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Vierzehntes Kapitel.

Ein klarer, sieghafter Morgen geht auf und steht in sanft-sonniger Breite über Seedland. Im Garten haben Grete und die Kinder wahre Raubzüge unternommen und ihn so geplündert, daß der Gärtner sehr vernehmlich hinter ihnen herbrummt. Im Haus duftet es aus allen Ecken. Bunt und froh sieht es darin aus zum Empfang der Hausfrau und Mutter, die über vier Wochen weggewesen ist. Spiegelblank glänzen die uralten Steinfliesen im Flur, und um Tür und Tor schlingen sich Tannengirlanden. Spät abends hatte der Professor seine Älteste, wie er Gertrud gern im Scherz nennt, in Blankdorffen empfangen. Die Müde hatte in doppelter Hinsicht seliger Friede umfangen, als sie Hand in Hand mit ihrem Heiligen durch die laue Sommernacht über die stille Heide gefahren war. Trotz allem war es doch wieder schön bei den Eltern gewesen, schön und gut, denn sie hatte etwas tun, etwas wirken können. Sie hatte auch trotz allem Trüben die Wochen dort genossen. Aber schöner ist es eben doch in ihrer jetzigen Heimat, – der echten, rechten! Da wo Rolands Augen über ihr wachen in ihrem gütigen, hellen Glanz. –

Seedlands Herrin tritt aus dem Badezimmer, frisch und rosig, völlig ausgeschlafen und ausgeruht. Ein leichtes, weißes Morgengewand fließt in langen Falten um ihren geschmeidigen Leib. Über die vorerst noch lose aufgesteckten Haare hat sie ein leichtes Schleiertuch gebreitet, denn ein unvermuteter Strahl aus der Dusche, deren Hahn offen geblieben war, hatte das schimmernde Gelock getroffen. Draußen aber herrscht die Kühle des nordischen Sommerfrühmorgens, und ein lustiger Wind fegt in dieser Stunde über das Heideland. Heiter tritt Gertrud über die Schwelle und drückt die blanke Messingklinke hinter sich ins Schloß. Und da steht sie Detlev von Dombrowsky gegenüber. Gerade sieht er ihr ins Gesicht. Gertrud erlebt blitzartig jenen Moment wieder, da sie diesen Mann zum ersten Mal erblickt. Wieder überkommt sie jene rätselhafte Empfindung. Auch er steht und blickt sie stumm mit großen, erwartungsvollen Augen an. Keinem will sich ein Wort formen.

»Braun, bringen Sie mir Schnittlauch und Zwiebeln mit rüber,« kreischt die Köchin aus dem Souterrain dem Gärtner zu. »Und Sie, Sie können 'mal mit daheraus kommen und sich en bißchen umsehen. Also dableiben wollen Sie nun?«

Das muß der Wurmholzer-Kathl gelten, die Gertrud aus München mitgebracht hat. Bina, die Köchin, will sich des Mädchens mütterlich annehmen.

Die beiden auf dem sonnigen Flur erwachen wie aus einem Traum. Nun scheint Dombrowsky sich förmlich einen Stoß zu geben. Das wirkt auch auf die junge Frau. Dann tritt er mit den tadellosen Manieren eines Weltmannes auf sie zu und küßt ihr die kalte, kleine Hand.

»Der Fremde hat Sie erschreckt, gnädige Frau. So plötzlich fanden Sie ihn nun auf der Schwelle Ihres sonnigen, blumendurchdufteten Hauses. Und in diesem Seeräuberkostüm, in dem ich bin,« er weist auf seine praktische Kleidung, die deutliche Spuren eines Frührittes über die Felder aufweist. »Entschuldigen Sie den Wilden! Ist eine Vorstellung noch nötig?«

Seine Stimme ist voll und weich, noch weicher jetzt in der verhaltenen Erregung. Gertrud hat sich nun gefaßt. Ihre Wangen sind aber noch farblos. Sie streckt Dombrowsky beide Hände entgegen und sagt in einfacher Herzlichkeit: »Willkommen! Endlich kann auch ich Ihnen diesen Gruß bieten, Vetter Detlev.«

Er küßt ihr wieder die Hand und kann nicht hindern, daß ihm selbst völlig unbewußt seine Blicke immer auf's neue bewundernd auf der jungen Frau ruhen. Wie sie dann zusammen die breite Treppe ins Frühstückszimmer hinabgehen, zeichnen sich die vollendeten Linien ihres jungen Leibes bei jeder Bewegung unter dem dünnen Gewand ab. Plötzlich kommt ihr das leichte Negligé, das sie ganz vergessen hatte, qualvoll zum Bewußtsein. Sie hatte ja nur zuerst einen kleinen Begrüßungsgang im Garten machen wollen, um dann in vollkommener Morgentoilette zum Frühstück zu erscheinen. Wie schön sie aussieht, davon hat sie keine Ahnung. Ihre Schultern zieht sie zusammen und eine tiefe Röte flammt nun auf ihrem Gesicht.

