Ferdinand Gregorovius
Athenaïs
Ferdinand Gregorovius

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XXXII.

Die letzten Jahre Eudokias sind ereignißleer und dunkel. Ihr Leben in dem öden heißen Jerusalem kann nur ein trauriges gewesen sein. Sie entbehrte dort alles dessen, woran sie gewöhnt war, des Glanzes und der Fülle der großen Welt, des Zusammenhanges mit den Strömungen der Gegenwart, mit der Wissenschaft und Kunst, und des Umganges mit bedeutenden Menschen.

Wir wissen nicht, ob sie durch Boten und Briefe einen Verkehr mit ihrer Tochter in dem entfernten Karthago unterhielt, aber wir dürfen das glauben. Sie erfuhr, daß ihre Enkelin Eudocia zur Ehe mit Hunnerich, dem Sohne und Erben des großen Vandalenkönigs gezwungen worden war, und daß sie diese Ehe haßte, weil ihr Gemal den arianischen Glauben bekannte und ein wütender Verfolger der Katholiken war. Alle Bemühungen, welche sie beim Kaiser Marcian, und, nach dessen im Jahre 457 erfolgten Tode, bei dem neuen Kaiser Ostroms, dem Illyrier Leo, machte, die Befreiung der Gefangenen zu erwirken, blieben fruchtlos.

In ihrer tiefen Einsamkeit versenkte sie sich in Werke frommer Andacht. Unablässig beschäftigte sie sich mit der Ausführung von Bauten. Die Stadt Jerusalem verdankte der erlauchten Verbannten so viele Wolthaten, daß Eudokia nach der Ansicht der byzantinischen Geschichtschreiber sich fast mehr Verdienste um dieselbe erwarb, als die Augusta Helena. Aber ihr Andenken wurde dort bald durch den Nimbus verdunkelt, welcher den Namen der Mutter des großen Constantin umgab, und alle Bauwerke von Bedeutung in Jerusalem pflegte man später dieser einen Helena zuzuschreiben. Eudokia stellte die Mauern der Stadt wieder her, stiftete Armenhäuser und Klöster, baute ein Stadium weit von Jerusalem die Kirche des heiligen Stephanus, und selbst einen prächtigen Palast als Sitz des Bischofs soll sie gegründet haben.Nicephorus, XIV, c. 50, sagt, daß Eudokia für fromme Stiftungen in Jerusalem 20480 Pfund ausgegeben habe. Ueber ihre Bauten dort: Evagrius, I, c. 22. – Cedrenus, I, 590, bringt bei dieser Gelegenheit ihren Namen Eudokia mit dem Spruch im 50. Psalm in Verbindung: αγάθυνον κύριε εν τη̃ ευδοκία σου τὴν Σιών, καὶ οικοδομηθήτω τὰ τείχη ‛Ιερουσαλήμι. Vita S. Euthymii, p. 473.

Neben der Religion hatte sie noch einen andern Trost, und dieser kam ihr von den Musen Griechenlands. Sie besuchten Athenaïs wieder in ihrer Verbannung zu Jerusalem, denn in diese lange Zeit der Muße fällt unzweifelhaft die Reihe von griechischen Dichtungen, die ihr angehören.

Wie sich die hellenische Philosophie ausgelebt hatte, so war auch die dichterische Kraft der Griechen vollkommen erloschen. Sie teilte das Schicksal der bildenden Kunst. Nur die attische Sprache lebte, wenn auch nicht mehr in ihrer Reinheit, fort, und die Dichtungen jener Zeit waren nichts als rhetorische und philologische Erinnerungen an das classische Altertum. Alles was die griechische Anthologie aus jener Epoche des sterbenden Hellenismus zu uns herübergerettet hat, beweist den Verfall des Genies und nur das Fortleben der Sprachschule in einem kalten künstlichen Formgefühl.

