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Viertes Kapitel.

Nicht weit von der Villa Doktor Degenhardts wohnen die beiden Buchlehners. Sie haben ein einstöckiges, sogenanntes Gartenhaus gemietet und sich darin ganz nach Gefallen eingerichtet. Seit vierzehn Jahren bewohnen sie es, ohne daß der Hausherr sie nur einmal gesteigert hätte. Eines Abends hatten sie das auf der Kegelbahn erzählt. »Ein Phänomen!« – »Her mit dem Hausherrn!« – »Wenn der tot ist, muß man ihn ausstopfen lassen.« Sie hatten nur so durcheinander geschrieen vor Erstaunen.

Die Wohnung besteht zunächst aus zwei Schlafzimmern, einer großen Küche mit Speisekammer und einem Badezimmer. Zwei riesige Ateliers, neben welchen ein Raum zur Aufbewahrung nötiger, aber unschöner Dinge dient, die nicht auf den Speicher gebracht werden können, beanspruchen den größten Teil derselben. In der Küche, die hell, luftig, und allerliebst eingerichtet ist, nehmen die Herren mit ihrer Alten die Mahlzeiten ein. Im Sommer jedoch auf einer Veranda, die davor liegt und von der man das grüne Baumgewipfel des Englischen Gartens sieht. Von des traurigen oder wilden Anton Atelier führen die Stufen in einen kleinen Garten, dessen sonnigsten Teil er zur Züchtung prachtvoller Rosen benutzt. Jetzt recken sie freilich noch alle ihre Strohmäntel gar traurig in die Höhe. Auf einem runden, orientalischen Tischchen im Atelier steht eine Meißener Schale; in der liegen einige Palmkätzchen und ein paar kurzstielige Gänseblümchen, das erste blasse, kümmerliche Veilchen und ein Reis Seidelbast. Diese Lenzesboten hatte Anton Buchlehner gestern in den Isarauen gefunden. Nun steht er vor einem halbfertigen Bild und pinselt eifrig darauf los. Es wird wieder einmal. Er fühlt es deutlich. Regenschwer zieht darauf rasch dunkles Gewölk über das grüne Gelände. Vorn biegen sich schlanke Birken durch die Gewalt des Windes. Links, im westlichen Hintergrund, sieht man in langen Streifen den Regen. Schon aus ihrem Bett tretend, rauscht die wild-trotzige Isar trübe und mißfarben dahin. Der Künstler nimmt mit der Pinselspitze ein wenig Ockerfarbe auf und studiert an dem seltsamen Lehmton der überschwemmten Ufer.

Die altmodische Hausglocke schlägt plötzlich heiser an. Ihr langer Draht, der von der Haupttür zu der entferntliegenden Küche führt, zittert in hörbarem Geräusch noch eine ganze Weile weiter. Dann die Stimme der alten Walpurga. Sie führt jemanden dem Atelier zu, redet dabei eifrigst, und ihre Stimme klingt ganz jämmerlich.

»Ja mein, – ja mein, – was ist denn? Jessas nein, – ja Herzerl, – geh, komm her! Drinnen ist er, der Herr Onkel; aber geh zu, mein Herzerl!«

Schluchzend, den Mantel nur eilig über ein Hauskleid und einen schmutzigen Hängschurz geworfen, tritt Gertrud Degenhardt beim Professor ein. Mit einem erneuten: »Ja mein!« verschwindet die Alte.

»No, – no! No, no!«

Er legt den Pinsel weg, wischt sich die Hände an einem Tuch ab und geht dem Kind entgegen, das sich schon in einen riesigen, tiefen Renaissance-Lehnstuhl geworfen hat, worin es fast verschwindet.

»Und jetzt! Ja, was ist denn nachher?«

Eine große Zärtlichkeit und Weichheit liegt in Buchlehners Stimme.

