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Elftes Kapitel. Der Sohn des Hauses

Agnes hatte keinen Augenblick die schwierige Seite ihrer Aufgabe sich zu verbergen oder derselben aus dem Wege zu gehen gesucht, sie hatte im Gegenteil den Stier bei den Hörnern gefaßt, wie man zu sagen pflegt. Gleich am ersten Morgen nach ihrer Ankunft hatte sie mit Fräulein Seraphine ein gründliches Examen vorgenommen, was dieselbe sichtlich unangenehm berührte. Schließlich mußte sie aber wohl oder übel Rede stehen, wobei sich herausstellte, daß sie fast nichts wußte.

»Ein kluges, liebenswürdiges Kind zu erziehen,« sagte sich Agnes, »was wäre da eigentlich für ein Verdienst dabei? Bei dieser Schülerin kann ich erproben, ob ich Geduld und einiges Lehrtalent habe.«

»Neue Besen kehren gut,« sagt das Sprichwort, und so unehrerbietig es klingen mag, so findet dieser Satz auf Lehrer und Schüler gleich treffende Anwendung. Seraphine war zwar schon mehr Kratzbürste als Besen, entfaltete aber in dieser Eigenschaft fünf oder sechs Tage lang eine ganz ersprießliche Thätigkeit in ihrem jungen Gehirn, und die neue Erzieherin konnte sich mit der Rolle eines niedlichen Staubwedels begnügen, mit dem die frisch lackierte Bildung nur leicht überfahren werden muß, um spiegelblank zu glänzen.

Der Unterricht wurde in einem »Studierzimmer« erteilt, das so spärlich möbliert war, daß niemand ihm diese Bestimmung angesehen hätte; es war kalt und feucht, und Agnes erlebte zum erstenmal, daß ihre an weiche Teppiche oder doch allermindestens Matten gewöhnten aristokratischen Füßchen eisig kalt und steif wurden durch die Berührung mit einem holperigen tannenen Boden, dem man die Frage, ob er nach einem sündflutartigen Aufwaschen wieder trocken zu werden gedenke, gänzlich anheimstellte.

Eine weitere Ueberraschung bereitete ihr die Ernährungsweise der Familie Markos. Sie war an einem Sonnabend angekommen, und man entschuldigte am darauffolgenden Sonntag das äußerst magere Frühstück mit dem höchst achtungswerten menschenfreundlichen Grundsatz, die Dienstboten während des Gottesdienstes nicht arbeiten zu lassen. Das darauf folgende Diner bestand aus einer Suppe, in der eine Mischung von heißem Wasser und kaum zergangenem Fett vorherrschte, nach derselben erschien ein Roastbeef von so gewaltigem Umfang, daß Agnes einen leisen Ruf des Erstaunens nicht unterdrücken konnte.

»Aha! So was haben Sie bei Ihren Surofs wohl nicht zu Gesicht bekommen?« bemerkte Frau Markof triumphierend.

Agnes zog die Stirn kraus, bedachte aber doch, daß sie in diesem Augenblick nicht Oberst Platos Tochter sei, und erwiderte freundlich: »Allerdings nicht. Das Fleisch war wohl sehr gut, allein solche Riesenstücke kamen nicht auf den Tisch.«

Wie eine Opferpriesterin war Frau Markof anzusehen, als sie mit einem gewaltigen Messer den ersten Schnitt in die blutige Fleischmasse that; der Saft lief auf die Platte, und von dem Opfer wurden mehrere Schnitten losgetrennt, die zu riesig waren, um verlockend zu sein.

Bei Licht betrachtet war das Fleisch aber wirklich gut, und Agnes söhnte sich, namentlich als eine Platte mit dampfenden, mehligen Kartoffeln aufgetragen wurde, ganz mit dem Roastbeef aus.

