Ferdinand Gregorovius
Athenaïs
Ferdinand Gregorovius

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XV.

Hungersnot, Pest, Erdbeben, Feuersbrünste, wütende Kämpfe der Circusfactionen, und gleich heftige kirchliche Revolutionen waren die Ereignisse, welche sich unter jeder Regierung in Constantinopel zu wiederholen pflegten. Noch viel heftiger, als durch Perser, Hunnen und die großen Barbarenkönige wurde der innere Friede des Reichs durch die Streitigkeiten der Theologen bedroht. Die griechische Kirche besaß eine höhere geistige Bildung als die römische; sie hatte daher schon seit Constantin die Aufgabe übernommen, den christlichen Glaubensinhalt zu einem dogmatischen System als orthodoxe Kirchenlehre für die ganze Christenheit auszubilden.

Gerade unter der Regierung Theodosius des Zweiten wurde nun diese griechische Kirche im Tiefsten aufgeregt. Athenaïs aber hatte jetzt Gelegenheit, von ihrem jungen Christenglauben die Feuerprobe abzulegen. Als eine in der antiken Literatur erzogene Athenerin haben sie die geistlichen Controverse der Mönche und Bischöfe wahrscheinlich zuerst mehr als gelangweilt; weil jedoch in Constantinopel die Theologie einen Teil der Staatskunst ausmachte, so hat auch sie ihren dogmatischen Standpunkt wählen müssen. Auch mußte sie die Wichtigkeit dieser Glaubenskämpfe in einem Staat begreifen, dessen Fürst zugleich das Oberhaupt der Kirche war.

Die Privilegien, welche Constantin der Große der neuen Religion und ihren nach Macht strebenden Priestern verliehen hatte, bezahlte die christliche Kirche am Ende damit, daß sie der Verwaltung des Reichs eingefügt wurde. Sie war jetzt nahe daran, ein politisches Institut im Dienst der byzantinischen Despotie zu werden. Aus der philosophischen oder sophistischen Erziehung, welche sie im Heidentum empfangen hatten, schrieb sich die Leidenschaft aller Griechen für theologische Fragen her, während das constantinische Staatsprincip die Kaiser nötigte, das geistige Leben in der Kirche zu überwachen und durch orthodoxe Glaubensformeln zu zügeln. Denn so verhüteten sie die Bildung von Nationalkirchen, welche möglicher Weise die Einheit des Reichs würden zersprengt haben.

Die Einheit der Kirche selbst störten fortdauernd ihre theologischen Gegensätze, und diese bewegten sich seit dem Beginne des vierten Jahrhunderts wesentlich um die Ansicht vom Verhältniß Gottes zum Logos, seinem fleischgewordenen Sohne. Das wichtigste aller Concile, jenes constantinische zu Nicäa im Jahre 325, hatte die Wesengleichheit des Sohnes mit dem Vater, oder die göttliche Natur Christi, zum Glaubenssatz gemacht. Es hatte dadurch den wahren Einheitspunkt für das Christentum und seinen sichtbaren Organismus, die Kirche, festgestellt. Aber der Streit zwischen Arianern und Athanasianern setzte sich mit logischer Notwendigkeit alsbald in andern Problemen fort, nämlich über das Verhältniß der göttlichen Natur Christi zu seiner geschichtlichen Menschlichkeit.

Jener Patriarch Attikus, welcher die Heidin Athenaïs getauft hatte, war im Jahre 426 gestorben. Nachdem ihm Sisinnius im Amte gefolgt war, bestieg im Jahre 428 den bischöflichen Stul in Constantinopel Nestorius, ein ehemaliger Presbyter der Kirche Antiochias. Dieser gelehrte Bischof hatte in einer Zeit, wo die Mutter Jesu bereits die Verehrung eines überirdischen Wesens genoß, den kühnen Mut zu behaupten, daß dieselbe mit Unrecht Gottesmutter genannt werde, weil sie nur menschlicher Weise die Mutter Jesu gewesen sei.

Diese Ansicht von der Natürlichkeit Christi durch seine Geburt rief alsbald eine große Kirchenspaltung hervor. Derselbe gewaltsame Bischof Cyrillus von Alexandria, welcher den Tod der Philosophin Hypatia verschuldet hatte, klagte den Nestorius der Ketzerei an, als zerteile er den einen Christus in zwei Naturen, womit er den Logosbegriff seiner Gottwesenheit verleugne.