Schon seit der Nacht, da vor reichlich zwölf Jahren die Nachricht über den Ankauf seines Kolossalgemäldes mit jener der Geburt Gertruds zusammengetroffen war, empfand er ein besonderes Interesse für das Kind. Er fühlte sich ihm sozusagen verbunden. Damals hatte er das gute Herz Doktor Degenhardts auch an sich selbst zu erproben Gelegenheit gehabt. Er war dem Mann, der in seinem Wesen ihm innerlich fremd gegenübergestanden, erst daraufhin wirklich näher getreten. An einem jener Sonntage war er zuerst ins Haus gekommen. Seit dieser Zeit brachte er viele Nachmittage dort zu. Mit Frau Thilde verband ihn herzlichste Freundschaft. Ihr Kunstverständnis und feines Gefühl brachte sie ihm nahe. Aus den sieben älteren Degenhardts-Kindern aber machte er sich nicht viel. Er wußte weder mit den Halbwüchsigen noch mit den Erwachsenen viel anzufangen. Nur die Kleinen schloß er ins Herz. Je älter aber Emmy und Isolde, Max und Carlo wurden, desto ferner traten sie ihm. Bloß Ludl, der damals ein herziger, dicker Bengel von zwei Jahren gewesen, als man den Professor als Paten des kleinen Mädels gewählt, verblieb ihm. Am kräftigsten aber wuchs sich seine Freundschaft zu dem Patenkind aus. Es war so sinnig von dem sonst für oberflächlich geltenden Vater der Kleinen gewesen, ihn zu Gevatter zu bitten. Zugleich hatte das geheißen: ›Verzeih mir, wenn ich manchmal tat, als ob, – in Wahrheit aber verehre ich dich sehr und bitte um deine Freundschaft!‹ Sie schmollierten am Tauffest, und daheim grollte darauf der lustige, zahme Franz nicht wenig, daß der Bruder plötzlich gar so intim mit dem Hallodri-Degenhardt würde. Je stiller und zurückgezogener die Buchlehners lebten, desto mehr genoß Anton an den berühmten Sonntagnachmittagen die ungezwungene und wirklich oft sehr interessante Unterhaltung in Degenhardts gastfreundlichem Hause. Diese Stunden wirbelten dort Menschenkinder aller Alter und Stände so bunt durcheinander wie möglich. Es war, als läge da etwas in der Luft, das jedem sein Bestes und Originellstes abzulocken imstande war. Im Kinderzimmer verbrachte der Onkel Toni ganze Stunden. Bei den wilden, phantastischen Spielen der Kinder, in deren Erfindung sie – Hela und Otto ausgenommen – groß waren, beteiligten sich nicht selten viele, oft alle Erwachsenen. Des Professors Kniee waren der Stammplatz Ludls und Traudls. Es gab nicht leicht etwas, was sie ihm verschwiegen. Auch gemachte Dummheiten beichteten sie des öfteren, oder holten sich Rat für allerlei Nöte bei ihm. Eigentlich ist das bis heute so geblieben. Jedenfalls bei Gertrud. –

»No also, – hör' doch's Weinen auf, Patscherl. Was hast denn angefangen? Oder hast gar nichts angefangen?«

Sie schüttelt stumm die schimmernde Mähne und weint noch heftiger. Onkel Toni tätschelt ihr die Wange, nimmt ihr den zerdrückten Hut ab und holt aus seinem Schranke eine große Rosinentraube, die er auf einen weißen Papierbogen vor sie hinlegt. Er geht ruhig wieder zu seinem Bild und macht sich daran zu schaffen. Allmählich wird Traudl ruhiger. Der Professor pfeift seine Lieblingsarie aus dem Troubadour halblaut vor sich hin. Dann meint er:

»Könnst mir auch bald wieder ein paar Pinsel waschen!«

Sie stößt ein: »Ja« heraus, putzt sich mit einem zerrissenen, fleckigen Taschentuch, das Tinten- und Bleistiftfinger aufweist, energisch die feine Nase und gleitet vom Stuhl. Onkel Toni breitet lachend am Atelierende drüben die Arme aus, und das kleine Mädel rennt schnurgerade hinein. Um ein Haar hätte es darauf wieder einen erneuten Tränenstrom gegeben.

»No, – no, – net, – da wird nichts draus! Heraus jetzt mit der Sprach!«

Er setzt sich auf seinen großen Diwan, auf und vor dem wundervolle Perser liegen, und hält Traudl dazu umschlungen. Sie wirft sich ihm abermals an den Hals und ruft dazu: »Ich bin so unglücklich!«

