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Sechzehntes Kapitel.

Sie sitzen vergnüglich um den großen, runden Tisch unter den Kastanien. Die Herren rauchen, die Damen, – Grete und die Pfarrerin, die zu einem Plauderstündchen gekommen sind, – machen Handarbeiten. Gertrud stickt an einem russischen Kittelchen für Toni und hat als Muster das erste, fertige, das für Lise bestimmt ist, auf den Knieen. Grete schindet sich fabelhaft an irgend etwas Rundem, Rätselhaftem, wie Herr von Dombrowsky neckend meint. In Wahrheit ist's ein Tabaksbeutel, den sie sehr unverfroren zu dem demnächstigen Geburtstag Willy Wedekamps fertigt. Detlev läßt dem jungen Ding keine Minute Ruhe und zerrt es immerzu, wie Gertrud sagt. Grete gibt aber alles reichlich zurück, und ihr Vater ist stets außer sich über seiner Tochter Antworten, und wie das Kind mit dem Baron umspringe. Der sagt sehr ernsthaft: »Da lob' ich mir die Arbeit der Frau Pastorin! Das sieht doch jeder gleich, daß es Mützen werden!«

Grete jubelt. »Hat sich was! Mützen! Oh je! Leibbinden sind's ja!«

Aber jäh verstummt sie, indem sie die blühende Farbe wechselt. Vom Gittertor den Fußweg entlang kommt der neue Forstassistent. Die Büchse über der Schulter, dicht an den Fersen zwei Teckel.

»Sieh da, – Herr Wedekamp, – das ist ja schön!«

Der Professor steht leicht und mühelos auf und geht dem neuen Gast Willkomm bietend entgegen. Man macht diesem im Kreis Platz. Der Baron zieht einen Stuhl herbei, stößt ihn mit dem Fuß, wie unabsichtlich neben das junge Mädchen und spielt dazu harmlos mit den Hunden. Während die anderen lebhaft durcheinanderschwatzen, spricht er mit den Krummbeinen, aber jedes Wort gilt Grete: »Im Wald wart ihr eben, was, ihr Köterchen? Habt ihr auch die schöne, neue Bank gesehen, auf deren Lehne so rätselhaft über Nacht Margaretenruhe geschrieben wurde? Die Bank, vor der der gelbe Kamm lag, den ich gefunden, der schöne, gelbe Kamm hier in meiner Tasche? Komm her, Lady, lasse nur Fräulein Grete! Brauchst sie gar nicht zu beschnuppern, – die hat keine Zeit mehr. Nicht für euch und nicht für uns. Eine Wetterfahne ist sie geworden. Nicht wahr, Hansi?! Jede Stunde anders. Da, Lady und Hansi, – Apport! Schnell Apport, den Kamm, der bei der Bank, – hinter der Bank, – Margaretenruhe –«

»Ach, Herr Baron!« wispert ihm Grete flehentlich zu. Sie ist aber dann ganz versöhnt. Erstens durch Dombrowskys Stuhlarrangement, das den Geliebten an ihre Seite bringt, zweitens durch dessen Bitte an den jungen Mann, er möge doch unten bei den Silberweiden später sehen, ob nicht wieder neue Fallen gestellt seien. So würde sie dann mit dem Hausgenossen einen feinen Heimweg haben!

»Autsch, – die eklen Hummeln!« Grete kämpft gegen die zwei plumpen Dinger an, die es auf ihre bernsteinfarbenen Haare abgesehen haben. Die beiden Ungeheuer mit ihren schwarzgelben Leibern umsummen und umbrummen sie fortwährend. Der galante Nachbar beschäftigt sich eifrig und hingebend mit der Verteidigung dieser reichen Flechtenkrone. Endlich springt das junge Mädchen nervös auf. Natürlich sofort der Forstamts-Assistent gleichfalls.

