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Fünftes Kapitel

Die Vorstellung endete mit einer Possenszene zwischen zwei bis drei Personen, in der bald die »Kopfnuß«, bald der Hanswurst, bald der Herkules auftrat und in welcher der Direktor, der die Hauptrolle spielte, eine Phantasie in der Erfindung und Szenenführung bekundete, wie man sie in solchen Schaubuden sonst nicht zu finden pflegt. Es waren burleske Szenen ohne Kopf und Schwanz, amüsante Verwicklungen mit schallenden Ohrfeigen und Fußtritten auf den Hintern, die, seit die Welt steht, das Vorrecht genießen, die Menschen zum Lachen zu bringen, Dinge, die geschickt erzählt und von reizend ironischen Gebärden begleitet wurden, staunenerregende Verkleidungen, ein Wirbel von Tollheiten, ein humorvolles Possenspiel, zu dem der Direktor noch die Gewandtheit und Beweglichkeit seines alten Körpers beisteuerte.

Tomaso Bescapé hatte in seiner Jugend als hervorragender Gymnastiker gegolten. Wie er erzählte, hatte er sich in einer von ihm erfundenen Pantomime aus einer Mühle, worin er von dem eifersüchtigen Müller überrascht wurde, dadurch gerettet, daß er über die Spitzen der erhobenen Stöcke lief, welche die von dem Müller postierten Leute trugen, um den Liebhaber seiner Frau durchzuprügeln. Mit dem nahenden Alter jedoch hatte der Italiener sich auf Pantomimen mit bescheideneren gymnastischen Leistungen beschränken müssen, wo er sich mit einigen Lustsprüngen begnügte oder hier und da mitten im Stück den Sprung eines Ausreißers oder eines Betrunkenen einflocht.

Unter den Pantomimen mit Sprüngen, wie er sie ersann, bevorzugte er ein Intermezzo, das seinen jetzigen Mitteln entsprach und zugleich bei der Landbevölkerung und den Kleinstädtern den größten Erfolg hatte.

Der verzauberte Sack.

1. Umgebung der Stadt Konstantinopel, dargestellt durch eine spanische Wand, deren oberer Rand in Form von Minaretts ausgeschnitten war. Spaziergang des alten Bescapé, als Engländerin verkleidet, mit der obligaten blauen Brille, braungrauem Schleier und lächerlichem englischem Anzüge.

2. Begegnung der Engländerin mit zwei schwarzen Eunuchen.

3. Zuredende und anstößige Pantomime der Eunuchen, die der Engländerin alle Freuden und Annehmlichkeiten aufzählen, die sie im Serail des Großtürken finden würde.

4. Tugendsame und entrüstete Pantomime der Engländerin, die erklärt, daß sie eine ehrbare Miß und entschlossen sei, lieber zu sterben als ihrer Jungfräulichkeit zu entsagen.

5. Versuch einer Entführung der Engländerin. Heldenmütiger Widerstand der jungen Dame, worauf einer der Eunuchen einen Sack hervorzieht, die Engländerin mit Hilfe seines Gefährten hineinsteckt und ihn mit einer Schnur zubindet.

6. Aufladen des Sackes aus die Schultern der beiden schwarzen Eunuchen, während die Unglückliche sich sträubt und strampelt wie ein kleiner Teufel.

Nun kam der Knalleffekt. In dem Augenblick, wo die beiden Eunuchen mit ihrer Beute verschwinden wollen, öffnet sich plötzlich der Boden des Sackes, und die Engländerin fällt heraus – im Hemd – läuft davon, was die Beine sie tragen wollen, mit groteskem Entsetzen und hochkomischen Gesten der Verschämtheit, stets verfolgt von den beiden schwarzen Eunuchen und unter dem Gelächter des Publikums in den Sand kollernd und sich überschlagend, wieder aufspringend und weiterlaufend, noch betörter, verblüffter und drolliger verschämt in ihrer spärlichen, weißen Nachttoilette, – bis sie endlich mit einem Horizontalsprung durch ein Fenster in der spanischen Wand verschwindet. –

Schon als drei- bis vierjähriger Knirps steuerte Nello zu den Produktionen der Truppe die Neugier seiner geweckten Augen und die zappelige Munterkeit seines Körpers bei.

Auf dem Schaugerüst sah man ihn anfangs halb versteckt hinter den Röcken der »Kopfnuß«, die er mit beiden Händen festhielt, einen Moment den Kopf hervorstrecken, noch bedeckt mit der weißen, aus drei Stücken zusammengesetzten Kindermütze, unter der sich blonde Haarlocken hervorstahlen; dann verbarg er, erschreckt von dem Gewühl der Menge, den Kopf und die Mütze wieder in dem flitterbesetzten Tarlatankleide, zeigte von neuem ein etwas größeres Stück seiner kleinen Person, diesmal länger und mit etwas weniger Angst. Bald darauf, in einer jener allerliebsten Mischungen von Schüchternheit und Keckheit, in einer Entschlossenheit voll reizenden Zauderns, faßte er sich ein Herz und ging quer über die Bühne, einen Finger im Munde, mit Schritten, die zugleich vorwärtsgingen und zurückwichen, und mit einem Blick, der sich unablässig nach einem Rückzug, einem Zufluchtsort umsah. Endlich ein ungestümes, plötzliches Vorstürzen bis zum Geländer der Schaubühne, hinter dem er sich ganz klein zusammenduckte, indem er das Gesicht hinter einer Querlatte verbarg, sich mit Armen und Händen daran festklammerte und seine Blicke von unten herauf heimlich über den Marktplatz schweifen ließ. Aber bald flößte der Jubelschall der großen Pauke hinter ihm seiner furchtsamen Unbeweglichkeit eine gewisse Unruhe und Zuversicht ein; seine Füße begannen zu trippeln, seine Pausbacken stimmten Töne an, und nun streckte er seinen Kopf beherzt über das Geländer und blickte mit unerschrockenen Augen auf alle die zu ihm erhobenen Gesichter herab. Doch bald regte der Höllenlärm der Musik, das Rasen des Finale, das Brüllen des Sprachrohres, das Delirium des Geschreis und der Anrufe an das Publikum ihn fieberhaft auf; er erwischte einen herumliegenden, schäbigen Hut und einen vergessenen, alten Schal, und in dieser teilweisen Vermummung und Maskerade schloß sich der Kleine, als ob er schon zu der Truppe gehörte und die Aufgabe hätte, das Publikum zu belustigen, dem grotesken Aus- und Abmarschieren des Hanswurstes von einem Ende des Schaugerüstes zum anderen an, drückte die Knie durch und stampfte mit aller Kraft seiner unsicheren Beinchen den Takt, die burlesken Gebärden des anderen nachahmend, halb verschwunden unter dem riesigen Hut und dem buntscheckigen Schal, unter dem ein Zipfel seines Hemdes aus dem Schlitz seines Höschens hervorsah.

finis


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