»Ah geh', – was net gar!«

Durch das offene Fenster kommt ein lauer Luftstrom, der die feinen Härchen an des Mädchens Schläfen erzittern läßt. Fernes Frühlingsahnen trägt er herein. Auch eine Erinnerung an einen frühen Ostertag. Leise wollen Anton Buchlehners Lippen Worte formen, die aber ungesprochen bleiben: ›Unglück! O du Kind, du glückliches!‹ Das blasse, unendlich vornehme Gesicht sieht tief ernst aus. Seine etwas zurückliegenden Augen sind jetzt umflort. Er weiß ganz gut, wie echtes Unglück tut. Und jeder Lenz weckt es wieder aufs neue; so bleibt es wach! Er wischt sich über die Stirne, als wolle er aufsteigende Bilder verscheuchen. Vier Jahre hatte er um ein Mädchen geworben, das er heiß geliebt. Gedarbt und gegeizt hatte er, Demütigungen ertragen, sich alles versagt, was das Leben ihm geboten. Für sie – um sie! Endlich, Ostern, – vor langen fünfzehn Jahren, da war sie fein geworden. In Dachau, wo er damals viel gemalt, hatte er sich ansässig gemacht. Die Trauung war auch in der dortigen Dorfkirche vollzogen worden. Darauf war er in einem blumengeschmückten Einspänner unter den Hochrufen seiner Freunde und Genossen mit seiner jungen Frau überglücklich weggefahren. Endlich wanderten sie noch ein Stück durch die flimmernde, duftüberhauchte Ebene mit ihren feinen Tönen und Stimmungen, bis zu einem ansehnlichen, sauberen Dorfe. Da hielten sie Rast, um die Nacht dort zu verbringen. Die erste! Ob andere so ein Glück, – so ein volles, ganzes, wohl auch empfinden könnten? Ein solches, wie er fühlte, – der Schustersohn aus Garching! König, Künstler und Poet zugleich fühlte er sich. Spät am kommenden Morgen war's, wie er sich weggestohlen von der Seite seiner schönen Frau. Er stieß die grünen Holzläden auf. Kalt und ganz klar war's draußen, aber die Sonne schien. Eine Menge bunter Hühner spazierte auf der Wiese, über der ein grüner Schimmer lag. Die Erde duftete berauschend. Kündender Lenz! Dann wandte sich Anton lächelnd nach rückwärts, – ein seltsamer Schreck durchfuhr ihn. Näher trat er an das breite, hohe Bauernbett, mit dem nach Seife riechenden groben Linnen und den derben Spitzen. – – Laut schrie er auf. Er griff sich an die Schläfe, – er rüttelte diesen starren Leib und betastete das friedliche, junge Gesicht. – Nur dieses eine Mal in seinem Leben hat Anton Buchlehner eine Ohnmacht gehabt. Man hatte ihn bewußtlos neben der Leiche gefunden. Ein Herzschlag hatte die Neuvermählte getötet. – – –

»Immer das gleiche noch!« murmelt der Professor. Das Kind an seiner Seite hat er vergessen. Dann schüttelt er sich und reckt die feinknochigen, aber muskulösen Glieder.

»Was war, – Trauderl?« fragt er darauf ganz sanft. Endlich kann sie zusammenhängend sprechen. Onkel Toni hat freilich Mühe, aus diesem Gewirr herauszuschälen, um was es sich handelt.

»Also heimlich, – ganz hinterrücks seid ihr alleweil zu den Nubiern gangen?«

Sie senkt den Kopf. »Zuerst nicht, – aber dann schon.«

»Ja, warum habt ihr's denn der Mama net g'sagt?«

»Einmal hat s' so arg kochen müssen, – nachher so arg dichten, oder sie hat B'such gehabt. Aber die hätt' uns das letzte Mal gewiß gehen lassen!«

»Ja, – und 's Fräulein Finchen?«

»Geh doch, – die! Das tät uns gar net einfall'n, die z'fragen.«

»So oft, – und alleweil seid ihr wieder 'naus? Is 's denn gar so schön draußen?«

Sie wird ganz aufgeregt. Sie beschreibt und malt aus, wiederholt die komischen Ausdrücke der schwarzen Leute und zittert ordentlich vor Eifer.

»Was ist denn aber eigentlich passiert?«

»Passiert! Ja, was soll denn passiert sein? Heimlich 'naus sind wir halt.«

Sehr bedenklich neigt und wölbt sich Traudls Unterlippe wieder.