»Wir haben englische Küche,« erläuterte Frau Markos, »und befinden uns sehr wohl dabei.«

Ein sehr viel vorstellender, sehr mittelmäßiger Pudding beschloß das Mahl, und Agnes dachte bei sich, daß sie wohl zufrieden sei. Es war natürlich nicht die feine, abwechslungsreiche Küche wie zu Hause, allein man konnte es doch immerhin eine kräftige Nahrung nennen, und sie wollte sich ja willig in alle Schwierigkeiten der selbstgewählten Lebensstellung finden.

Am folgenden Tag stand beim Frühstück das Roastbeef auf dem Tisch, in das man gestern trotz des allgemeinen Appetits keine wesentliche Bresche gelegt hatte. Das nämliche Messer wurde in der nämlichen Weise darein versenkt, ebenso reichliche Stücke wurden herumgereicht, die Kartoffeln fehlten auch nicht, nur war die Sache für diesmal ohne süße Speise zu Ende.

Agnes mochte kaltes Fleisch ganz gerne, auch billigte sie diese weise Verwendung des Fleischvorrats in der sichern Voraussetzung, daß der Braten nun nach zweimaligem Erscheinen zur Freude der Dienerschaft in die Küche zurückwandern werde.

Allein zur Essensstunde stand das Roastbeef wieder auf dem Tisch, wo es sich überhaupt häuslich niedergelassen zu haben schien, nur war die Platte etwas kleiner. Am nächsten Tag zum Frühstück und zum Diner ... das Roastbeef; Mittwoch vormittag war nur noch ein kleines, sehr ausgetrocknetes Stück vorhanden, welches wenig Anklang fand und deshalb abends wieder erschien. An diesem Tag aß Agnes überhaupt nur Kartoffeln, denn gegen die geschmacklose fette Suppe lehnte ihr Magen sich auf.

Am darauffolgenden Morgen stand überhaupt gar nichts auf dem Frühstückstisch. Frau Markof segelte in Schlafrock und Pantoffeln herein.

»Das Fleisch ist nicht angekommen,« sagte sie, »wir werden uns wohl oder übel mit Grütze behelfen müssen; nun das ist dies eine Mal auch kein Unglück.«

Eine große Schüssel Buchweizengrütze und eine Kanne Milch erschienen. Agnes war sich gerade keiner Vorliebe für Grütze bewußt, aber schließlich war vier Tage altem Braten auch dieser bescheidene Genuß vorzuziehen.

»Heute abend,« dachte sie dabei hoffnungsvoll, »bekommen wir ja dann endlich einmal etwas andres!«

Sie legte wahrhaftig keinen großen Wert auf das Essen, und zu Hause war es ihr sicherlich nicht eingefallen, sich um Abfassung des Speisezettels zu bekümmern, aber die Einförmigkeit der bisherigen Menüs hatte sie mit einer gewissen Neugier auf die kommenden erfüllt.

Nachdem die Suppe abgetragen war, erschien der Diener, fast zusammenbrechend unter der Last einer Riesenplatte, die Agnes wohl bekannt war; mit vorsichtigen Schritten trat er an den Tisch und setzte darauf nieder ... ein prachtvolles Roastbeef, das seinem Vorgänger so ähnlich sah, daß Agnes in die Tiefen ihrer Erinnerung zurückgreifen mußte, um ganz sicher zu sein, daß heute Donnerstag war und nicht Samstag.

Die obligaten Kartoffeln wurden dampfend in einer tiefen Schüssel aufgetragen, und die ganze Tischgesellschaft legte beim Anblick dieser ausreichenden Mahlzeit unzweifelhafte Befriedigung an den Tag. Wenn man drei Tage lang kalten Braten gegessen, so hat ein am vierten Tag erscheinender warmer allerdings gegründenden Anspruch auf freundliche Aufnahme; Agnes aber empfand, als man vom Tisch aufstand, das Bedürfnis, sich Klarheit zu schaffen; ihrem positiven Geist that es not, die Aussichten für die Zukunft einigermaßen zu überblicken.