»Entschuldigen Sie mich, Vetter, – ich kam soeben, – ich will nur rasch ein klein wenig Toilette –«

»Aber nein doch,« entfährt es ihm bedauernd. Mit einem einzigen Satz ist sie aber schon ein paar Stufen über ihm, um gleich darauf vom obersten Stockwerk hell herunterzurufen: »Ich lasse gewiß nicht lange warten; gleich bin ich wieder unten!«

Sie kommt aber nicht so rasch als sie gewollt, denn sie fällt den Kindern, die ihr aufgelauert haben, in die Hände. Nun gibt es ein fröhliches Küssen, Umarmen und Erzählen. Ihre Zweie im Arm, kauert Gertrud auf den Treppenstufen und, – hat Detlev von Dombrowsky völlig vergessen, der unten unruhig und nervös im rot verhangenen Gartenzimmer auf sie wartet. Wie lange sie zu der, wie er denkt, so unnötigen Toilette braucht! Schöner wie sie in jener gewesen, in der sie ihn wider Willen empfangen, kann sie in keiner anderen sein!

Als die junge Frau sich vom Schlafzimmer in den Baderaum geschlichen hatte, war ihr Mann noch in tiefem Schlaf gelegen. Er mußte eine schlechte Nacht gehabt haben, denn er ist ein Frühaufsteher. Wie er jetzt die Tür öffnet und mit melancholisch-glücklichem Lächeln auf die Gruppe blickt, steht er blaß und elend aus. Einen Fuß schleppt er etwas nach. Er geht auf die Seinen zu, und wie Gertrud sich umwendend ihn erblickt, erschrickt sie tief. Gestern war's finstere Nacht gewesen, da hatte sie nicht bemerkt, was vier Wochen an dem Mann vollbracht hatten. Aber jetzt! Und er steht mitten in der hellen Sonne!

»Roland, was ist dir? – Du bist krank. Sprich um Gottes Willen!«

Sie merkt gar nicht, daß die Kinder eine Katze jagend die Treppe herunterspringen. Sie umschlingt ihn. Er versucht sie zu trösten.

»Sei doch nur ruhig, – nun ja, ich fühle mich nicht sonderlich, indessen hat es nicht viel zu bedeuten.«

Sie weiß, daß er lügt, – für sie lügt.

»Es wechselt so, mach dir keine Sorgen, in ein paar Stunden kann es wieder anders sein.«

Sie sieht ihn nur immer an. Die furchtbare Überzeugung, daß er plötzlich krank, schwer krank geworden war, drängt sich ihr auf. Sie wischt mit dem Handrücken über ihr Gesicht und ringt innerlich um Kraft und Stärke.

»Hoffentlich, Roland. – Du hast doch einen Arzt gerufen und gefragt?«

Ruhig klingt, was sie sagt, und keine Erregung zeigt sie mehr. Sein Hinken scheint sie nicht zu bemerken.

»Es ist nichts Gefährliches. Du warst kaum fort, da fühlte ich mich elend. So lange du noch im Haus gewesen, spürte ich so wenig, daß ich dir's verschwieg. Professor Caldäus aus Berlin kam auf meine Bitte. Er betonte ausdrücklich, Gefahr sei keine, nur Geduld müsse ich haben, – auch du, mein Traudl, gar viel Geduld wohl.«

»Ich werde sie haben. Und das ist Wohl das Geringste! Nun aber gehen wir hinunter zu Detlev, – wir haben uns soeben bei einer zufälligen Treppenbegegnung schon begrüßt. Nach dem Frühstück,« sie sieht ihrem Mann fest in die Augen, »wirst du mir alles sagen, alles

