Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel

Für den alten Detektiv war der Tag nach seiner Ankunft in San Francisco ein verlorener gewesen. Von der Polizei und den Detektiven in San Francisco konnte er keine Hilfe erwarten. Nicht, als ob sie ihm nicht gerne alle und jede Hilfe gewährt hätten, es vermochte ihm aber niemand Auskunft zu geben.

Er verwandte darum auch die meiste Zeit darauf, einen gewissen Ching Deck, einen chinesischen Detektiv und Halbblut, einen außerordentlich intelligenten Burschen, aufzufinden, mit dem er befreundet war.

Es schien fast unmöglich, herauszufinden, wo er sich aufhielt, und der alte Detektiv glaubte nicht anders, als daß er außerhalb der Stadt sei.

Gegen Abend begab er sich noch einmal nach dem Hause des alten Fang Wang.

Dieser hatte in seinen Nachforschungen keinen Erfolg gehabt und befand sich selbst in einer ungewöhnlichen Aufregung.

Alles, was er dem alten Detektiv zu sagen hatte, war, diesen wieder und immer wieder zu bitten, seinen Sohn zu finden.

So standen die Sachen, als der alte Skott sich zum Abendessen begab.

Gegen sieben Uhr machte er sich wieder auf den Weg, diesmal entschlossen, wenn es nötig sein sollte, jeden Winkel in Chinatown zu durchsuchen, um Ching Deck zu finden, wenn er überhaupt zu finden war.

Als er die Straße hinabging, begann er über das nachzudenken, was er in dem kleinen Schlangentempel in der Höhle entdeckt hatte.

Veranlassung dazu gab ihm ein Ladenbesitzer, der mit ausgestopften Vögeln und Tieren handelte, an dem er soeben vorüberging. Das Schild trug den Namen »Hagenberg« und der Mann hatte einen Käfig voll kleiner Vögel und einen andern mit zwei Affen in seinem Schaufenster ausgestellt.

Der alte Detektiv betrat den Laden und erklärte sogleich, wer er sei und welches Geschäft er betreibe.

Ich bin ein Detektiv, mein Freund, sagte er, indem er sein Schild präsentierte. Ich arbeite gerade jetzt an einem besonderen Fall, den zu erklären zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde, bin aber nun an einen Punkt gekommen, wo ich es für nötig erachte, herauszufinden, ob hier in Chinatown irgendwo eine Art großer Schlangen verborgen gehalten wird. Ich dachte, es würde vielleicht möglich sein, daß Sie mir da einige zuverlässige Nachrichten geben könnten und wenn dies der Fall, sollen sie gut bezahlt werden.

Hagenberg, der ein alter intelligenter Deutscher war, erhob sich aus seinem Stuhl mit einer Eile, die dem alten Detektiv sofort verriet, daß er sich für die Sache interessiere und daß er durchaus keinen Mißgriff getan, den Laden zu betreten.

Stehen Sie mit der hiesigen Polizei in Verbindung? fragte er.

Nein, ich bin ein Privatdetektiv. Unter meinen Kollegen bin ich bekannt als der »alte Skott«. Vielleicht haben Sie auch von mir schon gehört.

Jawohl – ziemlich oft, Mstr. Skott, und ich bin bereit, zu sprechen. Schon seit sechs Monaten erwartete ich einen Besuch von einem Manne wie Sie sind. Jawohl, in Chinatown wird eine Python-Schlange verborgen gehalten. Ich selbst habe die Schlange vor sechs Monaten auf Bestellung eines Chinesen namens Charley Wangman von Java importiert. Er hat mir einen hohen Preis dafür bezahlt. Ich habe längst geahnt, daß die Folgen dieses Geschäftes Unannehmlichkeiten sein würden und mir vorgenommen, sobald die Polizei einschreiten würde, die volle Wahrheit zu sagen.

Der alte Detektiv jubelte.

Das war ein weiser Vorsatz von Ihnen, erwiderte er. Unannehmlichkeiten sind bereits daraus entstanden. Der Mann, der sich Wangman nennt, ist verschwunden und ich suche nach ihm. Vielleicht können Sie mir einen Anhaltspunkt geben. Wohin wurde die Schlange gebracht?

Er nahm sie hier in Empfang, brachte sie auf einen Wagen und fuhr mit ihr davon, drei andere Chinesen halfen ihm dabei. Ich hatte sie in einem eisernen Käfig übergeben und dieser befand sich in einer Kiste. Wohin sie die Schlange gebracht haben, davon habe ich nicht die leiseste Ahnung. Damit habe ich Ihnen nun alles gesagt, außer dies eine noch, daß öfter ein Chinese hierherkommt und junge lebendige Hasen und Vögel kauft, um die Bestie damit zu füttern.

Ha! Das ist dann noch das Beste. Wann war dieser Chinese das letztemal hier?

Vor drei Tagen. Gewöhnlich kommt er des Abends und es ist selten, daß er länger als drei Tage hingehen läßt, und wieder vorzusprechen.

Dann wäre es möglich, daß er heute abend käme?

