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Neuntes Kapitel

Als Sam Lee vor dem alten Detektiv auf den Knien lag, erkannte dieser den feigen Charakter der Chinesen.

Es waren freilich nicht alle Chinesen Feiglinge, aber alle Menschen, welche Opium rauchen oder essen, mögen sie einer Rasse angehören, welcher sie wollen, sind es. Der Gebrauch dieses unheimlichen Giftes scheint seine Liebhaber aller Energie zu berauben.

So erkannte denn der alte Detektiv sofort, daß auch dieser junge Mann ein Opfer des Opiums war. Seine gelbe zusammengeschrumpfte Haut sagte ihm die Wahrheit. Ebenso hatte er auch wahrgenommen, wie Sam Lee in dem Augenblick der höchsten Furcht rasch eine Pille in den Mund gesteckt hatte.

Er zog den Revolver zurück, ließ ihn aber trotzdem noch immer vor den Augen des Chinesen spielen.

Sprich und beantworte meine Fragen, gebot er dem jungen Mann. Ist mein Sohn noch am Leben?

Ja, er lebt noch.

Wo ist er jetzt?

Fortgegangen nach San Francisco.

Mit wem?

Mit Mstr. Thomas.

Warum haben sie ihn mit nach San Francisco genommen?

Das weiß ich nicht.

Ist Ah Hoeo auch dorthin gegangen?

Vielleicht – mag sein – ich weiß es nicht.

Sam Lee begann schläfrig zu werden, die Opiumpille begann ihre Wirkung zu zeigen, vielleicht war es auch nicht die erste, die er genommen, seit Thomas ihn verlassen.

Der alte Detektiv holte nun einige Banknoten hervor.

Wie ist dein Name? fragte er scharf.

Sam Lee.

Sam begann bereits zu nicken.

Der alte Detektiv sah, wenn er noch irgend etwas aus dem Burschen herausholen wollte, dann mußte es schnell geschehen.

Er nahm einen Zwanzigdollarschein und hielt ihn Sam vor die Augen, während er ihm gleichzeitig die kalte Mündung des Revolvers gegen die Stirn drückte.

Jetzt schnell! rief er. Sage mir, weshalb sie meinen Sohn nach San Francisco gebracht und du bekommst den Zwanzigdollarschein – sagst du mir »ich weiß es nicht«, dann bekommst du eine Kugel in den Kopf. Welches von beiden willst du haben?

Sam Lee begann nun vor Furcht zu heulen.

Nimm den Revolver weg – nimm ihn weg! schrie er, ich erzählen jetzt!

Erzähle denn!

Sie haben ihn nach dem Götzentempel gebracht und dort soll er als Futter für die große Schlange dienen.

Das Herz des alten Detektivs hörte auf zu schlagen, so erschrak er.

Und Charley Wangman? fragte er so ruhig als möglich weiter. Soll der auch der großen Schlange als Futter dienen?

Sieh, Master, du verstehst mich nicht. Master Wangman hat sich selbst der Schlange geopfert, wenn man aber jemand anderen an seiner Stelle findet, dann ist er frei. Sieh, so ist die Sache.

Jetzt begann es im Kopfe des alten Detektivs zu dämmern und er versuchte aus dem jungen Chinesen noch mehr herauszupressen. Es war eine langsame Arbeit, da Sam immer wieder einzuschlafen begann.

Endlich brachte er aber doch so viel heraus, daß Harry, als Nonne verkleidet, von Ben Thomas nach San Francisco gebracht worden war. Ah Hoeo war allein dahin gereist, wollte sich aber in Francisco mit ihnen vereinigen. Charley Wangman, Ah Hoeo und Ben Thomas gehörten einer geheimen religiösen Verbindung an, die selbst unter den Chinesen wenig bekannt war.

Das vornehmste Geschäft dieser geheimen Verbindung schien darin zu bestehen, daß sie den alten chinesischen Schlangendienst wieder in ihrer Mitte aufgerichtet hatte und eine Schlange als Gott anbetete.

Daß in San Francisco ein Ort existierte, an welchem man eine wirkliche Schlange hielt, von der das Götzenbild in Little Pekin nur ein Abbild war, schien dem alten Detektiv fast unzweifelhaft.