»Ihr eßt wohl häufig Roastbeef?« fragte sie ihre Schülerin.

Seraphine starrte ihr verwundert ins Gesicht.

»Was haben Sie gefragt?« sagte sie, wie jemand, der von dem, was der andre will, keine Silbe verstanden hat.

»Ich frage, ob hier häufig Roastbeef gegessen wird?«

»Ja, aber ... immer!« lautete die Antwort, bei der das kleine Fräulein wie aus den Wolken gefallen drein schaute.

»Immer! Das, ganze Jahr ... jeden Tag?« wiederholte Agnes, kaum minder verblüfft.

»Ja natürlich!«

»Zweimal in der Woche warm und an den andern Tagen kalt?«

»Ja natürlich! Was haben Sie denn gegessen, da drunten, wo Sie waren?«

»Eine ganze Menge guter Sachen, von denen du keine Ahnung hast,« erwiderte Agnes würdevoll.

Seraphine warf ihr einen scheelen Blick zu und kehrte ihr den Rücken. Bis dahin waren sie sich auf dem Fuß bewaffneter Neutralität gegenüber gestanden, von dieser Stunde an war der Krieg erklärt ... das zweite Roastbeef bezeichnete die Eröffnung der Feindseligkeiten.

Am nächsten Morgen hatte Seraphine ihre Aufgaben nicht gelernt, was nichts Ungewöhnliches war, aber sie war schlechter Laune und ungezogen, was Agnes noch nicht an ihr erlebt hatte; sie war bis jetzt allem, was nicht Vergnügen hieß, gleichgültig aber nicht feindselig gegenübergestanden.

»Du wirst deine Aufgaben in der Freistunde nachlernen!« bestimmte die jugendliche Erzieherin.

»Ich? So was ist noch nicht dagewesen! Besinnen Sie sich nur auf etwas andres, Fräulein!« versetzte die Rebellin.

Agnes war im Begriff, sich sehr unumwunden auszusprechen, als sie plötzlich tief errötete. Hatte sie denn nicht einst der Erzieherin, die vor Fräulein Titof bei ihnen gewesen, wörtlich die nämliche Antwort gegeben, und hatte nicht das arme Mädchen schließlich kampfesmüde das Haus verlassen, weil sie sich dieser Gegnerin nicht gewachsen fühlte?

»So eine Antwort thut nicht wohl,« sagte sie sich heute schuldbewußt.

Da dies edle Gefühl sie jedoch nicht abhalten durfte, ihre Autorität aufrecht zu erhalten, begab sich Agnes zu Frau Markof, um sie zu fragen, was in diesem Fall zu geschehen habe.

»Aber, Fräulein, das ist doch Ihre Sache! Deshalb halte ich mir eine Gouvernante, um nicht mit derlei Dingen zu schaffen zu haben.«

»Gewiß, gnädige Frau, allein Seraphine weigert mir den Gehorsam, weil ich ihr befohlen habe, die Aufgaben in der Freistunde nachzulernen.«

»Ja, da hat das Kind aber auch vollkommen recht! Sie muß doch auch ihr Vergnügen haben!«

Agnes ging auf ihr Zimmer, um über die Sachlage ernstlich nachzugrübeln; da es aber hier ebenso kalt und ebenso feucht war wie im Schulzimmer, begab sie sich in den Salon, der leidlich warm war, und setzte sich, ein Buch in der Hand, in die Fensternische.

Nach einigen Minuten zog eine Art von Stöhnen oder Winseln ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie vermutete, daß ein Hund sich ins Haus verirrt habe, und da sie von seiten Frau Markofs keine freundliche Begrüßung für das arme Vieh voraussah, blickte sie unter das Sofa, unter die Fauteuils, den Tisch, die Stühle, entdeckte jedoch keinen Vierfüßler.

Sie glaubte, sich getäuscht zu haben, und vertiefte sich von neuem in ihr Buch oder vielmehr in ihre Gedanken, als ein abermaliges, noch jämmerlicher klingendes Seufzen sie wieder aufblicken ließ.

