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Zwanzigstes Kapitel

Die beiden Brüder standen im Bureau des Direktors der Deux Cirques in der Rue de Trussol, einem großen, niedrigen Saal, in dem sich ein riesiger Tisch mit grünem Tuche und Mahagonifauteuils in altmodischem Empirestil befanden. An den Wänden, die mit einer düstern Tapete bekleidet waren, hingen, mit Nadeln befestigt, alte Anschlagzettel der Premieren berühmt gewordener Zirkusnummern, dazwischen ein paar schmucke, etwas grelle Farbendrucke von Theret.

Der Direktor gab den Brüdern den Kontrakt, den sie unterzeichnen sollten, zum Durchlesen.

»Zwischen den Unterzeichneten – – – –

*

ist vereinbart und festgesetzt worden, was folgt:

1. Die Herren Gianni und Nello erklären, daß sie sich für die Truppe der Société des Deux Cirques als »Clowns« verpflichten, um als solche nach ihren Anlagen, über die der leitende Direktor entscheiden wird, und in der Weise, wie er es für geeignet halten wird, Verwendung zu finden, nicht allein in den Vorstellungen der Deux Cirques in Paris, sondern auch in den Vorstellungen, welche, sei es in Frankreich oder im Auslande, gleichviel in welchen Sälen, Gärten, öffentlichen oder privaten Räumen usw. stattfinden, die zu diesem Zwecke bezeichnet werden, gleichviel, welches die Zahl der an einem Tage veranstalteten Vorstellungen sei.

2. Die Herren Gianni und Nello werden somit der Truppe oder einem Teil derselben folgen, wohin der leitende Direktor es für geeignet hält, sei es in Frankreich oder im Auslande. Auch werden sie sich, wenn er es verlangt, und zwar auf seine einfache Aufforderung hin, allein an den von ihm bezeichneten Ort begeben, ohne dafür eine erhöhte Gage noch irgendeine andere Entschädigung, mit Ausnahme der Reisekosten, zu fordern. Diese Reise hat aus dem Wege und in der Weise stattzufinden, wie der leitende Direktor es anordnet.

3. Die Herren Gianni und Nello verpflichten sich, alle Sorgfalt aus die Details des Bahndienstes zu verwenden, in der bei der Zirkusgesellschaft üblichen Form die Terrasse mitzumachen und den Hufschlag zu ebnen, auch die Uniform zu tragen, die ihnen zu jeder Vorstellung für den Bahndienst geliefert wird. »Die Schar von Künstlern in Stallmeister-Uniform, deren Aufgabe es ist, als Staffage im Stallgang an der Barriere zu stehen, in der Manege die Reifen und Hürden usw. zu halten und den sonstigen sogenannten Manegedienst zu versehen.« Anmerkung einer alten Übersetzung dieses Romans aus der Feder eines Zirkuskenners, von der hier sowie an einigen anderen Stellen dankbar Gebrauch gemacht wird. D. Übers.

4. Die Herren Gianni und Nello verpflichten sich, außer zu den vorstehenden Paragraphen, auch dazu, jeden Abend eine Nummer zu geben. Eine Darbietung, welche die beiden Clowns allein auszuführen hatten.

5. Die Herren Gianni und Nello haben sich zu den Proben am vorgeschriebenen Ort und zur vorgeschriebenen Stunde einzufinden, so oft sie hiervon in Kenntnis gesetzt werden, sei es mündlich oder durch Anschlag am schwarzen Brett, wo das Programm und die Reihenfolge der Nummern für jeden Tag angeschlagen werden. Sie verpflichten sich außerdem, mindestens eine halbe Stunde vor Beginn jeder Vorstellung in der Bahn zu sein, auch dann, wenn sie im Programm der Vorstellung nicht aufgeführt sind, in Vertretung anderer oder als Zugabe zu arbeiten, so oft dies von ihnen verlangt wird.

6. Der leitende Direktor behält sich das alleinige Recht vor, die Arbeit der Herren Gianni und Nello zu bestimmen und an derselben alle Veränderungen, Zusätze und Weglassungen anzuordnen, die er für geeignet hält.

7. Die Herren Gianni und Nello dürfen an keinem anderen Orte, weder öffentlich noch privatim, auftreten, außer da, wo die Truppe der Deux Cirques ihre Vorstellungen veranstaltet, bei Strafe des Verlustes einer Monatsgage für jede Zuwiderhandlung.

8. Die Herren Gianni und Nello erklären, daß ihnen die verschiedenen Reglements der Deux Cirques bekannt sind, unterwerfen sich allen ihren Vorschriften und betrachten alle Geldstrafen, welche ihnen Kraft der besagten Reglements auferlegt werden sollten, als legal.

