Ferdinand Gregorovius
Athenaïs
Ferdinand Gregorovius

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XVII.

Nicht vor dem Frühjahr 438 hat Eudokia ihre Wallfahrt nach Jerusalem angetreten. Sie ging dorthin keineswegs in dem unscheinbaren Aufzuge einer Pilgerin, sondern mit großem Gefolge und aller Pracht einer Gemalin des Kaisers des Morgenlandes.

Schiffe führten sie durch den Hellespont an die Gestade Iliums, wo Constantin der Große die neue Hauptstadt des Römerreiches hatte aufbauen wollen, ehe er sich für die Ufer des Bosporus entschied. Ist Athenaïs in dem alten heiligen Troja ans Land gestiegen, um die Schatten der Helden Homer's zu grüßen?

Wie sie weiter schiffte durch das Inselmeer redeten zu ihr vergebens mit Sirenenstimmen tausend Erinnerungen an die Heroen, die Weisen, die Dichter und die alten Götter Griechenlands, welche diese blühenden Eilande einst bewohnt hatten. Aber sie, eine gläubige Christin und Pilgerin zum heiligen Grabe, mußte jene Götter jetzt als falsche Dämonen verabscheuen. Als erdichtete »schöne Wesen aus dem Fabellande«, als bloße Gebilde der Phantasie hat auch die Christin Eudokia die Götter der Hellenen schwerlich angesehen. Eine tausendjährige Verehrung der Menschheit und die lange Geschichtlichkeit ihres Cultus gaben ihnen bei allen Christen jener Zeit ein Recht auf den Glauben an ihr wirkliches Dasein; nur wurden sie zum Range von bösen Geistern, den Verführern des Menschengeschlechts, herabgesetzt.

Ueber Lesbos und Chios, die Heimatinsel Homer's, über Samos, Rhodus und Cypern, das Eiland der paphischen Aphrodite, schiffte die kaiserliche Pilgerin nach Syrien, wo sie ans Land stieg.

Mit glänzenden Ehren empfingen sie die Bürger Antiochias, dieser noch immer herrlich blühenden Stadt, welche die Königin des Orients war. Ehe Constantinopel gegründet wurde, galt sie nächst Rom und Alexandria als die dritte Stadt des römischen Reichs, und sie wurde »die Große« genannt. Ihre Schönheit und Ueppigkeit waren in aller Welt berühmt. Nirgends feierte man so schwelgerische Feste, so ausgelassene mimische und theatralische Spiele, als dort.Kurz bevor Eudokia nach Antiochia kam, war dort eine Heidnische Schauspielerin, die »Perle« genannt, als Primadonna berühmt. Der Bischof Nonnus von Odessa hatte sie getauft und in die heilige Pelagia verwandelt. ‛Ο τὴν πρώτην τω̃ν μιμάδων ’Αντιοχέων τω̃ θεω̃ αφιερώσας, καὶ αντὶ Μαργαρίτους πόρνης αγίαν αυτὴν Πελαγίαν παραστήσας τω̃ Χριστω̃. Theophanes, I, 140, 141. Schon zur Zeit des Kaisers Claudius hatten die Antiochener von den Eleaten das Recht erkauft, die olympischen Spiele in ihrer eigenen Stadt aufzuführen, und diese Festfeier, wozu in jedem Sommer zahllose Menschenscharen von nah und fern herbeiströmten, erhielt sich, nachdem die alten legitimen Olympien in Elis längst aufgehört hatten. Erst im Jahre 520 verbot sie der Kaiser Justinus.

Die frivole Spottsucht der Antiochener hatte der abtrünnige Julian erfahren, und sich an ihnen durch seine Satire Misopogon gerächt, in welcher er dieselben Laster der Weichlichkeit und Gefallsucht, der Schwelgerei und Unzüchtigkeit geißelte, die noch Johannes Chrysostomus an diesem syrisch-griechischen Volke gebrandmarkt hat. Hier waren die Versuche Julians und seines Lehrers und Freundes Libanius, des Hauptes der dortigen Sophistenschule, den heidnischen Cultus wieder herzustellen, kläglich gescheitert. Denn die Lasterhaftigkeit der Antiochener hinderte sie nicht, sich mit Leidenschaft der neuen Religion Christi hinzugeben, und statt dem Apollo Daphnaeus, dem Zeus und der Kalliope zu opfern, die Reliquien des Märtyrers Babylas mit Inbrunst zu verehren.

Als Eudokia diese Stadt besuchte, stand sie noch in ihrer hellenisch-orientalischen Pracht da, und sie erhielt sich in ihr bis zu dem großen Erdbeben im Jahre 526, oder bis zum Jahre 540, in welchem der Perserkönig Chosroes Antiochia zum großen Teil zerstörte. Doch viele Monumente des Altertums lagen schon zur Zeit Eudokias in Trümmern. Den Apollotempel im Hain der Daphne, das bewunderte Prachtwerk der Seleuciden, hatte schon im Jahre 362 eine Feuersbrunst zerstört, und die berühmten Orakel dort waren längst verstummt. In jenen Myrten- und Lorbeerhainen am Orontes, wo Syrer, Römer und Griechen Jahrhunderte lang beim Feste Majuma in den Lüsten des Orients geschwelgt hatten, erhoben sich jetzt die melancholischen Gräber und Basiliken der Christen.

