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Zwölftes Kapitel.

Eine sengende Hitze. Dächer, Mauern, Pflastersteine, alle strahlen glühend zurück, was sie in dem halben Tag schon an Hitze ausgenommen haben. Immer mehr saugen sie ein von dem Brodem, der sie umkocht. Ein tiefblauer, italienischer Himmel wölbt sich über München. Durchaus südlich war auch das Gepräge, das die Stadt bis vor wenig Stunden getragen. Die feierliche Fronleichnamsprozession hatte nach uraltem Brauch in höchstem Pomp die Straßen durchzogen. Der greise Prinzregent, als Stellvertreter des Königs, hohe weltliche Würdenträger und Beamte hatten teilgenommen. Auf den Straßen liegen die zertretenen, halbwelken Blumen, grüne Reiser und duftende Tannenzweige. Geschäftige Hände sind schon dabei, die auf den Plätzen errichteten Altäre wieder abzureißen. Es wimmelt auf den Straßen von festlich gekleideten Kindern, die mit Insignien und symbolischen heiligen Gegenständen und Darstellungen beladen sind. Weißgekleidete Mädchen, die meisten mit gebrannten, gewellten und gesalbten Haaren, die sich widerspenstig unter dem Einfluß der Hitze und des Schweißes des unnatürlichen Zwanges entledigen wollen, Hüpfen lachend und schwatzend voreinander her. Manche gehen auch steif und, sorgsam auf die gestärkten Mullkleider achtend, höchst sittsam neben den Eltern. Von den offenen, reich geschmückten Fenstern sind nun die Zuschauer gewichen. Wer eine Wohnung besitzt in jenen Straßen, durch welche die Prozession zieht, ist eigentlich moralisch verpflichtet, so viele Freunde und Bekannte als möglich, jedenfalls aber deren Kinder, soweit sie nicht selbst an der Prozession beteiligt sind, einzuladen. Gebäck und süßer Wein wird dann gereicht, hauptsächlich aber nach Besichtigung des frommen Schauspiels der berühmte Bock, Weiß- und Bratwürste nebst Bretzeln in märchenhafter Fülle. In den Wirtshäusern ist es unter allen Umständen, ob schlechtes oder gutes, heißes oder kaltes Wetter herrscht, erdrückend voll. Das bäurische und bürgerliche Element herrscht vor. Allein auch Studenten, Beamte, Künstler, kurz im Grund genommen alle Stände, sind vertreten. Aus einem kleinen Gasthof wird sogar jetzt schon einer herausgeworfen. Der hat in seligem Dusel die Situation verwechselt und alle im letzten Fasching gelernten Lieder herunterzuplärren begonnen. Nun sammelt er unter dem Gelächter der Vorübergehenden in komischer Emsigkeit seinen defekten, ohnehin schon vorsintflutlichen Zylinder, ein buntes Taschentuch, eine Krawatte, seinen Hemdkragen und ein völlig leeres Portemonnaie vom Pflaster auf.

