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Achtes Kapitel

St! Legen Sie sich nieder, wo Sie stehen, und machen Sie kein Geräusch, flüsterte der alte Detektiv seinem Begleiter Blackman zu, als dieser an seiner Seite niederkniete.

Der alte Detektiv spielte offenbar Verstellung. Einem versteckten, mit Schußwaffen versehenen Feind gegenüber zu treten, war eine gefährliche Sache, sie hatten bereits genug davon. Legen Sie sich glatt auf den Boden, es ist der einzige Weg, unser Leben zu retten, flüsterte der alte Detektiv Mstr. Blackman zu, als dieser an seiner Seite lag. Und nun folgten Augenblicke der höchsten Spannung.

Sie konnten das Geräusch in dem dichten Gebüsch vernehmen. Wenn der verborgene Feind noch einmal auf sie feuerte, waren sie verloren. Der alte Detektiv konnte bereits seinen Atem vernehmen, so nahe war er ihnen gekommen. Dann wurden jedoch Fußtritte vernommen, die sich allmählich weiter von ihnen entfernten.

Der Narr ist fort, wer er auch gewesen sein mag, flüsterte Blackman.

Warten Sie noch eine Minute, wir müssen erst Sicherheit haben, erwiderte der alte Detektiv.

Sie warteten volle fünf Minuten, es wurde aber kein Laut mehr vernommen.

Die Sache ist vorüber, sagte der alte Detektiv. Ich denke, die Luft ist nun rein, Mstr. Blackman, und je schneller wir jetzt nach Little Pekin zurückgelangen können, desto besser für uns. Wir hatten ein knappes Entkommen.

Das ist wahr, und ich meine, es geht über alle Begriffe, was man hier in Little Pekin alles durchmachen muß. So geht's aber, wenn man mit Chinesen zu tun hat, sagte Mstr. Blackman.

Ich fürchte, daß mit meinem Kollegen alles vorüber ist.

Lassen Sie uns das Beste hoffen.

Ich habe die Hoffnung beinahe aufgegeben. Haben sie mir den armen Harry entführt, dann wird auch irgend jemand dafür bestraft werden. Sie haben niemand gesehen, wie?

Nein, ich glaube aber doch, daß es ein Chinese war, der die Schüsse auf uns abgab.

Unzweifelhaft war es ein solcher.

Ich konnte seine Filzschuhe vernehmen, in denen er auftrat – ein Irrtum ist nicht möglich.

Ich zweifle nicht, daß Sie recht haben.

Noch etwas, Mstr. Skott, es will mir scheinen, als ob man jede unserer Bewegungen überwacht hat.

Es sieht in der Tat so aus.

Sie dürfen aber auch aus dem Grunde nicht nach der Hütte Charley Wangmans zurückkehren, es würde für diese Nacht zu gefährlich sein.

Ich würde allerdings ein Risiko dabei übernehmen.

Und zwar ein großes. Nein, Sie kommen mit nach meinem Hause. Mich wird man kaum umbringen wollen, wer kann es jedoch wissen?

Zuerst müssen wir noch die Wohnung Ben Thomas' untersuchen, mag daraus werden, was da will, obgleich ich bekennen muß, daß ich wenig Hoffnung habe, ihn dort noch zu finden.

Sie eilten nun wieder der Mine zu. Blackman wünschte, die Wache auszufragen, welcher von den chinesischen Arbeitern hinausgegangen sei, allein der Detektiv riet davon ab.

So gingen sie denn nach dem Schmelzhause, dessen Türe der alte Detektiv schnell genug mit Hilfe seines Dietrichs öffnete, allein das Suchen nach Harry erwies sich als erfolglos.

Das Bett Ben Thomas' war unberührt und von Harry fand sich auch nicht die geringste Spur vor.

Nach diesem erfolglosen Bemühen begaben sie sich dann nach der Hütte Blackmans, in welcher sie den Rest der Nacht zubrachten. Keiner von ihnen versuchte zu schlafen, obgleich sie es hätten tun können, da sich nichts Besonderes mehr ereignete.

In aller Frühe schon begab Mstr. Blackman sich an sein gewöhnliches Tagewerk und als nach etwa sieben Uhr der alte Detektiv sich aufmachte, um Ah Hoeo in seinem Bureau zu suchen, traf er Mstr. Blackman, welcher eben aus demselben herauskam und zu ihm sagte:

Es nützt nichts, Mstr. Skott, da Sie den Mann doch nicht im Bureau finden würden.

