Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel

Indem wir die Erklärung, was aus Harry geworden, noch weiter hinausschieben, folgen wir dem alten Detektiv und seinem Begleiter auf ihrem Wege hinter Ah Hoeo her.

Wir müssen uns mehr im Gebüsche halten, sagte Blackman, als sie den Weg erreicht hatten; denn wenn er uns entdeckte, würde nichts geschehen.

O, er ist ein schlauer Geselle.

Ich möchte gerne wissen, wohin er geht; was ist der Grund, daß Sie mich darüber im unklaren lassen? fragte der alte Detektiv.

Das ist mein Geheimnis! Ich will nur sehen, welchen Eindruck die Sache auf Sie macht. In einer Minute werden Sie den Mann von der Oberfläche der Erde verschwinden sehen, d. h. wenn er wieder dasselbe tut, was er in der letzten Nacht getan hat.

So, also folgen Sie Ihren eigenen Gedanken. Aber glauben Sie, mein Kollege könne schon vor ihm denselben Weg gegangen sein?

Das kann der Fall sein, aber auch nicht. Es ist an Ihnen, das Rätsel zu lösen, ich kann's nicht tun.

Sich immer im Gebüsche haltend, schritten sie weiter.

Als sie etwa die Hälfte des Weges, den steilen Hügel hinabgehend, zurückgelegt hatten, erblickten sie vor sich am Fuße desselben die Mine »Vier Könige«, zugleich sahen sie auch, wie Ah Hoeo schnell zur Seite in das Gebüsch sprang.

Recht so! Er wird sein Experiment also noch einmal machen. Kommen Sie, Mstr. Skott, wir dürfen keinen Augenblick verlieren, sonst kommen wir zu spät, das Schauspiel mitanzusehen; folgen Sie mir hier auf diesem Weg, sagte Blackman, indem er seitwärts bog und in ein dichtes Gebüsch eilte.

Ein kurzer Marsch brachte sie bald an eine Stelle, wo die Bäume und Gesträuche an der Hügelseite niedergehauen waren.

Hier befand sich ein langer, felsiger Vorsprung, wo man offenbar nach Gold gesucht hatte, da die Spuren davon noch vorhanden waren. Etwa vierzig Fuß tiefer endete der Vorsprung in einen tiefen Abgrund und etwa noch tausend Fuß tiefer konnte man die Lichter der Mine »Vier Könige« erblicken.

Ah Hoeo, der offenbar keine große Eile hatte, war noch nicht wieder zum Vorschein gekommen.

Haben wir ihn verloren? fragte der alte Detektiv.

Ich denke nicht, er hat seinen Platz noch nicht erreicht. Verhalten Sie sich jetzt ruhig und geben Sie genau acht. Wenn Sie sehen, was ich gesehen habe, dann werden Sie sagen, daß es die rätselhafteste Sache ist, die es nur geben kann. Ha, da kommt er jetzt.

Ah Hoeo war in demselben Augenblick aus dem Gebüsch herausgetreten und schritt sehr langsam weiter, indem er, nach dem Gebrauch der Chinesen, die Hände in die Seitentaschen seines Überwurfes gesteckt hatte.

Als er bis an das Ende des Vorsprungs und an den Abgrund gelangt war, stand er still und schien hinab nach den »Vier Königen« zu schauen.

Wie tief ist der Abgrund dort an jener Stelle? fragte der alte Detektiv seinen Begleiter.

Etwa tausend Fuß, es ist gerade eine genickbrechende Tiefe, weiter nichts, war die Antwort.

Ja, ich habe die Höhe gesehen, als ich heute nachmittag nach den »Vier Königen« hinabging.

Beobachten Sie Ah Hoeo, sprechen Sie aber nichts, sonst geht Ihnen die Hauptsache verloren.

Im nächsten Augenblick erhob Ah Hoeo seine Hände über den Kopf und begann allerlei sonderbare Bewegungen zu machen. Seine Augen waren dabei auf den Mond gerichtet, der rund und voll vom Himmel herniederschien. Jetzt bog er seinen Körper bis zur Hälfte nach vorne und lehnte über den Abgrund.

Um des Himmels willen, der Mann muß im nächsten Augenblick in den Abgrund stürzen, murmelte der alte Detektiv.

So? Muß er hinabstürzen? brummte Blackman, warten Sie nur und schauen Sie auf ihn.

Schnell richtete sich nun der Chinese wieder in die Höhe und begann zu singen.

