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Siebzehntes Kapitel.

Das breite Goldfeld des frühen Sonnenuntergangs wird fast ganz von den hohen Bäumen im Garten des Forsthauses verborgen. Durch ihre Stämme lugt nur an einer Stelle ein rotglühender Fleck und Strahlen in Grün und Bronze versprühen im Gehölz, dessen Laubwerk der Spätherbst schon größtenteils aufgezehrt. Hoch oben in den Wipfeln ist's unruhig. Düster jagen ziegelfarbene Wolken am Himmel hin und verlieren auf ihrer Flucht immer mehr von ihrem Gewand. Wie Flocken von der Sonne noch weinfarben gesättigt hangen sie am Firmament. Annemarie, die in der warmen Küche Kartoffeln schneidet, schaut übel gelaunt auf dieses Farbenspiel. »Schlecht Wetter gibt's wieder einmal.« Mißmutig schielen ihre entzündeten Augen auf eine Fleischhackmaschine, die das Fräulein ihr als höchst unwillkommene Neuerung aufgenötigt hat. Allein, es sind nicht nur diese Possen, die sie in so schlechte Laune versetzen. Sie hat wieder ihr schlimmes Reißen in den Gliedern, die Frostbeulen schmerzen sie – und sie sagt's ja keinem, aber unheimlich ist's doch, – das Käuzchen schreit schon seit drei Nächten über das Forsthaus hin. Der Herr und das Kind hören es natürlich nicht. Die haben einen ganz anderen Schlaf als die Annemarie, die aufwacht, wenn eine Mücke hustet. – Grete hatte eine Weile draußen mit der Mürrischen geplaudert. Sie fühlt sich heute einsam und mag doch wieder nicht von Haus fort. Nun steht sie erst eine ganze Weile verträumt inmitten ihrer Stube, über deren weißer Diele ein rosiger Schimmer dahinzufließen scheint. Dann ermannt sie sich und geht entschlossen auf ihre Studienecke zu, wo hinter Efeugrün, das hier fast so lustig wie draußen im Wald wuchert, ihre Bücher unordentlich auf- und untereinander liegen. Band für Band klopft und staubt sie nun aus und verwahrt jeden ordentlich. Aber dann kommt ihr einer in die Hände, den sie nicht so rasch weglegt. Mit dem Fuß zieht sie sich einen Stuhl näher, gräbt ihre Finger seitlich ins dichte, goldige Haar und versinkt völlig in die Wunder altgotischer Baukunst, die sich ihr hier auftun. Über das wilde, anhaltende Bellen des Hofhundes erschrickt sie jäh. Das Tier will gar nicht mehr ruhen. Sie tritt ans Fenster und blickt in die einfallende Dämmerung hinaus. In dem stumpfen Grau kann sie noch einen Mann erkennen, der am Tor steht und dann rasch im Walddunkel verschwindet. Das war alles! Nun merkt Grete erst, daß sie Nerven bekommen hat. Wie dunkel es geworden ist! Daß sie nur in der Ecke noch hatte lesen können! Aber trotzdem stellt sie sich wieder vor das Tischchen und läßt gedankenvoll die Blätter des Buches durch die Finger gleiten. Wie das mit Willy Wedekamp gekommen ist? Eigentlich ganz wie Vater es gewünscht hatte. Aber nein, – sie hatte nichts dazugetan. An nichts hatte sie gedacht. Wie auf Sturmesflügeln war einfach ein Gefühl dahergebraust, so stark, so mächtig, daß es wie ein einziger, großer Ton alles überklang, was sonst in ihr gesprochen. Und es hatte auch ihre kindlichen Ideen, die sie manche Stunden des Tages und der Nacht in dem unruhigen, jungen Kopf umhergewälzt, verschlungen. Kindisch! Waren sie wirklich bloß kindisch gewesen? Lag nicht zum mindesten der Keim eines großen Ernstes darin? Zärtlich streicht Grete über Bücher und Hefte, die vor ihr ausgebreitet liegen. Geometrie, Algebra steht auf zwei nüchternen Bänden. – Wie wäre es wohl gekommen, wenn der junge Forstmann nicht erschienen wäre? Und mit ihm nicht auch all diese Fülle des Süßen, Herrlichen? Dann hätte sie jene Bücher wohl nicht vergessen; weiterhin hätte sie davor gesessen und ihren wirren Ideen nachgehangen. Vielleicht wären diese auch gereift, gehaltvoller, abgerundeter geworden. Sie seufzt. Ideen wären es aber immerhin nur geblieben. Was sie sich da zusammengeträumt, ohne alle Anleitung blindlings zusammenstudiert hatte, war ja ganz tolles, ungereimtes Zeug gewesen. Nicht einmal Gertrud und Halliger hatten darum gewußt. Aber seltsam! Ohne eine Ahnung davon zu haben, hatte diese nur darauf fußend, daß Grete sich so für Architektur interessierte, eines Tages zu ihr gesagt: »Wie schön wäre es eigentlich, als Frau sich einer solchen Kunst widmen, sie auch praktisch ausüben zu können. Warum tun das eigentlich bloß Männer?« – »Ja, warum?« hatte Grete damals nur zurückgefragt. Aber jetzt fragt sie es wieder und spricht es sogar laut vor sich hin. Ihre früheren Verrücktheiten fallen ihr alle wieder ein. Unwillkürlich reckt sie die kräftigen Glieder. Die Arme ausbreitend läßt sie ihre gut entwickelten Muskeln spielen und ihre breite, hochgewölbte Brust hebt sich unter der bequemen Bluse, daß die Nähte krachen. Ihr ist zumute, als würde sie wohl so etwas können. Sie meint zu fühlen, daß sie auch die Geisteskräfte zu denen des Körpers aufbringen würde. Aber! Nun lacht sie hell in die Stube hinein, in der es bereits ganz dunkel ist. Nein! Sie wird alles, was sie besitzt, schon auch für ihren Schatz richtig anwenden können. Der ist ja so vielseitig in seinem Wissen, wenn er auch mit ganzer Seele Jäger und Forstmann ist. Und da kommt ihr so mancherlei in den Sinn, so daß sie wieder in der Mitte des Zimmers stehen bleibt, statt sich die Lampe auf dem Flur zu holen. Auch der Kerle, die Willy im Forst das Leben so sauer machen, muß sie nun gedenken. Ein jäher Schreck befällt sie, so daß sie die Hand aus ihr mit einem Mal so wild klopfendes Herz legen muß. Allein sie wirft die törichten Gedanken über Bord. Ein jeder Beruf hat eben auch seine Schattenseiten und dem Vater war doch nie etwas passiert. Resolut holt sie nun die treue Lichtspenderin, von Annemarie wegen des uralten Systems doppelt hoch geschätzt, räumt alle Bücher völlig weg und macht sich daran, eifrig in ein feingebundenes Buch Kochrezepte abzuschreiben, die ihr Gertrud Halliger überlassen. –