Wie soll ich das verstehen?

Hier, lesen Sie dies. Damit reichte Mstr. Blackman ihm einen Brief hin, dessen Inhalt folgendermaßen lautete:

 

Mstr. Blackman! Ich bin in Geschäftsangelegenheiten nach San Francisco gerufen worden und werde kaum vor Ablauf einer Woche von dort zurück sein können. Sie werden während meiner Abwesenheit die ganze Geschäftsleitung in Ihre Hand nehmen. Seien Sie dafür besorgt, den beiden Detektiven, welche von Mstr. Wang hierher geschickt wurden, gänzlich freie Hand zu lassen, damit sie nach ihrem eigenen Belieben kommen und gehen können. Mstr. Thomas wird mich begleiten, er wird aber kaum länger als bis zu Ende dieser Woche ausbleiben.

Ah Hoeo.

 

Was denken Sie davon? fragte Blackman den alten Detektiv.

Es macht das Geheimnis nur noch geheimnisvoller, war die Antwort.

Was werden Sie jetzt beginnen?

Darauf eine bestimmte Antwort zu geben, bin ich augenblicklich nicht vorbereitet, ich denke aber, daß ich heute früh auf Entdeckung ausziehe; ich will versuchen, das Geheimnis jenes Sprungloches zu enthüllen, wenn es irgend möglich ist.

Es würde mir Vergnügen machen, Sie zu begleiten, ich muß aber meiner Arbeit obliegen, wenn ich noch länger hier in Stellung bleiben will.

Das ist ganz selbstverständlich, ich erwarte auch nicht, daß Sie mich begleiten sollen, sondern ich werde allein gehen und das Beste zu tun versuchen.

Sie kommen aber doch zurück?

Das wird von den Umständen abhängen. Ich werde mein Maultier besteigen und sollte ich irgend eine Spur davon entdecken, daß mein Kollege nach San Francisco gegangen ist – und das kann möglich sein – so werde ich ihm folgen und nicht wieder hierher zurückkehren.

Und mit diesem Bescheide verließ der alte Detektiv Little Pekin.

Als er sein Maultier bestiegen hatte, ritt er, dem Pfade folgend, den Hügel hinab.

Während der Nacht hatte er viel über die Sache nachgedacht und war zu der Überzeugung gekommen, daß sich an der Hügelseite eine Höhle befinden müsse und daß man auch noch auf einem anderen Wege in dieselbe müsse gelangen können, als Ah Hoeo durch den Sprung ihn eingeschlagen hatte.

Nachdem er sich dessen versichert, daß man ihm nicht folge, wandte er sich der Stelle zu, von welcher man auf ihn und Blackman gefeuert hatte. Sein Maultier durch das dichte Gebüsch treibend, gelangte er bald an einen Pfad, der nun deutlich vor ihm lag.

Er war demselben noch nicht weit gefolgt, als er ein Taschentuch vor sich erblickte, das einen farbigen Rand trug. Er erkannte es sofort, es gehörte Harry, daher hob er es auf und steckte es zu sich.

Der Bursche ist diesen Weg gegangen, was kann das nur zu bedeuten haben? murmelte er vor sich hin.

So ritt er denn weiter, folgte dem Pfade den Hügel hinab und war dann auch bald an den Eingang der Höhle gelangt.

Ein anderer würde vielleicht vorübergegangen sein, ohne den schmalen Eingang, der von dichtem Gebüsch bedeckt war, entdeckt zu haben, den scharfen Augen des alten Detektivs entging jedoch so leicht nichts. Er stieg von seinem Maultier, band es im Gebüsche fest und begab sich in die Höhle.

Der Eingang war so dunkel, daß er seine kleine Laterne anzünden mußte, um weiter vordringen zu können, indem er zugleich auch seinen Revolver in Bereitschaft setzte.

Dies ist in der Tat der Ort, den ich suchte, sagte er zu sich selbst, indem er weiter vordrang.

Schnell genug hatte er dann auch einen Punkt erreicht, von dem aus er direkt in die Höhle hineinschauen konnte.

Es war hell genug in derselben, da das Licht durch den zweiten Eingang in der hohen Felsenwand hineindrang.