Sodann schien es ihm auch klar zu werden, daß Charley Wangman, der das Haupt dieser Sekte der Schlangenanbeter war, sich in dem geheimen Götzentempel zu San Francisco aufhielt und sich dort vorbereitete, sich der Schlange zu opfern, es müßte denn sein, daß sich ein anderes Opfer fand, das an seine Stelle trat, und dies Opfer schien ihm sein Kollege Harry zu sein.

Und der alte Detektiv ging noch weiter. Er fragte Sam Lee nach der Ursache, weshalb Ah Hoeo von der Klippe in das Netz gesprungen sei, statt auf dem gewöhnlichen Wege in die Höhle zu gelangen.

Die Antworten waren aber so konfus, daß er sich die einzelnen Teile derselben zusammensetzen mußte und so viel erfuhr, wie Ah Hoeo durch einen Schlangenpriester gewarnt worden sei, den schmalen Gang nach dem Götzentempel zu betreten, da er, wie er ihm prophezeite, sein Leben in demselben verlieren würde.

Von dieser Zeit an habe er den schmalen Eingang zu der Höhle vermieden und statt dessen, als ein guter Turner, den Sprung in das Netz vorgezogen.

Das war ungefähr alles, was der Alte aus Sam Lee herauszubringen vermochte. Der Schlaf hatte ihn nun dermaßen übermannt, daß selbst der Revolver keinen Eindruck mehr auf ihn machte. Das Opium hatte sein Werk getan, und keine Macht der Welt hätte ihn in diesem Augenblick dem tiefen Schlaf entreißen können, in den er gefallen.

Der alte Detektiv ließ ihn dann auch, wo er war, bestieg sein Maultier und ritt in großer Eile nach der Mine zurück.

Mstr. Blackman war unten in der Mine, als der alte Detektiv eintraf, er kam aber sofort herauf, als er vernahm, daß Mstr. Skott ihn zu sprechen wünsche.

Nun, haben Sie irgend etwas Wichtiges entdeckt? fragte er.

Ich glaube, daß ich alles herausgefunden habe, erwiderte der Detektiv und begann nun zu erzählen, was er gesehen und gehört hatte. Das Resultat seiner Erzählung war, wie er erwartet. Mstr. Blackman wies alles von der Hand.

Hören Sie, sagte er, der Geselle, der Sam, ist der größte Lügner, den es gibt. Er hat Sie gehörig am Narrenseil herumgeführt, Mstr. Skott. Ich schickte ihn vor etwa zwei Monaten fort, habe ihn seitdem nicht wieder gesehen und glaubte, er sei wieder nach San Francisco zurückgekehrt, das war aber ein Irrtum meinerseits.

Und ich glaube jedes Wort von dem, was er mir gesagt, und Sie würden es auch glauben, wenn Sie gesehen und gehört hätten, was ich gesehen und gehört habe, erwiderte der alte Skott.

Es ist möglich, daß Sie recht haben, Sie müssen es am besten wissen; aber was gedenken Sie jetzt zu tun?

Ich werde sofort hinter Thomas herjagen. Es mag sein, daß ich ihm bis nach San Francisco folgen muß, vielleicht habe ich aber auch das Glück, ihn auf dem Wege einzuholen.

Das wird Ihnen nie gelingen, da diese Leute viel zu schlau sind – denken Sie an mein Wort.

Mag sein – ich will es aber versuchen.

Haben Sie auch die Adresse von diesem wundervollen Schlangentempel erfahren?

Ja, er befindet sich an der Sacramentostraße zwischen der Dupont- und Kearneystraße.

Ich glaube von der ganzen Geschichte nicht ein Wort. Sam hat Sie sicher zum Narren gehabt. Die haben sich irgendwo hier herum versteckt. Wo in aller Welt sollten sie die Nonnenkleider her haben? Sagen Sie mir nur das einmal!

Unsinn, Mstr. Blackman. Gerade die Nonnenkleider sind es, welche die Chinesen vorzugsweise zu ihrer Verkleidung gebrauchen. Hunderte von ihnen haben sich in derselben über die Grenzen von Kanada nach den Vereinigten Staaten einzuschmuggeln gewußt.