»Weißt du, Gretl, du könntest rasch ein paar Frühbirnen hinten beim Zaun holen. Die Kinder werden schon daran sein,« meint Gertrud, weiß aber genau, daß das Fräulein mit den Kleinen nach dem Bach gegangen ist. »Und Sie könnten dabei helfen, Herr Wedekamp. Wissen Sie, da wo's zu hoch hinauf ist zum Beispiel.«

Grete wirft der Freundin schon hinterm Nußbaum voll glühender Dankbarkeit eine Kußhand zu.

»Ich werde auch mithelfen,« erklärt sofort der Baron mit dem ernstesten Gesicht von der Welt und schließt sich dem jungen Paar an. Herr Wedekamp bemüht sich, eine unbewegte Miene zu machen, Grete aber schießt zornige Blicke, und eine dunkle Röte steigt ihr in die Wangen. Bei der Rosenhecke macht ihnen Dombrowsky eine tiefe Verbeugung:

»Da ich mich jetzt von Ihnen beiden genügend zum Satan gewünscht fühle, habe ich die Ehre, mich Ihnen bestens zu empfehlen!« –

Das Körbchen für die Birnen ist dann recht leer, die Gesichter des Paares recht erhitzt, und ihre Augen recht glänzend, als sie zurückkehren.

»Ich finde, das sind sehr wenig Birnen,« meint Detlev tückisch.

»Die meisten hingen entsetzlich hoch,« beteuert dagegen Grete.

Der Professor, den es sehr schmerzt, ohne daß er es eingesteht, nun nicht mehr Jäger sein zu dürfen, legt dem jungen Wedekamp noch allerlei ans Herz. Er will seine ausgedehnte Jagd jetzt ganz und gar verpachten, und der Oberförster soll ihm behilflich sein. Eine warme, ausgeglichene Stimmung ist über alle gekommen.

Es fügt sich selten, daß Detlev von Dombrowsky und Gertrud allein sind. Trifft sich das, so reden sie ganz Allgemeines. Der Baron liest viel und bespricht sich dann mit Halliger. Auch treiben sie zu dritt an den Abenden im Gartenzimmer Literatur, in welcher Art es sie gerade danach gelüstet, und was sie zunächst interessiert. Jedes liest gut in seiner Art. Am liebsten mögen die beiden, wenn Halliger es übernimmt. Sein Vortrag ist prachtvoll und seine Stimme weich. Die junge Frau stickt, näht, flickt auch wohl einmal, oder sie setzt sich ins tiefste Dunkel, lehnt sich tief in den Schaukelstuhl und raucht Zigarette auf Zigarette.

Fürs erste hat Detlev festgestellt, was man zu dem Verpachteten noch hinzukaufen müßte, um aus Seedland ein schönes Herrengut zu machen. Aber er verhehlt nicht, daß es ihm damit nicht pressiere. Plötzlich meint er, doch mehr an Dromshoff zu hängen, als er selbst gewußt. Überdies war der Plan geschmiedet worden, als Halliger noch keine Ahnung von seinem kommenden Leiden hatte. – – –

In den letzten Augusttagen erklärt der Baron, daß er morgen reisen müsse. Wirklich kann man den Gutsherrn nun nicht noch länger egoistisch seinen Pflichten entziehen. Jedes empfindet, wie segensvoll sein Bleiben gewesen, und jedes ist ihm dankbar. Sogar Kathl, die er auf der Treppe trifft, als er zu der Henkersmahlzeit heruntergeht, meint:

»Ihna, Herr Baron, wann mir net g'habt hätt'n! – Dös hat so viel g'holf'n; denn jetzt sin mir dös Arge scho besser g'wohnt, g'rad, wie da arme Herr selm auch.«

Noch ein gemütlicher Abend. Alle drei bemühen sich, möglichst Interessantes, Fernliegendes zu besprechen. Von Grete und ihrem Liebsten ist viel die Rede, und daß sie noch ziemlich warten müßten, bis Wedekamp imstande wäre, zu heiraten. Auch von den Wilderern spricht man, und daß der junge Mann neulich, wie er glaubt, eine Spur gefunden habe.