Der Kern des geistlichen Zwiespalts lag wiederum, wie zur Zeit der arianischen Kämpfe, in einem einzigen Begriff. Nachdem damals die Worte Homusios und Homoiusios, Wesengleich und Wesenähnlich, das Feldgeschrei der hadernden Parteien gebildet hatten, schrieben jetzt die Alexandriner das ungeheuerliche Wort Theotokos, Gottesgebärerin, und die Antiochener Christotokos, d. h. Christusgebärerin, auf ihre Kirchenfahnen.

Um Worte ist in der Christenheit viel gestritten worden. Das Wörtchen »ist« hat noch in später Zeit die reformirten Völker in zwei große Lager feindlich gespalten. Nun ist aber klar, daß die Wichtigkeit des Worts oder Begriffs, in welchem einmal der menschliche Geist eine Totalität von Vorstellungen zusammenfaßt, in keiner andern Zeit größer sein mußte, als in jener, wo der dogmatische Grund und Boden der christlichen Kirche erst zweifellos festzustellen war. Der Mittelpunkt der gesammten Theologie war aber der Begriff vom Wesen Christi selbst. Die Heiden jener Zeit konnten freilich in einige Verwunderung geraten, wenn sie sich vorstellten, daß die welterobernde, christliche Kirche schon vier volle Jahrhunderte bestand, ohne daß nur ihre Bekenner sich darüber klar geworden waren, ob das heilige Haupt und der Stifter ihrer Religion als Gott und Mensch zugleich zu betrachten sei, ob er eine oder zwei Naturen habe, ob jede dieser Naturen ungetrennt und unverwandelt bestehe, oder ob sie mit einander auf unbegreifliche Weise vermischt seien.

Der ganze Orient, dessen zwei große theologische Schulen Alexandria und Antiochia einander mit feindlicher Erbitterung gegenüber standen, geriet in Aufruhr, und Eudokia konnte zum ersten Mal die christliche Kirche, welche ihr als das göttliche Reich der Versöhnung, der Liebe und Eintracht geschildert worden war, von dem Tumult der wildesten Leidenschaften durchtobt sehen. Sie konnte sich verwundern, wahrzunehmen, daß die große Masse der Christen gegen einen tadellosen Bischof in Wut geriet, weil er der irdischen Mutter Jesu ein Prädicat versagte, welches durchaus an heidnische Begriffe erinnerte. Denn nur die Heiden pflegten von Müttern ihrer Götter zu fabeln.Neider, Gesch. der christl. Rel., II. Bd., 3. Abteil., S. 642.

Alles nahm Partei für und wider Nestorius. In der langweiligen Oede des kaiserlichen Palastes bot ein theologisches Kampfspiel den Hofdamen, den Eunuchen und Beamtenscharen eine willkommene Aufregung und zugleich die Gelegenheit, Ränke zu schmieden, Geld und Einfluß zu erlangen, Freunde zu gewinnen und an Feinden sich zu rächen.

Erst besaß Nestorius die volle Beistimmung und Gunst des Kaisers, welcher selbst ein studirter Halbtheologe war. Jedoch die Freunde Cyrills, Mönche und Höflinge, die dieser, wie man ihm vorzuwerfen Grund hatte, mit Geschenken gewonnen hatte, entzogen dem Patriarchen Constantinopels den Boden. Es war damals im kaiserlichen Palast ein Eunuch als Kämmerer mächtig, und ihn vor allen soll Cyrill bestochen haben.Angaben des 110jährigen Bischofs Akacius von Beröa bei Hefele, Conciliengesch., II, 226, 229. Brief des Nestorius ad Scholasticam eunuchum, bei Mansi, Concil., V, 777. Dieser herrschsüchtige Bischof hatte auf seiner Seite auch die Augusta Pulcheria.

