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VIII

Raiskij steckte den Brief in ein Schubfach seines Schreibtisches, nahm seine Mütze und ging in den Garten. Er mußte sich im stillen eingestehen, daß er nur hingehe, um die Wege und Stege zu schauen, auf denen gestern Wera gewandelt war, bevor sie gleich einer Schlange, in ihrer Schönheit schillernd, den Abhang hinab in die Schlucht glitt. Noch immer war sie zugleich sein Ideal und sein Plagegeist, noch immer schaute er kniefällig flehend zu ihr empor und bewarf sie zugleich, Flüche murmelnd, mit Steinen.

Er machte einen Rundgang durch den ganzen Garten, blickte nach ihren verhängten Fenstern hinauf, ging dann zur Schlucht und sah sinnend in die Tiefe, wo die Bäume und Sträucher leise rauschten.

Die Alleen erschienen wie dunkle Säulengänge; über den offenen Stellen jedoch, dem welken Blumengarten, dem Gemüsegarten, dem geräumigen Platz vor dem Hause lag der Schein des eben am Horizont emporsteigenden Mondes. Die Sterne schimmerten hell, es war ein klarer, frischer Abend.

Raiskij schaute vom Rande des Abhangs zur Wolga hinüber; sie schimmerte in der Ferne wie Stahl. Rings um ihn fielen mit leisem Rascheln die welken Blätter von den Bäumen.

›Dort drüben weilt sie nun‹, dachte er, während sein Blick über den Strom schweifte, ›und nicht ein Wort hat sie für mich zurückgelassen! Ein herzliches Lebewohl, mit ihrer tiefen Flüsterstimme gesprochen, würde mich mit all der Bosheit ausgesöhnt haben, die sie so reichlich über mein Haupt ausgeschüttet hat. Nun ist sie fort – ohne eine Spur, eine Erinnerung zu hinterlassen!‹ sagte er sich bitter, während er mit gesenktem Kopf durch die dunkle Allee schritt.

Plötzlich fühlte er, wie sich auf seine Schulter, gleich der Klaue eines Raubvogels, eine feine kleine Hand legte, während zugleich ein verhaltenes Lachen an sein Ohr klang.

»Wera!« rief er, in freudigem Schreck erbebend, und faßte nach ihrer Hand. Das Haar sträubte sich ihm auf dem Kopf. »Du – hier? Du bist nicht über die Wolga gefahren?«

»Nein – ich bin hier, bin nicht über die Wolga gefahren ...«, wiederholte sie, während sie fortfuhr zu lachen und ihren Arm in den seinigen legte. »Dachten Sie wirklich, ich würde Sie ohne Abschied ziehen lassen? Ja, dachten Sie das? Gestehen Sie!«

»Du bist eine Zauberin, Wera. Eben, in diesem Augenblick, machte ich dir im stillen Vorwürfe, daß du mir nicht eine Zeile zum Abschied zurückgelassen hast«, sagte er ganz verwirrt, teils vor Furcht, teils vor unerwarteter Freude, die so plötzlich über ihn gekommen. »Wie kommst du auf einmal hierher? Im Hause sagten mir doch alle, du seist gestern weggefahren.«

Sie lachte spöttisch und suchte ihm dabei ins Gesicht zu sehen.

»Und Sie haben das geglaubt? Ich wollte Ihnen eine Überraschung bereiten, man sollte Ihnen sagen, daß ich fort sei. Gestehen Sie nur, Sie haben es nicht geglaubt, haben nur so getan?«

»Bei Gott, ich habe es geglaubt!«

»Schwören Sie doch nicht noch!« sagte sie triumphierend und weidete sich an seiner Aufregung. Dann ließ sie wieder ihr aufreizendes Lachen hören. »Nicht nur eine Zeile von mir finden Sie vor, sondern mich selbst! Was können Sie sich Besseres wünschen – sagen Sie!« fügte sie, gleichsam mit ihm spielend, hinzu.