In einem Bürgerhause der Kaufingerstraße hat ein Amerikaner sein Junggesellenheim aufgeschlagen. Er versteht es ausgezeichnet, Menschen nach seinem Gusto aufzugabeln. Zwei seiner neuesten Akquisitionen, und wie ihm dünkt die wertvollsten, sind die zwei Künstler Carlo und Ludwig Degenhardt. Er findet, daß sie prachtvolle, originelle Menschen sind, und außerdem die énfants gâtés aller Salons der Gesellschaft. Im Schlafzimmer Mr. Shoots hat man das Bett ganz nach hinten gerückt, einen Wandschirm davorgestellt, den Boden mit einer Wachstuchdecke geschützt und ein Faß mit Hofbräuhaus-Bock aufgelegt. Auf einem improvisierten Tisch sind reiche Vorräte an Bretzeln, Rettichen und kalter Küche mit verschiedenen Salaten arrangiert. Eine mächtige Anzahl Würste dreierlei Gattung harren in der Küche des Angriffes, während eine erste Auslage bereits von den Gästen bewältigt worden ist. Über die Hitze ächzend, rekelt sich eine Anzahl Menschen in den durchaus nicht großen und hohen Zimmern. Ludwig Degenhardt sitzt am Pianino und spielt die unvermeidlichen Bocklieder mit den neuesten Errungenschaften, vom Gesang der Korona begleitet. Die Prozession haben sie unter Gelächter und Ulkereien an sich vorüberziehen lassen wie einen Fastnachtszug. Carlos Verhältnis, ein sehr schickes, dunkelblondes Persönchen, das bereits vier Jahre mit ihm lebt und fast schon vergessen hat, daß sie eine kleine Wasserkellnerin war, tut darüber sehr entrüstet und bemüht sich, die biedere Katholikin herauszukehren. Dabei aber hat sie es sich in ihrer reich mit Spitzen verzierten Toilette so leicht wie möglich gemacht. Sie liegt mehr, als sie sitzt, neben einer Kunstelevin. Die dritte Dame ist ein lustiges, kleines Ladenmädchen, das einer der Herren im Fasching kennen gelernt. Sie lacht und schäkert am offenen Fenster mit einem Mediziner höheren Semesters, der ihr androht, sie da hinunterzuwerfen, wenn sie ihn noch ein einziges Mal mit dem langen Rettigschweif von rückwärts kitzle. Ein langer, hagerer Russe sitzt stumm in der Sofaecke. Er berührt keine Eßwaren, raucht aber Zigarette auf Zigarette, deren Mundstücke und Asche schon als kleiner Berg vor ihm liegen, und trinkt laut- und rastlos Bock.

Die Straßen Münchens, abgesehen von denjenigen, die den Bahnhöfen zuführen und von Ausflüglern belebt sind, werden immer stiller, je mehr die Mittagsstunde vorschreitet.

Wie eine trübe, weiße Glasglocke liegt der Himmel über der Stadt. Mit den schwachen Weihrauchdüften, von denen sie durchzogen wird, mit den letzten verhallenden Glockentönen, die noch in der Luft zu schweben scheinen, schreitet ein Gespenst durch die Gassen. Es geht von einem großen, weißen Haus einer feinen Straße aus und breitet lange, feine Spinnenfüße über ganz Isar-Athen. Scharf tippt es an die Türen, hinter denen man lacht, lärmt, singt, ißt und trinkt, und an die Pforten der grünen Gärten, wo man das gleiche tut. Es stößt an die Schultern derjenigen, die bislang ahnungslos spazieren gingen und vielleicht ins Freie hinaus wollten. Jeden erschreckt es, den es berührt. Ein hämisches, boshaftes Gesicht grinst von dem monotonen, bleiernen Firmament herab. Das Gerücht! Es bekommt Körper, zunehmend, wachsend und gedeihend. Es läuft schneller, immer schneller, um endlich gellende Rufe auszustoßen, die manchen Angetrunkenen nüchtern machen. Es wirkt nicht auf alle erregend. Aber die meisten sind tief davon getroffen. Einige sind noch ungläubig, andere brechen schon in Verzweiflung aus. Solche, die es nicht selbst trifft, zucken die Achseln: »Hab's ja immer gesagt.« – »So hat's gehen müssen!« – »Wir haben uns nicht drankriegen lassen!« – Es summt und brummt, gärt und wühlt und wächst an zum rauschenden Strom. Ein großer Arm davon ergießt sich nach dem glänzenden, eleganten Bankhaus, in dem Hunderte und Aberhunderte ihre Vermögen geborgen haben, und ein Arm erstreckt sich nach der Villa des Direktors in der Königin-Straße. Als wolle eine Revolution ausbrechen, so wüten die friedlichen Münchener Bürger. Kalt werden die Würste, der Bock steht ab in den kaum gefüllten Maßkrügen, und die Radis weinen sich umsonst die Augen aus, so daß sie gänzlich ausgelaugt auf den Tellern liegen.

