Ferdinand Gregorovius
Athenaïs
Ferdinand Gregorovius

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XXIX.

Die Kaiserin-Wittwe ist nicht nur die ruhige Zuschauerin dieser Umwälzung gewesen, sondern sie hat dieselbe, nach unanzweifelbaren Berichten, durchaus begünstigt. Der Biograph des Euthymius, eines Heiligen, welchen sie in Jerusalem persönlich kannte, versichert, daß Eudokia durch jenen Monophysiten Theodosius sich von der katholischen Kirche abwenden ließ, und selbst alle Mönche der Wüste zu gleichem Abfall verführte.Vita S. Euthymii vom Zeitgenossen Cyrill. Beim Surius 20. Januar, S. 468 fg. Nach Theophanes, I, 165, usurpirte Theodosius das Bistum Jerusalem mit Hülfe der Eudokia. Zu diesen Ereignissen Tillemont, Mem. Eccl., XV, 733 fg. Le Quien, Oriens Christ., III, n. XXI, S. 116.

Wir sträuben uns, die fein gebildete Athenerin im Zusammenhange mit jenem Mönchspöbel des gelobten Landes zu sehen. Die Musen von Hellas, die treuen Begleiterinnen der edeln Hypatia bis an ihren Tod, scheinen sich hier voll Scham von Athenaïs abzuwenden.

Wenn sie sich dazu hergab, mit diesen Fanatikern um eines Dogmas willen sich zu befreunden, so müssen sie starke Ursachen dazu bewogen haben. Hatte sie deshalb die Sache des vom chalcedonischen Concil verurteilten Dioskur zu der ihrigen gemacht, weil ihr Gemal Theodosius dieselbe bis kurz vor seinem Tode begünstigt hatte, und weil jetzt Pulcheria die Feindin der Monophysiten war?

An dem heftigen Kampfe um diese Lehre, während er noch in Constantinopel, in Ephesus und Chalcedon geführt wurde, hatte Eudokia keinen Anteil nehmen können. Der Papst in Rom, ihr Schwiegersohn Valentinian, ihre eigene Tochter, welche auf der Seite der Orthodoxen stand, die Augusta Placidia hatten aus Veranlassung dieses dogmatischen Zwiespalts Briefe an Theodosius und Pulcheria gerichtet, aber sich niemals an Eudokia gewandt, weil diese eine Verbannte ohne Einfluß war. Erst nach dem Tode des Kaisers, ihres Gemals, und nach dem Schlusse des Concils beteiligte sie sich in Jerusalem an der brennenden Streitfrage der Zeit, und diese aufregende Thätigkeit mußte in der Oede ihres Exils ihrem lebhaften Geiste willkommen sein.

Eudokia selbst war nicht nur eine gläubige, sondern auch eine leidenschaftliche Christin geworden. Die mystische Lehre der Monophysiten befriedigte ihr Gemüt, weil sie die einfachere und verständlichere war. Statt mit jenen, allen Anstrengungen der Logik spottenden Sophismen von den zwei Naturen und Hypostasen, ihrer Vermischung und Verwandlung, Einheit und doch Trennung ihren Verstand abzuquälen, bekannte sich Eudokia lieber zu der Ansicht von der einen göttlichen Natur Christi. Christus war ihr Gott geworden, und für ihn hatte sie die Götter Griechenlands abgeschworen.

Sie selbst aber war von der Wahrheit der monophysitischen Lehre fest überzeugt. Dies beweist sonnenklar die große Hartnäckigkeit, mit welcher sie noch Jahre hindurch, und selbst auch dann bei ihrer Ansicht beharrte, als der Aufstand des jerusalemischen Clerus durch Waffengewalt unterdrückt worden war.

Zwanzig Monate lang konnten sich die Rebellen in der Herrschaft über Jerusalem behaupten, bis der Kaiser Marcianus im Jahre 453 sich entschloß, ein ganzes Heer unter dem Grafen Dorotheus nach Palästina abzuschicken. Dieser General mußte dort wie in Feindes Land Städte belagern und Treffen liefern. Als er endlich vor Jerusalem rückte, fand er die Tore der Stadt auf Befehl Eudokias und des Usurpators Theodosius geschlossen. Er erzwang sich den Eingang mit Gewalt. Den flüchtigen Juvenalis, welchen er mit sich führte, setzte er auf seinen bischöflichen Stuhl wieder ein. Der Rebell Theodosius entfloh mit einigen seiner Genossen in die Klöster auf dem Berge Sinai. Juvenalis aber versammelte eine Synode, auf welcher alle Handlungen des Eindringlings cassirt wurden.Leo I. dankte dem Kaiser Marcian für die Unterdrückung der Rebellion in einem Briefe (n. CXXVI), datirt 9. Januar 454, Konsulat des Aetius und Stadius.

Die Secte der Monophysiten Palästinas fand jetzt nur noch an der Willensstärke Eudokias ihren Halt; denn die Kaiserin-Wittwe blieb unbeugsam. Sie selbst war bei der Einnahme Jerusalems und der Vertreibung der Theodosianer durch den kaiserlichen General in keiner Weise belästigt, sondern mit Ehrerbietung behandelt worden. So wichtig aber erschien jetzt ihr Widerstand und so bedeutend ihre Persönlichkeit, daß die Häupter des Reichs und der Kirche im Morgen- wie im Abendlande sich bemühten, durch wiederholte Ermahnungen ihren Eigensinn zu brechen. Ihr Schwiegersohn Valentinian bewog sogar den Papst Leo, ihr deshalb zu schreiben.Das sagt Leo selbst, Op. Leonis Magni ed. Ballerini, I, 1209.