Wahrscheinlich – ich habe die Hasen auch für ihn bereit.

Ist sonst schon jemand gekommen, um mit Ihnen über diese Sache zu sprechen?

Niemand. Wangman war der einzige, der überhaupt mit mir sprach. Der Mann, welcher die Hasen holt, versteht wenig Englisch.

Ich werde hier etwas warten, vielleicht, daß er kommt. Ich – – bleiben Sie hier, in wenigen Augenblicken bin ich wieder bei Ihnen, dort draußen geht ein Mann vorüber, den ich sehen und sprechen muß!

Damit sprang der alte Detektiv schnell auf die Straße hinaus.

Hagenberg sah, wie er einen Chinesen am Kleide packte, der eben im Begriff stand, vorüberzugehen.

Der alte Detektiv zog ihn in die Nähe des Schaufensters, wo er mit ihm zu sprechen begann.

Der abgefangene Chinese war Ching Deck. Er war ein so schlauer Chinese, als man ihn in der chinesischen Kolonie nur finden konnte und der alte Detektiv kannte ihn schon seit Jahren.

Der Sohn einer weißen Mutter, sprach Ching Deck eine barbarische Sprache, halb englisch, halb chinesisch, dazu sprach er seine eigene chinesische Sprache – aber wenn es galt, gut Englisch zu sprechen, sprach er es perfekt.

Sind Sie es? rief er, als der alte Detektiv ihn festhielt und ihn herumdrehte.

Ja, ich bin wieder hier, Deck, und begehre deine Hilfe in einem sehr bösen Falle – bist du heute abend sehr beschäftigt? erwiderte der Detektiv.

Ja, ich bin sehr beschäftigt, kann aber die Arbeit zurückstellen. Zunächst will ich nach meinem Quartier gehen, nur einige Augenblicke und dann stehe ich Ihnen zu Diensten.

Warst du außerhalb der Stadt, Ching? Ich habe überall nach dir gesucht.

Ich war während der letzten drei Tage in San Jose und will morgen wieder dorthin zurückkehren. Sie haben mich noch gerade zur rechten Zeit abgefangen. Welcherart ist die Arbeit, die Sie jetzt haben?

Ein Verschwindungsfall. Charley Wangman, der Goldkönig von Little Pekin, ist verschwunden.

Ja, ich hörte, er werde vermißt.

Kennst du ihn?

Nein.

Weißt du überhaupt etwas von der Sache?

Nicht das geringste!

Hast du je einmal etwas von Schlangenanbetern unter deinem Volke gehört, Deck?

Schlangenmenschen? Ja, man sagt mir, daß es einige hier in San Francisco gibt!

Weißt du, wo sie ihren Tempel haben?

Nein, das weiß ich nicht.

Kannst du es für mich herausfinden, wo der Ort ist?

Ich fürchte, daß ich das nicht in der Eile fertig bringe. Diese Leute folgen einer sehr alten chinesischen Religion, sie glauben an einen Schlangengott. Ich denke nicht, daß ich Ihnen das verständlich machen kann, da ich selbst nicht viel davon weiß; sie kommen aber heimlich zusammen und die eigentlichen Chinesen würden sie schnell genug verjagen, wenn sie etwas von ihrer Schlangenanbetung wüßten.

Es blieb dem alten Detektiv nun nichts weiter übrig, als Ching Deck die ganze Geschichte zu erzählen, und während sie am Fenster standen, flüsterte er ihm schnell die Einzelheiten zu.

Deck wurde, je länger er zuhörte, immer aufgeregter.

Wenn Mstr. Harry von diesen Leuten eingefangen wurde, haben sie nichts anders mit ihm im Sinne, als ihn der Schlange oder ihrem Schlangengott zu opfern, sagte er. Selbstverständlich helfe ich Ihnen. Ich muß es tun, denn wie oft haben Sie mir schon geholfen, hier sowohl als auch in New-York.

Was können wir tun?

Ich weiß es nicht – lassen Sie mich über die Sache nachdenken. Welches war die Hausnummer an der Sacramentostraße, die man Ihnen angab?

Der alte Detektiv gab die Nummer an.

Dort kann es nicht sein, erklärte Deck. Ich kenne das Haus, man hat Sie belogen, Mstr. Skott, aber kommen Sie mit, vielleicht wissen einige Leute an der Jacksonstraße in der Nähe des chinesischen Tempels etwas davon. Ich weiß in der Tat nicht, wo diese Schlangenanbeter sich sonst anders verbergen könnten.

Die beiden Männer begaben sich nun nach Decks Quartier an der Dupontstraße, wo letzterer einige wertvolle Papiere in einem eisernen Kasten verschloß, eine Schüssel mit Reis und kaltes Hühnerfleisch aß, eine Tasse Tee trank und sich dann bereit erklärte, den alten Detektiv zu begleiten.

Sie gingen nun sofort nach der Jacksonstraße, wo der chinesische Götzentempel stand, der größte, den die Chinesen in San Francisco besitzen.