Um nun Nestorius zu stürzen, schickte er noch von Alexandria aus im Jahre 429 zwei Schriften an den byzantinischen Hof, von denen die eine an den Kaiser und seine Gemalin, die andere an Pulcheria gerichtet war. Er bewies damit, daß er entweder den Hof in zwei Parteien zu spalten suchte, oder einen Zwiespalt dort schon als bestehend voraussetzte. Der Kaiser Theodosius selbst hat dies so aufgefaßt, denn in einem sehr gut und energisch geschriebenen Briefe, welchen wir noch besitzen, warf er dem Bischof Cyrillus mit herbem Tadel vor, daß er durch jene doppelten Schreiben die kaiserliche Familie zu entzweien versucht, und sich aus weiter Ferne in die inneren Verhältnisse des Hofes eingemischt habe, nur um Zerwürfnisse zu stiften und von sich reden zu machen.Diese Sacra des Kaisers bei Mansi, IV, 1110. Darin sagt er: έτερα μὲν πρὸς ημα̃ς καὶ τὴν ευσεβεστατὴν Αυγούσταν Ευδοκίαν τὴν εμὴν σύμβιον επεστέλλειν, έτερα δὲ πρὸς τὴν εμὴν αδελφὴν τὴν ευσ. Αυγ. Πουλχερίαν. Neander hat diese Adressen scharf unterschieden, nicht so Hefele. Daß die bei Mansi, IV, 679 und 803 abgedruckten zwei Schriften Cyrills jene vom Kaiser gemeinten seien, wage ich nicht zu behaupten.

Daß auch Eudokia in diese theologischen Händel hineingezogen wurde, zeigt der Brief, welchen Cyrillus an sie und den Kaiser gerichtet hatte. Nachdem sie sich von den schönen Idealen wie von den Götterfabeln des Altertums abgewendet und aufgehört hatte, mit der ausgelebten Philosophie Griechenlands ihren Geist zu beschäftigen, mußte sie an den inneren Kämpfen der Kirche lebhaft teil nehmen. Diese bildeten geradezu den einzigen geistigen Prozeß im Leben der sich umbildenden Menschheit. An die Stelle der Denkprobleme des Pythagoras, Platon und Aristoteles waren die undefinirbaren Doctrinen der Christen über die Fleischwerdung des Logos, die Einheit oder Zweiheit der christlichen Physis, die Trinität, die Muttergottesschaft der Jungfrau, und andere Fragen solcher Art getreten. Und diese erwiesen sich für die Gestaltung der geistigen Physiognomie der christlichen, bald genug in finstre Barbarei sinkenden Welt durch die Macht der Kirche sogar wichtiger, als es die Ideen und Lehrsätze der tiefsten Denker Griechenlands in dem Blütenalter der Menschheit hatten sein können.

Die Ueberzeugung der geistvollen Eudokia, welche jetzt auch eine theologische Miene bekam, in Bezug auf die Christologie der Nestorianer scheint übrigens nicht diejenige ihres Gemals gewesen zu sein. Wenigstens kann das aus der Thatsache geschlossen werden, daß sie Jahre nachher mit Entschiedenheit an der Lehre der Monophysiten festhielt, und diese stand in diametralem Gegensatz zu dem Glaubensbekenntnisse des Nestorius. Als Cyrillus an den Kaiser und die Kaiserin zugleich seine Schreiben richtete, nahm er wahrscheinlich an, daß diese letztere die Ueberzeugung ihres Gemals teilte, und deshalb mit ihrer Schwägerin gespannt sei. Es mochten sich Gerüchte über ein Zerwürfniß zwischen den beiden Frauen verbreitet haben, von denen jede Augusta war, und jede Gelegenheit genug hatte, auf den Einfluß der anderen eifersüchtig zu werden.

Aber wir vermögen keinen Blick mehr in die damaligen Verhältnisse des byzantinischen Hofes zu werfen, welcher das tägliche Theater geistlicher Cabalen war. Nur wie hinter einem halbdurchsichtigen Vorhange erscheint dort die Gestalt des Paulinus, des Vertrauten des Kaisers. Es gingen sogar boshafte Reden um, welche behaupteten, daß die fromme Jungfrau Pulcheria den Patriarchen Nestorius nur deshalb haßte, weil er sie bei ihrem Bruder eines unerlaubten Verkehrs mit jenem ritterlichen Hofmarschall beschuldigt hatte.Suidas (sub v. Pulcheria) hat dies aus Nachrichten, die wir nicht mehr prüfen können. Dazu Leander, S. 657.

Der Grund dieses Geredes entzieht sich jeder Prüfung, doch wirft dasselbe auch als Verläumdung immer ein Streiflicht auf die Intriguen der Hofparteien. Persönliche Leidenschaften steigerten sicherlich die Erbitterung des theologischen Streites. Aus ihm aber ging Pulcheria schließlich als Siegerin hervor, und Nestorius, welchen auch der Papst Cölestin auf einer römischen Synode im Jahre 430 als Ketzer verurteilt hatte, wurde schmälich aufgeopfert. Bei keiner andern Handlung seiner Regierung hat sich Theodosius so schwach und charakterlos gezeigt, als hier.