»So schön und lieb sind s' und so furchtbar g'spaßig, und der Häuptling ist der allerbrävste. Der hat uns so arg gern. Sogar g'streichelt hat er mich oft. Und jetzt dürfen wir nicht mehr 'naus. Der Otto hat furchtbar g'schimpft und g'sagt, er wüßt schon, daß die Eltern uns alles durchgehen ließen. Er aber tät uns alle Knochen im Leib zusammenhauen, wenn er hören tät, daß wir wieder zu die Nubier wären. Er ließ net zu, daß sich die Leut drüber aufhalten und Zeug reden täten. Überhaupt wär ich ein Aff', ein eitler und verlogener, und nach dem Sonntag, wo neulich der Herr Manzinger bei uns war, hat er g'sagt, ich wär jetzt schon so kokett wie eine Alte, und am Abend hab' ich g'hört, wie der Otto am Gang draußen zur Hela, vor die weg ist, auch noch g'sagt hat, ich wär schon halb verdorben. Ja, warum soll ich denn verdorben sein, – und was wollen's denn damit?«

Sie weint laut auf.

»Ich hab' ja gar nix getan, als daß ich und der Ludl manchmal die Mädeln von ihrem alten Gelump 'was g'stibitzt haben; und dann haben wir halt auch noch der Fräulein Finerl vorgelogen, wir gingen zu die Sengers hinaus, weil die uns eingeladen hätten. Und daß der Herr Manzinger dann am Sonntag abend in die Kinderzimmer hinter kommen ist, dafür können wir doch gar nichts!«

»Woher hat denn der Otto 'was von den Nubiern gehört gehabt?«

»Vom Ingo; der hat lachend erzählt, daß der Herr Manzinger uns beobachtet hätt', und auch, daß der mir in die Frauenkirch' nach sei, weil er hätt' wissen woll'n, was ich jetzt da wieder zu tun gehabt hätt'. Ganz wild hat mich der Otto angefahren: ›Was hast denn in der Kirch' um die Zeit getan? Gebetet g'wiß nicht!‹ – und hat mich am Arm gepackt, daß ich noch blaue Male hab'. Dazu hat er die Augen gerollt wie ein Narr. Ich hab' nichts wie eine große Wut gefühlt und auch, daß ich ganz blaß geworden bin. Meine Kniee haben mir gezittert und kein Wort hab ich sagen können. Die Isi hat auch noch erzählt, sie hätt' durch 'n Kurt von Rheinsperg gehört, alle Buben täten mir nachlaufen, und ich hätt' mir auch von einem vom Max-Gymnasium auf 'm Eis Schokolad schenken lassen. Net wahr is's. Mir hat der Lausbub im Gegenteil alles abbettelt und überhaupts, – war's schon vor einem Jahr. Ach Onkel Toni, ich bin so unglücklich, so unglücklich! Und dann, – dann –«

Sie schluchzt, daß sie nicht mehr sprechen kann. Er streichelt und küßt sie.

»No, no, – was denn?«

»Die abscheuliche Emmy hat gehorcht, wie ich der Lilli Brandt, vor die mit ihrer Großmama an die Riviera gereist ist, so arg viel anvertraut hab, und hat's die anderen erzählt. Wie dann die Lilli ein paar Tag fort g'wesen ist, hab ich und der Ludl eine furchtbare Sehnsucht nach ihr g'habt. Da hab'n mir miteinander einen ellenlangen Brief nach Italien g'schrieben, das heißt eigentlich hab'n ich g'schrieben. Der Ludl war immer z' faul und hat nur ein paar Wörteln dazu g'stiftet und alle paar Seiten hat er einen runden Kreis g'macht und hat ›Kuß‹ hineing'schrieben. Alles ist ganz gut gegangen g'wesen, weil mir der Herr Manzinger die Adresse g'schrieben hat. Die böse Großmutter von der Lilli aber hat den Brief in San Remo einfach aufg'macht und g'lesen. So was Schreckliches! Ins G'fängnis könnt man die bringen, hat der Ludl g'sagt, wegen dem. Dann ist sie hergegangen und hat die ganze G'schicht an die Hela g'schickt, die sie sehr gut kennt. Jetzt, grad wo ich bei dir sitz, hocken s' daheim beinander, schimpfen über mich und lachen mich aus!«

»Ist die Mama auch dabei?«

»Natürlich! Die wollen s' jetzt grad recht aufhetzen.«

»No, dann ist's gut, weißt, die lacht net und schimpft net!«

»Glaubst?«

»Ja, – g'wiß! Oder stehen am End gar so schlimme Sachen im Brief?«

Traudl wird rot und wendet den Kopf.

