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Vierzehntes Kapitel

Der Zirkus Bescapé hatte gerade begonnen, in Châlons-sur-Marne ein paar schlechtbesuchte Vorstellungen zu geben, als sich Gianni eines Abends nach Schluß seiner Produktionen von einem Zuschauer beim Namen rufen hörte.

Er erkannte einen Kollegen, mit dem er sich alljährlich auf ihrer Tournee, die beide quer durch Frankreich machten, zu begegnen pflegte. Es war ein kleiner, untersetzter, stämmiger Mann, Le Recousu genannt, der ohne Bude, ohne Musik, damit begonnen hatte, mitten auf einem öffentlichen Platze etwa zehn Personen in einen Karren steigen zu lassen, den er dann mit dem Rücken emporhob. Als er damit Erfolg hatte, vertauschte er den Karren mit einem billig erstandenen Wagen und umzog diesen mit verblichenen Vorhängen, die er von den Kufen der Lohgerber nahm. Auf diesen Wagen folgte ein vergoldeter, antiker Triumphwagen, worin er nun seine Leute emporhob. Und es hieß, daß der unternehmende kleine Kerl, der eine Taschenspielerin geehelicht hatte, mit seinem antiken Triumphwagen und den Kartenkunststücken seiner Frau viel Geld verdiente; denn sie lebten in den Wirtshäusern auf großem Fuße, aßen alles Geflügel weg und tranken versiegelte Weine.

Le Recousu erzählte Gianni, er sei heute zu spät am Tage angelangt, um seine Bude noch aufzuschlagen, bedauerte den schlechten Besuch der Vorstellung, schimpfte auf die »dreckige« Zeit, die er den ganzen Sommer durchgemacht hätte, klagte, daß das Geschäft jetzt erbärmlich sei, und unterbrach diese Jeremiade plötzlich mit den Worten: »Wahrhaftig, mein Junge, es wird Zeit, daß du dir diesen Bettel vom Halse schaffst!« Und als Gianni weder ja noch nein antwortete: »Na, dann komm doch morgen zu mir in den ›Roten Hut‹ wir können vielleicht ein Geschäftchen miteinander machen.«

*

Gianni fand Le Recousu im Wirtshause zum ›Roten Hut‹ bei Tische sitzend. Rechts und links von ihm standen je zwei leere Flaschen, und die fünfte brach er eben an. Auf seinem breiten Gesicht mit den scharlachroten Flächen in der Nähe der Ohren und den Augenbrauen, die wie aus Stücken von weißem Kaninchenfell geschnitten waren, vermischte sich lachend die Jovialität eines derben Spaßmachers mit dem verschmitzten, klaren Blick des normännischen Bauern.

»Na, da bist du ja endlich! ... Nimm dir einen Stuhl und ein Glas und setz dich dahin ... Vater Bescapé hat nun also doch ins Gras gebissen! ... Ich mocht' ihn gern, den alten Affen ... Es hätte mir Freude gemacht, bei seinem Begräbnis dabei zu sein ... Ja, für einen Spitzbuben war das ein ganzer Kerl ... Und wie der Hundsfott die Leute auf den Leim zu locken verstand ... Mein Junge, ich, Le Recousu, sage dir, du hast einen Prachtkerl von Vater gehabt ... So einer kommt nicht wieder ... Die Mutter, die so'ne Menschen zur Welt bringt, die wirft nicht mehr ... Trink, Bengel ... Na, und was verlangst du denn für deinen ganzen Plunder?«

»Ich verlange dreitausend Franken, Le Recousu.«

»Bare dreitausend Franken! ... Du willst wohl 'n Witz machen, mein Junge ... Du denkst wohl, ich erstickte so in den Hunderten und Tausenden ... weil ich heuer statt dem Karren 'neu Triumphwagen mit Gold drauf habe ... Aber du weißt so gut wie ich: es geht nicht mehr so, wie es mal ging ... Na, man muß sich in Geduld fassen ... und die Zeit nehmen, wie sie läuft, und das Geld, wie es kommt ... Denn siehst du, mein Junge, was ich habe, oder besser, was ich nicht habe ... das genügt mir ... das befriedigt mich, was? ... Und ich hatte so gerechnet, zwölfhundert Franken rauszurücken ... und die Hand drauf, ich dachte, du würdest mir dafür die Pfoten ablecken ... Trink, Bengel!«

»Nein, Le Recousu, dreitausend Franken, auf Nehmen oder Nichtnehmen.«

»Himmelsakerment, ist's wirklich wahr, was du redest?«

»Ei, Le Recousu, Sie wissen sehr gut, es sind zwei Pferde, zwei Wagen, das Zelt und alles übrige dazu.«

