Ferdinand Gregorovius
Athenaïs
Ferdinand Gregorovius

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XII.

Im ersten Ueberwinden für sie so neuer und schwieriger Verhältnisse, unter den Augen boshafter Kritiker, lauernder Neider und Hofintriguanten, wurde die geniale Eudokia unterstützt durch die Neigung ihres kaiserlichen Gemals, die Sympathie ihrer Adoptivmutter, der mächtigen Augusta Pulcheria, und die treue Ergebenheit des geistvollen Paulinus. Der Studiengenosse des jungen Theodosius war jetzt eine einflußreiche Persönlichkeit am Hof. Als seinen Vertrauten bei der Brautwerbung bevorzugte ihn der Kaiser so sehr, daß er ihm fortan den Schlüssel zu seinem Kabinet und Herzen gab. Er ernannte ihn zum Magister Officiorum, oder Minister des kaiserlichen Hauses.Im Cod. Theodos. ist ein Edict vom 26. April 430 gerichtet an Paulinus magister offifiorum. Er konnte aber schon früher das Amt bekleiden. Und noch mehr Dankbarkeit empfand wol Eudokia gegen diesen liebenswürdigen Mann. Ihre Freundschaft zu ihm verstärkte seine ausgezeichnete griechische Bildung.

Die junge Kaiserin konnte an den wissenschaftlichen Liebhabereien ihres Gemals lebhaften Anteil nehmen, aber es ist schwer, sie trotz der heiligen Taufe, die sie von der eigenen Hand des Patriarchen empfangen hatte, schon als fertige Christin zu denken. Sie war nicht dem tragischen Beispiele der Hypatia gefolgt, sondern zu guter Stunde hatte sie sich aus dem versinkenden Heidentum auf ein festes Land des Glaubens gerettet, wo zugleich eine neue Welt voll Glanz und Größe vor ihr lag. Wir wollen zu ihrer Ehre annehmen, daß es nicht das Diadem der Kaiserin allein gewesen war, welches sie eine Messe in der Sophienkirche wert gefunden hatte, sondern daß ein Lichtstral des Christentums ihr Herz getroffen hatte. Wenn das der Fall war, so konnte sie sich um so leichter auch der geistlichen Richtung ihres Gatten und ihrer Schwägerinnen hingeben, und jetzt statt des Phädon und Timäus die Bibel und die Schriften der Kirchenväter mit Eifer studiren. Mit der Zeit mußte sie dann in der Atmosphäre, von der sie umgeben war, selbst eine gläubige Christin werden.

Den theologischen Leidenschaften am byzantinischen Hof hat sich Eudokia nicht entziehen können. An allen kirchlichen Fragen und dogmatischen Grübeleien, welche Staat und Völker fortdauernd in Aufregung hielten, mußte sie als Kaiserin notwendig Anteil nehmen. Trotzdem blieb sie dem griechischen Genius getreu; wenigstens hat sie die heimatliche Liebe zur Dichtkunst auch auf dem Trone nicht verleugnet.

Gerade zu der Zeit ihrer Vermälung war der friedeliebende Theodosius in einen großen Krieg mit jenem Persien verwickelt, dessen Könige ihn sein Vater als Waise empfohlen hatte. Aber Izdegerd war gestorben, und sein Nachfolger Vararám hielt nicht mehr den Frieden mit dem Römerreich; er verfolgte vielmehr auf das Grausamste die Christen in seinen Landen. Der Feldherr des Theodosius, Ardaburius, erfocht indeß über die Perser in Asien so große Siege, daß im Jahre 422 ein günstiger Friede geschlossen werden konnte.Auf den Sieg über die Perser beziehen sich wol Münzen, welche Theodosius darstellen mit Trofäen und Gefangenen, und der Legende Victoria exer. Rom. oder Gloria Romanor.

Dichter und Rhetoren verherrlichten jetzt den Ruhm des Kaisers in panegyrischen Schriften, und selbst in Eudokia regte sich bei dieser Gelegenheit die attische Muse. Sie verfaßte ein Lobgedicht zur Siegesfeier, und überreichte es ihrem glücklichen Gemal.Καὶ δὴ καὶ η του̃ βασιλέως γαμετὴ ηρωϊκω̃ μέτρω ποιήματα έγραφεν. Sokrat., VII, c. 21. Wenn Theodosius Kalligraphos genannt wurde, so rühmte man Eudokia als καλλιεπής und φιλοεπής (carminum studiosa). Evagrius, I, c. 21. Diese Dichtung in heroischem Versmaß, welche wir leider nicht mehr besitzen, trug wol eher noch die geistigen Züge der heidnischen Athenaïs, als der christlichen Eudokia.