Die Stoffe, welche Athenaïs zu ihren Dichtungen wählte, und die Fragmente, die davon erhalten sind, lassen auch in ihr kein schöpferisches Talent erkennen, wol aber eine anmutige Künstlerin von vorzüglicher sprachlicher Bildung. In die Sprache und die Rhythmen Homers hat sie heilige Geschichten gekleidet, und so das Heidentum mit dem Christentum künstlerisch vermält. Dies zu thun war Niemand mehr berufen als sie.

Als solche von den Byzantinern gerühmte Werke Eudokias werden genannt die Metaphrase des Octateuch, oder die Uebersetzung der fünf Bücher Mosis, des Buchs Josua, der Richter und der Ruth; ferner des Propheten Daniel und Zacharias. Im neunten Jahrhundert hat der gelehrte Photius in seiner »Bibliothek« verzeichnet, daß er diese Poesien der Kaiserin Eudokia mit hohem Genuß gelesen habe. Er hat erklärt, daß sie als Schöpfungen einer an den Glanz des Hofes gewöhnten Frau bewundernswert seien. Er nannte die Metaphrase jener biblischen Stücke eine schöne Arbeit, so ausgezeichnet, wie nur immer eine andere der Art in heroischem Versmaß sei.Σαφὴς μὲν γὰρ ο πόνος ως εν ηρώω μέτρω, εί πού τις άλλος. Photius las am Ende der Handschrift jener Metaphrase folgendes Distichon:

Δευτερίην καὶ τὴν δὲ θεου̃ θέμιδος κάμε βίβλον
Ευδοκίη βασίλεια Λεοντιὰς ευπατέρεια.
Er lobte die dichterische Grazie und die seltene Treue ihrer Uebersetzung, welche in einfachster Weise den heiligen Text vollkommen wiedergebe.

Ganz besonders hat Photius eine Dichtung Eudokias in Hexametern gerühmt, das Leben der Märtyrer Cyprianus und Justina. Nach seiner Angabe war dieselbe in drei Bücher eingeteilt. Im ersten erzählte Eudokia die Geschichte der schönen Justina aus Antiochia, welche als heimliche Christin ihre Eltern zum neuen Glauben bekehrte. Ein heidnischer Jüngling verliebte sich in sie. Da seine Bewerbungen erfolglos blieben, wandte sich Aglaïdas an den tiefgelehrten Zauberer Cyprianus, ihn anflehend, durch seine Kunst ihm zum Besitze der Geliebten zu verhelfen. Der Magier beschwor vergebens die Mächte der Unterwelt, denn Justina schlug diese mit dem Zeichen des Kreuzes in die Flucht. Ihre Glaubenskraft erschütterte endlich Cyprianus, welcher selbst von Liebe zu der schönen Christin ergriffen worden war, so tief, daß er den bösen Geistern abschwor und die christliche Taufe nahm. Man gab ihm zuerst das niedere Amt eines Thürhüters der Kirche, doch im Lauf der Zeit erglänzte der ehemalige Zauberer von so reinen christlichen Tugenden, daß er zum Bischof Antiochias gewählt wurde.Ruinart, Acta Martyrum, S. 172, bemerkt, daß Gregor von Nazianz und andere Griechen, auch Prudentius, den berühmten Bischof Cyprianus von Karthago mit dem Magier gleichen Namens verwechselt haben; denselben Fehler beging hier Eudokia. Ueber diese Verwechselung Baluze in seiner Ausgabe der Opera Cypriani, Einleit., S. XXXVII.

Im zweiten Buch schilderte Eudokia den Lebenslauf dieses Cyprianus nach dessen eigenen Bekenntnissen, wie er sie reumütig vor dem Volk der Christen abgelegt hatte. Er erzählte ihnen, auf welche Weise er auf seinen Reisen durch die weite Welt die Zauberkunst erlernt, und über die Geister der Hölle Macht erlangt hatte. Durch die unbesiegbare Glaubensstärke Justinas sei er selbst bekehrt worden, aber wegen seiner gräßlichen Missethaten am Heile seiner Seele verzweifelnd, nahe daran gewesen, wieder in Unglauben zurückzufallen. Da habe ihn der fromme Priester Eusebius gerettet. Von ihm sei er in sein Haus aufgenommen, liebevoll gepflegt und getröstet worden. In der Kirche habe er seine Zauberbücher öffentlich verbrannt, sein Vermögen den Armen verteilt, und sei Christ geworden. Auch Aglaïdas habe den Dämonen abgesagt, und die heilige Taufe empfangen.