Nun entdeckte sie, daß ihr gegenüber Mittias schlotterige Gestalt in einem Fauteuil lag, und daß der junge Mann sie mit seinen hervorstehenden wasserblauen Augen verzückt anstarrte.

Agnes wandte sich ärgerlich ab; sie hatte längst bemerkt, mit welcher Aufmerksamkeit er all ihr Thun und Lassen verfolgte, und es war ihr das sehr peinlich, allein sie hoffte, daß er Takt genug haben werbe, sie nicht weiter zu belästigen; die beiden Stoßseufzer belehrten sie jedoch eines andern.

Da ihre Hoffnung auf Ungestörtsein und innere Ruhe im Salon entschieden nicht in Erfüllung ging, stand sie auf, um in Gottes Namen in ihr kaltes Zimmer zurückzukehren.

»O Fräulein! Fliehen Sie mich nicht!« flüsterte Mittia in jammervollem Ton.

Agnes drehte sich kampfbereit nach ihm um.

»Sie fliehen? Das hieße ja, Sie bemerken!« sagte sie schneidend.

»O, o, o!« klang es in rührender Molltonart, »Sie sind grausam, ebenso grausam als schön.«

Agnes zuckte die Achseln und wandte sich zum Gehen. Mit einer Lebhaftigkeit, die man ihm nach dem hinsterbenden Klang seiner Stimme nicht zugetraut hätte, fuhr Mittia in die Höhe.

»Fräulein,« sagte er sich mit ausgebreiteten Armen vor der Thür aufpflanzend, um ihr den Weg zu vertreten, »Sie müssen mich anhören und Sie werden es!«

Seine runden Augen, der winzig kleine Mund und der steife, dünne Backenbart gaben ihm etwas Marionettenhaftes, das in dieser Stellung doppelt komisch hervortrat. Agnes war jedoch zu empört, um die Sache humoristisch zu nehmen.

»Sie fühlen sich unglücklich in diesem Hause, Fräulein!« fuhr Mittia fort, die Augen aus Mitgefühl dermaßen verdrehend, daß nur das Weiße sichtbar ward, »Sie essen nichts, Sie lieben das Roastbeef nicht – o gewiß! Ich habe es beobachtet! Mir entgeht nichts, was Sie berührt! Meine Schwester ist eine dumme Gans, meine Mutter hat Sie vorhin zum Kuckuck gejagt ...«

»Mein Herr!« rief Agnes wütend.

»Werden Sie nicht böse!« bat er mit flehender Gebärde und unsäglich süßer Stimme. »Sie werden noch ganz andre Dinge erleben. Im Anfang geht bei uns immer alles gut, aber es endet schlimm ...«

»Schlimm! Was wollen Sie damit sagen?« fragte Agnes, die trotz aller Heldenhaftigkeit eine dunkle Angst über sich kommen fühlte.

»Sie gehen fort!« stöhnte der unglückliche junge Mann. »Alle gehen sie fort und überlassen mich meiner verzweiflungsvollen Einsamkeit ...«

»Es ist entschieden nicht ganz in Ordnung in seinem Kopf,« dachte Agnes, die plötzlich Lust bekam, zu lachen.

Halb verdeckt von einem Schrank ward Frau Markofs Frisiermantel im Vorplatz sichtbar.

»O Fräulein, dies Haus bietet keinen Stoff zur Heiterkeit,« fuhr Mittia etwas weniger pathetisch fort. »Aber es läge nur an Ihnen, so würde man sich etwas weniger darin langweilen. Es gibt Mondscheinspaziergänge – lieben Sie dieselben nicht?«

»In Ihrer Gesellschaft gewiß nicht,« versetzte das junge Mädchen voll Verachtung.

