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VIII.
Die Liebe zum anderen Geschlecht.

»Ich habe Euch geliebt, mein ganzes Leben lang, eh ich Euch jemals gesehen; denn Ihr seid die verkörperte Form aller jener unbestimmten Träume von Schönheit, welche meiner ersten Jugend vorschwebten, die ich mit so schmerzlicher Sehnsucht vergeblich in Allem aufsuchte, das den göttlichen Geist der Schönheit enthält: im Sternengefunkel der Nacht, im Lichtmeere des Mittags, im Morgen- und Abendroth. Ich wollte meine heiße Sehnsucht zwischen starren Felsen und im Wellenschaum des Ozeans stillen; ich suchte die Verwirklichung meines Ideals in Beredsamkeit, Schlachtenbegeisterung und Musik, in allen Freuden; in Allem habe ich dieselbe unerschöpfliche Leere gefunden, die nur Eure Liebe ausfüllen kann!«

Englischer Roman.

Liebe ist ein Denken ohne Gedanken, ein Sinnen mit den Organen des Lebens, die Circulation des süßen Saftes im Maienbaume, ein Denken mit der Seele Adams und Evas vor dem Sündenfall.

Wahre Liebe ist eine himmlische Pathologie, ein Fühlen ohne die Sturmfluth, ohne den Egoismus der Leidenschaft; eine Seelenlust ohne Sinnenlust und Begehrlichkeit, eine Melancholie ohne Schmerz, eine Tugend ohne Thatendrang.

Liebe ist eine Erfüllung, ein seliges Haben, eine Religion ohne Sehnsucht, eine Heiligung des Erschaffenen und der Gegenwart, ein Verträumen der Wirklichkeit und ein Verwirklichen des schönsten Traumes. In solcher Liebe giebt es keine andere Tugend und Religion als das Lieben. Wer so liebt, der besitzt und leistet das Beste. – Außerhalb dieser Seelen-Geschichten, welche den Geist so lange absorbieren, bis sich das Gemüth constituirt, existirt kein Lebensinhalt, kein Erdengut, kein Sinn und Zweck. Mit solcher Liebe ist die Schönheit, die Wahrheit, die Erlösung von allem Uebel gegeben. Dies Himmelswunder im Weibe wach zu rufen, wenn man ein Mann ist, im Manne, wenn man ein Weib ist, die irdische Gottheit zu heiligen, in ihrer Nähe zu athmen: ist allein Poesie und Glückseligkeit. Ohne diese Liebe ist das Leben der Tod.

Liebe ist ohne Zusammenhang mit dem, was war und kommen wird; sie ist ihr eignes Reich und ein Gesetz in der Freiheit eines absoluten, eines göttlichen Lebens, in welchem es keinen Zwiespalt mehr giebt: zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Sollen und Wollen, zwischen Sinnlichkeit und Vernunft. Diese Liebe kennt keinen Unterschied von Mitteln und Zwecken, von Ursache und Wirkung, von Form und Wesenheit, von Subject und Object, von Schein und Sein; in ihrer seligen Gegenwart, sind alle Gegensätze und Scheidelinien zur vollkommenen Weltharmonie aufgelöst. Sie ist die Erlösung von dem Widerspruch und unglückseligen Zerwürfniß zwischen Natur und Geist, Person und Welt, zwischen Seele und Verstand. Diese Liebe ist Heiligung, Dichtung, Tugend und Glückseligkeit in Einem: sie ist das, was immer war und sein wird. Nach ihr kommt nichts, vor ihr war nichts, außer ihr ist und gilt nichts, denn sie ist der Odem Gottes und sein irdischer Leib.

Was Wahrheit und Wirklichkeit hat, verwebt sich mit dem Odem der Liebe und ruht in ihrem Schooß, sie ist der Quell der Begeisterungen, der Tugenden, der Heldenthaten, der Religionen, der Geschichten und jeder Prophetie.

In jedem Ton der süßen Stimme zittert die ganze Seele der Geliebten und verlöscht den Sinn der Worte, die sie spricht. In ihren Blicken entschleiern sich die Mysterien der Natur. Wenn sie das Haupt bewegt und die Hand hebt, so schreibt sie den Grazien Gesetze vor; aber dem Manne stockt der Athem, wenn er inne wird, wie die Geliebte sichtbare Musik machen darf. Wer ohne Liebe dichten und denken, ohne Liebe eine Erkenntniß und Tugend haben will, macht ein Geräusch und eine Geschäftigkeit ohne Leben, einen Wortschall ohne Sinn und Ton; hat nicht Seele genug, ein armer Narr zu sein, ist nur eine Figur, die der Bildnerin Natur entglitt, bevor ihr der Schöpfer den Liebesodem einblies. Darum, weil sich in der Liebe, wie im Welt-Erlöser, Alles erfüllt, ist ihre Erscheinung Ruhe und Gottes-Frieden. Der Weltlärm ertönt ohne Schall vor ihrer Stimme; die Gebilde der Wirklichkeit, die Weltstädte zerfließen wie Nebelbilder vor ihrem Nahen; vor ihrer Gestalt wandelt sich die Weltherrlichkeit zur Geschichte, und die Geschichte mit der Menschensatzung: in das gedächtnißlose Nichts. Nur die in Liebe erzeugte Schöpfung bildet die harmonische Umgebung des liebenden Geschöpfs. Nur die Natur-Scenen sind die Bilderschrift der Liebe, welche die Welt erhält und mehrt. In der Phantasie, in der hehren Leidenschaft der Liebenden verklären sich Tages- und Jahreszeiten, Wind und Wetter zum irdischen Paradies!

Wer die Geliebte anblickt, trinkt die Seele der Geschöpfe und Geschichten; wer ihre Stimme hört, dem saugt sie den Odem aus; wer ihren Bewegungen zuschaut, dem wird das Gesetz der Schönheit offenbart. Wenn die Geliebte uns entgegenkommt, so halten die Planeten auf ihrer Bahn, denn sie lernen von ihr Sphären-Harmonie. Wenn sie den Blüthenkelch ihres Mundes öffnet, und Worte spricht, so ist es still auf Erden; denn was noch nicht belebt ist, empfängt seine Seele von ihr. Wer ihre Liebesworte gehört hat, der denkt nichts Anderes mehr, als ihren Sinn und Ton. Wen die Geliebte anredet, wen sie berührt, dem entflieht in dem Augenblick der irdische Geist, der ist nicht mehr sein eigen, der folgt ihrem Schatten. Vor ihrer Engel-Erscheinung versinken die alten Gedanken, die alten Wünsche, die alten Sinne und die ganze Welt; wen sie liebt, dessen Seele wird zum andernmal geboren und entsühnt!

Novalis erzählt ein wunderschönes Märchen: »Ein Jüngling pilgert durch die ganze Welt, um Weisheit und Wissenschaft zu erlangen; im Tempel zu Sais soll sie ihm zu Theil werden. Die Priester lassen den Weisheitsjünger endlich hinter den Vorhang blicken, welcher das Allerheiligste der Wahrheit und Glückseligkeit verdeckt, und vor ihm steht die Gestalt seiner Geliebten aus der Heimath, die ihm wortlos in die Arme sinkt.«

* * *


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