Er wurde von Zweifeln ergriffen. Diese Lebhaftigkeit der Rede, diese raschen Bewegungen, diese spöttische Koketterie – alles das erschien ihm an ihr nicht natürlich. Durch den lebhaften Ton und die kecke Rede glaubte er eine Ermüdung hindurchzuhören – es war, als bemühte sie sich, eine Erschöpfung ihrer Kräfte vor ihm zu verbergen. Er hätte ihr ins Gesicht sehen mögen, und als sie am Ende der Allee anlangten, führte er sie in den hellen Mondschein.

»Laß mich dich ansehen – was ist dir, Wera? Du bist so ausgelassen, so vergnügt!« versetzte er schüchtern.

»Was gibt es da groß anzusehen!« sagte sie mit Ungeduld und suchte ihn wieder in das Dunkel zurückzuziehen.

Die Mantille war ihr von den Schultern geglitten, sie warf sie lässig wieder um und schüttelte sich dabei.

»Ich bin vergnügt, weil Sie hier sind und hier an meiner Seite gehen.« Sie schmiegte sich mit ihrer Schulter an die seinige.

»Was ist dir, Wera? Du bist so verändert!« flüsterte Raiskij argwöhnisch, ohne sich von ihrer stürmischen Munterkeit verleiten zu lassen. Und von neuem suchte er sie ans Licht zu ziehen.

»Kommen Sie, kommen Sie – was soll denn diese Besichtigung? Ich liebe das nicht!« sagte sie lebhaft und vermochte kaum still zu stehen.

Er fühlte, daß ihre Hände bebten, daß sie am ganzen Leibe zitterte und von einer ihm unverständlichen Unruhe erfüllt war.

»So reden Sie doch endlich, erzählen Sie, wo Sie waren, was Sie gesehen haben, ob Sie an mich gedacht haben! Was macht Ihre Leidenschaft? Setzt sie Ihnen noch immer so zu – wie? Was ist Ihnen denn – sind Sie stumm geworden? Wohin sind die Wogen der Poesie, wohin das Paradies und die Hölle geschwunden? Her mit dem Paradies, geben Sie es mir, dieses Paradies – ich begehre das Glück, das Leben!«

Sie sprach frei und ungezwungen, klopfte ihm dabei auf die Schulter, konnte vor Ungeduld nicht ruhig stehen und beschleunigte ihren Schritt.

»Warum kriechen Sie denn so wie eine Schildkröte? Kommen Sie dorthin, zum Abhang – wir wollen zur Wolga hinuntergehen, wollen ein Boot nehmen und eine Rundfahrt machen!« fuhr sie, ihn mit sich ziehend, jetzt lachend und dann plötzlich in ein tiefes Grübeln verfallend, fort.

»Wera, mir ist bange um dich, du bist ... nicht gesund!« sagte er in besorgtem Ton.

»Wieso denn?« fragte sie, plötzlich stehenbleibend.

»Woher kommt diese Lustigkeit, diese Gesprächigkeit? Du bist sonst so zurückhaltend, so reserviert!«

»Ich freue mich so, daß Sie da sind, Vetter! In einem fort habe ich zum Fenster hinausgesehen und gehorcht, ob nicht eine Equipage kommt ...«, sagte sie, ließ nachdenklich den Kopf sinken und ging nun ruhiger neben ihm her, während sie ihre Hand, die sich von Zeit zu Zeit gleich einer Vogelklaue zu schließen suchte, auf seine Schulter gelegt hatte.

Er war in einer schmerzlichen, gedrückten Stimmung. Er hörte nicht mehr auf ihre koketten, aufreizenden Worte, denen er zu anderer Zeit vielleicht Glauben geschenkt hätte. Seine eigene Leidenschaft war in diesem Augenblick in ihm verstummt. Er hatte ein schmerzliches Mitgefühl mit ihr, hörte auf ihr fieberhaftes Stammeln, beobachtete die nervöse Lebhaftigkeit ihrer Bewegungen und suchte den Grund ihrer Aufregung zu erraten.

»Warum sehen Sie mich so sonderbar an? Ich bin nicht verrückt!« sagte sie und wandte sich von ihm ab.

Ein Schrecken befiel ihn.

