.
Das wohl nicht!
Doch sah ich ihn erwartend, lauschend stehn
Und wessen sollt' er harren?

Sappho.
Wessen? Wessen?
Nicht Sapphos harrt er, doch er harrt umsonst!
Rhamnes!

Rhamnes.
Gebieterin!

Sappho.
Du weißt zu Chios
Wohnt, noch vom Vater her, ein Gastfreund mir!

Rhamnes.
Ich weiß es!

Sappho.
Löse schnell vom Strand den Nachen
Der dort sich schaukelt in der nahen Bucht,
Denn diese Nacht noch mußt du fort nach Chios!

Rhamnes.
Allein?

Sappho.
Nein!

(Pause.)

Rhamnes.
Und wer folget mir dahin?

Sappho.
Was sagst du?

Rhamnes.
Wer nach Chios mit mir –?

Sappho (ihn auf die andre Seite des Theaters führend).
Komm!
Vorsichtig sei und leise, hörst du mich?
Geh in Melittens Kammer und gebeut ihr
Hierher zu kommen, Sappho rufe sie.
Doch still daß er dich nicht bemerke.

Rhamnes.
Wer?

Sappho.
Wer? – Phaon! – Folgt sie dir –
        (Einhaltend.)

Rhamnes.
Was dann?

Sappho.
Dann bringe
Sie, sei's mit Güte, sei es mit Gewalt,
Doch leise, in den losgebundnen Nachen
Und fort nach Chios, auf der Stelle fort!

Rhamnes.
Und dort?

Sappho.
Dort übergibst du sie dem Gastfreund,
Er soll sie hüten, bis ich sie verlange;
Und streng – Nicht strenge mög' er sie mir halten,
Sie ist ja doch gestraft genug! Hörst du?

Rhamnes.
Ich eile!

Sappho.
Zögre nicht!

Rhamnes.
Leb wohl o Sappho!
Der Morgen findet uns schon fern von hier.
Zufrieden sollst du sein mit deinem Diener! (Ab.)


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