Die Gesellschaft droben bei Mister Shoot merkt nichts. Nicht einer hat Lust, auch nur ans Fenster zu gehen. Manche sind vom Bock und der Hitze so schläfrig, daß sie in den unglaublichsten Stellungen ganz oder fast schlummern. Andere sind einfach beschwippst und benehmen sich danach. Die Kunstelevin ist aber ganz klar im Kopf; die kann schon einen Happen vertragen. Sie hat sich vorgenommen, den für reich geltenden Russen zu ergattern für alle Fälle, wenn es mit Shoot aus sein sollte. Sie rückt ersterem immer näher; dieser aber trinkt und raucht gelassen weiter, verhält sich vollkommen ablehnend, und wischt jedesmal über die Stelle seines Rockes, die das Mädchen mit aufdringlicher Zärtlichkeit berührte. Endlich springt das junge Ding wütend auf und sieht sich nach dem Gastgeber, ihrem eigentlichen Herrn um. Der liegt hinter der Büfett-Barrikade und dem Wandschirm auf seinem Bett und schnarcht mächtig. Sie murmelt etwas, das wie Schwein klingt, dann wirst sie sich aber doch zu ihm auf das Bett und beschließt gleichfalls zu schlummern. Ludwig Degenhardt ist wieder munterer und klimpert mit einer Hand auf dem Klavier herum, während das niedliche, jetzt sehr angeheiterte Ladenmädchen sich auf seinem Knie wiegt und ihm im Haar wühlt. Der Russe sitzt wie eine Statue, die trinken und rauchen kann. Dicke blaue Tabakwolken wälzen sich in den Räumen. Es riecht nach Alkohol, den Zwiebeln aus den verschiedenen Salaten, dem Küchendampf von draußen und dem Tannengrün vor den Fenstern. Unter der Einwirkung der furchtbaren Hitze fallen dessen Nadeln bereits ab und rieseln die Mauer entlang und hinab aufs Pflaster. Eine Droschke fährt rasselnd vors Haus. Auf der Holztreppe ein eiliger Tritt, ihre Stufen knarren und ächzen. Schrill schlägt die Hausglocke an. Eine Männerstimme, laut, kurz sprechend, in verhaltener Erregung. Darauf die entgegnende der Hausstau. Es klopft, und Professor Buchlehner, der ganz vergißt, den festtäglichen Zylinder abzunehmen, tritt hastig ein. Ludwig springt vom Drehstuhl auf, daß das Mädchen kreischend von seinem Knie gleitet und hinfällt. Sehr langsam und zögernd erhebt sich der Russe von seinem Sitz. Carlo erwacht auf dem Sofa, muß sich erst aus den Armen der gleichfalls dort ruhenden Geliebten herausschälen und blickt aus gläsernen Augen, nur allmählich Buchlehner erkennend, im Kreis umher. Der Professor tritt dicht an ihn heran und winkt auch Ludwig zu sich. Der war schon mißtrauisch geworden und hatte Unheil geahnt, als der alte Freund so unvermutet eingetreten war. Der Künstler kennt Shoot gar nicht, ist überhaupt dem Kreis völlig fremd, und weiß nur durch eine zufällige Äußerung Ludls von den Beziehungen zu dem Amerikaner, wo dieser wohnt, und daß ein Fronleichnamsfrühschoppen bei ihm stattfinden soll.

»Kommts schnell heim, – nehmt's die Droschken, die unten wartet, und laßts von hinten 'rum anfahr'n. Es geht wie ein Lauffeuer schon durch die ganze Stadt, daß, – daß, – keine Seel hat ja eine Ahnung gehabt, – die Isar-Bank ist verkracht, und euer Papa –«

»Verkracht!!«

Die Brüder schreien es wie aus einem Mund. Sie sind plötzlich völlig ernüchtert. Ohne Abschied zu nehmen, geht es in Windeseile die Treppe hinab und gleich darauf scheitert die alte Droschke wieder übers Pflaster. Der Professor schaut ihnen nach, wie sie mit großen Sätzen die Stiegen hinabfliegen, dann atmet er tief auf und wischt sich mit seinem Sacktuch die nasse Stirn ab. Ganz erschöpft fühlt er sich, und seine Beine wanken, als auch er dann hinuntergeht und gleich einem Träumenden mechanisch dem nächsten Droschkenstand zusteuert.