Ihre Verhältnisse zum byzantinischen Hofe hatten sich bereits freundlicher gestaltet. Pulcheria scheint sich sogar mit ihr ganz ausgesöhnt zu haben.Nicephorus, lib. XV, c. 13. Sie bewog die nächsten Verwandten Eudokias an sie zu schreiben. Es ist bei dieser Gelegenheit, daß die Brüder der Athenaïs wieder sichtbar werden, und im besondern wird Valerius mit Namen genannt. Noch im Jahre 453 muß derselbe ein Mann von hoher patricischer Stellung gewesen sein.Nicephorus spricht hier von den Brüdern im Plural, nennt aber (XIV, c. 12) nur den Valerius. Seine Quelle für die Erzählung von den Versuchen, den Eigensinn Eudokias zu brechen, ist die Vita S. Euthymii des Cyrill. Dieser sagt, daß Valerius an Eudokia geschrieben habe, und macht irrig Olybrius zu ihrem, statt ihrer Tochter Schwiegersohn.

Pulcheria hatte keinen Grund mehr, auf ihre Schwägerin eifersüchtig zu sein. Die Pietät für ihren verstorbenen Bruder, das Mitgefühl für die Verbannte, und die Erinnerung an eine schöne Vergangenheit mußten ihr Herz zur Wehmut stimmen. Ihre frommen Bemühungen um das Seelenheil Eudokias waren sicherlich aufrichtig. Aber sie erlebte die Bekehrung ihrer ehemaligen Adoptivtochter nicht mehr.

Aelia Pulcheria, eine der merkwürdigsten Frauen der byzantinischen Geschichte, starb am 10. September 453 in einem Alter von 55 Jahren, nachdem sie all' ihr Hab und Gut den Armen vermacht hatte. Sie hatte noch die Genugthuung, das Atrium der prächtigen Basilika S. Laurentius in Constantinopel, welches sie bauen ließ, vollendet zu sehen. Andere Kirchen, wie die berühmte Panagia in den Blachernen, die Marienkirche Hodegetria, das Oratorium des Protomartyr Stephanus im Kaiserpalast, und viele Waisenhäuser und Hospitäler waren die Denkmäler, welche Pulcheria in ihrer Vaterstadt zurückließ.

Das ökumenische Concil in Chalcedon verkündigte öffentlich ihren Ruhm als Wächterin und Beschützerin des orthodoxen Glaubens gegen die Ketzerei. Auch der römische Bischof Leo nannte sie eine Schutzmacht, die von Gott in seiner Kirche aufgestellt worden sei, und diese selbst hat sie ihren Heiligen beigesellt. Leo stand in lebhaftem Verkehr mit ihr. Noch heute lesen wir mit Anteil die Briefe, die er an Pulcheria geschrieben hat, derselbe große Papst, welcher das Würgerschwert Attilas von Rom abgewendet, den Grimm des Vandalenkönigs Genserich dort besänftigt, und die geschichtliche Größe des Papsttums begründet hat.Die Briefe Leos an Pulcheria findet man im Bande I der Opera Leonis ed. Ballerini.

Es gibt aber auch Briefe von ihm an Eudokia. Leo hatte kaum Gelegenheit gehabt, mit der Schwägerin Pulcherias einen schriftlichen Verkehr anzuknüpfen, als sie noch eine einflußreiche Kaiserin war, denn er selbst bestieg den Stul Petri erst im Jahre 440, an dem Vorabende ihres Sturzes. Zwei seiner Briefe an Eudokia sind erhalten, beide vom Juni 453. Der erste hat die Zeit der Feier des Osterfestes zum Gegenstande; der zweite ist eine Aufforderung, die Mönche in Palästina von ihrer Ketzerei abzubringen und zur Unterwerfung unter die Beschlüsse des chalcedonischen Concils anzuhalten. Der tactvolle Papst vermied es, Eudokia zu beleidigen; er nahm die Miene an, als setze er keinen Zweifel in ihre eigene Rechtgläubigkeit. Er sprach nur seine Hoffnung aus, es werde der Christenheit zu Gute kommen, daß sie durch göttliche Veranstaltung ihren Sitz gerade dort aufgeschlagen habe, wo die Zeugnisse der Passion den Heiland als wahren Gott und wahren Menschen in der Einheit seiner Person bekundeten. Aber der Brief ist kurz und kalt, und ohne jede Titulatur als das im Texte vorkommende Prädicat »Ew. Gnaden« (tua Clementia).Ep. LXV. ad Eudociam Augustam, XVI. Kal. Julii und Ep. LXVI, VII. Kal. Julii; beide Briefe sind gezeichnet mit dem Consulat des Opilio.

Leo gab sich auch beim Kaiser Valentinian Mühe, seine Schwiegermutter zur Anerkennung der orthodoxen Glaubensformel zu bewegen.Ep. Leonis XCVI. Aber es gingen noch drei Jahre hin, ehe Eudokia den Vorstellungen des römischen Hofes und des Papsts Gehör gab, und dies geschah nur in Folge einer schrecklichen Tragödie, welche das Glück ihrer eigenen Tochter zerstörte.


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