Ferdinand Gregorovius
Athenaïs
Ferdinand Gregorovius

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XXX.

Die junge Eudoxia war seit dem Jahre 437 Gemalin Valentinians III.. eines Fürsten, der durch sein unmännliches Wesen den Kaisern Honorius, Arcadius und Theodosius II. ähnlich sah, ohne die Tugenden des letztern zu besitzen. Die Tochter der Athenaïs, eine orthodox gläubige Christin, war eine römische Kaiserin ohne den Glanz und die Größe ihrer Vorgängerinnen auf dem Trone des Titus und Trajan. Sie lebte in dem freudelosen Ravenna, hinter dessen durch Sümpfe gedeckten Wällen das hinsterbende Kaisertum seine letzte Rettung vor den andringenden Völkern des Nordens suchte.

Dort war sie Zeuge der schwachen Regierung ihrer Schwiegermutter und ihres lasterhaften Gemals, während das römische Reich eine Provinz nach der andern, Afrika, Britannien, Gallien und Spanien an die Barbaren verlor, der Verfall aber aller Staatseinrichtungen, wie der alten kriegerischen Mannheit der Lateiner, die unabwendbare Besitznahme auch Italiens durch germanische Eroberer voraussehen ließ.

Am 27. Nov. 450, einige Monate nach Theodosius II., war die Kaiserin Placidia gestorben, und in ihrem Mausoleum zu Ravenna bestattet worden. Jetzt regierte Valentinian III. allein. Noch einmal schien das Glück den Römern zu lächeln, denn Attila, welcher die Prinzessin Honoria, seine Verlobte, und die Hälfte des Reichs als deren Mitgift vom Hofe Ravennas gefordert hatte, wurde im Jahre 451 in der großen Völkerschlacht auf der catalaunischen Ebene in Gallien von Aetius und den mit ihm verbündeten Westgothen besiegt. Er drang hierauf, im folgenden Jahre, mit neuen Heerscharen in Italien ein, um sich Rom zu unterwerfen. Er zertrümmerte damals Aquileja, dessen flüchtige Einwohner die ersten Gründer des unsterblichen Venedig wurden. Er verbrannte Ticinum und Mediolanum, und schickte sich an, gegen Rom zu ziehen.

Es war damals an den Ufern des Ticino, wo die Gesandten des römischen Senats, den Bischof Leo an ihrer Spitze, erschienen, um das Herz der »Geißel Gottes« zu erweichen, daß er Italien und Rom verschone. Der Rückzug Attilas nach dem Osten galt den damaligen und den folgenden Zeiten als die Wirkung eines göttlichen Wunders, und in Wahrheit verdiente er so dem Menschengeschlecht zu erscheinen; denn niemals hat ein Volk und Land eine gleich große Erlösung erfahren. Der furchtbare Hunnenkönig starb bald darauf, im Jahre 454, wie Holofernes von einem schönen Weibe umgebracht.

Sein Zwillingsbruder der Zerstörung in der Zeit und Geschichte, nicht so gräßlich durch Natur wie er, aber doch der furchtbarste Feind des römischen Abendlandes, war der Vandalenkönig Genserich, der Eroberer Karthagos. Und diesem sollte gelingen, was Attila nicht hatte erreichen können: die Eroberung Roms. Die zweite Einnahme und Plünderung der Weltstadt durch ein Germanenvolk ist an das persönliche Schicksal eines schönen Weibes geknüpft, und das war die Tochter der Athenaïs.

Der kaiserliche Hof hatte sich von Ravenna nach dem Cäsarenpalast in Rom begeben. Hier erstach Valentinian mit eigner meuchelmörderischer Hand den letzten Feldherrn der Römer Aetius, von dessen Feinden überredet, daß der ruhmgekrönte Besieger Attilas nach dem Purpur strebe. Der elende Fürst schändete in demselben Palast die Gemalin des Senators Maximus aus dem erlauchten Geschlecht der Anicier. Die Freunde des Aetius verschworen sich mit jenem Senator zu gemeinsamer Rache, und am 16. März 455 fiel Valentinian III., der letzte Kaiser aus dem Hause des großen Theodosius, auf dem Marsfelde Roms durch die Dolche von Meuchelmördern. So wurde Eudoxia Wittwe, wie ihre Mutter. Sie war damals zweiunddreißig Jahre alt. Dem Valentinian hatte sie zwei Töchter geboren, Eudocia und Placidia.

Der Senator Maximus ließ sich gleich nach der That zum römischen Kaiser ausrufen, worauf er die Wittwe dessen, dem er Krone und Leben genommen hatte, zwang, sein Weib zu werden. Die unselige Eudoxia fügte sich, wie es scheint widerstandlos, in ihr Schicksal. Sie mußte es auch dulden, daß ihre älteste Tochter Eudocia dem zum Cäsar ernannten Palladius, einem Sohne des Maximus, zur Gattin gegeben wurde.

Ihre verzweifelte Lage wurde unerträglich, als der Usurpator des Trones ihr gestand, daß er der Mörder ihres Gemals sei. Eudoxia verfiel nun, so wird erzählt, auf denselben verräterischen Gedanken, welchen einst die Prinzessin Honoria, ihre unglückliche Schwägerin, gefaßt hatte. Wie diese den Hunnenkönig Attila zu ihrem Befreier aufgerufen hatte, so rief sie selbst Genserich herbei. Er landete mit seinem Heer in Portus, am Ende des Mai 455. Bei seinem Nahen erhoben sich die Römer und tödteten Maximus und dessen Sohn Palladius. Der mutige Papst Leo aber zog dem Vandalenkönige in Procession entgegen, als derselbe mit seinen raubgierigen Scharen gegen Rom heranrückte. Seinen Bitten und Beschwörungen gelang es, den Eroberer Afrikas zur Gnade zu stimmen.

Genserich verschonte die Stadt, die ihm widerstandlos die Tore geöffnet hatte, und das Leben ihrer Bürger; aber er verhängte über sie eine vierzehntägige Plünderung. Dann zog er mit seiner Beute hinweg, und führte auch mit sich nach Karthago die ehemalige Kaiserin Eudoxia und ihre beiden Töchter. Die älteste, Eudocia, die Wittwe des Cäsar Palladius, gab er seinem Sohne Hunnerich zum Weibe. Die jüngste, Placidia, war bereits die Verlobte des edeln Römers Flavius Anicius Olybrius, welcher sich während der Einnahme Roms durch die Vandalen nach Constantinopel geflüchtet hatte.Dies ist derselbe Olybrius, den die Vita S. Euthymii und nach ihr Nicephorus Eidam Eudokias nennen, und als solchen an diese schreiben lassen. Nach Priskus und Prokopius war Placidia schon in Rom dem Olybrius vermält. Dies hält Clinton, II, 127, fest, während Ducange (Famil. Byz., p. 74) glaubt, daß Placidia erst später in Constantinopel mit Olybrius vermält worden sei. Dies sagt Evagrius, II, c. 16, aber er irrt, wenn er behauptet, daß der Kaiser Marcian diese Vermälung bewerkstelligt habe.


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