»Reden wir zuerst von deinen Pferden: das eine ist dämpfig, das andere verliert die Haare am Schwanz ... Was die Maringotte betrifft, so klappert sie mit dem Eisenzeug wie der Hafen gleichen Namens ... du weißt wohl nicht, daß die Firma Dingsda so'n Zeug jetzt ganz neu liefert, mit nackten Weibern von den ersten Pariser Malern draufgemalt, für 1500 Franken ... Und meinst du etwa, dein anderer Kälberkarren ist viel wert? ... Was das Zelt betrifft, das Manufakturzelt, das hab' ich mir gestern angesehen ... Na, ich rede christlich, wahrhaftig, ich bin nicht sicher, ob da noch Leinwand um die Löcher herum ist ... Trink, Bengel!«

»Hören Sie mich an, Le Recousu, wenn Sie das Geschäft nicht machen wollen, so wird's wohl die Biquebois machen.«

»Die Biquebois! ... Die sich mit einem Krummbeinigen verheiratet hat – Tourne-à-gauche Etwa: Dreh' dich links um. heißt der Kerl – diese verfluchte Gaunerin, die lange Zeit eine Frau mit Schweinskopf zur Schau stellte ... war aber 'ne Bärin, die alle Morgen am ganzen Leibe rasiert wurde ... Die Biquebois hat dir Vorschläge gemacht ... Mußt dich da etwas vorsehen, mein Junge, die steckt tief drin in den Schulden ... Jawohl, Unschuldslamm, mitten in Wechselprotesten und Gerichtsvollziehern ... Trink, Bengel!«

»Wenn Sie das sicher wissen, Le Recousu, dann halt' ich mich an Vater Pizarre.«

Damit stand Gianni auf.

»Vater Pizarre? ... hatte der nicht was gegen die Sittlichkeit? ... Na, schon gut, du sagst sonst, ich verklatschte die Kollegen ... Ja, Le Recousu, den kennt man, gegen den ist nicht ein Härchen zu sagen ... Aber du, weißt du, du kennst ja alles besser ... Du bist wie die Grenze bei Tournai, wo keine Maus durchkommt, der man nicht die Haare am Leibe zählt ... Wirklich, hör mal, ich habe den kleinen Spitzbuben arbeiten sehen ... Er macht sich gut, die Kröte ... Ein Kreuz wie von Weidenruten ... Und in den Beinen, da kribbelt's ihm beständig ... Ja, wahrhaftig, der Bursche wird seinen Weg schon machen ... auf den beiden Händen! ... Trink doch, Bengel!«

»Danke, ich habe keinen Durst ... Also zum letzten Male, Sie nehmen die Sache nicht für dreitausend Franken?«

»Ha, nicht mal ein letztes Entgegenkommen ... Ja, wenn du nicht mal beim Anstand zu packen bist ... Na, um ein Ende zu machen, geb' ich dir zweitausend Franken in bar.«

»Nein, Le Recousu, Sie wissen so gut wie ich, was ich Ihnen verkaufe, ist mehr als dreitausend Franken wert ... Doch halt ... Ich lasse Ihnen das Ganze für zweitausendfünfhundert Franken unter der Bedingung, daß Sie mich bar bezahlen und alle meine Leute übernehmen.«

»Alle deine Leute übernehmen ... das heißt soviel wie mir vorschreiben, ich soll mir den Hintern an einen Dornbusch wischen ... Was soll ich um Gottes Willen mit dem ganzen Pack anfangen? ... Deinem Posaunenbläser ist die Luft ausgegangen ... Dein Herkules ist nur noch dazu gut, Pakete nach der Stadt zu tragen ... Dein Grimassenschneider, dein Witzbold, dein Cochegru, ich möcht' ihn nicht haben, um meinen Hund zu amüsieren ... Deine Tänzerin auf dem Eisendraht ist steif wie 'ne alte Feuerzange und kriecht bei der großen Promenade über'n Draht, als ob sie zu faul wäre, sich begraben zu lassen.«

»Ei, nun, Le Recousu, Sie haben doch versucht, sie mir wegzulocken; ich weiß es.«

»Ha, so ein Teufelsjunge! ... Mit seiner Miene wie Hans Dampf ... Er ist noch gerissener wie sein Vater ... Und dabei wird er sich nie mit Worten reinlegen ... Mein Junge, du bist mir entschieden über! ... Na, denn mal raus mit dem Mammon ...«

Damit zog Le Recousu einen Gürtel hervor, wie ihn die Viehhändler tragen.

»Da, hier hast du deine zweitausendzweihundert.«

»Ich sagte zweitausendfünfhundert, Le Recousu, und überdies das Engagement meiner Leute.«

»Na, schön; man muß wahrhaftig alles tun, was dieser Unglücksmensch will.«

»Sie zahlen mir das Geld bei der Übernahme, Le Recousu, ... Kommen Sie und übernehmen Sie, was Ihr ist ... denn ich reise fort ...«

»So auf der Stelle ... Ei, keinen Unsinn ... Du willst doch keine andere Truppe zusammenbringen?«

»Nein, dies Leben ... ist zu Ende ...«

»Du sattelst um? Du gehst durch die Lappen?«

»Das sollen Sie später erfahren ...«

»Also top, nicht wahr? ... Dann geh nur voran ... Ich komme nach ... Ich muß nur noch die sechste hinter die Binde gießen ... Sonst hab' ich mein Maß nicht voll.«

finis


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