Nun, ich sehe, Sie fühlen sich verpflichtet, zu gehen, und ich kann Ihnen nur noch viel Glück wünschen.

Dann wollen Sie mich also nicht begleiten? Ich kam zurück, um ihnen diese Frage vorzulegen.

Es würde mir sehr lieb sein, wenn das möglich wäre, aber meine Pflicht hält mich hier fest, Mstr. Skott. Nein, ich kann nicht mitgehen. Denn diese Minenarbeiter würden mit der letzten Unze Gold davonlaufen, wenn ich sie hier allein zurückließe.

Der alte Detektiv machte nun auch keinen Versuch weiter, da er sah, es würde doch zu nichts führen.

So sagte er denn dem ehrlichen, biederen Manne Lebewohl, bestieg sein Maultier und trat den langen Ritt über die Berge nach der nächsten Eisenbahnstation an der Oregon-Bahn an, denselben Weg, den er mit Harry gekommen war.

Es gab aber mehr Wege von Little Pekin aus, auf denen man die Eisenbahnstation erreichen konnte.

Der alte Detektiv war denn auch noch nicht allzuweit geritten, als er innewurde, er befinde sich nicht auf dem Wege, den die Entführer mit Harry eingeschlagen hatten.

Überall, wo er nachgefragt, hatte niemand die beiden Nonnen gesehen.

Dennoch konnte er nicht wieder zurückkehren, da er dadurch zu viel Zeit verloren hätte, was für seinen Zweck hätte verhängnisvoll werden können.

Da er überzeugt war, er befinde sich auf der richtigen Fährte, beschloß er denn auch, die Sache zu Ende zu führen.

Es wäre ja möglich, dachte er, daß ich die Gesellschaft im Eisenbahnzuge antreffe.

Aber auch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Als der Zug, den sie, von Little Pekin kommend, hätten benutzen müssen, die Eisenbahnstation Barnwell erreichte, hielt er zwar sorgfältig Umschau, vermochte jedoch von den Gesuchten oder Erwarteten nichts zu entdecken.

Dieser Umstand machte ihn nun doch nahezu mutlos und er dachte schon wieder an die Rückkehr; dieselbe mußte er dann aber auch, um keine Zeit zu verlieren, sofort antreten.

Nach kurzem Überlegen entschloß er sich aber doch zu dem Gegenteil. Er wollte weitergehen auf der eingeschlagenen Bahn.

So zog er denn den Bahnhofsvorsteher in sein Vertrauen und bat ihn, sobald etwa zwei Nonnen mit irgend einem Zuge eintreffen würden, ihm eine Depesche nach Sacramento zu senden.

So reiste er denn weiter, aber eine Depesche erreichte ihn nicht, da niemals eine solche an ihn abgesandt wurde, und als er dann endlich San Francisco erreicht hatte, war er noch gerade so klug, als er in Little Pekin gewesen war.

Alle diese Erfahrungen machten ihn fast völlig verzagt.

Hatte er Harry in der Stunde der höchsten Gefahr verlassen? O, wie wünschte er jetzt, daß er in Little Pekin geblieben wäre.

Dennoch verlor er keine Zeit. In aller Eile begab er sich nach dem Polizeibureau, teilte dem Polizeileutnant, mit dem er sehr bekannt war, die Sachlage mit und erbat sich dessen Hilfe.

Natürlich bin ich zu jeder Hilfe bereit, Mstr. Skott, erwiderte dieser, ich fürchte aber sehr, daß Sie auf eine falsche Fährte geraten sind.

So haben Sie niemals von diesen chinesischen Schlangenanbetern gehört? fragte der alte Detektiv den Polizeileutnant.

Niemals. Entschuldigen Sie, wenn ich überhaupt an deren Existenz zweifle.

Bitte, geben Sie mir ein paar tüchtige und zuverlässige Polizisten, damit ich den Ort an der Sacramentostraße gründlich durchsuchen kann.

Einer von diesen werde ich selbst sein, erwiderte der Leutnant.

Und so geschah es. Der Platz wurde in Augenschein genommen. Was man hier aber vorfand, war nichts weiter, als eine chinesische Schlächterei, welche sich im unteren Stockwerke befand, während im oberen Stocke Schlafstellen zu vermieten waren.