Das dritte Buch erzählte die Leiden und den Tod des Cyprianus und seiner jetzt in himmlischer Liebe ihm verbundenen Freundin Justina. Beide wurden die Opfer der Christenverfolgung unter Diocletian und Maximinus. Sie erlitten im Kerker unerhörte Marterqualen mit so großer Seelenkraft, daß der Richter, nicht wissend, was er ferner an ihnen thun solle, sie vor das Tribunal Diocletians schickte, der sich gerade in Nicomedia befand. Der Kaiser befahl die Bekenner Christi am Ufer des Flusses Gallus zu enthaupten. Die Reliquien der glorreich Gefallenen brachten Schiffer heimlich nach Rom, wo die fromme Matrone Rufina sie im Forum des Claudius in einer schönen, ihrem Andenken geweihten Basilika bestatten ließ.Nach der römischen Legende wurden die Reste des Cyprianus und der Justina in den Lateran gebracht, und dann in verschiedene Kirchen verteilt. Piazza, Emerologio, II, 293. Da die Kaiserin Eudokia Rom nicht kannte, so darf man ihr verzeihen, daß sie, wie die Legende selbst, dort ein Forum Claudii hinverlegt hat.

Die Geschichte des Cyprianus und der Justina spielt in Antiochia, und hier hatte wol die Kaiserin Eudokia auf ihrer Reise nach Jerusalem den Plan gefaßt, sie dichterisch darzustellen. Die merkwürdige Legende, eine der schönsten aus der Zeit, wo das schon siegreiche Christentum der heidnischen Religion den letzten Todesstoß zu geben schien, mußte ihre Phantasie im höchsten Maße sympathisch berühren, weil in ihr Zustände, Wandlungen und Empfindungen enthalten waren, welche sie selbst erlebt hatte. Sie, die Heidin, die noch in Athen den alten Göttern oder falschen Dämonen geopfert hatte, legte in dem Bekenntniß des Cyprianus einen Teil ihrer eigenen Erfahrungen nieder. Schon deshalb wird unter allen Dichtungen Eudokias gerade diese ihre vorzüglichste und innerlichst empfundene gewesen sein.

Alle ihre andern Poesien sind ganz untergegangen, nur von dieser einen hat ein glücklicher Zufall große Fragmente der Nachwelt gerettet. Sie geben Eudokia einen Anspruch auf literarischen Ruhm; denn sie zuerst bearbeitete dichterisch einen der dankbarsten Legendenstoffe, worin dieselbe tiefsinnige Idee den Kern bildet, welche Dante und Goethe in unsterblichen Dichtungen entwickelt haben. Mehr als zwölf Jahrhunderte nach Eudokia hat Calderon aus demselben Stoff sein Trauerspiel el Mágico gezogen, und nicht geahnt, daß seine Vorgängerin darin eine geistvolle byzantinische Kaiserin gewesen war.

Vom Gedicht Eudokias sind das erste und zweite Buch, wenn auch nicht ganz vollständig erhalten. Das wichtigste ist das zweite, das Bekenntniß des Cyprianus. Schon im vierten Jahrhundert war eine griechische Schrift unter diesem Titel verbreitet, denn Gregor von Nazianz hat in seiner achtzehnten Homilie auf sie hingewiesen.Die Stelle aus ihm hat Guil. Cave, Script. Eccles. Histor. Litteraria (Basel 1741), I, 1, 128, der davon redet, ausgezogen. Wir besitzen diese Schrift.Sie ist abgedruckt mit einer alten lateinischen, vortrefflichen Uebersetzung am Ende der Opera S. Cecilii Cypriani Ep. Carthaginis et Martyris von Baluzius (Paris 1726). Ihr seltsamer Inhalt zeigt, daß sie durchaus dichterische Erfindung ist, denn unmöglich konnte Cyprianus, wenn er überhaupt jemals gelebt hat und eine geschichtliche Person gewesen ist, oder konnte irgend ein Mensch von sich aussagen, daß er auf der Erde und in der Unterwelt mit Göttern und Dämonen von Angesicht zu Angesicht verkehrt und mit ihrer Hülfe die Gesetze der Natur bezwungen habe.