»Schlimme Kerle sind es auf alle Fälle und nicht nur für den Wildstand,« wirft Detlev ein.

Und Halliger ergänzt: »Wenn es nur gelänge, sie zu fassen, bevor sie noch ernstes Unheil anrichten.«

Vom Hundertsten zum Tausendsten kommt man im Gespräch, nur von zwei Dingen ist nicht die Rede: von des Professors Befinden und von des Barons morgiger Abreise. Kurz vor dem Zubettegehen wirft dieser hin: »Es kann wohl sein, daß ich den Winter auf Sizilien verbringe; ich fühle Reisefieber in meinen Knochen.« – »Oh,« macht Halliger nur. Gertrud blickt Detlev kurz ins Gesicht. Sie ist blaß geworden. Der Professor steht auf und nimmt des Vetters Hand.

»Ich bitte dich, daß du vorher noch einmal, und wär's nur eine Stunde lang, kommst. Es wäre mir ein solcher Trost, und ich meine, in den nächsten Wochen müßte sich in meinem Zustand manches klären.«

»Na, also im Herbst!« Der Baron läßt seine Stimme krampfhaft anwachsen, daß sie schallt, und man kann sehen, daß er sich zur Heiterkeit zwingt, um nur ja nicht weich zu werden. »Und kurz und gut, – ich danke euch beiden!«

»Nein, – wir danken dir

»Gut denn, auch recht, – so bedanken wir uns denn eben gegenseitig, – und, – lebt einstweilen wohl!«

»Bis zum Herbst!« sagt mechanisch Gertrud.

»Ich möchte wohl noch einen Sprung zu den Kindern hinauf. Wenn sie auch schlafen, – oder gerade deshalb, – nur kein Abschiednehmen, wenn man's irgendwie vermeiden kann. Sie wissen gar nicht, daß ich morgen gehe?«

»Keine Ahnung haben sie. Wollen Sie nun mit mir kommen?«

Dombrowsky umarmt Halliger: »Also tapfer voran, und bald gute Nachrichten.«

Der Professor nickt und sieht dann tief in Gedanken verloren, mit großen, versonnenen Augen, dem Paar nach. Ein schmerzliches Lächeln irrt um seinen Mund.

– Sie stehen nun vor den kleinen Betten, und Gertrud läßt das Licht des Ganglämpchens, das sie mit hereingenommen hat, unbeschattet auf die Gesichter der Kinder fallen. Sie erfreuen sich eines tiefen, trefflichen Schlafs und sind keine nervösen Stadtpflanzen. Bei Lise bleibt Detlev nur kurz stehen. Sie hat sich lange nicht so sehr in sein Herz gestohlen wie To. Dem streicht er erst ganz leise über die runde Wange, bevor er ihn küßt. Viel länger und wärmer als vorher das Mädchen.

»Der ist Ihnen am ähnlichsten, innerlich wie äußerlich!«

Sie lächelt wehmütig und verfolgt seine Finger wie sie nervös über die Kissen gleiten.

»Daß das Ihre Kinder sein können! – Und doch: Eines in Ihnen Frau Gertrud ist das Allergrößte, Heißeste und Wacheste: die Mutterliebe!« Er zeigt auf die schlafenden Kleinen. »Diesen da würden Sie alles opfern, Ihr ganzes Ich und wär's möglich, darüber hinaus!

»Ja!« Laut, stolz und stark klingt es. Sie gehen. Schwerer und schwerer legt es sich auf Gertruds Herz. Im Gang ist's finster, denn außer dem kleinen Lämpchen, das Detlev wieder auf das Bort gestellt hat, brennt kein Licht mehr.