›Das ist die Sprache der Irrsinnigen!‹ dachte er. ›Sie versichern allen Leuten, daß sie nicht verrückt sind.‹

Er hatte selbst den Rausch der Leidenschaft kennengelernt und kannte ihre Qualen, ihr unberechenbares Wesen. Nun sah er Wera von demselben Leiden ergriffen und wurde von Angst um sie gepackt. Er sah, wie ihr die Kraft schwand, wie sie schwächer und schwächer wurde. Ihre Ruhe war dahin. Sie sammelte den letzten kleinen Rest ihrer Kraft, um sich zu maskieren, um gleichsam in sich selbst hineinzuflüchten. Doch auch da war es ihr schon zu eng, die Schale war zum Überlaufen voll, die Erregung suchte einen Ausweg.

›Mein Gott, was wird mit mir geschehen!‹ dachte er voll Angst. ›Und dabei hat sie kein Vertrauen zu mir, will mir ihr Herz nicht ausschütten, will den Kampf ganz allein aufnehmen – wer wird sie beschützen?‹

›Die Großtante!‹ flüsterte ihm eine innere Stimme zu.

»Wera – du bist krank, du solltest mit Tantchen reden«, sagte er ernsthaft.

»Still, schweigen Sie, denken Sie an Ihr Wort!« sagte sie halblaut flüsternd. »Leben Sie wohl für heute! Morgen machen wir zusammen einen Spaziergang, dann gehen wir in die Stadt, um Einkäufe zu besorgen, und dann geht es dorthin, über die Wolga ... in alle Welt! Ich kann ohne Sie nicht leben!« setzte sie fast grob hinzu und preßte dabei seine Schulter in krampfhaftem Griff zusammen.

›Was ist nur mit ihr?‹ dachte er.

Diese grobe, kokette Herausforderung, die so unmittelbar an ihn gerichtet war, rief ihm seinen eignen Seelenkampf und seine Absicht, für immer abzureisen, ins Gedächtnis.

»Ich reise ab, Wera«, sagte er zu ihr, »ich bin mit meinen Kräften zu Ende. Es ist mein Tod, wenn ich bleibe. Leb wohl! Warum hast du mir noch diese Täuschung bereitet? Warum hast du mich hergerufen? Warum bist du hier? Um dich an meinen Qualen zu weiden? Ich gehe fort, laß mich ziehen!«

»Reisen Sie ab!« sagte sie und trat einen Schritt von ihm weg. »Jegorka hat den Koffer noch nicht wieder auf den Boden getragen!«

Er entfernte sich rasch, im Innersten empört durch diese beabsichtigte Quälerei, diese Verhöhnung seiner selbst und seiner Leidenschaft. Dann schaute er zurück. Zehn Schritte von ihm entfernt stand sie unbeweglich im Mondschein da, wie eine weiße Statue im Grünen, und beobachtete neugierig, ob er gehen würde oder nicht.

›Was ist das? Was geht in ihr vor?‹ fragte er voll Entsetzen. ›Was will sie von mir? Sie hat mir das Messer in die Brust gestoßen und sieht nun zu, wie das Blut rinnt, wie das Opfer zuckt. Was für ein Weib!‹

All die grausamen Frauengestalten der Geschichte fielen ihm ein, die Priesterinnen blutiger Kulte, die Frauen der Revolution, die sich in Blut gebadet hatten, und all das Grausame, das von Frauenhand begangen worden war, bis auf Judith und Lady Macbeth. Er ging weiter und wandte sich wieder um. Sie stand unbeweglich da und sah ihm nach. Er blieb stehen.

›Welche Schönheit, welche Harmonie in dieser ganzen Gestalt! Und doch – sie ist furchtbar, sie ist mein Verhängnis!‹ dachte er, während er wie an den Boden gebannt dastand und seinen Blick von der schlanken, unbeweglichen, vom Mondschein übergossenen Gestalt Weras nicht loszureißen vermochte. Er fühlte diese Schönheit gleichsam in den Nerven, und sie schmerzte ihn. Wider Willen sog er sich mit den Blicken an ihr fest.