Der alte Detektiv sah denn auch mit einem Blick alles, was in derselben zu sehen war, seine Augen blieben aber alsbald an einem jungen Chinesen hängen, der an der Seite eines erlöschenden Feuers in eine Decke gehüllt lag und fest eingeschlafen war.

Dies ist der Platz, wohin sie Harry gebracht haben. Der Geselle dort scheint zu schlafen, ich will daher die Gelegenheit benützen, mich erst einmal ein wenig umzusehen, murmelte der Alte vor sich hin.

So schob er den Vorhang beiseite und schaute in die von demselben verdeckte Nische.

Was er hier erblickte, überraschte ihn völlig. An der hinteren Wand stand ein Götzenbild, aus einem Baumstamm bestehend, an dem sich eine riesige Schlange emporwand. Das Ganze war mit großer Kunstfertigkeit aus einem Baumstamm geschnitzt und erregte die Bewunderung des alten Detektivs.

Vor dem Götzenbilde stand ein kleiner Altar, auf welchem verschiedene Opfer niedergelegt waren. Da lagen Stücke Gold, chinesisches Geld oder Münzen, kleine Bilder einer Schlange und andere kleine Götzen, und dies alles in derselben Form, wie man es in einem chinesischen Götzentempel erblickt.

Und doch hatte der alte Detektiv noch niemals das Götzenbild einer Schlange in einem Götzentempel der Chinesen gesehen. Und in der Tat, es war dies auch eine Art Götzendienst, den die Söhne des Reiches der Mitte in diesem kleinen Tempel errichtet, den noch kein Auge eines Weißen erblickt hatte und auch nie erblicken wird.

Damit erhielt nun aber auch die ganze Sache in den Augen des Detektivs eine andere Gestalt. Es war ihm klar, daß tiefe religiöse Gründe dem ganzen Treiben in Little Pekin als Triebfeder dienten.

Was der alte Detektiv noch hinter dem Vorhang entdeckte, war nichts weiter als ein rauher Fußteppich, der vor dem Altar ausgebreitet lag, um etwaigen Anbetern des Schlangengottes zur Bequemlichkeit zu dienen.

Leise auf den Fußspitzen weiter schreitend, begab sich der alte Skott nun nach dem Ausgang der Höhle, durch welchen das Licht eindrang.

Hier fand er dann auch das, was er erwartet hatte. Ein künstlich ausgespanntes Netz, an einen eisernen Rahmen befestigt, den man über den Abhang an Rollen hinausschieben und in welchem ein geübter Springer von der Höhe hinab sicher aufgefangen werden konnte.

Nachdem er dies alles gesehen, wandte er seine Aufmerksamkeit dem Schläfer zu. Dieser war Sam Lee, derselbe junge Mann, der Harry und Ben Thomas das Morgenessen bereitet hatte.

Ihm den Revolver ins Gesicht haltend, gab der alte Detektiv ihm einen leichten Stoß in die Seite.

Sam Lee stieß einen Schrei aus und sprang auf die Füße.

Steh still, wo du bist, da ich mir vorgenommen habe, dich zu erschießen! rief der Detektiv ihm zu.

Nein, nein – nicht totschießen mich, heulte der Chinese, indem er in die Knie sank und die beiden Beine des Detektivs umschlang.

.

Ja, ich werde dich erschießen, sagte der alte Skott bestimmt. Kennst du mich? fragte er dann.

Ja, ja – du bist ein Detektiv! Aber nicht totschießen mich.

John, sagte der Detektiv dann, indem er ihm den Revolver an den Kopf setzte, da hilft kein Bitten, ich will dich erschießen und dein Schlangengott kann dich jetzt nicht mehr retten – nur eins noch kann dir das Leben erhalten.

Mir sagen, mir sagen dies eins, nur nicht schießen, heulte der Chinese, verstehen mich?

Jawohl, willst du mir alles das, was diesen Ort anbetrifft, sagen, wenn ich dir das Leben lasse?

Ja, ja, alles sagen.

Auch das, was mit meinem Kollegen geschehen ist?

Du meinst deinen Sohn?

Ja, ja, meinen Sohn.

O, ich alles erzählen.

Auch von Charley Wangman?

Ja, ja, ich will alles erzählen, nur nicht töten mich.

Es schien dem alten Detektiv nun, als ob er den jungen Burschen so weit gebracht hatte, wie er ihn haben wollte.

Er zog daher seinen Revolver zurück und befahl ihm, aufzustehen.


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