Vielleicht hat die schöne Poetin ihre Mitbewerber um den Lorbeer Apollos besiegt, in jedem Falle aber hat sie ihre Kunst hochgeehrt. Wenn die Gemalin des Kaisers selbst es nicht verschmähte, unter Redekünstlern und Dichtern aufzutreten, so mußte das ein Ereigniß in den literarischen Kreisen Constantinopels sein.

Die christliche Frömmelei des dortigen Hofes verhielt sich übrigens keineswegs feindlich gegen die Dichtkunst und ihre noch antik heidnische Form. Es gab Hofgeistliche, aber auch Hofpoeten schon unter Arcadius. Synesius von Cyrene verkehrte in Constantinopel mit dem Dichter Nikander und mit Theotimus, dem Vertrauten des großen Präfecten Anthemius. Der Scholastiker Eusebius besang den Sturz des rebellischen Gothenführers Gainas im Jahre 400, und hatte die Ehre seine Verse dem Kaiser Arcadius vorzulesen. Denselben Stoff der Gainade behandelte, und dieselbe Ehre empfing von Theodosius dem Zweiten der Dichter Ammonius.Sokrates, VI, 6. Siehe auch R. Volkmann, Synesius von Cyrene, S. 47. Cyrus, ein geistvoller Poet und Staatsmann, ließ seine Epigramme vor Eudokia und ihrem Gemale hören.

In der Widmung seiner Kirchengeschichte an diesen Kaiser hat Sozomenus es ausdrücklich gerühmt, daß Dichter und Geschichtschreiber, Präfecten und viele Männer von Range sich täglich mit dem Ruhme des Kaisers beschäftigten, und daß er, der milde Fürst, die ihm vorgetragenen Schriften mit goldnen Bildwerken und Statuen, mit Geschenken und jeder andern Ehre belohnte.

Man errichtete also noch in jener Zeit in Constantinopel gefeierten Dichtern Statuen, wie das auch in Rom noch immer Sitte war; jedoch waren solche nicht immer neu gearbeitet; denn schon längst benutzte man zu Ehrenstatuen lebender Personen antike Bildsäulen, die man veränderte und umtaufte. Massenhaft gaben sie die Kunstmagazine zu solchen Zwecken her.

Im Jahre 422 gebar Eudokia eine Tochter. Dieses Kind, welches in der Taufe die Namen Licinia Eudoxia erhielt, sollte einst Schicksale erleben nicht minder wechselvoll, als diejenigen seiner Mutter waren. Der beglückte Theodosius verlieh jetzt seiner Gemalin, am 2. Januar 423, die Würde der Augusta.

Nun legte sie den byzantinischen Kaiserschmuck an. Münzen stellen sie als Aelia Eudocia Augusta mit dem Diadem dar. Dieses besteht aus einer von Perlen eingefaßten weißen Binde, welche jener gleich sieht, die seit Constantin von den Kaisern ums Haupt getragen wurde. Ein rundes in Gold gefaßtes Juwel schmückt dieselbe auf dem Vorderhaupt, während hinterwärts zwei Zipfel niederfallen. Bisweilen hat diese Kaiserbinde noch ein Querband, so daß sie einer geschlossenen Krone ähnlich ist.Die Münzen bei Ducange, Famil. Aug. Byzantinae, und die mit Ael. Eudiocia Aug. gezeichneten bei Sabatier. Auf einigen hält eine Hand einen Kranz über dem Haupte der Kaiserin.

Mit der Zeit wurde das byzantinische Diadem noch reicher und prunkvoller. Phantastisch überladen erscheint es bei Theodora, der Gemalin Justinians, deren musivisches Porträt in S. Vitale zu Ravenna die glänzende Erscheinung einer mit Perlen und Edelsteinen bedeckten Kaiserin von Byzanz getreu wiedergibt.