Die Studien und Reisen des Cyprianus erinnern sehr an jene des Apollonius von Tyana, in welchem die Heiden ein philosophisches Gegenbild Christi hatten aufstellen wollen. Irgend ein tiefsinniger Christ konnte den Gedanken fassen, in der von ihm erfundenen Gestalt des Zauberers Cyprianus das Götzenwesen und Dämonentum, die Theurgie und Magie seiner Zeit abzuschildern, den Gläubigen zum Schreckbild und den Heiden zum Beweise der Verruchtheit ihrer falschen Religion. In diesem wunderbaren Bekenntniß des Zauberers klingen Töne an und treten Gestalten und Erscheinungen auf, welche wir in den Dichtungen Dantes, Miltons und Klopstocks wieder finden.

Jene griechische Schrift, oder doch eine ihr sehr ähnliche hat Eudokia vor sich gehabt, und die Vergleichung des zweiten Buches ihres Gedichts in Hexametern mit dem Text jener wird darthun, daß sie sich meist mit Treue an das Original gehalten hat. Manchmal fehlen bei ihr Gedanken und Bilder, welche der uns vorliegende Prosatext hat, und bisweilen reißt sie ihre eigene Dichterphantasie zu Gedanken und Anschauungen fort, die dort nicht zu finden sind. Bisweilen hat sie das Gesetz des Hexameters gezwungen, dem Ausdruck mehr Fülle zu geben, und wiederum hat sie der oft rätselhafte Sinn der Prosadichtung, welchen weder sie begriff, noch wir zu fassen vermögen, zu Umschreibungen genötigt.Bandini hat die beiden Bücher des Gedichts der Eudokia in der mediceischen Bibliothek entdeckt und als »ein unschätzbares Kleinod« mit einer vortrefflichen lateinischen Uebersetzung in Hexametern herausgegeben. Graecae Ecclesiae Vetera Fragmenta, I, 130 fg. Das erste Buch ist kopflos, dem andern fehlt der Schluß.

Auch eine andere seltsame Dichtung, die Homerokentra, worin das Leben Christi in 2343 echten homerischen Versen mit künstlicher Spielerei umschrieben ist, wird von Einigen der Athenaïs zugesprochen, während andere Kritiker sie für ein Werk des Pelagius Patricius aus der Zeit des Kaisers Zeno halten.Fabricius, Bibl. Graeca, lib. II, 357 fg. Er führt an Johannes Tzetses Chiliad. X. histor. 306, welcher versichert, die Homerocentones der Eudokia gelesen zu haben, und er weist den Irrtum des Zonaras (II, 35) nach, welcher behauptet, daß Eudokia das Werk des Patricius Pelagius fortgesetzt habe. Siehe auch Ch. Wolf, Catalogus foeminar. olim illustrium, sub v. Eudocia.

Mehr als sechs Jahrhunderte später wiederholte sich der Name, wie das Talent Eudokias in einer byzantinischen Kaiserin. Dies war Eudoxia mit dem Zunamen Makrembolitissa, die Gemalin erst des Constantin XI. Dukas, und dann nach seinem Tode im Jahre 1067 des Romanus III. Diogenes, welchen Michael VII. alsbald vom Trone stürzte. Der neue Kaiser, Eudoxias eigener Sohn, verschloß die zweimal verwittwete Mutter in ein Kloster, und hier hatte sie Muße, ein Gedicht unter dem Titel »Ionia« oder»Veilchengarten« zu schreiben, welches auf die Nachwelt gekommen ist.


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