»Schlimm grad net, aber arg scho!«

»Was? Schlechtes, dummes Zeug?«

»Nein, schlecht g'wiß net; vielleicht dumm schon eher ein bissel und halt furchtbar viele Sachen, was die gar net zu wissen brauchen.« Treuherzig schaut sie zu ihm auf, »weißt, – i sag dir lieber gleich das eine, was darin steht!«

»Und das wär' dann?«

»Daß ich dich gern' heiraten möcht'!«

Ernsthaft blickt sie ihm in die Augen, ganz ruhig und gelassen. Er ist aufgesprungen und lacht gerade hinaus.

»Ja, ja, – ich weiß schon, daß du zu alt bist für mich, – aber in fünf oder sechs Jahr könnt' ich schon heiraten. Mein Gott, die Zeit vergeht, –« sie spricht ganz im Ton Fräulein von Hartmanns, »und schließlich bist du doch ein feiner und schöner Herr und hast noch alle Zähn' und alle Haar', und die sind gar nicht so grau. Man tät dir gewiß auch gar nichts anmerken, daß du dann arg in die Vierzig wärst. Wir könnten dann auch sagen, du wärst erst dreißig Jahr‹ alt. Ich hätt' ja so gut Platz da bei euch. Der Onkel Franz mag mich – und die Walpurg auch.«

»Das is freilich die Hauptsach!«

Sein trockener Ton frappiert sie. Sie sieht aber nicht, wie es dabei um seine Augen und Mundwinkel zuckt. Während des Sprechens hat sie eine Rosine nach der anderen von dem trocknen Stiel abgeknabbert. Sie springt aus und wirft sich ihm dann wieder an die Brust.

»Oh, geh' doch, – daß du mich gern hast, weiß ich ja!«

Ihn überkommt Rührung.

»Ja, – ja, – alles, was wahr ist. Ich hab' dich gern, – weiß Gott, ich hab' dich gern.«

»Also! Siehst – nur du verstehst mich so recht. Ich pass' gar net zu die andern. Die Mama –«

»Die –« unterbricht sie Buchlehner rasch, – » die unterschätz mir ja nicht, Traudl. Sei froh, wenn du dich einmal dieser Mutter wert fühlen kannst!«

»Nein, nein, – ja gewiß, Onkel Toni! Sie hat halt aber auch nie Zeit. Immer schreiben und schreiben, – oder in der Küch'. Freilich, – wenn s' dann bei uns ist, haben wir auch was davon. Ich hab' sie auch erschrecklich lieb. Sonst aber, – siehst, – heiraten möcht ich nur dich. Man muß sich das doch bei Zeit überlegen. Bei uns daheim ist immer vom Heiraten die Red'. Ich glaub, die Emmy und die Isi möchten's jetzt schon für ihr Leben gern tun. Ich aber hab mich heimlich für dich entschlossen.«

»Das ist mir lieb!«

Doch ein bißchen zweifelnd sieht sie ihm ins lachende Gesicht. Er aber legt es wieder an seine Brust. Über ihren goldig schimmernden Scheitel hinweg macht er dann die reizendsten Zukunftspläne, wie sie sich alles einrichten wollten als Mann und Frau. Später, – viel, viel später! Er versäumt auch nicht, ihr im freundlichsten und doch ernstesten Tone vor allen Dingen äußerste Wahrheit ans Herz zu legen, sich der Folgsamkeit gegen die Eltern und Fräulein Finchen zu befleißigen und sich den älteren Geschwistern, die es doch gut meinen, mehr zu fügen. Sie hört zuerst äußerst vergnügt, nach und nach etwas nachdenklicher zu, lutscht sehr lange an der letzten Rosine und spuckt endlich die Kerne in großem Bogen aus.

»Du, – das net! Bei mir tut man nichts solches, – das sag ich dir schon gleich!« schilt er.

»Ich tu's nimmer, – ich tu's nimmer!«

Sie küßt ihn ab, hat rote Wangen und glänzende Augen, und Kummer und Sorgen sind wie verflogen.

»Jetzt sag' ich dir gewiß immer gleich alles, – gleich!«

»So gehört sich's auch!«

»Ich muß aber jetzt schnell heim. Du, ich fürcht' mich gar nimmer. Kein bißl net. Aber gelt, Onkel Toni, – gelt, nix sagen, wegen, – wegen –«

»Kein Sterbenswörtl – mein Eid!«

Sie zwinkert ihm schlau zu, küßt ihn noch einmal und stürmt hinaus. Der Kanarienvogel und der Zeisig in ihrem mit Schlingpflanzen umgebenen Messinghaus schmettern der Kleinen hell ihre Lieder nach.


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