Sie bewegte sich und machte ihm ein Zeichen mit dem Kopf, er solle näher kommen. Seine Schwachheit verwünschend, ging er langsam, Schritt für Schritt, zu ihr hin. Sie schlüpfte, als er eben an sie herangekommen war, in die dunkle Allee, und er folgte ihr.

»Was willst du von mir, Wera? Warum läßt du mich nicht in Ruhe? In einer Stunde fahre ich ab!« sagte er schroff und kalt, während er hinter ihr herging.

»Daß Sie es nicht wagen! Ich will es nicht!« sagte sie und faßte mit kräftigem Druck seine Hand. »Sie sind mein Sklave, Sie müssen mir dienen. Auch Sie haben mich nicht in Ruhe gelassen!«

Ein Schauder der Leidenschaft überkam ihn plötzlich. Er fühlte, wie seine Knie sich unwillkürlich zu beugen suchten, und er hörte eine Stimme in seinem Innern rufen: ›Ja, ich bin dein Sklave, du brauchst nur zu befehlen!‹

Und er hätte niedersinken und in leidenschaftlichem Ausbruch zu ihren Füßen aufschluchzen mögen.

»Ich bedarf Ihrer«, flüsterte sie. »Sie baten mich um Qualen und Schmerzen – wohl, ich werde sie Ihnen geben! ›Das ist Leben!‹ sagten Sie – wohlan, da haben Sie das Leben! Dulden Sie nur, und auch ich werde dulden, gemeinsam wollen wir dulden. Die Leidenschaft ist so schön; sie zieht ihre Spur durchs ganze Leben, und diese Spur nennen die Menschen Glück! Wer ist es, der das alles gepredigt hat? Und jetzt wollen Sie fliehen? Nein! Bleiben Sie, wir wollen uns gemeinsam in diesen Abgrund stürzen! ›Das ist Leben – nur das allein ist Leben!‹ sagten Sie – wohlan denn, so wollen wir leben! Sie haben mich lieben gelehrt, Sie waren mein Lehrmeister in Sachen der Leidenschaft, Sie haben mich unterrichtet ...«

»Du gehst zugrunde, Wera!« sagte er, voll Entsetzen zurückweichend.

»Wohl möglich«, sagte sie, gleichsam einen Rausch von sich abschüttelnd und sich besinnend. »Doch was schadet das? Was geht Sie das an? Ist's nicht ganz gleich? Sie wollten das doch! ›Nur in die lebendigen Organismen hat die Natur die Leidenschaft gelegt‹, haben Sie behauptet – ›die Leidenschaft ist schön!‹ Da haben Sie sie, schwelgen Sie in ihrem Anblick!«

Sie atmete mit kräftigen Zügen die frische Abendluft ein.

»Aber ich habe dich doch auch vor der Leidenschaft gewarnt, ich habe sie einen reißenden Wolf genannt ...«, suchte er sich zu rechtfertigen, während er, von Grauen erfaßt, dieses hilflose, offene Bekenntnis vernahm.

»Nein, sie ist schlimmer als ein Wolf – sie ist ein Tiger. Ich hatte es nicht geglaubt, jetzt aber glaube ich es. Erinnern Sie sich der Gravüre im Kabinett des alten Hauses: ein Tiger fletscht dort die Zähne nach dem Amor, der auf seinem Rücken sitzt. Ich hatte nie verstanden, was das eigentlich bedeutet, ich hatte es für einen phantastischen Unsinn gehalten – jetzt aber verstehe ich es. Ja, die Leidenschaft ist wie ein Tiger; zuerst hält sie still und leidet es, daß man sich ihr auf den Rücken setzt, dann aber brüllt sie und fletscht die Zähne.«

Durch Raiskijs Hirn zuckte plötzlich der Gedanke, daß er vielleicht jetzt den geheimnisvollen Namen, das »Wer?« erfahren könnte. Er griff lebhaft ihren Vergleich der Leidenschaft mit dem Tiger auf.

»Bei uns im Norden gibt es keine Tiger, Wera, der Vergleich hinkt also ein wenig«, sagte er. »Ich glaube, daß mein Vergleich zutreffender ist: dein Idol ist ein Wolf!«

»Bravo, jaja!« versetzte sie rasch mit nervösem Lachen – »ein richtiger Wolf. So reichlich man ihn auch füttert, immer schielt er nach dem Walde!«

Und plötzlich schwieg sie in Verzweiflung.