Am 19. November 430 schrieb er ein Concil zu den Pfingsten des folgenden Jahres nach Ephesus aus, wozu er auch den großen Kirchenvater Augustinus besonders einlud, ohne zu wissen, daß derselbe mitten in der vandalischen Bedrängniß eben erst im August zu Hippo in Afrika gestorben war.

Auf dem Concil führte Cyrill im Namen des Papstes das Präsidium. Er wartete nicht die Ankunft des Bischofs Johannes von Antiochia und seiner Suffragane ab, sondern ließ die Verurteilung und Absetzung des Patriarchen von Constantinopel decretiren. Dies konnte der kaiserliche Bevollmächtigte, Graf Candidianus, nicht verhindern. Nun aber trafen die orientalischen Bischöfe ein: sie constituirten sich gewaltsam als eine Gegensynode, und sprachen ihrerseits die Absetzung des Cyrill und seines eifrigsten Anhängers Memnon von Ephesus aus. Beide Parteien wandten sich appellirend an den Kaiser. Er verwarf zuerst die ungesetzliche Verdammung des Nestorius durch die alexandrinischen Fanatiker: aber der Clerus der Kaiserstadt schlug sich auf die Seite des Cyrill. Tausende von Mönchen, vom fanatisirten Pöbel begleitet, strömten in Procession nach dem Palast, und forderten mit Wutgeschrei die Muttergottesschaft Marias und die Absetzung des ketzerischen Nestorius.

Die Cyrillianer setzten Himmel und Erde in Bewegung, um den schon schwankenden Theodosius ganz auf ihre Seite hinüberzuziehen. Aus seiner Verlegenheit suchte sich dieser erst dadurch zu befreien, daß er beide Gegner, Nestorius und Cyrill nebst Memnon als rechtmäßig abgesetzt erklärte, und nichts kennzeichnet so sehr die Gewalt des Kaisers über die Kirche als dies Edict. In der That warf ein kaiserlicher Bevollmächtigter alle drei Kirchenfürsten in Ephesus ohne weiteres in das Gefängniß. Die Synode jedoch tagte weiter. Ihre Reclamationen und die dringenden Vorstellungen der Geistlichkeit Constantinopels hatten nach vielen Unterhandlungen die Wirkung, daß der Kaiser den Nestorius fallen ließ. Mit einem despotischen Decret befahl er den Schluß des Concils, welches sich nicht habe vereinigen können, und die Rückkehr der Bischöfe auf ihre Sitze. Sie gehorchten sofort. Aber der Kaiser hob zugleich in Gnaden die Absetzung des Cyrill und Memnon auf, während er den Patriarchen seiner Hauptstadt in ein Kloster bei Antiochia verbannte. Von dort exilirte ihn Theodosius, jetzt sein wütender Feind, im Jahre 432 nach der großen Oase in Aegypten. Durch die Wüsten hin- und hergetrieben, starb der unglückliche Nestorius um das Jahr 440.Die Geschichte des merkwürdigen Concils bei Leander und Hefele. Es ist anziehend, die Auffassungen eines protestantischen und katholischen Bischofs mit einander zu vergleichen. Seine Lehre ging nicht mit ihm selbst unter, denn trotz der Union, welche der Kaiser zwischen Cyrill und Johann von Antiochia zu Stande brachte, setzte sich der dogmatische Streit in der Kirche weiter fort. Die Anhänger des Nestorius wanderten endlich, ihrer Ueberzeugung treu, in das innere Asien, wo sie bis in die Wüsten der Tartaren und nach dem fabelhaften China die griechische Cultur mit sich brachten. Noch heute bestehen in Kurdistan und selbst in Indien chaldäische Christengemeinden, die den Namen des Nestorius tragen.

Der Sturz dieses Mannes war zu einem nicht geringen Teile das Werk Pulcherias, denn ihren leidenschaftlichen Vorstellungen hatte ihr Bruder schließlich nachgegeben. Sie baute später im Viertel der Blachernen zu Constantinopel die Marienkirche, welche als das Denkmal dieses Sieges der Orthodoxie betrachtet werden kann. In Rom hat Sixtus III., der Nachfolger Cölestins seit dem Jahre 432, die berühmte Basilika S. Maria Maggiore als Monument desselben Sieges neu gebaut; und selbst der bekehrte Theodosius hat »aus Liebe zu Cyrill« die große Kirche in Alexandria erbauen lassen, die mit seinem eigenen Namen bezeichnet wurde.Malalas, XIV, 359.


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