Er nimmt ihre Hand: »Ja, Traudl!«

Da ist es eine völlig andere, die in dem hellen Gartenzimmer steht, in welchem zufolge der roten Kattungardinen ein magisches Licht herrscht. Der fußfreie, graue Lodenrock und die lichtblaue Waschbluse mit dem gelben Ledergürtel stehen Gertrud auch vortrefflich; aber das Haar ist jetzt geordnet und die Linien ihres Körpers sind fester geborgen. Seltsam! Ihr Gesicht kommt Detlev jetzt schmaler, farbloser, die Lippen blasser vor, und es ist, als breite sich ein Schleier über ihre Augen. Rätselvoll, ja unheimlich dünkt ihm die Verwandlung. Die Lebhaftigkeit der Kinder erleichtert jedem, über die ersten Minuten hinwegzukommen. Das Fräulein, das mit der Kleinen Aufsicht betraut ist, wird von Gertrud freundlichste begrüßt. Wie Betty, das Stubenmädchen, Tee und Kaffee bringt, frägt die Herrin sie sogleich nach Kathl:

»Wo ist sie? Hat Bina ihr Frühstück gegeben und sie schon ein wenig angewiesen? Oder haben Sie es getan, Betty? Ich glaube, vorhin Bina gehört zu haben, wie sie Kathl rief!«

»Sie hat mit uns Kaffee gehabt, gnädige Frau, und nun wischt sie die Souterrain-Treppe 'mal rasch auf.«

»Na, Betty, ist's Ihnen nun recht, daß wir eine feste Dritte haben? Die ewigen Zugehefrauen aus den Katen habe ich so satt.«

»Na und ob, gnädige Frau. Und sie scheint auch 'n nettes Mädchen!«

»Nachher komm' ich hinunter zur Bina, dann rufen Sie mir auch die Kathl hinzu!«

»Gewiß, gnädige Frau!«

Betty, in weißer Schürze über dem schwarzweißen Waschkleid und dem Häubchen auf dem glatten Haar, verschwindet still.

»Verzeihen Sie, lieber Vetter, aber es ist da so allerlei Neues, wissen Sie, – ich mußte Betty soeben die paar Worte sagen. Besagte Kathl ist nämlich das neue Hausmädchen, das ich mir aus München mitgebracht habe.«

»Famos! Und Sie scheinen einen guten Blick und eine gute Hand zu haben in der Auswahl Ihrer Leute. Während der vier Wochen meines Hierseins, – Himmel, solange liege ich schon Roland auf dem Hals, – habe ich das wohl beurteilen gelernt.«

Gertrud seufzt tief auf. Mit seltsam ernsten Augen, als wäre sie gänzlich geistesabwesend, schenkt sie mechanisch dem Gatten Tee, dem Vetter Kaffee ein und streicht den Kindern die gewünschten Extra-Mammie-Bröter. Dann nimmt sie sich wieder doppelt zusammen.

»Ja, Gott sei Dank, ich hatte immer noch Glück. Und wir müssen da heraußen eben ziemlich viele Dienstboten haben. Betty ersetzt mir die Flickerin und Näherin, die man in den Städten sonst beizieht. Außerdem hatte ich manchmal irgend eine Frau zur Hilfe. Da gibt es dann so gern Heraus- und Hereintragereien, und doch sind's nie wirklich anhängliche Leute. Da soll nun meine bayerische Akquisition Wandel schaffen.«

Halliger, der stumm in seinem Tee löffelt, sieht herzlich seine Frau an. Er weiß schon einiges über den Roman der Wurmholtzer-Kathl. Immer aufs neue entzücken ihn Gertruds gutes Herz, ihre Hingebung als Mutter und Hausfrau, gepaart mit ihrem Frohsinn.

Die Kinder, eins vom anderen so unendlich verschieden, sind artig, ohne allen künstlichen Drill. Das Teetuch in der Umgebung Lises, unter deren Tasse keine Wachstuchdecke liegt, ist fleckenlos rein. Sorglich langsam und korrekt nimmt sie ihr Frühstück ein, ohne daß das Fräulein sie auch nur ein einziges Mal zu mahnen brauchte. Dagegen wird es von To völlig in Anspruch genommen. Bald ist dieser geneigt, einen Stampf in seiner Tasse zu machen, dann wieder läßt er auf seinem Schutzdeckchen ganze Seen entstehen, in denen er dann kleine Blättchen aus einem der Sträuße, mit denen der Tisch geschmückt ist, als Kähne schwimmen läßt. Aber schon beginnt der Mutter Art und Weise, mit ihm umzugehen, wieder zu wirken. Ein Blick und ein Wort haben bereits genügt, daß To sich entschließt, menschlich zu essen und zu trinken. Kaum wurde ihm erlaubt aufzustehen, stürzt er sich schon Gertrud in die Arme.