»Ihr seid alle wilde Tiere«, sagte sie nach einem Weilchen aufseufzend. »Er ist ein Wolf ...«

»Wer – er?« fragte Raiskij leise.

»Tuschin ist ein Bär«, fuhr sie, ohne seine Frage zu beantworten, fort – »ein richtiger russischer Bär, so ehrlich, so anstellig.«

›Ah! Dann ist's also nicht Tuschin!‹ dachte Raiskij.

»Ich kann ihm die Hand auf den zottigen Schädel legen«, fuhr sie fort, »und kann ruhig schlafen; er wird mich nicht verraten, nicht hintergehen. Er wird mir sein Leben lang dienen.«

»Und wer bin ich?« fragte Raiskij plötzlich, ein wenig munterer werdend.

Sie sah ihm aus nächster Nähe arglistig in die Augen und zögerte mit der Antwort.

»Ich sehe, du willst sagen: ein Esel! Sag es nur, Wera, tu dir keinen Zwang an!«

»Sie? Ein Esel?« sagte sie mit verhaltenem Spott, während sie langsam um ihn herumging und ihn von allen Seiten musterte.

»Was sollte ich sonst sein?« sagte Raiskij naiv. »Ich dulde alles, was du mit mir beginnst – alles ertrag ich, und wackle dazu mit den Ohren.«

»Sie sind durchaus kein Esel – sondern ein Fuchs, so geschmeidig, so listig; Sie wollen mich in Ihren Bau locken ... ganz leise, ganz klug und verschlagen.«

Er verstand den Sinn ihrer Worte nicht und schwieg.

»Nun, so reden Sie doch, warum schweigen Sie?« sagte sie und zog ihn am Ärmel.

»Es gibt ein Mittel gegen diese Wölfe«, meinte er.

»Was für eins?«

»Daß ich – abreise, und daß du – nicht mehr dorthin gehst.« Er zeigte nach der Schlucht.

»Leihen Sie mir die Kraft, nicht mehr dorthin zu gehen«, sprach oder schrie sie vielmehr. »Sie tragen doch nun ganz dasselbe Leid wie ich – wohlan, so versuchen Sie doch morgen einmal, im Zimmer zu bleiben, wenn ich allein im Garten spazierengehe! Doch nein, Sie werden drin bleiben. Sie haben sich Ihre Leidenschaft nur erdichtet, Sie wissen über sie nur schön zu reden. Sie verführen die Weiber nur und spielen mit ihnen. Sie sind ein Fuchs, ein Fuchs! Warten Sie, dafür sollen Sie mir noch ganz anders büßen!« sagte sie mit erzwungenem Lächeln, scheinbar im Scherz, doch dabei mit fieberndem Glühen, während sie mit den schmalen Fingern wieder nach seiner Schulter griff.

Mit beklommenem Herzen lauschte er ihr.

» Darum also hast du noch gewartet – um mir das zu sagen?« fragte er nach einer Weile.

»Ja, darum! Damit Sie in Zukunft nicht wieder mit der Leidenschaft scherzen, und damit Sie mich anweisen, was ich jetzt tun soll, Sie – Lehrmeister! Nun, da Sie das Haus angezündet haben, laufen Sie fort! Die Leidenschaft ist schön, liebe du nur, Wera, schäm dich ihrer nicht! Wer hat mir das gepredigt? Etwa Vater Wassilij?«

»Ich verstand darunter die Leidenschaft, die erwidert wird«, suchte er sich schüchtern zu verteidigen. »Die Leidenschaft ist schön, wenn sie gegenseitig ist, wenn beide Teile es ehrlich miteinander meinen – dann ist die Leidenschaft kein Übel, sondern ein hohes, hehres Glück, das fürs ganze Leben ausreicht! Solche Leidenschaft weiß nichts von Lüge, von Betrug. Wenn der eine Teil die Leidenschaft nicht mehr erwidert, dann wird er den andern nicht unnütz hinziehen, wird nicht ins Dunkel flüchten und durch Treulosigkeit das Leben des andern Teils vergiften, sondern sich mutig offenbaren und in aller Ehrlichkeit und Offenheit, wie das Schicksal selbst, den unvermeidlichen Schlag führen und die Trennung vollziehen. Dann wird es keine Stürme geben, sondern nur ein Feuer, das die Wunden heilt.«