»Leben Sie wohl, Sie tapfere, liebe, liebe Frau. Wenn ich sage, daß Sie und Roland mir mein Bestes geschenkt, so ist das keine Lüge. Könnte ich Ihnen doch alles Glück von den Sternen holen, aber –«

» Kann wirklich keine Macht meinem Mann mehr Gesundheit geben?«

»Gertrud!« Es klingt wie beschwörend, sich keinen Illusionen hinzugeben. »Behalten Sie Mut, Kraft!«

Zischend verlischt das Lämpchen; im Dunkel hält Detlev eine eiskalte, kleine Hand, die er an die Lippen zieht.

»Im Herbst,« stößt er rauh hervor; »noch einmal, zum Abschied dann, aber zum wirklichen!«

Er läßt ihre Hand fahren. Gleich darauf fällt die Tür seines nebenangelegenen Zimmers ins Schloß. Die junge Frau ist allein. Kühl weht es die Treppe herauf; das Wetter will umschlagen. – –

Eine gähnende Lücke, die sich gar nicht mehr schließen will, bleibt, nachdem der Baron gegangen. So viel als immer möglich, versucht Gertrud, die Kinder heranzuziehen, aber sie können eben den Geschiedenen auch nicht ersetzen. Keine Stunde weicht Gertrud mehr von ihrem Mann. Dessen Befinden verschlechtert sich langsam. Das eine Auge verstellt sich, als schiele er, und das rechte Bein wird zusehends schwächer und bleibt es auch. In den schönen Septembertagen fährt die Frau von Seedland gar oft den Kranken im Pony-Wagen spazieren, aber nicht wie früher geht es in Saus und Braus, sondern sachte und langsam. Dann erträgt der Professor das Fahren gar nicht mehr. Klagen aber gleiten niemals über seine Lippen.

Eines Tages kommt zur großen Freude und allgemeinen Überraschung Ludwig Degenhardt angerückt. Er kann kaum einen Ausruf des Schreckens unterdrücken beim Anblick des Schwagers. Es dauert eine Weile, bis er sich soweit zu fassen vermag, harmlos mit diesem zu Verkehren und seine alte Lustigkeit zur Schau zu tragen. Unaufhörlich erzählt er von zu Haus. Wie der Vater nach der Katastrophe wieder ganz der alte Uz geworden und fleißiger denn je sei, die Mutter sich so trefflich fühle und alles im guten Geleise weiterginge. Von Isi hätten sie noch aus der Schweiz eine Karte mit drei Worten gehabt, sonst wüßten sie nichts von ihr. Die Emmy? Brrrr. – Und der ihr Mann?! Pfui Teufel! Präsidents seien, – vermutlich weil ihnen die große Schweiz doch zu Isi-Verdächtig gewesen, an die Nordsee gereist.

»Aber Onkel Toni?« erkundigt sich Gertrud warm.

»Ganz der Alte oder der Junge. Seit diesem Vierteljahr, in dem du ihn nicht mehr gesehen hast, hat er sich nicht verändert. Er reist nach Schottland und England, denk dir nur; – ich hab' dabei so meine Gedanken. Er spricht nichts, – kein Wort natürlich darüber, – aber ich gab' ihn im Verdacht, daß er mit seinem guten Herzen nach der Isi ihrem englischen Ablegerl schauen will.«

»Gräßlich! Ist es denn auch wirklich wahr, Ludl? – Und das arme Kind lebt? Seine Mutter kümmert sich nicht darum?«

»Gar kein Schein! Sie zahlt grad das Kostgeld. Und dann, – das wird nicht leben! Natürlich lebt's! Solche Kinder sterben nicht so leicht! Aber jetzt sei so gut und mach' dir wenigstens dadrum keine Sorgen. Mir scheint, du hast von dem Artikel schon genug.« Er sieht der Schwester scharf ins Gesicht: »Du armes Hascherl, du! Daß das über euch hat kommen müssen. Mich hat eine böse Ahnung hergeführt. Abergläubisch möcht' man werden.«

Dabei denkt er auch an jene längstvergangene Stunde in der Liebfrauenkirche und an die geisterhafte Dornenkrone über dem Haupt der Schwester.