»Mammie, – Mammie! Hundefroh bin ich, daß du bloß all wieder da bist!«

Er birgt seinen braunlockigen Kopf an ihrer Brust. Das Hundefroh in des Knaben noch immer mangelhafter Aussprache, erweckt die allgemeine Heiterkeit. Aber Lise beißt die Zähne nach Art entrüsteter Schulmädchen über die Unterlippe bis fast zum Kinn und sagt dann:

»Pfui, To, – wie ordinär!«

Unendlich altklug sieht sie dabei aus. Es kommt sehr selten vor, daß sie sich in einem impulsiven Drang ihrer Mutter an den Hals oder in den Schoß wirft. Das heiße Zärtlichkeitsbedürfnis des Bruders fehlt ihr völlig. Manchmal empfindet Gertrud das besonders. Dann ruhen ihre Augen schmerzlich forschend auf dem feinen Kindergesicht mit den klaren, seltsam harten Augen.

»Fräulein, – es ist schon neun Uhr,« mahnt Lise, »wir müssen doch jetzt lernen gehen!«

»Ja, gleich, das heißt, wenn, – – gnädige Frau wünschen die Kinder jetzt nicht um sich zu haben?«

»Lassen Sie es nur beim Gewohnten, Fräulein, ich halte mich später schon schadlos.«

Sie küßt die Kleinen, dann wendet sie sich an Detlev, der sie unverantwortlich lange angesehen: »Und Sie, Vetter, was haben Sie nun vor, wenn wir Sie schnöde allein und sich selbst überlassen, weil ich meinem Mann doch Bericht über den Münchener Aufenthalt erstatten muß?«

Richtig! Er hätte sich vor den Kopf schlagen mögen. Das war es! Halliger hatte ihm ja von Grund und Ursache der Reise seiner Frau erzählt. Zuerst hatte eben bei ihr die Freude, wieder daheim bei den Ihrigen zu sein, alle Sorgen überwogen. Dann aber waren die unangenehmen Empfindungen natürlich erst recht obenauf gekommen. Kein Wunder! Der Professor hatte ihm ja ganz ehrlich gesagt, daß die Isarbank verkracht sei und Gertruds Vater sein ganzes Vermögen dabei verloren habe. Wie wenig schien Halliger selbst davon berührt zu sein, obwohl er doch nicht gerade ein Krösus ist und sie in der Hauptsache von seinen Zinsen leben müssen. Dem Baron ist ganz leicht, nun eine Erklärung für Gertruds plötzlichen Stimmungswechsel zu haben.

»Ich bitte sehr, liebe Cousine, die vetterliche Anwesenheit absolut zu ignorieren und sich nicht stören zu lassen. Ich muß mit dem Förster einen mächtigen Buchenschlag abgehen, der eigentlich zu Seedlands Eigentum gehören müßte, sollte das ein abgerundetes Besitztum geben. Um Zehn muß ich an der Klabanterspitze sein und so kann ich also vor Mittag gar nicht wieder auftauchen.«