»Es gibt keine Leidenschaft ohne Stürme – oder es ist eben keine Leidenschaft!« rief Wera aus. Und nach kurzem Schweigen fuhr sie fort: »Nicht auf die Ehrlichkeit oder Unehrlichkeit kommt es an, es gibt auch noch andere Klippen, andere Momente, die aus der Leidenschaft das Unheil erwachsen lassen. Reden wir einmal von mir. Ich liebe und ich werde wieder geliebt, niemand denkt an Lüge und Täuschung. Und doch zerreißt mich die Leidenschaft. Belehren Sie mich, was soll ich tun?«

»Sprich mit der Großtante ...«, sagte er, vor Furcht erbleichend – »oder ich sage es ihr. Gib mir mein Ehrenwort zurück, Wera!«

»Um Gottes willen nicht! Schweigen Sie und hören Sie mich an! Jetzt wollen Sie es der Großtante sagen, wollen mich einschüchtern, mich beschämen! Und wer war es, der mir sagte, ich brauche nicht auf sie zu hören, brauche mich nicht zu schämen? Wer hat sich über ihre Moral lustig gemacht?«

»Sag mir, Wera – was ist mit dir? Du wirfst mir zuweilen einen Brocken hin und flüchtest dich dann wieder hinter den Schleier des Geheimnisses. Ich taste im dunkeln, weiß nicht, woran ich bin ... sonst würde ich vielleicht ein Mittel finden.«

»Sie wissen nicht, was mit mir ist, Sie tasten im dunkeln – kommen Sie einmal mit, dahin!« sagte sie. Sie führte ihn aus der Allee heraus und blieb stehen. Der Mond schien ihr gerade ins Gesicht. »Da, nun sehen Sie einmal, was mit mir ist!«

Sein Herz zog sich qualvoll zusammen; er erkannte die frühere Wera nicht wieder. Ihr Gesicht war bleich und mager, die Augen hatten einen bösen Glanz und blickten wie irre, während die Lippen fest aufeinandergepreßt waren. Von ihrem Kopf fielen unter dem Tuch hervor zwei oder drei Haarsträhnen wirr auf Stirn und Schläfen, wie bei einer Zigeunerin, und bedeckten ihr, wenn sie sich bewegte, Augen und Mund. Die mit weißem Schwan eingefaßte Atlasmantille hing locker, durch die seidene Schnur kaum zusammengehalten, um ihre Schultern.

»Nun?« sagte sie, das Haar aus dem Gesicht schüttelnd, »erkennen Sie Ihre Wera wieder? Wo ist die Schönheit geblieben, der Sie Ihre Hymne gesungen haben?«

Sie lächelte kläglich, bedeckte für einen Augenblick ihr Gesicht mit der Hand und schüttelte den Kopf.

»Was kann ich tun, Wera?« sagte er leise und blickte auf ihr mageres Gesicht und die in Fieberglut glänzenden Augen.

»Sag es mir, ich bin bereit, für dich zu sterben.«

»Sterben, sterben! Was soll mir das? Helfen Sie mir lieber, daß ich leben kann, und geben Sie mir jene schöne Leidenschaft, deren beglückende Spur sich durch das ganze Leben zieht. Geben Sie mir dieses Leben, wo ist es? Ich sehe nichts als den Tiger, der die Zähne fletscht. Reden Sie, belehren Sie mich oder geben Sie mir die Kraft zurück, die ich einst besaß! Doch Sie wollen alles der Großtante sagen! Sie wollen sie und mich ins Grab bringen! Ist das das rechte Heilmittel, wie? Oder lehren Sie mich, wie ich es anfangen soll, daß ich nicht mehr dorthin, nach der Schlucht gehe. Doch dazu ist's zu spät!«

»Sag mir, wen du liebst! Erzähle mir die näheren Umstände, nenne mir den Namen!«

»Wen ich liebe? Nun – Sie!« sagte sie voll Bosheit, warf das Haar, das ihr von neuem ins Gesicht geglitten war, wieder zurück und zog die Mantille fester um ihre Schultern.