Wer jemals einen Chinesen hat singen hören, weiß auch, welche sonderbaren schnarrenden Töne an das Ohr des alten Detektivs gedrungen sind. Lauter und lauter wurde die Stimme des Mannes, bis zuletzt das Echo kam, wie der alte Skott glaubte, als er die Stimme von hundert Ah Hoeos hörte, welche nun an sein Ohr drangen.

Dann warf der Chinese plötzlich mit einem lauten Schrei seine Hände in die Höhe und stürzte sich in den Abgrund hinab.

Der Sänger war verschwunden, die Musik verstummt und der alte, vor einem Rätsel stehende Detektiv starrte von dem Felsen nach der leeren Stelle, wo er den Verschwundenen gesehen hatte.

Wollen Sie mir nun sagen, der Mann habe keinen Selbstmord begangen und daß Sie gesehen, er habe das schon einmal getan? fragte der Detektiv.

Natürlich. Zweimal habe ich dasselbe Spiel schon mitangesehen.

Unglaublich!

Er wird morgen wieder in seiner alten Verfassung sein. Sie werden jetzt anfangen zu verstehen, mit welcher Art von einem Gaukler Sie es zu tun haben. O, ich sage Ihnen, er ist ein bunter Vogel.

Er hat es nötig, ein Vogel zu sein, um einen solchen Sprung glücklich ausführen zu können; aber sagen Sie mir, ist dies nun das Ende von dem Schauspiel? fragte der Detektiv.

Das ist das Ende. Ich wollte nur, daß Sie alles mitansehen sollten. Freilich konnte ich nicht sagen, ob er es während dieser Nacht noch einmal tun würde, aber ich beging keinen Irrtum, ihm diesmal zu folgen.

In der Tat nicht, doch sagen Sie mir, ob an dieser Seite der Felsen sich eine Höhle oder Öffnung befindet.

Nein, mein Herr. Ich habe die Seite überschaut und auch von unten aus genau besehen, aber nichts dergleichen entdeckt; es übertrifft dies eben alles.

Wie kommt er denn aber wieder zurück, haben Sie ihn jemals zurückkehren sehen?

Nein, das letztemal überwachte ich das Bureau bis zum Anbruch des Tages die ganze Nacht, habe ihn jedoch nicht zurückkommen sehen. Als ich dann aber um sieben Uhr in sein Bureau ging, um seine etwaigen Befehle in Empfang zu nehmen, saß er an seinem Schreibtisch so sauber und proper gekleidet, wie Sie nur irgend einen Chinesen sehen können. Ich dachte, Sie würden es herausfinden, Mstr. Skott, und deshalb brachte ich Sie hierher.

Wie kam es, daß Sie das Spiel zum ersten Male entdeckten?

Nun, ich sah ihn einmal um die Mitternachtsstunde den Hügel hinabgehen, ehe ich es unternahm, ihm zu folgen. Dann nahm ich mir vor, es herauszufinden, wohin er gehe, folgte ihm und sah dasselbe, was Sie jetzt gesehen haben! Wir müssen sogleich hinuntergehen und den Ort untersuchen, von dem aus er verschwand. Ich fürchte, daß es ein abgekartetes Spiel mit Narraways Leuten ist.

Ich weiß nicht. Ich dachte es zuerst auch, wie ich Ihnen schon sagte. Aber bis jetzt habe ich Kapitän Narraway noch nie gesehen und was Tom Fracy betrifft, so ist er ein stiller Mann, der nur für sein Geschäft lebt. Ich weiß überhaupt nicht, was ich davon denken soll.

Lassen Sie uns den Vorsprung entlang gehen und zusehen, was wir entdecken können, sagte der alte Detektiv.

Blackman stimmte ihm bei und so gingen sie nun den über Felsblöcke führenden Weg entlang der Stelle zu, wo Ah Hoeo vor ihren Augen verschwunden war.

Hier angekommen, legte sich der alte Detektiv sogleich der Länge nach auf die Erde mit dem Gesicht nach unten, und bat seinen Begleiter, ihn bei den Füßen zu halten, damit er sich möglichst weit hinausschieben und in den Abgrund hinabzusehen vermöchte.

Nun? fragte Blackman, als er den Alten zum drittenmal zurückgezogen hatte.

An der Seite der Felsenwand, etwa dreißig Fuß tiefer, sehe ich ein Licht schimmern, man kann es ganz deutlich sehen.

Das kann nicht sein, ich habe es auch so gemacht wie Sie jetzt.

Sie hatten aber niemand, der Sie festhalten konnte und vermochten sich aus dem Grunde auch nicht weit genug nach vorn zu schieben.