In der Ferne rollt und grollt es; kein Lüftchen regt sich. Schlaff hängen die bunten Fahnen und trostlos sieht's in den öden Gassen aus, auf denen die Spuren vorübergerauschter Herrlichkeit noch nicht verwischt sind.

Die kleine Lustige hat zu ihrem Kummer nichts von den eilig hingeworfenen Worten der Herren erlauschen können; sie lehnt weit herausgebeugt im Fenster und sieht Buchlehner, den sie nicht kennt, in brennender, unbefriedigter Neugierde nach. Sie möchte am liebsten auch fort und grollt Gott und der Welt ob des verpfuschten Fronleichnamstages. Ständig schweigend hat sich der Russe wieder gesetzt, raucht und trinkt, trinkt und raucht.

*

Frau Thilde steht neben dem Lehnstuhl, in dem ihr Mann ganz zusammengefallen sitzt. Nicht mehr der lustige, unverwüstliche Uz. Ein Greis, hilflos, schwach, elend, mit wirrem Kopf und schlotternden Gliedern. Vom Hinterhaus herüber dringt das jämmerliche Wimmern und Klagen Fräulein Finchens. Carlo und Ludwig, deren Nerven zittern und beben, meinen, darüber verrückt werden zu müssen. Ratlos wie ein paar Kinder stehn sie da. Dieser Schlag aus heiterem Himmel! Die Isar-Bank verkracht! Kein Mensch hätte das Wohl jemals geahnt und befürchtet. Wie weit mag der Vater mit Eigenem beteiligt sein? Wenn nur Buchlehner käme! Fragen kann man den Papa auch nichts. Er ist absolut unzugänglich, stumm, und sieht wie irrsinnig aus. Und die blasse, alte Frau an seiner Seite mit den zitternden, blaugewordenen Lippen, geschmückt mit dem neuen und doch schon wieder völlig versteckten Seidenkleid! Mahnend legt sie nur immer den Finger auf ihren Mund und schaut in unendlicher Liebe auf den Gatten herab, den sie mit beiden Armen umschlingt, als müsse sie ihn aufrechthalten. Sie fragt nicht, klagt nicht, spricht nicht. Sie ist nur da. So ganz da! Der unglückliche Mann fühlt das allmählich immer mehr. Sie legt ihre kalten Finger, an denen alte kostbare Ringe blitzen, um sein Haupt. Endlich läßt sie sich auf die Kniee nieder und hört nicht auf, ihn mit zärtlichen Händen zu umkosen. So verrinnt eine qualvolle Viertelstunde. Endlich kommt Anton Buchlehner, wie die Brüder vorher auch, durch die Hintere Gartenpforte. Er wirft einen raschen Blick auf den alten, leichtlebigen Freund. Nun muß er ihn so sehen.

»Degenhardt!«

Keine Antwort.

»Ernst, du, – geh', alter Uz, – nimm dich doch z'samm und sag, was ist!«

Stumm und starr schweigt der Doktor.

»Hast immer gearbeitet und tust's noch heut, wo andere längst auf der faulen Haut liegen und von ihren Zinsen fressen täten. Es kann ja nicht so schlimm sein!«

Aber heimlich durchschüttelt den Professor ein angstvolles Grauen. Er glaubt selbst nicht, daß nur das Verkrachen der Bank die Ursache jener Verzweiflung sei. Ernst Degenhardt versucht sich zu regen. So, als müsse er Glied für Glied erst wieder mühsam gebrauchen lernen. Sein Gesicht, das er nun langsam hebt, scheint nochmal so lang geworden zu sein. Wild steht ihm das zerzauste Haar um den Kopf. Die sonst so lustigen, schlauen Augen sind wie verloschen. Jede Silbe mit Gewalt an die andere fügend, stößt er heraus:

»Alles, – alles, – hin!«

»Papa, – Ernst – Uz –!« Jedem entfährt unwillkürlich der Name, mit dem sie den Gebrochenen zumeist zu nennen pflegen. Aufs tiefste erschrocken stehen sie alle. Die Söhne treten bleich zurück. Auch Buchlehner weiß gar nichts zu sagen. Frau Thilde ringt zuerst nach Atem, schließt die Augen und greift nach der Tischplatte. Plötzlich aber stellt sie sich vor ihren Mann, richtet sich wie die Jüngste kerzengerade in die Höhe und sagt fest, fast feierlich: »Ernst!«

Schüchtern, weh- und demütig, fast wie ein Hund, der erwartet, nun von allen Seiten Prügel zu bekommen, schlägt Degenhardt die Augen zu ihr auf. Wie schutzsuchend greift er nach ihren Händen und legt seine Wange hinein. So mild hatte sie seinen Namen gesprochen. Keinen Vorwurf, kein böses Wort sagt sie. Ist denn das möglich? – Dann irren seine Augen im Kreis herum, immer wieder, immer wieder.

»Die Hela, – der Otto, – die Mädeln,« – noch immer wird Emma mit Isi zusammen genannt, als wäre auch sie noch ledig, – »wo sind's, – sind sie nicht da?«

»Nein, Papa, – nur wir!« Carlo sagt es beruhigend. Ludwig kann sich nicht mehr halten. In Tränen ausbrechend, wirft er sich aufs Sofa. Der Ältere tritt zum Vater. »Wirklich alles, alles?« Dieser nickt nur immer wieder, automatisch, wie drüben der Chinese auf dem Kaminsims. Carlo geht, die Hände in den Hosentaschen, rastlos im Zimmer auf und ab. Ludl starrt wieder emporgerichtet auf den Vater, als wäre der ein Fremder. In den beiden Söhnen überwiegt bereits das Mitleid mit dem so gänzlich gebrochenen Mann den Schmerz, nun arm und nur auf ihren eigenen Verdienst angewiesen zu sein.

»Nimm's nicht zu schwer, Papa!« Carlo drückt die zitterige Hand auf der Stuhllehne, »wenn du auch eine Schuld dabei hast –«

»Wir verhungern nicht,« wirft Ludl ein.

Keines denkt daran, daß Degenhardt anderes auf dem Gewissen haben könnte, als das, das eigene Vermögen leichtsinnig auf eine Karte gesetzt zu haben.

»Liebe Zeit! Uz! Denk doch, daß du jede Stund wieder eine glänzende Stellung bekommen kannst mit dem entsprechenden Gehalt. Wenn du dabei dein eigenes Geld unschuldig verlierst, so wird dich doch gewiß keiner entgelten lassen, daß das Unglück passiert ist,« mischt sich Buchlehner ein. »Du allein bist doch net für die Unternehmungen verantwortlich, denn die von dir beigezogenen Herren vom Aufsichtsrat waren ja doch mit den Transaktionen einverstanden!«

Der Zusammengekauerte krümmt sich wie ein Wurm. Dann stöhnt er: »Meine, – meine Schuld! – Nicht nur das Unsere ist hin, – 's ist ja alles fort, von diesen Hunderten von Leuten!«

Er spricht so leise, daß man ihn kaum versteht.

»Ernst, – Ernst! Komm', schau' mich an,« fährt Frau Thilde nun fort, die vorher unterbrochen worden war. »Schau' mich an, deine alte Frau! Alles will ich tun, dir das tragen zu helfen und gerne entbehren, damit wir für die Kinder wieder sparen können, nur, – nur –« die Stimme versagt ihr fast, wie sie ihm zuflüstert: »Versprich mir, daß du wieder mein lieber, lustiger Uz werden willst!«