Der spätere Abend wird darauf besonders gemütlich, obwohl Wedekamp sehr müde und abgespannt nach Haus gekommen war und der Vater sich alteriert hatte. Von einem Maurer aus Blankdorffen war ein Sardenner Bursche als Wilderer angezeigt worden, der auch sonst in schlechtem Ruf stand. Der alte Handwerker hatte ihn bei der abendlichen Heimkehr heimlich beobachtet, wie er eine im Wald versteckte Flinte hervorgeholt. Auf die Anzeige hin hatte besonders Wedekamp aufgepaßt. Er hatte mit einem Jägerburschen den jungen schlimmen Menschen, der sicher Mitglied einer ganzen verdächtigen Bande war, erwischt und eingebracht. Das war vorgestern gewesen. In dieser letzten Nacht war nun das Häuschen des Maurers völlig eingeäschert worden. Eine geheimnisvolle Brandstiftung! Der Oberförster und Willy Wedekamp aber waren der Ansicht, nun, da man schon einen habe, seien ihnen die übrigen so gut wie sicher. Dann käme auch wieder Ruhe und Friede in den Forst, der, wie Vater Mannes meinte, eigentlich selten in all den Jahren gestört worden war. Ihre eigene Zuversichtlichkeit, ein gutes Nachtessen und eine Flasche echten Rheinweines, Gretes Anblick und deren fröhliches, anregendes Wesen, haben endlich eine treffliche Stimmung hervorgebracht. Zum Schluß schützt der Vater eine wichtige, schriftliche Arbeit vor und verschafft dadurch dem Paar noch ein Stündchen ungestörten Beisammenseins. Gegen Mitternacht, nach heißen Küssen, erfüllt von den rosigsten Zukunftsplänen, trennen sie sich, um den gesunden Schlaf blühender Jugend zu genießen. Den folgenden Tag muß Wedekamp ganz früh in amtlicher Angelegenheit in die nächste Provinzstadt. Vor dem späten Abend, – Mitternacht kann es sogar werden, – wird es für ihn unmöglich sein, zurückzukommen. Er hat ja aber den Hausschlüssel und würde, wie immer bei solchen Gelegenheiten, recht leise eintreten, damit selbst Annemarie nicht gestört werde. – –

Es wird auch niemand gestört. Selbst der Hofhund gibt keinen Laut. Gegen sieben Uhr morgens will die Alte zum Hofbrunnen, nachdem sie vorher noch Greten geklopft, daß diese nicht wieder allzulange schlafe. Der Herr hatte längst zur Vordertür die Försterei verlassen, denn er mußte zeitig nach Sardennen zu einer Holzauktion. Grete hört oben genau, wie Annemarie das mächtige Tor mit dem uralten, klobigen Schlüssel öffnet, und wie dieser dann, wie jeden Morgen, mit klirrendem Ton an den kupfernen Wassereimer in ihrer Hand schlägt. Aber jetzt, was ist das? – Ein Schrei, so jammervoll, so entsetzlich und furchtbar, – dann ein zweiter, rauh und gebrochen, so, als versage der alten Frau da unten die Stimme. Erstarrend will es sich zunächst auf die Glieder Gretens legen. Mit aller Kraft muß sie gegen eine Schreckenslähmung ankämpfen. Eilig wirft sie etwas über und rennt hinunter. An der Schwelle des Tores kauert Annemarie vor dem Leichnam Willy Wedekamps, der, von einer Reifkruste bedeckt, schon gewiß stundenlang dagelegen hat. Nicht weit davon streckt vor seiner Hütte der Hofhund die steifen Glieder von sich. Ist es ein entsetzlicher Traum, – kann es Wahrheit sein? – Das junge Mädchen bricht weder zusammen, noch gibt es einen Ton von sich. Wie irr, mit einem blöden Lächeln auf den blauen Lippen steht es, indem es krampfhaft die nur lose übergeworfenen Kleider zusammenhält, und starrt auf die Leiche und die jammernde, greise Magd. – – – – –


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