Well, es mag sein, daß es so ist, geben Sie mir nun auch Gelegenheit, es zu sehen.

Gut, die können Sie haben.

Sie wechselten nun ihre Plätze und Mstr. Blackman schaute nun auch über den Vorsprung in den Abgrund hinunter.

Ja, es muß in der Tat eine Höhle dort unten sein, Sie haben recht, Mstr. Skott; wie aber in aller Welt kann dieser gaukelhafte Ah Hoeo hier hinab in den Abgrund springen, ohne das Genick zu brechen? sagte Mstr. Blackman.

Mein lieber Freund, erwiderte der alte Detektiv, haben Sie nie einen Menschen, der seine Kunststücke am Trapez produzierte, in ein ausgespanntes Netz springen sehen?

Nun?

Was könnte denn jemand daran hindern, auch dort unten ein Netz auszuspannen und den Mann aufzufangen?

Allerdings niemand, ich würde aber das Risiko doch nicht übernehmen.

Ich vielleicht doch.

Aus welchem Grunde tut er es aber?

Ja, da muß ich meine Unwissenheit bekennen. Wer ist aber auch imstande, bei einem Chinesen die Beweggründe seines Tuns sich auch nur einbilden zu können?

Da haben Sie freilich recht. Wenn Sie diese Menschen so gut kennen wie ich, darf man darüber auch gar nicht nachdenken, da es vergebliche Mühe wäre.

Nun, ich kenne sie auch. Da wir aber doch erst bei Tageslicht eine genauere Untersuchung dort unten vornehmen können, Mstr. Blackman, schlage ich vor, daß wir nun nach Little Pekin zurückkehren. Nach dem, was Sie mir mitgeteilt haben, fürchte ich sehr für die Sicherheit meines Kollegen.

Und dazu haben Sie auch Ursache. Merken Sie auf, Mstr. Skott. Zuerst, als ich Ihnen so rauh entgegentrat, wurden Sie von Mißtrauen gegen mich erfüllt und ließen sich von Ben Thomas ins Schlepptau nehmen. Ich sage Ihnen aber, er ist ein gefährlicher Mann. Er, Charley Wangman und Ah Hoeo waren zu gleicher Zeit Schüler der Hochschule und immer sehr gute Freunde. Hat Ihnen Thomas denn nicht gesagt, daß er Ah Hoeo nicht ausstehen könne?

Allerdings hat er das gesagt.

Er hat Sie aber belogen aus irgend einem Grunde. Und dann lassen Sie mich Ihnen noch eins sagen, der Bursche ist ein Opiumraucher.

Ich habe dergleichen vermutet.

Aber das ist noch nicht alles, er hat auch die Religion der Chinesen angenommen und besucht die chinesischen Götzentempel in San Francisco. Charley Wangman hat es mir selbst erzählt. Ebenso ist er auch ein regelmäßiger Besucher des kleinen Götzentempels hier in Little Pekin, so oft die Chinesen sich in demselben versammeln.

Ist das möglich?

Jawohl, es ist die nackte Wahrheit. Er ist ein gefährlicher Mann.

Der alte Detektiv begann nun zu überlegen und die Sorge um Harry wurde immer größer.

Besser, wir gehen jetzt nach Little Pekin zurück, sagte er zu seinem Begleiter. Können wir nicht auf dem geraden Wege in das Schmelzhaus gelangen, so erzwingen wir uns den Eingang.

Lassen Sie uns dann gehen. Ich muß freilich bekennen, Mstr. Skott, daß ich in die ganze Geschichte hineinschaue wie in einen dunklen Sack – und doch habe ich auch wieder das Gefühl, durch Ihr Herkommen werde die Sache zum Austrag kommen.

Sie traten nun den Rückweg an und befanden sich auch bald in der Richtung nach Little Pekin. Blackman sprach noch immer über das gesehene Schauspiel, der alte Detektiv hörte ihn jedoch kaum an, da seine Gedanken anderweitig beschäftigt waren.

Sie hatten gerade eine Stelle erreicht, wo das Gebüsch sehr dicht war und der Weg eine Biegung machte, als ein Schuß fiel und die Kugel dicht am Kopfe des alten Detektivs vorüberpfiff.

Zum Henker! rief Blackman.

Krach! Ein zweiter Schuß.

Ohne einen Laut von sich zu geben, fiel der alte Detektiv zu Boden.

Barmherziger Himmel, sind Sie getroffen? flüsterte Blackman, indem er sich an der Seite des alten Detektivs niederwarf.


 << zurück weiter >>