Ferdinand Gregorovius
Athenaïs
Ferdinand Gregorovius

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XIX.

Auf dem Oelberge, in Bethlehem, im Hain Mamer dem Sitze Abrahams, und an andern Orten hatten Constantin und Helena Kirchen errichtet, und das verfallene Jerusalem wenigstens zu der Bedeutung des heiligsten Pilgerortes der Christenheit erhoben. Die Stadt Davids oder vielmehr Hadrians war zur Zeit Constantins so öde, daß der Geschichtschreiber der Kirche Eusebius versicherte, dort habe es kein einziges jüdisches Haus gegeben, in welchem ein Grieche hätte Wohnung finden können.Eusebius comment. in Psalm. LXIX, 382, bei Wesseling, Dissert. zum Itinerar. Hierosol., S. 540. Juden waren dort überhaupt nicht angesiedelt.

Der Kaiser Hadrian hatte die jüdischen Einwohner für immer aus Jerusalem verbannt, und sein unmenschliches Verbot blieb Jahrhunderte lang in Kraft. Nur einmal im Jahre durften die unglücklichen Hebräer ihre heilige Stadt betreten, um am Tage ihrer Zerstörung durch Titus die Stätte zu besuchen, wo einst ihr Tempel gestanden hatte, und über ihr Schicksal zu weinen und zu klagen. Noch im vierten Jahrhundert und später standen daselbst zwei Statuen Hadrians, von denen eine eine Reiterfigur war.Robinson, I, 438. In ihrer Nähe lag ein durchlöcherter Stein; diesen salbten die Juden an jenem Trauertage mit Oel; sie zerrissen unter Wehgeschrei ihre Kleider und gingen dann wieder fort.Itinerar. Hierosol., S. 591.

Nur der Kaiser Julianus hatte um das Jahr 362 jenes Verbot aufgehoben und den in Galiläa wohnenden Juden erlaubt, sich wieder in Jerusalem anzusiedeln. Da er aus Haß gegen die Christen alle alten namhaften Tempel wieder herstellen wollte, hatte er auch das Judenvolk ermuntert, den Tempel Salomos aufzubauen. Die beglückten Hebräer begannen wirklich diesen Neubau, aber der Tod ihres großen Gönners warf ihr Werk alsbald nieder, und trieb sie selbst aus der Stadt hinweg. Auch am Ende des Vierten und am Anfange des fünften Jahrhunderts, als der Kirchenvater Hieronymus in Bethlehem lebte, durften sie Jerusalem nur an jenem einen Tage betreten.

Zu Tiberias am See bestand noch die große Synagoge, der Mittelpunkt des geistigen Lebens der Judäer und gleichsam ihre Universität. Der Kaiser Constantin hatte daselbst als Oberhaupt aller jüdischen Gemeinden im Reich einen Patriarchen anerkannt, dessen fürstliche Würde sich im Stamme Hilels forterbte. Im vierten Jahrhundert erhielt derselbe sogar den Titel Illustris, der nur den vornehmsten Würdenträgern des Reiches eigen war. Selbst das Diplom eines Ehrenpräfecten (praefectus honorarius) wurde diesem oder jenem besonders angesehenen Patriarchen in Gnaden erteilt.Ueber die Titel spectabilis, clarissimus, illustris der Patriarchen: Ugolini, Thesaur. Antiq. sacrar., IV, 704. Ueber die Patriarchen: Grätz, Gesch. der Juden, IV, 331. Aber im Jahre 418 entzog Theodosius dem Judenpatriarchen Gamaliel jene Titulatur, wegen Mißbrauchs seiner Amtsgewalt im Bau neuer Synagogen, und wegen Proselytenmacherei. Seither erlosch überhaupt der jüdische Patriarchat, der letzte Rest uralter Institutionen der hebräischen Vergangenheit.Cod. Theod., XVI, 8. 22, vom 20. Oct. 418.

So strenge waren die Gesetze des jüngern Theodosius gegen die Hebräer, daß der neueste Geschichtschreiber dieses Volks gesagt hat, mit Ihm habe das Mittelalter für die Juden begonnen. Der Kaiser bedrückte sie auch in Constantinopel, von wo er sie vielleicht vertrieben hat, wie sie zu gleicher Zeit der gewaltthätige Bischof Cyrillus aus Alexandria verjagte. Ihre Synagoge, welche sie für vieles Geld mit Erlaubniß Theodosius des Großen im Quartier Chalkoprateia zu Constantinopel gebaut hatten, ließ sein Enkel in eine Kirche der Mutter Gottes verwandeln.Theophanes, I, 158. Cedrenus, I, 581, erzählt vom Bau dieser Synagoge; nach ihm scheint sie schon von Theodosius I. geschlossen worden zu sein.

Die geringe Bevölkerung Jerusalems bestand meist aus Syrern, Phöniziern und den Nachkommen der Colonie Hadrians, welche sich durch Zuzug von Aramäern ergänzt hatte. Sie war christlich, zählte indeß unter sich noch heimliche Heiden, denn die alte Religion Syriens, namentlich der Cultus der Astarte und des Mithras, dauerte auch an einigen Orten Palästinas so hartnäckig fort, daß die strengen Edicte Theodosius des Zweiten mehr als einen Aufstand der Altgläubigen in dieser Provinz hervorriefen.