Wenn Halliger nicht so sehr mit sich, mit dem unendlich Schweren, das er seiner Frau mitzuteilen hatte, beschäftigt gewesen wäre, hätte ihm Detlevs rasches, ja aufgeregtes Sprechen auffallen müssen. Er hatte den Gast und dessen Art in diesen Wochen unausgesetzten Beisammenseins ja so gut kennen gelernt! War ihm der um mindestens ein Jahrzehnt jüngere Vetter von jeher sympathisch gewesen, so war er ihm nun zum Freund geworden. Außerdem war dessen Besuch in eine Zeit gefallen, da ihn selbst die Sorge um die eigene Gesundheit hart bedrückte, und Detlevs frische, männliche und oft witzig-heitere Art sowie eine gewisse, ihm eigene optimistische Weltanschauung hatten sehr dazu beigetragen, Roland aufzurichten, wenn er verzagen wollte. Freilich hatte er ihm kein Wort über den eigenen Gesundheitszustand gesagt. Wenn Detlev auch bemerkt haben mochte, daß der Vetter sich nicht wohl fühlte, hatte er jedenfalls taktvoll darüber geschwiegen. Erst war der Baron wie niedergedonnert gewesen, als ihm damals der Professor jene Aufklärung über die Persönlichkeit des schönen vermeintlichen Mädchens vom Blankdorffener Bahnhof gegeben hatte. Dann waren heftige Zweifel in ihm aufgestiegen an der Möglichkeit einer harmonischen Ehe zwischen diesem blutjungen Geschöpf, das ihn an ein edles Vollblut-Pferd erinnert hatte, und dem ernsten Vetter, der ihm stets viel älter erschienen war. Allein wenige Stunden in Seedland hatten ihm im Gegenteil die Überzeugung aufgedrängt, daß in den Mauern dieses alten Hauses ein seltenes Glück blühe. Eines, das rar ist da draußen in jener Welt, in der Detlev von Dombrowsky zumeist lebte. Niemals zuvor war er durch die bloße Erscheinung einer Frau so berührt worden wie damals von der Gertrud Halligers. Und dann wieder heute morgen! Hatte er von dergleichen gehört oder gelesen, so war es von ihm immer nur für romanhaft und unwahrscheinlich gehalten worden. Dieses seltsame, stechende Gefühl in seiner Brust kehrt wieder, so sehr er sich auch wehrt. Ist's Neid gegen Roland oder einfach der heimliche wilde Trieb im Mann, das Weib, das ihm gefällt, begehrlich an sich zu reißen? – Während er nun allein in dem immer heißer durchsonnten Gartenzimmer sitzt, starrt er traumverloren aus seinem Korbsessel hinaus in den blühenden Garten, in dem es duftet und blüht in tausendfachem Leben, in Gedeihen und Werdekraft. Er schließt die Augen, und unter dem Gesumm der Hummeln und Bienen und der Einwirkung der Wärme will ihn ein erschlaffender Zustand umfangen. Unmöglich dünkt es ihm, fernerhin hier in Seedland noch nüchtern rechnen, vergleichen und begutachten zu sollen, jetzt, da Gertrud im Haus und um ihn ist. Er fühlt ihre Gegenwart in jedem Nerv und weiß, als wäre er ein junges Mädchen, nicht wie ihm geschehen. Ihm, Detlev von Dombrowsky, mit seinen achtundzwanzig Jahren, ihm, dem schönen Detlev, dem Herzensknacker, dem Don Juan, dem eleganten Verführer! Oh, er kennt alle Bezeichnungen, die man ihm zuweilen zu geben pflegt. Er weiß genau, daß sie nicht berechtigt sind; aber nie haben die Urteile derer, die ihm fern stehen und die ›Welt‹ darstellen, ihn erregt. Seine Freunde, – viele hat er eigentlich nicht, – wissen, wie sie mit ihm daran sind. Um die Masse kümmert er sich nicht. Er ist hübsch und vermöglich, – kein Wunder, wenn ihm die Türen alle offen stehen. Aber kein Mann kann bewußter seine goldene Freiheit schätzen wie gerade er. Kein Mann ist auch im Grund so in seinen innersten Tiefen von wirklicher Liebe unangefochten geblieben wie er. Keine Stunde seines Lebens hat Detlev durch sie eigentlich gelitten. Keine Stunde hat ihm auch je auf diesem Gebiet wirkliche Enttäuschung gebracht. In seiner Auffassung der Liebe ähnelt er fast Vetter Halliger. Wenigstens beherrscht ihn gerade wie diesen die Abneigung vor allem Unästhetischen und Häßlichen. Gesund an Leib und Seele war er stets. Vor allzugroßem Überschuß an heißem Blut, Lebenskraft und -saft hat ihn eigentlich immer sein Interesse am Sport bewahrt. Sein stählerner Körper spottet jeglicher Anstrengung noch heute wie zu seiner jüngsten Leutnantszeit, und das Geschick für körperliche Übungen ist ihm angeboren. Die Tage mußten von jeher für Detlev sehr dehnbar sein, wollte er alles bewältigen, was er sich vorgenommen. Bloße Gamaschenknöpferei, das nur ›Soldatsein‹ wäre ihm bald über gewesen. War er auch Soldat, ein Reitersmann dabei mit Leib und Seele, so gärte und drängte doch zu viel Geistiges in ihm, als daß er sich mit dem Üblichen zufrieden gegeben hätte. Er bildete sich rastlos weiter auf jedem Gebiet, allein es war, als fehle der rechte Rat und die richtige Hand, ihm zu einem eigentlichen Konzentrationsvermögen zu verhelfen. So wilderte er sozusagen auf allen Seiten, ohne jemals so recht befriedigt zu sein. Von jeher suchte er sich seinen Umgang auch in Kreisen, die sonst Offizieren meist fern zu bleiben pflegen. Weil er auf diese Weise vielen, ganz verschieden gearteten Menschen nahe getreten war, hatte er gelernt, Individualitäten zu verstehen. So hat er auch Roland Halligers innerstes Wesen in sich aufgenommen. Dessen Art, die er nur seiner Frau gegenüber abzulegen pflegte, scheu alle Gefühle zu verbergen, ließen den ernsten Mann vielen oft eckig und unbeholfen erscheinen. In den stillen und reichen Stunden, die sie beide miteinander verbracht, hatte der Baron manchmal das Gefühl gehabt, als nähme ihn eine feste Hand und führe ihn dorthin, wohin er im Grund immer gewollt hatte und nie gekommen war. Detlevs Beanlagung, gern freibeuterhaft in die Schätze des Lebens zu greifen, zu nehmen, wenn sich ihm ein Genuß versprach, schweigt im Bannkreis dieses Mannes, der in der Stille, zwischen seinen Büchern, im Schoß der Familie lebt und ruhiges Glück genießt. Ein vollkommenes Glück? Nein, das nimmermehr! Krank muß er sein, – es ist kein Zweifel. Was es nur sein mag? Ob er es weiß? Ob es dieses Wissen, das bei dem früheren Mediziner doppelt leicht bestehen kann, ist, das ihm manchmal den trüben Schleier über das klare Antlitz breitet? Ob dies den Schatten bedeutet, den Dombrowsky zuerst für einen gehalten, den eine unharmonische Ehe zu werfen pflegt? –