9. Im Falle der Schließung oder Unterbrechung der Aufführungen, wie Brand, öffentliche Notstände, obrigkeitliche Verfügung, Aufruhr oder irgendeine andere Veranlassung, welcher Natur sie immer sei, vorhergesehen oder unvorhergesehen, in jedem Lande, in welchem die Truppe oder ein Teil derselben sich aufhält, auch wenn die Unterbrechung nur einen Tag währen sollte, hört die Gage der Herren Gianni und Nello mit dem Tage der Schließung auf. Hingegen steht es den Herren Gianni und Nello frei, falls die Schließung länger als einen Monat währt, von dem vorstehenden Kontrakt zurückzutreten, indem sie ihre diesbezügliche Absicht dem leitenden Direktor mitteilen.

10. Sämtliche zum öffentlichen Auftreten erforderlichen Kostüme werden von der Direktion der Deux Cirques geliefert. An denselben darf keinerlei Abänderung irgendwelcher Art vorgenommen werden.

11. Vorstehender Kontrakt ist aus die Dauer eines Jahres geschlossen, doch behält sich der leitende Direktor das Recht vor, das Engagement nach Verlauf von sechs Monaten zu lösen.

12. Der leitende Direktor verpflichtet sich, den Herren Gianni und Nello monatlich zweitausendvierhundert Franken zu zahlen. Die Zahlungen erfolgen halbmonatlich.

13. Der leitende Direktor ist in keinem Falle verantwortlich für die Unglücksfälle, welche den Herren Gianni und Nello bei ihren Übungen zustoßen sollten.

*

Die beiden Brüder wollten eben ihre Namensunterschrift unter das »doppelt unterschrieben und beglaubigt« setzen, als der Direktor zu Gianni sagte:

»Und Sie bleiben dabei, auf dem Zettel nur als ›die Clowns Gianni und Nello‹ bezeichnet zu werden?«

»Jawohl, Herr Direktor,« sagte Gianni entschlossen.

»Aber das ist doch Unsinn; verzeihen Sie den Ausdruck! Jetzt, wo die, welche durchaus nicht Brüder sind, es für vorteilhaft halten, vom Publikum als solche angesehen zu werden, wollen Sie, die es wirklich sind ...«

»Später ... werden wir uns auch als Brüder auf die Zettel setzen lassen ... Aber noch ist die Zeit nicht gekommen ... ich ...«

»Wie? Was sagen Sie?« Und da Gianni schwieg, fuhr der Direktor fort: »Nun, wie Sie wollen ... aber ich sage es Ihnen in Ihrem Interesse und in dem Ihres Debüts ... Sie tun unrecht daran ... sehr unrecht.«

*

Der Direktor ging den beiden Brüdern als Führer voran und schritt mit ihnen über den Hof, der die Bureauräume in der Rue de Trussol mit dem Winterzirkus verband: der Privateingang der Artisten. Sie kamen durch Magazine mit Bergen von riesigen Requisiten. An der Decke hingen in fabelhaften höhen phantastische Dinge, wie Mütter Gigogne in rosa Seidenröcken, weit genug, um zwanzig Kinder zu verbergen. Aus dem französischen Kindertheater: Frauen mit zahlreichen Kindern, die unter ihren Röcken hervorkriechen. D. Übers. Durch eine halboffene Tür sahen sie zwei Knaben und ein kleines Mädchen in Paletots, die sie über ihre Trikots gezogen hatten, aus Kegeln balancieren, während ganz in ihrer Nähe ein Königstiger, kraftstrotzend und aufgebracht über diese Nachbarschaft von frischem Fleisch und das unablässige Rollen der Kugeln, sich von Zeit zu Zeit an den Eisenstäben seines Käfigs emporrichtete und ein Prusten ausstieß, das wie ein zischender Dampfstrahl war. Sie durchschritten das Getrappel der Ställe, die in schläfrigem Dämmerlicht lagen, und betraten die Bahn, die jetzt, am vollen Mittag, in dem fahlen Licht aller Bauwerke lag, die nur zur Beleuchtung am Abend bestimmt sind; ein Licht, das trübe war wie ein Sonnenstrahl unter Wasser und das kalte Azurblau in einem Gletschergange.

In der leeren Bahn saßen fünf oder sechs Männer in Mützen und Blusen um einen Tisch herum und studierten eine Pantomime ein, die bei der trivialen Wirklichkeit ihrer Darsteller, den Späßen, die keinen Widerhall fanden, in dem gespenstischen Halblicht des weiten, leeren Raumes einen sonderbaren Eindruck machten.

finis


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