Selbstverständlich wurde von dem Polizeileutnant und seinen Begleitern jeder Raum des ganzen Hauses durchsucht, leider aber ohne Erfolg.

Sogar der Keller und das daranstoßende Haus wurden einer gründlichen Durchsuchung unterworfen, es war aber alles vergebliche Mühe.

Als auch diese Durchsuchung sich als erfolglos erwiesen, trennte sich der alte Detektiv von dem Leutnant in äußerst niedergeschlagener Stimmung. Was sollte er nun beginnen?

Es steht schlimm, sagte er nach kurzem Besinnen zu sich selbst, ich muß wieder von vorne anfangen. Zunächst suche ich nun einmal wieder den alten Fang Wang auf. Vielleicht kann der etwas Licht auf das dunkle Geheimnis werfen, obgleich es jetzt sehr dunkel aussieht.

Schon nach einem kurzen Marsche hatte er die Stocktonstraße erreicht, stand vor dem Hause des alten Chinesen und zog die Hausglocke.

Als man ihm die Tür öffnete, wurde er auch sofort wieder von dem jungen Chinesen erkannt, der ihn bei seinem ersten Besuch in das Haus gelassen, und sogleich in das Zimmer geführt, in welchem der alte Wang sich aufhielt.

Ha! Sie sind wieder zurückgekehrt. Haben Sie meinen Sohn gefunden? Schnell, sprechen Sie! rief der alte Chinese ihm zu.

Noch nicht, Mstr. Wang, ich bedaure, daß ich Sie noch vertrösten muß. Ihren Sohn habe ich noch nicht gefunden, habe aber Gründe, zu glauben, daß er sich in San Francisco befindet. Rufen Sie Ihren Dolmetscher, damit wir über die Sache sprechen können. Ich bedarf jetzt Ihrer Hilfe, erwiderte der alte Detektiv.

Wie es schien, befand sich der Dolmetscher jedoch nicht im Hause, dennoch ließ der alte Wang ihn sofort rufen.

Als dieser erschien, erzählte der alte Detektiv die ganze Geschichte, deren Verlauf der alte Chinese mit großer Aufmerksamkeit folgte, ohne auch nur ein Wort dazwischen zu werfen.

Es mag richtig sein, sagte er dann, als der Detektiv geendet, in China gibt es eine solche Religion. Man nennt sie die »Anbetung des Drachen« oder auch die »Schlangenanbetung«. Sie ist die älteste aller Religionen Chinas, ich habe aber niemals einen Menschen gekannt, der dieser Religion angehört hat. Wenn hier in San Francisco solche Schlangenanbeter sind, so habe ich wenigstens nichts von ihnen gehört. Dennoch bin ich überzeugt, daß das, was Sie erzählt haben, Wahrheit ist.

Der alte Detektiv, hierdurch ermutigt, fragte ihn, weshalb er das glaube. Durch den Dolmetscher erzählte Fang Wang dann weiter, daß sein Sohn Charley schon seit längerer Zeit versäumt habe, das offizielle chinesische Götzenhaus in San Francisco zu besuchen, und daß er, so oft er auch in der Stadt gewesen, jedesmal auf geheimnisvolle Weise sich von dem Hause seines Vaters entfernt habe und öfter sogar tagelang abwesend gewesen sei.

Weiter erzählte er dann, daß sein Sohn sich außergewöhnlich eifrig in das Studium alter chinesischer Bücher vertieft habe und daß unter diesen auch etliche gewesen, die gerade die alte Religion der Chinesen von der Schlangenanbetung behandelt hätten.

Diese und andere Dinge brachten den alten Mann zu dem Glauben, daß die von dem Detektiv erzählten Vorgänge sehr wohl auf Wahrheit beruhen könnten.

Als man dann die Sache noch weiter ausführlich besprochen hatte und der alte Detektiv endlich das Haus verließ, hatte er auch wieder mehr Hoffnung, zumal Fang Wang ihm die Versicherung gegeben, daß auch er unter seinen Freunden Nachforschungen anstellen wolle, wo das geheimnisvolle Haus der Schlangenanbeter zu finden sein möchte.


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