»Und sonst? Bist du wenigstens gesund, Trauderl?«

»Ja, ja, Ludl, du Guter! Aber, du kannst dir denken, daß es nicht leicht ist und daß es an einem nagt, einen solchen Mann leiden zu sehen.«

Voll Teilnahme sieht er sie an. Darauf gehen sie zu den Kindern. Über To freut er sich herzlich. Sie beobachten dann Lise, die vor ihrem Kaufladen steht und sehr ängstlich mit kleinen Gewichten abwägt, wieviel dem Bruder für seine zwei echten Pfennige von den Schokoladeplätzchen, die er erhandeln muß, gebühren. Kaum sieht Ludwig die Kleine, so ruft er impulsiv aus: »Donnerwetter, – die reinste Hela!« Aber gleich reut es ihn wieder, und er fügt rasch hinzu: »Ich mein' nur! G'rad ein so tadelloses, strenges Profil, – natürlich! Sie ist ja noch so ein Kinderl, – und dann überhaupts, –!«

Aber Gertrud weiß es längst selbst: Die Natur hatte sich einen Wiederholungsscherz erlaubt. Die Kleine ähnelt nicht nur im Äußeren der Tante. Die Mutter seufzt und nimmt sich aufs neue fest vor, alles zu tun und anzuwenden, um die guten Eigenschaften, die Lise von Hela geerbt, möglichst heranzuzüchten und die minderen zu unterdrücken.

Später wird noch viel von Detlev von Dombrowsky gesprochen, das heißt, hauptsächlich erzählt der Professor von ihm, die Kinder und Grete Mannes. Diese wird sofort, wenn auch anscheinend scherzhaft, von Ludwig bestürmt, ihm als Modell zu dienen.

»Jawohl, Herr Degenhardt, wenn Sie mir versprechen, mir mindestens eine gute Skizze zu schenken.«

»Gewiß, natürlich, für Ihren Herrn Vater, oder wünschen Sie vielleicht noch eine?«

»Ja, – für meine Tante,« lügt sie keck, und der Übermut bricht ihr dabei aus den Augen. »Deine Tante, – meine Tante,« summt Ludwig vor sich hin und schaut dabei auf die weiße, staubige Straße hinaus. Dort geht ein Jägersmann mit zwei Teckeln und lugt rastlos hinauf zum Terrassenplatz statt zu der Gruppe unter der Haselstaude. Grete, die zum Spaß schon eine Pose eingenommen, vergißt völlig darauf, wird dunkelrot und macht rasch eine winkende Armbewegung. Herr Degenhardt aber pfeift mit schlauem Gesicht eine kleine Arie, indem ihm ein helles Licht aufgeht. Von dieser Stunde an heißt bei ihm Herr Wedekamp die Tante! – »Du, sei so gut und verlieb dich nicht,« warnt Gertrud den Bruder. »Der Herr Jägersmann schießt dich sonst eines Tages nieder!« Aber, was hilft das. Ludl ist schon längst wieder nach seiner Art verliebt in die famose, fesche Gretl. Das versichert er auch kaltblütig deren noch inoffiziellem Bräutigam mit dem zweifelhaften Trost, daß er ja doch bald wieder abreise. Das tut er auch. Er besitzt gar nicht das Talent, für andere, und sei es selbst für den Heiligen und seine Traudl, sich zusammennehmen zu können. Alle Krankheit, alles Elend ist ihm ja hier doppelt furchtbar. Und helfen kann da doch keiner. Sein Abschied dauert lange, ist aber recht heiter. Mit der Schwester, den Kindern, Grete und Wedekamp geht er bald wieder die Heide entlang, ein Stück gegen Blankdorffen zu. Der Ponywagen folgt. Ludl rast mit den Kindern umher und legt Grete eine Menge Altweibersommer-Fäden ins Haar. Zuletzt aber, kurz bevor er den Wagen besteigt, wendet er sich einfach an das junge Mädchen, das Schulter an Schulter mit ihrem Jägersmann vor ihm steht, der sich sehr mit dem Maler angefreundet hatte:

»Sie, Fräulein Gretl und Jägersbraut, – hellichter Fratz übrigens noch, – und Kindskopf nebenbei – geh', geh'n S' her und geben S' mir ein Busserl!« – Verblüfft starren sie ihn alle an. Dann brechen sie in Lachen aus, und Traudl ruft: »Der ist doch zu unverschämt!«

Aber Grete, nach einem kurzen Blick auf ihren gutmütig lachenden Willy, schlingt einen Arm um Ludwigs Hals und küßt ihn herzhaft auf den Mund. »Höchste Zeit!« ruft Peter, der Knecht hinter den Haselhecken hervor, wo der Wagen wartet. »Donnerwetter, ja, – höchste Zeit!« meint sehr zweideutig Ludwig Degenhardt auch. »Also, behüt euch Gott, alle miteinander! Besonders dich, liebs Trauderl, mit dem lieben Schwager! Und grüßt mir die unbekannte Größe, diesen Baron, ja recht herzlich, wenn er jetzt wieder anrückt!« – –

Die Kinder laufen nach Sardennen zu dem Vater entgegen, der ihnen langsam eine Strecke Weges gefolgt ist. Grete begleitete ihren Bräutigam ein Stück nordwärts ins Moor. So ist Gertrud bald allein auf der weiten Heide. Sie denkt, wie es gewesen vor einem Jahr. Und übermorgen ist wieder Kirmes in Sardennen.

*

Während die lustige Musik herüberklingt, und es ist, als hakten sich die Töne ein, in jeden Halm, dem noch die Tropfen vom gestrigen Regen wie Demanten funkelnd anhängen, gehen Gertrud und Detlev einen martervollen Weg. Das Pony hatte sich lahm gelaufen und hätte den Weg nach Blankdorffen nicht machen können. Halliger aber weiß, wie ungern der Vetter ein fremdes Fuhrwerk benützen würde, und daß er es so liebt, bei gutem Wetter zu Fuß über die Heide zu wandern. So meinte er, seine Frau solle mit dem Doktor, der in Blankdorffen zu tun hatte, dorthin fahren, um dann mit Dombrowsky den Heimweg zu Fuß zu machen. Das wenige Gepäck könne der Milchjunge ja auf seinem Karren mitbringen. So geschah es auch. Fünf Wochen ist es erst, daß der Baron Seedland verlassen, aber er sieht sehr schlecht und abgearbeitet aus. »Detlev, was ist mit Ihnen? Was haben Sie angefangen? Sie sind ja ganz elend geworden in der kurzen Zeit!«

Er schlägt einen möglichst leichten Ton an.

»Ja, nicht wahr? Ich hatte nämlich gesunden, zu sehr an Gewicht zugenommen zu haben, – entschieden auch durch die Fleischtöpfe Ägyptens, – Pardon, wollte sagen Seedlands, – da schweningerte ich etwas und übertrieb das wohl. Außerdem hatte ich zu Haus in diesen Wochen viel Arbeit und mancherlei Ärger.«

Sie fühlt, daß es Ausreden sind, und schweigt.

»Übrigens könnte ich Ihnen die Frage zurückgeben, Frau Gertrud. Sie haben meine Ermahnungen, auf Ihre eigene Gesundheit zu achten, wohl schlecht befolgt. Was soll werden, wenn Sie sich innerlich von dem Jammer, den Sie vor sich sehen, so unterkriegen lassen?«

Von Sardennen her jubilieren die Geigen, die Heide duftet in ihrem letzten Schmuck und der goldene Sonnenglast badet sie so reich, daß echte Sommerwärme ihr zu entströmen scheint. Er ist ganz nervös.