»Seid net so, – net so gut, – net so gut. Ich kann's net vertragen. Ja, wollt ihr mich denn nicht verstehen? Ich sag's euch, ich schrei's euch zu, durch meine Schuld, durch meinen leichtsinnigen Wagemut ist die Bank verkracht und sind so viele bettelarm geworden. Was hilfts, daß die Herren vom Aufsichtsrat auch für die Transaktionen waren. Ich war's doch schließlich hauptsächlich, der gemeint hat, man solls ruhig riskieren, weil doch bis jetzt alles gut ausgangen is!«

Degenhardt ist jäh aufgesprungen, aber Frau Thilde drückt ihn mit aller Kraft wieder in den Sessel. Buchlehner bringt ein Glas Wasser, das er dem Erregten aufnötigt. Die Frau hält ihren Mann fest bei den Händen. Trotz dem neuen Schrecken, der die zwei Söhne abermals fassungslos zu machen scheint, klingt ihre Stimme ruhig und gefaßt.

»In aller Ruhe laß uns dem Schicksal entgegenschreiten. Selbstverschuldet, – froh geduldet! Was geschehen ist, – ich kann's ja noch gar nicht recht fassen – muß eben getragen sein. Und zusammen, Ernst, da wird es schon gehen, – verzweifle nicht! Vierzig Jahre, denk' daran, haben wir in Glück und Wohlstand verlebt, alle unsere Kinder sind längst groß und arbeitsfähig, du und ich rüstig und auch noch schaffensfreudig. Wollen wir klagen, wenn auch uns die harte Hand von oben trifft? Kein Kind verloren von neunen, kein ernstliches Unglück gehabt bis jetzt, bis auf die Geschichte mit der Isi, siehst du, Ernst, wenn nun, – und wäre es auch, weil du einen Irrtum begangen, denn etwas Unehrenhaftes würdest du nie tun, – und wenn das alles zehnmal geschehen ist, Kopf oben! Und endlich haben auch wir unser Geld verloren wie diese anderen! Sieh', wir kommen schon noch durch bis zur letzten Fahrt und können vielleicht auch noch etwas gut machen. Du bist ja jünger, kräftiger und arbeitsfreudiger wie der Jüngste. Ein Tausendsassa! Kannst du's auch nicht mehr ändern, was du gewiß ohne ernste Schuld deinerseits über viele gebracht hast, der Umstand, daß du selbst ein Opfer derselben bist, mag dich auch wieder entschuldigen. Du bist ganz der Mann, eine Bürde zu tragen, unter der jeder andere erliegen würde!«

Ungläubig sieht Degenhardt auf seine Frau. Er kann's nicht begreifen, daß nicht sofort ein Heiligenschein und zugleich eine goldene Krone auf ihrem Haupt auftaucht. Ist sie doch Heilige und Heldin zugleich.

»Thilde, – alte, – liebe, – mein Schnakl, mein Schnakl!«

Jetzt bricht er in heiße, erlösende Tränen aus. Es ist, als rüttle der Sturm einen alten Baum hin und her, denkt Frau Thilde. Aber nein, dieser Baum da ist noch lange nicht morsch!

Carlo, Ludwig und Buchlehner stehen tief erschüttert. Keiner hat jemals zuvor Degenhardt wirklich weinen sehen. Ganz plötzlich hört das wilde Schluchzen auf; eine fahle, graue Farbe tritt an die Stelle der weißlichen Blässe, die das Gesicht bedeckte. Ein tiefes Aufatmen, – zu dritt springen sie herbei, Frau Thilde zu stützen, die einen anscheinend völlig leblosen Körper im Arm hält. Jetzt aber verläßt die Starke endlich auch die Kraft.

Und während fast alle im Haus um den Ohnmächtigen, der im Bett liegt und um Frau Thilde, die von einem Herzkrampf befallen ist, beschäftigt sind, tobt draußen das Gewitter. Blitz und Donner, Hagel- und Regengüsse! Der Vorgarten gleicht zu zwei Dritteln schon einem wilden Bach, der in rasender Zerstörungswut all die Junipracht verwüstet, die so üppig blühte und duftete.


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