Die antiochenische Kirche war die Stiftung des heiligen Petrus. Sie beanspruchte deshalb den apostolischen Vorrang vor allen andern Bistümern der Welt. Hier war auch zuerst der Name der Christen oder Christianer für die Anhänger der neuen Religion entstanden. Der dortige Patriarch, das geistliche Oberhaupt des christlichen Asien, erregte die Eifersucht der Bischöfe Constantinopels und Alexandrias, während die große theologische Schule daselbst die Nebenbulerin der alexandrinischen war.

Bedeutende Kirchenväter, welche aus ihr hervorgegangen waren, gaben ihr Ruf, wie Eusebius von Emesa, Theodorus von Heraklea, der freisinnige Theodor von Mopsvestia, Theodoret von Cyrus. Auch Johannes Chrysostomus hatte dieser Schule angehört, und nicht minder Nestorius, der unglückliche Vertreter der antiochenischen Lehre von der Scheidung der göttlichen und menschlichen Natur in der Person Christi, welcher realistischen Doctrin die mystische Ansicht der Monophysiten aus der Schule Alexandrias entgegentrat.

Jenes von ihrem Gemal hingeopferten Bischofs mußte sich Eudokia erinnern, als sie in Antiochia derselbe Patriarch Johannes begrüßte, den sie als den Anhänger des Nestorius, oder doch als einen entschiedenen Gegner der ägyptischen Fanatiker an ihrem Hofe kennen gelernt hatte. Von diesem mächtigen Bischof und seinem Clerus, wie vom Präfecten des Prätoriums des Orients, welcher in Antiochia seine ständige Residenz hatte, ist die Kaiserin bei ihrer Ankunft feierlich eingeholt worden.

Aber die byzantinischen Geschichtschreiber haben aus der Zeit ihres Aufenthaltes dort nur einen einzigen Vorgang als besonders denkwürdig verzeichnet.

Die Tochter des Leontius hatte noch nicht die schöne Kunst vergessen, welche sie in der sophistischen Schule Athens gelernt hatte; sie, die byzantinische Kaiserin, legte vielmehr eine öffentliche Probe ihrer griechischen Beredsamkeit ab. Sie versammelte die Bürger Antiochias im Senatspalast, und sitzend auf einem goldenen mit Edelsteinen gezierten Trone, hielt sie eine geistvolle Lobrede auf die berühmte Stadt, deren Gast sie war.

Sie riß die Antiochener vollends zum Enthusiasmus hin, als sie, von dem stolzen Gefühl ergriffen, Hellenin und Athenerin zu sein, ihre Rede mit dem homerischen Verse schloß:

Eures Geschlechts und Blutes zu sein, deß rühme auch ich mich.υμετέρης γενεη̃ς τε καὶ αὶματος εύχομαι ει̃ναι. Evagrius, I, c. 20. Eudokia spielte damit auf die verschiedenen griechischen Colonisten Antiochias an. Libanius nennt in seinem »Antiochikos« auch Athener, welche Seleucus dort hingeführt hatte. Note des Valesius zu jener Stelle des Evagrius.

Hier also war die vom byzantinischen Christentum unterdrückte Griechin Athenaïs noch einmal in Eudokia erwacht. Die Scene im Senatshause sieht ganz antik aus. Sie paßte kaum in die Stimmung einer Wallfahrerin zum heiligen Grabe. Die Empfindungen Pulcherias würde sie wahrscheinlich tief beleidigt haben. Aber die Antiochener waren von der Anmut der Kaiserin so sehr bezaubert, daß sie ihr eine goldene Bildsäule im Senat, und eine eherne in ihrem Museum votirten, und beide Standbilder waren dort noch im siebenten Jahrhundert zu sehen.Zur Zeit als das Chron. Paschale geschrieben wurde (I, 585).

Eudokia überhäufte die Hauptstadt Syriens mit Beweisen ihres Wolwollens. Auf ihre Bitten soll Theodosius die dortigen Mauern erweitert und bis zum Tor Daphne geführt haben. An diesem Tore ließ er die ehernen Thürflügel vergolden, nach dem Muster der Porta Aurea in Byzanz. Er ließ in derselben Stadt von Anatolius, dem commandirenden General des Orients, eine prachtvolle Basilika errichten, und seine und seines Eidams Valentinian Standbilder dort aufstellen.Malalas, XIV, 360. Evagrius, I, c. 18. Auch stellte er die Thermen wieder her, die sein Vater Arcadius daselbst erbaut hatte. Alle Städte überhaupt, welche Eudokia auf ihrer Fahrt berührte, beschenkte sie reichlich.


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