»Diese Musik, die Geigen, – hören Sie? – was ist das?«

»Kirmes in Sardennen!«

Sie halten im Gehen inne. Und mit einem Mal will ein tolles, unsinniges Verlangen zu tanzen wie ein Rausch Gertrud überkommen. Tanzen! Tanzen mit Detlev, – stundenlang, bis ihr der Atem verginge. Er sieht sie an, die Fremdes im Gesicht, in den Augen trägt. Etwas Bacchantisches, – Dionysisches, Neues, – ein zuckendes, wildes Leben scheint ihren elastischen Körper zu fassen. Sie sprechen nicht. Hinter den schützenden Haselbüschen stehen sie und feuerrot leuchten drüben die Früchte der wilden Rosen, um ein Kreuz geschlungen, das ein Katner seiner dort verunglückten Frau errichtete. Nein, – schnell fort, – heim, – was will, was soll dieser Zauber und Mittagsbann? Wenn doch nur die Geigen nicht tönten – wenn sie nur nicht gerade heute da drüben Kirmes feierten, und es nicht Herbst wäre. Und gerade den liebt Gertrud mehr wie jede andere Jahreszeit. Sie sieht ja keinen wüsten Verfall, nichts Trauriges in seiner bunten Schönheit, die gar nicht Tod, sondern nur stärkenden Schlaf bedeutet. Nie glaubt sie kraftvoller, jünger, belebter zu sein, als wenn er mit seinen Früchten um sich wirft. Und dieses fremde Sehnen, das wilde, das sie vor einem Jahr in zehrendem Verlangen zur Tanzmusik getrieben, kehrt wieder. Trotz ihres Kummers, ihrer Trauer, ihrer großen Liebe zu ihrem Mann, trotz allem und allem wühlt in ihr die unbegriffene fremde Macht. Unter dem plötzlichen Toben ihres Blutes weiß sie jäh, daß das alles nichts zu tun hat mit der Liebe zu ihrem Gatten, und daß es doch ein Etwas ist, ein großer Teil ihres Seins, das dieser nie besessen, daß es das ist, was ihm durch sie, und was ihr selbst fremd geblieben. Das löst nun eine stille Mittagsstunde aus auf der herbstlichen, heißen Heide. Mit Augen, die seltsam glühen, steht sie nun Detlev von Dombrowsky gegenüber und starrt in die Weite. Die Musik, nach der sie sich noch so eben gewiegt, verstummt. Gertrud veratmet, als hätte sie wirklich getanzt und kommt zu sich, wie aus einem Traum erwachend. Die silbernen Fäden mit den Gräsern neigen sich, obwohl sie scheinbar kein Windhauch bewegt. In der Espengruppe, deren Blätter in nervösem Spiel rascheln, lebt es wie im Frühling. Die junge Frau läßt sich auf den Boden nieder, und ihre Finger greifen in einen Büschel welker Gräser, die ihren Nacken umflattern wie langes, blondes Haar. Aus dem Buschwerk kommt das zärtliche Gegurre wilder Tauben und in Sardennen setzt die Musik wieder ein. Die singenden Geigen und Flöten mischen ihre berückenden Töne. Sie kommen herüber und stürzen sich in dieses Meer von Gerüchen eines starken Lebens, einer unendlichen, der Erde entströmenden Fruchtbarkeit. Ganz langsam umfängt eine Art Narkose das Paar. Hoch dehnt und wölbt sich wieder die Brust der jungen Frau bei dem alles überjauchzenden Jubel einer einzelnen Geige. Weite, große Augen begegnen den fiebernden des Mannes, der plötzlich die Arme hebt, um sie dann eisern um Gertruds bebenden Leib zu schlingen. Ganz halt- und willenlos läßt sie sich von dem Knieenden an sein Herz reißen. In einer sinnlosen Leidenschaft suchen seine dürstenden Lippen die ihrigen, die sich dann unter dem heißen Druck halb öffnen. Eine Sekunde lang währt der Taumel; und plötzlich sehen sie beide eine unendliche Tiefe, dunkel und schwarz drohend auf ihrer einen Seite, einen blühenden Garten Eden auf der anderen gebreitet. Zugleich springen sie in die Höhe. Die eiskalten Hände ineinander ringend, murmelt Gertrud immer wieder das gleiche: »Das ist es, – das ist es, – das Leben, – das andere, – das ist es, – das ist es!«

