Ferdinand Gregorovius
Athenaïs
Ferdinand Gregorovius

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VI.

Als ein zartes Mädchen. in der ersten Blüte ihrer Jugend, verwandelte Aelia Pulcheria den vielleicht verderbtesten aller Kaiserpaläste in ein Kloster. Sie flößte ihrem Bruder, wie ihren Schwestern dieselbe Frömmigkeit ein.Die älteste, Flaccilla, muß früh gestorben sein, denn Sozomenus nennt sie nicht mehr, wo er nach dem Tode des Arcadius von dessen Kindern redet. Die kaiserlichen Prinzessinnen sangen Hymnen und beteten in Nacht- und Tagesstunden. Sie kannten keinen Müßiggang; sie lernten und arbeiteten, zumal feine Stickereien. Sie entsagten den Freuden der Welt; sie gelobten alle mitsammen die Ehelosigkeit. Die jugendliche Pulcheria selbst legte dem Himmel das feierliche Gelübde der Jungfräulichkeit ab, und gläubige Christen konnten dies auf dem goldenen von Diamanten funkelnden Altartische eingeschrieben sehen, welchen die Prinzessin mit frommer Pralerei als Weihgeschenk in der Sophienkirche gestiftet hatte für ihre eigene Tugend und für das Glück und Wol der Regierung ihres geliebten Bruders.Der Patriarch Attikus hatte auf diese Entsagung Einfluß. Zum Jahr 416 verzeichnet Marcellinus, daß derselbe den Töchtern des Arcadius ein Buch de fide et virginitate gewidmet habe.

Mit dieser nonnenhaften Heiligkeit verband sie gleichwol die schöne Bildung ihrer Zeit. Sicherlich hat auch sie, wie Hypatia und Athenaïs, bei Rhetoren und Grammatikern die Wissenschaften und die Beredsamkeit gelernt. Da sie mit der Kenntnis der griechischen und lateinischen Literatur auch diejenige der christlich kirchlichen vereinigte, so besaß sie eine Bildung, welche jener der Tochter des Philosophen Leontius kaum nachstand.

Pulcheria hatte schon, ehe sie zur Augusta erhoben worden war, für die Erziehung ihres Bruders Sorge getragen, und jetzt setzte sie dieselbe eifrig fort. Sie entfernte aus seiner Nähe alles, was ihm irgend Gefahr bringen konnte. Sie versuchte den Palast von den Parasiten und Günstlingen zu reinigen, welche die Völker brandschatzten und die Provinzen aussogen, um unermeßliche Reichtümer aufzuhäufen. Doch dies Uebel der höfischen Corruption war seit Arcadius so fest gewurzelt, daß seine Ausrottung unmöglich war. Pulcheria entließ den habgierigen Kammerherrn Antiochus, und gab dem jungen Kaiser geistvolle Männer zum Umgange.Nach Cedrenus, I, 587, war sie es, die den Antiochus entfernte, aber dieser Günstling kam dann später wieder zur Gewalt. Paulinus, ein edler Byzantiner, der Sohn eines Grafen der kaiserlichen Leibgarde, wurde sein Studiengenosse.Malalas, XIV, 352. Chron. Paschale, I, 575. Auch Troilus, ein berühmter Sophist aus der Stadt Side in Pamphylien, erlangte Einfluß auf Theodosius.Sokrates, sein Schüler, nennt Troilus den intimsten Ratgeber des Theodosius, VII, 1. Suidas unter Troilus. Er war derselbe Redekünstler, an welchen Synesius von Cyrene einige Briefe gerichtet hat, die wir besitzen.

Die Kunst der Beredsamkeit blühte in Constantinopel seit Julian, sowol die hellenisch heidnische, als die christliche der Kanzelredner. Als zur Zeit Theodosius des Ersten die Göttertempel in Alexandria gewaltsam zerstört wurden, flüchteten von dort die heidnischen Grammatiker Helladius und Ammonius nach Byzanz, ihre Vorlesungen daselbst fortzusetzen, und hier fehlte es an der Gelehrtenschule aus dem Capitol nicht an ausgezeichneten Männern, denen Pulcheria den Unterricht ihres Bruders anvertrauen konnte.

Selbst an dem bigottesten aller Höfe, dem damaligen in Constantinopel, hatte die Erziehung der kaiserlichen Kinder die heidnische Wissenschaft zur Grundlage. Man duldete noch immer Heiden sogar in hohen Stellungen. Die großen Sophisten Libanius und Themistius hatte selbst Theodosius der Erste hoch geehrt. Der Präfect des Prätoriums Optatus im Jahre 404 war trotz seines einflußreichen Amtes ein entschiedener Feind der Christen und Bekenner des hellenischen Glaubens; und auch der Geschichtschreiber Zosimus, ein kaiserlicher Finanzrat, und Olympiodorus lebten als Heiden in Constantinopel in angesehenen Verhältnissen.

Der junge Theodosius wurde in allen liberalen Wissenschaften und Künsten unterrichtet, aber unter der Leitung Pulcherias und bei der vorherrschenden theologischen Strömung jener Zeit konnte sein Geist nicht zu einer männlichen Energie herangebildet werden. Frömmigkeit und Sittenreinheit waren die Ideale der schwesterlichen Erziehung, und wenn Pulcheria in der ungeheuern Verderbniß der Weltstadt Constantinopel und unter den Lastern des Palastes das Problem zu lösen vermochte, einen jungen byzantinischen Prinzen zu einem guten Menschen zu machen, so würde dieses Kunstwerk allein ihr den Anspruch auf einen göttlichen Geist gegeben haben.