Es war ein dunkles, düsteres Häuschen mit einem großen Altar an der hinteren Wand, auf dem eine Menge heidnischer Götzenbilder aufgestellt sind.

.

So verschieden, wie die christlichen Kirchen oft voneinander sind, so sind es auch die Götzentempel der Chinesen; nur in einem Stücke sind die letzteren anders: die Götzentempel der Chinesen werden nie verschlossen. Tag und Nacht, zu jeder Stunde, stehen sie offen für jedermann, der etwa die Götter zu befragen oder zu ihnen zu beten wünscht.

Ching Deck wollte aber nicht die Götter befragen, sondern einen von den Priestern, und anstatt durch die Türe an der Jacksonstraße zu treten, wandte er sich der kleinen Seitengasse zu und trat durch die Seitentür in den Teil des Hauses, der von den Priestern bewohnt wurde.

Sie waren noch nicht zehn Schritte die schmale Gasse entlang gegangen, als ein Mensch an ihnen vorüberlief, der einen Korb trug. Dieser mußte über irgend etwas gestolpert sein, denn er fiel zu Boden, während der Korb ihm aus der Hand flog und im nächsten Augenblick ein Kaninchen demselben entsprang und die Gasse hinablief.

Der erschrockene Chinese schloß schnell den Korb wieder und hielt den Deckel fest. Dann sprang er auf, hielt den Korb geschlossen und lief der nächsten Türe zu, die sich neben dem Götzentempel befand, durch welche er dann auch alsbald verschwunden war.

Der alte Detektiv hielt bei diesem Vorgang den Atem an.

Hast du das gesehen, Deck? fragte er leise.

Natürlich – Hasen oder Kaninchen.

Könnte es wirklich – –

Weshalb nicht? Kommen Sie – schnell.

Deck sprang nach der Tür und der alte Skott folgte ihm.

Zwei Treppeneingänge befanden sich in der dunklen Halle – eine Treppe führte nach unten in den Keller und die andere in die oberen Räume des Hauses. Kellerwohnungen gab es nicht, die beiden Männer hatten den untersten Stock betreten.

Der Mann mit den Hasen war verschwunden. Sie lauschten, vermochten jedoch keine Tritte auf der Treppe zu vernehmen.

Er muß die untere Treppe benutzt haben, flüsterte der alte Detektiv.

Natürlich, wir würden sonst seine Tritte hören, wenn er nach oben gegangen wäre.

Was findet man dort unten?

Alles dies gehört zum Götzentempel, ich selbst war niemals dort unten.

Sie stiegen nun auf den Fußspitzen die Treppe hinab und befanden sich in völliger Dunkelheit.

Wir können ohne Licht nichts ausrichten, flüsterte der alte Skott, und das erste würde sein, daß wir ein Messer im Rücken hätten.

St! lauschen Sie!

Ich höre Musik.

Freilich, riechen Sie auch das Opium?

O ja, ganz deutlich. Eure Götzenpriester erlauben sich wohl zuweilen einen Privatgenuß des Opiumrauchens, wie es scheint.

Allerdings. Wir können aber hier nicht stehen bleiben.

Wir müssen Licht haben. Haben Sie Ihre kleine Laterne bei sich?

Jawohl.

Das Licht der angezündeten Laterne zeigte ihnen einen langen schmalen Gang, der zu beiden Seiten mit Brettern bekleidet war.

Sie schlichen nun bis an das Ende desselben, eine Entfernung von etwa dreißig Fuß, und fanden sich einer neuen Bretterwand gegenüber.

Es schien jedoch, als ob der Gang nur ein blinder Leiter sei.

Der alte Detektiv beleuchtete mit dem Lichte seiner Laterne die Schlußwand, um nach einer geheimen Springfeder zu suchen.

Im nächsten Augenblick schon hatte er sie entdeckt und den Knopf mit der Hand berührt. Die Wand flog zurück und hinter derselben befand sich ein kleiner Raum, in welchem sich leere Kisten, Fässer, etwas Stroh usw. hin und her zerstreut fanden.

St! schließen Sie schnell die Tür! flüsterte Deck.

Im nächsten Augenblick war die Türe wieder geschlossen.

Fußtritte auf der Treppe! sagte der alte Skott.

Ich hörte sie, entweder sitzen wir in einer Falle oder werden etwas Neues sehen. Knie nieder hinter den Kisten, Deck, und wir werden dann etwas erfahren.

Sie warfen sich hinter einer großen Kiste auf den Boden nieder, während der Alte seine Laterne löschte.

Einen Moment später vernahmen sie in dem Gang leise Fußtritte und dann wurde schnell die Tür geöffnet. Ein Chinese in der Tracht seines Volkes, eine elektrische Laterne in der Hand, betrat den Raum.

So habe ich nun doch endlich die Spur gefunden, dachte der alte Detektiv.

Und so war es – ein Irrtum war diesmal völlig ausgeschlossen.

Der Mann, welcher den Raum betreten hatte, war Ah Hoeo.


 << zurück weiter >>