Jetzt war Eudokia ihrer Schwägerin Pulcheria an Range gleich geworden; aber diese Heilige fuhr fort den Staat zu regieren, denn niemals hat sich Theodosius aus der Vormundschaft der Weiber und Eunuchen zu befreien vermocht. Er war so stumpf und gedankenlos, daß er Staatsschriften jeder Art zu unterzeichnen pflegte, ohne sie nur einmal anzusehen. Eines Tages erlaubte sich Pulcheria, ihren Bruder deshalb empfindlich zu strafen und von seiner Geistesträgheit gründlich zu heilen. Sie bat ihn eine Schrift zu unterschreiben, und nachdem dies geschehen war, forderte sie ihn auf, dieselbe zu lesen. Der Kaiser fand darin, daß er seine eigene Gemalin seiner Schwester als Sclavin zugesprochen hatte.Theophan., I, 156. Cedrenus, I, 600. Nicephorus. XIV, c. 23. Zum Ueberfluß wird sogar erzählt, daß Pulcheria ihre Schwägerin wirklich als Sclavin mit sich hinweggeführt und eine Weile bei sich gehalten habe: Constantin Manassis, V. 2702 ff. Diese Anekdote ist von den Byzantinern als der stärkste Beweis von der Unfähigkeit des Kaisers und zugleich der Klugheit seiner Schwester erzählt worden; aber der Scherz, welchen sich diese erlaubte, war mehr als tactlos, weil er zugleich die Augusta Eudokia daran erinnern mußte, daß sie am Kaiserhofe ein Emporkömmling aus dem Staube war. Es ist daher möglich, daß dieser Vorgang einer Zeit angehört, wo sich das Verhältniß der Schwägerinnen zu einander schon getrübt hatte.

Es blieb ungestört, so lange als sich Athenaïs noch unsicher fühlte, und die Pflicht der Pietät gegen Pulcheria mächtiger war, als das Bewußtsein ihrer Rechte oder ihr persönlicher Ehrgeiz. Anfangs mußte ihr der Tact gebieten, ihrer mütterlichen Schwägerin nirgend in den Weg zu treten, sondern ihren eigenen Einfluß auf den Kaiser nur in Richtungen geltend zu machen, welche die Eifersucht seiner Schwester nicht erregen konnten.

Sie hatte sich erst zuverlässige Freunde zu erwerben, die ihr zur Stütze dienen konnten, denn mächtige Verwandte besaß sie nicht. Ihre hartherzigen Brüder freilich rief sie zu sich, um ihnen ein Beispiel von Großmut zu geben, welches ihr Herz im glänzendsten Lichte zeigte.

Auf die wunderbare Kunde, daß die von ihnen mißhandelte Schwester Kaiserin in Byzanz geworden sei, hatten die Brüder einen Zufluchtsort in Hellas aufgesucht. Sie aber ließ sie mit sicherem Geleit nach Constantinopel bringen und vor sich führen. »Hättet ihr«, so sagte Athenaïs zu ihnen, »mich nicht übel behandelt, so würde ich weder hierher gelangt, noch Kaiserin geworden sein; die Krone, die mir wider die Voraussetzungen der Geburt zugefallen ist, verdanke ich Euch. Eure Ungerechtigkeit gegen mich war das Werk meines Glückes, nicht Eurer Gesinnung.«

Auf ihre Bitten verlieh Theodosius dem Valerius die Präfectur Illyriens, dem Gesius die Würde eines Ministers des Reichs.So sagen die Byzantiner. Noch in späteren Jahren war Valerius ein angesehener Mann. Aber die Präfectur Illyriens hat er schwerlich damals erhalten. Aus dem Cod. Theod.. ergibt sich ein Isidorus als Praefect. Praet. Illyrici a. 424. Eben daselbst sind zwei Rescripte vom Jahre 435 gerichtet an Valerius, der einmal als magister officiorum, dann mit dem Zusatz exconsul ordinarius bezeichnet wird. Valerius und Aetius waren Konsuln a. 432. Aber war dieser Consul der Bruder der Athenaïs?

Sollte Eudokia ihre Macht nicht auch dazu benutzt haben, die Leiden ihres durch die gothischen Raubzüge halb vernichteten Vaterlandes zu mildern? Steuererlasse, welche Theodosius hellenischen Städten schon im Jahre 424 gewährte, und ähnliche Vergünstigungen in späterer Zeit können immerhin als Wirkungen der Heimatsliebe Eudokias betrachtet werden.Hertzberg, III, 422 ff. Aber die Athenerin auf dem Kaisertrone hatte sonst keinen Einfluß auf die Schicksale ihres Vaterlandes, wo gerade in der Zeit des zweiten Theodosius die Reste der antiken Gemeindeverfassungen und die poliitisch-religiösen Institute des Altertums schneller verfielen, wo in Athen selbst der Areopag und die andern alten Gerichtshöfe eingingen, und nur die jährliche Ernennung der Archonten als eine leere Formel übrig blieb.Hertzberg, III, 425.


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