Es ehrt ihre Einsicht, daß sie auch die weltliche Ausbildung des Bruders nicht versäumte. Er lernte alle ritterlichen Künste, reiten, fechten und jagen. Er galt als ein angezeichneter Bogenschütze. Der schmeichelnde Dichter Cyrus verglich ihn deshalb mit dem homerischen Teukros. Mit pedantischer Sorgfalt formte die Schwester selbst die äußere Erscheinung des jungen Fürsten. Sie belehrte ihn, wie er mit kaiserlichem Anstande das Gewand zu tragen, sich zu bewegen, zu gehen und zu sitzen, wie er je nach Ort und Zeit eine milde oder strenge Miene anzunehmen habe.Sozomenus, IX, c. 1, und nach ihm Theophanes, I, 126. Nicephorus, II, c. 2. So wurde der unglückliche Knabe abgerichtet, um sein Leben lang ein Automat zu bleiben. Die Schwester unterwies ihn, wie er auf dem goldenen Trone Constantins Audienzen zu erteilen, die Aufwartungen des Senats und der mit pomphaften Titeln geschmückten Würdenträger des Reichs zu empfangen oder sich dem Volk im Wagen fürstlich darzustellen habe.

Der kaiserliche Knabe mußte bisweilen öffentlich erscheinen, um die Theater und den Circus, oder bei Festen die Kirchen zu besuchen, oder sonst Ausfahrten zu machen. So oft dies geschah, zogen ihm Scharen von Trabanten voraus, Tribune und Duces in goldgestickten Togen auf reich gezierten Pferden, und Leibwachen, goldene Schilde und Lanzen tragend. Er selbst, im Purpurgewande, mit Juwelen bedeckt, blitzende Bänder um die Arme, funkelndes Geschmeide in den Ohren, ein Perlendiadem um das Haupt, saß auf einem goldenen Wagen, welchen weiße Maulthiere zogen. Da kam es freilich viel darauf an, die Kaiserpuppe mit Anstand dem ausgelassenen Volke Constantinopels darzustellen, einer Stadt, von welcher das Wort galt, daß sie alles und jedes, Pferderennen, Theater und auch die göttlichen Dinge nur zum Spiel betreibe.ωσπὲρ τοὺς ιππικοὺς καὶ τὰ θεάτρα, ουτώ δη καὶ τὰ θει̃α παιζούσαν. Gregor von Nyssa, Orat., 21, 376; bei Neander, Johannes Chrysostomus, II, 93.

Während der Kaiser Theodosius heranwuchs, wurden die Beziehungen beider Höfe des Römerreichs in offizieller Weise aufrecht gehalten. Honorius hatte keine Zeit, sich mit den Familienangelegenheiten im byzantinischen Palast zu beschäftigen, aber die Edicte der Reichsregierung wurden stets im Namen der Kaiser des Westens und des Ostens erlassen, und mehrmals waren beide zusammen Consuln. Das erste mal hatte Theodosius diese Würde als zweijähriges Kind mit Romoridus bekleidet; das zweite mal war er im Jahre 407 zu Ehren seiner Quinquennalien Consul neben seinem Oheim, das dritte mal mit eben demselben im Jahre 409 zu Ehren seines Kaisertums.

Bei den gothischen Stürmen, welche Italien in seinen Grundvesten erschütterten, blieb die byzantinische Regierung beinahe anteillos. Man war in Constantinopel froh, daß sich der wilde Barbarenstrom nach dem entfernten Abendlande gewendet hatte. Theodosius zählte neun Jahre, als er die schreckliche Bedrängniß seines Oheims Honorius in Ravenna und die Einnahme Roms durch Alarich erfuhr. Nur sparsame Truppensendungen, aber keine großen Kriegsflotten gingen damals aus den Häfen des Orients nach Italien ab.

Dann aber scheint nach jenem Unglücksjahre 410 eine größere Annäherung beider Höfe stattgefunden zu haben, weil seither der Neffe und der Oheim öfter den Konsulat zusammen führten, nämlich in den Jahren 411, 412, 415, 418. Auch konnte die Erhebung der Prinzessin Pulcheria zur Augusta nicht ohne die Einwilligung des kaiserlichen Oheims geschehen sein.

Das Los ihrer Tante Galla Placidia, der Schwester jenes Kaisers Honorius, mußte sie auf das schmerzlichste bewegen. Denn Alarich hatte diese Tochter des großen Theodosius als Gefangene aus Rom mit sich hinweggeführt, und in demselben Jahre 414, wo Pulcheria die Mitregentin ihres Bruders wurde, war Placidia gezwungen worden, sich dem fremden Gothenkönige Ataulf in Narbonne zu vermälen. Als dieser nordische Kriegsheld bald darauf in Barcelona von Meuchelmördern erschlagen worden war, feierte der Hof in Constantinopel seinen Untergang durch Wagenrennen im Circus und Illuminationen der Stadt. Die unglückliche Placidia aber wurde im Jahre 416, nach vielen in Spanien erduldeten Mißhandlungen, von dem neuen Gothenkönige Wallia ihrem Bruder nach Ravenna zurückgeschickt, und dieser zwang sie ein Jahr später, dem General Constantius ihre Hand zu reichen. Sie gebar diesem einen Sohn Valentinian.

Aber Theodosius betrachtete den Gemal seiner Tante Placidia, einen um die Erhaltung des Reichs hochverdienten Feldherrn, nicht als ebenbürtiges Mitglied seines Hauses. Er weigerte sich, ihn als Augustus anzuerkennen, als ihm diese Würde vom Kaiser Honorius im Februar 421 erteilt worden war. In Folge seiner Ernennung zum Mitkaiser hatte Constantius der Sitte gemäß sein mit Lorbeern umkränztes Bildniß an den Hof nach Constantinopel geschickt, wo man dasselbe mißachtend zurückwies.


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