»In meiner Gesellschaft? Ach, ich kann ja keine machen, ich bekomme immer Zahnweh, wenn es nicht ganz besonders heiß ist – im Hochsommer, und das ist nun für dieses Jahr vorbei. Aber es gibt ja tausend Gelegenheiten, sich zu begegnen. – O Fräulein, ich liebe Sie!«

»Ich Sie nicht!« sagte Agnes trocken. »Wollen Sie mich jetzt gefälligst hinauslassen?«

»Nicht ohne Straßenzoll!« erwiderte Mittia, die Arme noch weiter ausbreitend und seine Wange jedenfalls in Erwartung eines Kusses darbietend.

»Eine merkwürdige Sorte von Erzieherinnen müssen die hier gehabt haben,« dachte das junge Mädchen. Sie hatte nicht die geringste Lust, sich mit diesem ungeschlachten Individuum, dessen Kopf offenbar nicht in richtigem Gleichgewicht war, zu zanken, und statt aller Auseinandersetzungen bückte sie sich rasch und schlüpfte unter seinem Arm durch zur Thür hinaus.

»Ach, wie schlau Sie sind!« rief Mittia entzückt. »Es ist eine wahre Freude, wenn man es mit einer so geistvollen Dame zu thun hat! Aber Sie sollen mir ein andermal nicht so entkommen.«

Frau Markofs Frisiermantel trat einen geordneten Rückzug an, und Agnes hatte also die beruhigende Gewißheit, daß der vortrefflichen Mutter kein Wort entgangen war.

»Eine solche Mutter!« dachte sie und ein unsäglicher Widerwille stieg in ihr auf. »Der junge Mensch ist ja einfach ein Dummkopf, aber die Frau, die das duldet in ihrem Hause ...«

Ein heftiges Verlangen, dies Haus zu verlassen, bemächtigte sich ihrer; hätte sie dem ersten Impuls gehorcht, so wäre sie zu Frau Markof gegangen, um ihren Paß und einen Wagen nach Sankt Sergius zu verlangen. Allein nach kurzer Ueberlegung machte sie sich klar, daß ein so energisches Verfahren schon nach acht Tagen es ihr sehr erschweren würde, eine andre Stellung zu finden. Und dann, wollte sie denn nicht das Leben kennen lernen? Diese Leute waren ungebildet und lächerlich, allein bösartig und schlecht schienen sie wenigstens nicht zu sein. Der Vater Markof, der freilich immer draußen auf den Feldern war und nur zu den Mahlzeiten nach Hause kam, war gut und mild, und sie würde sicher Schutz bei ihm finden, wenn es so weit käme, daß sie eines solchen bedürfte!

Im Schulzimmer fand Agnes ihren Zögling, und Fräulein Seraphine schien ihr den Auftritt von heute früh nicht nachzutragen. Die jugendliche Erzieherin hielt es denn auch für das Geratenste, diese bedenklichen Erinnerungen ruhen zu lassen, und sagte ruhig und freundlich: »Wir wollen jetzt wacker diktiert schreiben, Seraphine.«

Mit sehr befriedigter, wichtiger Miene schüttelte der Unhold den Kopf und fuhr fort, mit dem Stuhl dergestalt hin und her zu schaukeln, daß die Erhaltung ihres Gleichgewichtes äußerst fraglich erschien.

»Ich lerne heute nicht,« sagte sie, »Mama hat mir frei gegeben.«

»Frei gegeben? Ja ist denn heute ein Feiertag?« fragte Agnes überrascht.

»Feiertag? Das braucht's gar nicht! Ich habe frei, weil ich Mama darum gebeten habe.«

»Das ist ja gar nicht möglich!«

»So fragen Sie doch die Mama!« versetzte die Kleine auf einem Stuhlbein balancierend, daß Agnes schwindelig wurde.

Es war wohl nichts andres zu thun. Das junge Mädchen suchte Frau Markof auf, welche die Aussage ihrer Tochter sofort bestätigte.