Der griechische Kirchenvater Gregor von Nyssa, welcher im Jahre 394 starb, hat eine sehr düstere Schilderung von der sittlichen Verdorbenheit der Bevölkerung Jerusalems gemacht. Er war aufrichtig genug, die Pilger von der Wallfahrt dorthin abzumahnen, da alle Städte des Orients von ansteckenden Lastern verpestet seien, und mit noch größerem Abscheu brandmarkte er das von Ehebrechern, Dieben, Götzendienern, Giftmischern und Mördern erfüllte Jerusalem.Die Stellen bei Wesseling, S. 539, 540. Aber die idealisirende Sehnsucht der Christen, welche sie nach den Stätten ihrer Andacht trieb, verklärte dies wirkliche Sodom zu einem himmlischen Paradiese. Die einheimischen Laster Jerusalems, die durch die herzugebrachten wallfahrenden Abenteurer fortdauernd vermehrt wurden, waren nicht im Stande, das unnennbare Glück der Anwesenheit dort zu zerstören, oder den Lichtglanz auszulöschen, welcher Golgatha, den Oelberg und Bethlehem, die Berge und Täler Palästinas und den heiligen Strom Jordan umgaben.

Schon seit den Aposteln, vollends seit Constantin und jener Helena, welche durch ihre Wallfahrt die Blicke aller Christen nach Jerusalem gezogen und diese Stadt gleichsam wieder entdeckt hatte, waren die dortigen Stätten die Gnadenziele der ganzen Christenheit. Wie vor ihm der Grieche Origines, so war auch der lateinische Kirchenvater Hieronymus, im Jahre 386, nach Jerusalem gekommen, gefolgt von seiner frommen Freundin Paula. Diese edle Römerin stiftete ein Kloster zu Bethlehem, wo Hieronymus seinen Sitz nahm. Er blieb daselbst. Auch er lernte aus der Nähe die Laster der Jerusalemitaner kennen, und seine Urteile bestätigten jene seines Zeitgenossen Gregor von Nyssa.Die Stellen bei Gibbon, Kap. XXIII.

Er machte hier die berühmte Bibelübersetzung, die Vulgata, wozu er das Hebräische erlernte. Er übersetzte und vermehrte daselbst auch das Onomastikon des Eusebius, die wichtige Beschreibung und Erklärung der heiligen Locale Jerusalems und Palästinas.

In Bethlehem hatte Hieronymus die Eroberung der großen Roma durch die Gothen Alarichs erfahren und schmerzlich beweint. Hier war er achtzehn Jahre vor der Ankunft Eudokias als neunzigjähriger Greis gestorben.

Viele Pilger aus dem Abendlande blieben in Jerusalem zurück, um in den dortigen Klöstern ihr Leben zu beschließen. Außer in Aegypten gab es in keiner Provinz des Römerreichs so zahlreiche Mönche, Nonnen und Einsiedler als in Palästina, wo sie Hilarion vom Nillande in der Mitte des vierten Jahrhunderts eingeführt hatte. Sie hatten sich um die heilige Stadt auf Bergen, in Tälern und Einöden angesiedelt, gleich ihren Genossen in der Wüste Thebais. Man nannte solche Gruppen von getrennten Einsiedlerhütten oder Felsenhölen Laura, und unterschied sie von den Cönobia oder Klöstern. Unter diesen aber war damals das Kloster des Abts Euthymius besonders angesehen, welches der Patriarch Juvenalis im Jahre 428 geweiht hatte.Le Quien, Oriens christian., III, n. XLIV. Das Leben der Einsiedler dort hat Evagrius, I, c. 21, geschildert.

Die Kirche Jerusalems war die älteste der Christenheit und hätte auch ihre angesehenste sein müssen, da ihr erster Bischof Jacobus gewesen war, ein leiblicher Bruder Jesu. Erst war sie national jüdisch, bis seit Hadrian römische und syrisch-hellenische Elemente in sie eindrangen, wodurch sie gräcisirt wurde. Das dortige Bistum hieß noch officiell Aelia. Es wurde im vierten Jahrhundert als apostolische Stiftung anerkannt, was einen Rangstreit mit dem Bischof von Cäsarea zur Folge hatte. Denn in dieser Stadt befand sich der Metropolitansitz für ganz Palästina, während Antiochia die geistliche Jurisdiction über den ganzen Orient besaß. Erst auf dem Concil zu Chalcedon im Jahre 451, also mehr als dreizehn Jahre nach der Wallfahrt Eudokias, setzte es der Bischof Juvenalis durch, daß Jerusalem ein unabhängiger Patriarchat wurde mit der geistlichen Gerichtsbarkeit über alle drei Landschaften Palästinas.Le Quien im Vol. III. Dieser Juvenalis hatte sich als ein wütender Feind des Nestorius und leidenschaftlicher Anhänger Cyrills auf der Synode zu Ephesus sehr bemerkbar gemacht, und von dort her mußte ihn Eudokia kennen.


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