Er fürchtete sich, auch nur ein Wort zu sagen oder sich zu rühren. Die Hände auf dem Rücken, stand er an einen Baum gelehnt da, während sie mit hastigen, ungleichmäßigen Schritten auf und ab ging. Dann blieb sie, tief Atem holend, stehen.

»Sie ist geisteskrank!« flüsterte er entsetzt vor sich hin.

Sie setzte sich auf die Bank und versank in stilles Brüten.

»Was ist mit Ihnen?« sprach sie dann, ein wenig zur Besinnung kommend, wie für sich.

»Du hast selbst von der Freiheit geträumt, Wera, du hast dich versteckt – vor mir wie vor der Großtante, du wolltest die Unabhängigkeit. Ich habe dich nur in deiner Gedankenrichtung unterstützt, denn sie ist auch die meinige. Warum wirfst du nun diesen schweren Stein nach meinem Haupte?« suchte er sich leise zu verteidigen. »Nicht ich allein, auch die Großtante fürchtete sich, dir nahe zu kommen.«

Sie seufzte tief; dann trat sie auf ihn zu, lehnte ihren Kopf an seine Schulter und sagte leise:

»Jaja ... hören Sie nicht auf mich! Nur meine Nerven sprachen aus mir, sie ... sind so angegriffen. Was heißt Leidenschaft? Es existiert überhaupt keine Leidenschaft! Ich habe mit Ihnen gescherzt ... wie Sie mit mir.«

»Du glaubst noch immer, daß ich gescherzt habe?« sagte er leise.

Sie versuchte zu lächeln und ergriff seine Hand.

»Fühlen Sie meine Stirn«, sagte sie sanft, »wie sie glüht! Seien Sie mir nicht böse, seien Sie ein wenig lieb zu Ihrem armen Kusinchen! Das wird alles vorübergehen. Der Arzt meinte, solche Anfälle kämen bei Frauen öfters vor. Ich schäme mich selbst, daß ich so schwach bin, ich bin mir selbst zuwider.«

»Was ist mit dir, meine arme Wera? Sag es mir!«

»Nichts ... Führen Sie mich nun nach Hause, helfen Sie mir die Treppe hinauf – ich fürchte mich vor etwas ... Ich will mich hinlegen ... verzeihen Sie, daß ich Sie beunruhigt habe ... daß ich Sie hierher zurückrief. Sie wären abgereist und hätten mich vergessen. Ich habe einfach Fieber. Sie sind mir nicht böse?« sagte sie zärtlich.

Er reichte ihr eilig den Arm, führte sie, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Garten hinaus und brachte sie über den Hof nach ihrem Zimmer. Dort zündete er die Kerze an.

»Rufen Sie Marina oder Mascha – es soll jemand mit mir im Zimmer schlafen. Nur Tantchen darf nicht ein Wort davon erfahren! Das ist alles nur Überreizung. Sie würde erschrecken ... würde gleich hergelaufen kommen.«

Er hörte ihr ängstlich, in Nachdenken versunken, zu.

»Warum schweigen Sie denn immer, warum sehen Sie mich so sonderbar an?« sprach sie, ihm unruhig mit den Augen folgend. »Ich habe da im Fieber Gott weiß was zusammengeschwatzt. Ich wollte Sie nur ein wenig ärgern ... wollte mich rächen für Ihre Neckereien ...«, fügte sie hinzu und bemühte sich zu lächeln. »Nur der Großtante kein Wort sagen, hören Sie? Sagen Sie, ich hätte mich hingelegt, um morgen ganz früh aufzustehen, und bitten Sie sie ... die Abwesende zu segnen ... hören Sie?«

»Jaja, ich höre«, antwortete er zerstreut, nahm von ihr Abschied und schickte Mascha in ihr Zimmer.


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