Er hatte sich ein Pferd satteln lassen, das er mitgebracht, und reitet nun langsam im Schritt ein Stück über die Heide. An all den Katen vorüber, deren Inwohner ihn schon kennen und sich wundern, daß der Baron, der in Seedland zu Besuch ist und immer so lustig war, heute so kopfhängerisch ist. Sonst sprengte er daher, daß die Erde aufflog um ihn, und heute geht's wie geschlichen, und für keines hat er mehr als einen kurzen, stummen Gruß.

Seit Detlev dem bunten Rock Valet gesagt und sein Gut, nur weil er es von einem Onkel geerbt, bewirtschaftete, geht er größtenteils, abgesehen von einer lebhaften Leidenschaft für Geographie, in der Landwirtschaft auf. Er hat nicht mehr Zeit genug für viel anderes. Gewissenhaft sucht er sich in das Bestehende hineinzuarbeiten und geht bedächtig vor bei Verbesserungen, die ihm wertvoll dünken. Ihm macht es Freude, die Kenntnisse anzuwenden, die er sich, im Hinblick auf seine Zukunft, zielbewußt erworben. Er hat eine Menge Vertrauen zu dem, was er Theorie heißt; aber keinen allzugroßen Respekt vor den durch die Länge der Zeit ehrwürdig gewordenen Erfahrungssatzungen, welche andere das wirklich Praktische nennen. Keinem, der ihn daheim sieht, würde der Gedanke kommen, daß Detlev nicht immer in Dromshoff gelebt hat. Aber es gibt Zeiten, da kann dieser nüchtern-praktische Landwirt und im doppelten Sinn Erdkundige plötzlich wie in tiefer Ergriffenheit auf einem Rain hocken und tatenlos und versonnen auf die üppige grüne Fülle des Roggens oder des goldenen Hafers starren. Das ist dann ein ganz anderer Detlev. Der ist gar nicht zwischen Äckern und Feldern und ist auch nicht Landwirt. Poet ist er und Frau Aventiures Gast.