»Gertrud!« Dann zieht er die geliebte Frau sanft wieder zu sich heran. In unendlicher Zärtlichkeit streichelt er ihr schimmerndes Haar:

»Nein, nein, – nicht nehmen, nicht stehlen, nicht ihm! Und auch nicht ein Kind wie dich trostlos machen! Du, – o, du!« Ein tiefer Schmerz klingt durch seine Worte. »Wache nicht auf, – nein, wache nicht auf!«

Sie schüttelt traurig den Kopf. »Kein Kind mehr, – und längst kein Schlummer mehr. Das Erwachen war schon gekommen, – gleich damals, als, – als –«

»Ich weiß – im Sommer!«

Sie drückt die Finger an ihre Stirn. »Was ist es, wie konnte das kommen? Ich – ich habe Roland doch so lieb!«

Detlev nickt und nickt. Wortlos und mechanisch. Dann nimmt er ihr Gesicht in seine Hände:

»Daß das Große, das Herrliche und zugleich Schreckliche auch zu mir kam, weiß ich lange, lange. Und deshalb wußte ich auch, daß ich gehen müßte. Müßte

Die Geigen von Sardennen her klingen nun trotzig und stark. Mit ihnen scheint immer mehr von der Glut des Mannes, der die Frau vor sich mit jeder Fiber begehrt, auf diese überzugehen. Fremdes, Berauschendes, Namenloses und noch kaum Begriffenes dringt auf sie erneut ein. Das wirkliche Leben, wie es echt und wahr ist, schaut ihr mit lachender Grausamkeit in die Augen. Plötzlich bricht die Musik wieder ab. Durch die eingetretene Stille dringt nur mehr das heftige Atmen des Mannes. Ungeheure Ruhe, die etwas Erstarrendes in sich birgt, breitet sich in der Runde. Von überall her scheinen Schatten Gertrud traurig zuzunicken. Alle tragen sie die Züge Roland Halligers. Sie schrickt zusammen. Hat jemand laut und heischend: »Vergiß!« in diese Stille hineingerufen? Sie wischt über ihre Augen, die im grellen Mittagsgeflimmer brennen.

»Nein, vergessen, – das nicht! Das könnt ich nimmermehr!«

Der Baron horcht auf diese Worte, die von einer Träumenden gesprochen scheinen. Dann fährt sie fort: »Aber scheiden, Detlev, gleich – gleich scheiden! O bitte, – bitte gleich,« schreit sie wild auf, und ein Tränenstrom stürzt unter ihren Lidern hervor.

»Ja, Gertrud, – gleich! So soll es sein. Für dich und mich, und – – ihn. Für ihn, den wir lieben, – noch ist's Zeit!«

Noch einmal halten sie sich fest umschlungen, noch einmal begegnen sich ihre Lippen. – – – –

– – – – – – Zum letzten Abschied, vor dem Herbst, kommt eine heiße posthume Sommernacht. Die blasse Frau von Seedland irrt rast- und ruhelos durch den weiten Garten. Am Vormittag war sie dieselben Wege gelaufen, – hatte auch so die Wiesenecken gekreuzt. Steif, heiß, hart und staubig waren da wuchernde Halme gestanden im dörrenden Sonnenschein. Jetzt aber sind sie taunaß und frisch; elastisch und kraftvoll richten sie sich auf in der friedlichen Kühle einer tiefen, langen Nacht.


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