»Ganz richtig, Fräulein, ich habe ihr frei gegeben, weil sie mich darum gebeten hat! Die Sache mißfällt mir aber gründlich, und ich muß Sie bitten, dafür zu sorgen, daß es nicht wieder vorkommt.«

»Ich bitte um Entschuldigung, gnädige Frau, aber ich verstehe wirklich nicht ganz. Was wünschen Sie, daß ich vermeiden soll?«

»Ich wünsche, daß Sie dafür sorgen, daß meine Tochter mich nicht mehr um einen freien Tag bittet. Eine solche Unterbrechung im Lernen taugt gar nicht für sie.«

»Wenn Sie dieser Ansicht sind, gnädige Frau, so wäre es wohl am besten, wenn Sie ihr die Bitte abschlagen würden ...«

»Davor werde ich mich wohl hüten, Fräulein! So oft sie mich darum bittet, so oft erlaube ich es ihr. Nichts Unausstehlicheres, als wenn ein Kind stundenlang bettelt und quält, und Seraphine ist sehr eigensinnig; hat sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt, so läßt sie nicht mehr davon ab. Da gebe ich weit lieber gleich nach! Verstehen Sie jetzt?«

»Daß Ihnen dies Bitten widerwärtig ist, verstehe ich vollkommen, gnädige Frau,« erwiderte Agnes, die angesichts dieser Logik große Mühe hatte, ruhig zu bleiben. »Allein ich begreife nicht, was Sie dabei von mir erwarten?«

»Ist es die Möglichkeit! Und Sie sehen doch ganz gescheit aus – Sie sollen das Kind abhalten, mich zu bitten ...«

»Um etwas, das zu erlangen, sie gewiß ist?«

Frau Markof war ein wenig verdutzt.

»Ein für allemal,« schloß sie ärgerlich, »befolgen Sie meine Befehle: wie, das ist Ihre Sache. Ich habe Ihnen die Erziehung meiner Tochter unumschränkt übergeben, zeigen Sie sich dessen würdig!«

Damit rauschte sie majestätisch von dannen.

In tiefen Gedanken kehrte Agnes ins Schulzimmer zurück. Die Unsinnigkeit von Frau Markofs Beschlüssen und Anschauungen war so ungeheuer, daß ihre Vernunft sie einfach ablehnte und sie schließlich lieber an ein Mißverständnis von ihrer Seite glaubte, als an die Möglichkeit solcher Aussprüche.

»Sie wird sich falsch ausgedrückt haben,« sagte sich das junge Mädchen, »wir werden uns ein andermal deutlicher aussprechen.«

Fräulein Seraphine war inzwischen des Nichtsthuns überdrüssig geworden; der Regen schlug an die Fenster, an Spazierengehen war nicht zu denken. Agnes hielt den Moment für gekommen, wo sie eine selbst erdachte Methode von spielendem Lehren, die sie sich sehr schön ausgemalt hatte, in Anwendung bringen könnte, und dank der Langeweile, unter der Seraphine gelitten, erreichte sie den glänzenden Erfolg, das Kind zwei Stunden vollauf zu beschäftigen, immer mit dem Anschein des Spielens. Das Mädchen, welches keineswegs auf den Kopf gefallen war, wußte eine so lustige, amüsante Lehrerin zu schätzen, und als die Dämmerung hereinbrach, herrschten von neuem Ruhe und Freudigkeit im Schulzimmer.

»Wenn dieser Dummkopf von Mittia nicht wäre,« dachte Agnes, »könnte ich hier ganz interessante Studien machen und viel erreichen. Ach, und schließlich wird man ihm auch den Mund stopfen können; das wird doch kein Hexenwerk sein.«

Glückliche Jugend! Ein flüchtiger Sonnenstrahl, und Unwetter und Sturm sind vergessen! Agnes schlief an diesem Abend mit den herrlichsten Plänen und frohen Hoffnungen ein, obwohl das kalte Roastbeef wieder auf dem Tisch erschienen war.


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