So gern war er dem Ruf des Vetters gefolgt, sich Seedland mit Kennerblick daraufhin anzusehen, ob es nicht gut getan wäre, das Besitztum wieder zu dem zu machen, was es einst gewesen, – zu einem richtigen Wirtschaftsgut. Dehnt sich auch nach Westen Moor- und Heideland, nach Osten und Süden zu erstrecken sich üppige Felder, fruchtbarer Grund und Boden und schöne, alte Wälder. »Wie kamst du darauf, Roland?« hatte er den Vetter gefragt. Dieser war, ihm den Rücken wendend, an das Bücherregal getreten und hatte nach irgend einem Buch gesucht. »Warum? Es kommen mir manchmal solche Ideen, als dürfte Seedland in späteren Tagen nicht in fremde Hände kommen. Ich weiß, daß dir dein geerbtes Dromshoff da hinten in Pommern nicht behagt. Da dachte ich, ob du einst, – oder meinst du, du könntest dich nicht entschließen, dich hier anzusiedeln und etwas Großes, Abgerundetes aus Seedland zu machen?«

»Und ob, Vetter! Ich wünschte mir nichts Besseres, und meiner Meinung nach gäbe es gar nichts, was geeigneter wäre. Nun will ich mich aber in deinem Interesse ernstlich daran machen, deine Pachtstücke und die ganze Umgebung so recht kennen zu lernen!« –

Und nun! Dieser herrliche Sommersegen lastet wie ein schweres Gewicht auf Detlev. Und doch fühlt er um sich all die jubelnde Kraft. Ein würziger Brodem entsteigt der Erde. Des Mannes Augen fühlen und sein Herz sieht, und dennoch zieht eine dumpfe Trauer in ihm ein, und sein alter Mut scheint von ihm gewichen. Langsam reitet er der Klabanterspitze zu. Heißer brennt die Sonne auf die reifende Saat, die üppig in den Halmen steht.

Allein nicht mehr lange geht der Rappe im Schritt. In heißester Mittagsglut rast gleich darauf Detlev von Dombrowsky dahin. Auf einem großen Umweg kommen er und sein Pferd, schweiß- und staubbedeckt, viel zu früh am Ziel an. Und wie der Baron veratmend steht und auf den Förster wartet, da weiß er, daß er – gehen, – fliehen muß! –

*

Aus der kühlen Dämmerung seines Zimmers tritt Roland Halliger und hält seine junge Frau umschlungen, die feuchte Augen hat. Aber Mut und Entschlossenheit blitzen darin.

»Wer weiß, Roly, – vielleicht sieht der Professor und auch du zu schwarz. Wie oft kommt es doch so ganz anders, als Menschen berechnet und vermutet haben.«

»Ich sage nicht nein, es ist ja möglich. Vorderhand aber schreitet das Leiden fraglos vor, und da nun festgestellt ist, daß es vom Rückenmark ausgeht, konnte ich dir's doch nicht mehr verhehlen.«

»Ich bin und bleibe bei dir, – jede Stunde, – jede Stunde!«

Sie halten sich umschlungen.

»Armes, armes kleines Traudl« will über des Professors Lippen, aber er bleibt stumm und streichelt nur das Haupt an seiner Schulter, über dem es schimmernd zu schweben scheint. Umsonst versucht er mechanisch, die widerspenstigen, krausen Härchen glatt zu legen.

»Zusammen! – Alles zusammen!«

Er blickt ihr ins blasse Gesicht, in dem es zuckt und bebt, in ihre ehrlichen Augen. Schweigend drückt er ihr für diese Worte die Hand. So gehen sie hinunter in den Garten, aus dessen Laube das Lachen der Kinder tönt. Sie belustigen sich an dem ihnen so fremden bayerischen Dialekt der Wurmholzer-Kathl, die ihrerseits wieder Lise und To nicht verstehen kann. Während der Professor bei den Kindern bleibt, geht Gertrud mit dem fremden Mädchen durch den Garten und das ganze Haus und unterweist es in seinen nächsten Pflichten. Im kreidigen Licht der Kellertreppe sieht die junge Frau geradezu gespenstisch aus.

»Jessas, gnä' Frau! Ihna is g'wiß net gut. Na, geltens, Ihna is recht schlecht? G'wiß macht dös die lang Fahrerei und dös G'schockel auf da Eisenbahn. I bitt Ihna, gnä' Frau, legens Ihna nur grad nieder!«

Wirklich wanken Gertrud die Kniee. Sorgsam wird sie von Kathl hinaufgeleitet. Diese ist dann selig, sogar beim Auskleiden helfen zu dürfen, und stolz, daß die Gnädige ihren Rat befolgt, sich bis Mittag noch zu ruhen. Sie wird schlafen. Aber Gertrud schläft nicht. Lange sitzt sie noch auf dem Bettrand und starrt vor sich hin.

»Krank, – krank, – du Guter, Treuer! Roland!« schreit sie auf. Dann weint sie hilflos und bitterlich wie ein Kind.


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