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IV.
Grazie und Liebenswürdigkeit.

Graziös ist nur die Natur in uns; wenn sich diese aber wirksam erweisen soll, muß sich der Geist passiv verhalten und nicht oppositionell. Wer sein Ich, seine Persönlichkeit vergißt, mit dem spielt die Welle des allgemeinen Lebens und wirkt so die sittliche Grazie des Weltgeistes.

Unsere Persönlichkeit ist in der Regel schon eine verkehrte Kunst-Natur; verglichen aber mit der großen Lebensökonomie, mit dem Gesetze der Schönheit, erscheint selbst die naivste und einfachste Menschen-Natur als Einseitigkeit, Egoismus und Carricatur.

Die Rahel sagt:

»Ich wäre ein sehr verkrüppeltes Geschöpf geworden, läge nicht großartige Betrachtung der Natur aller Dinge in mir, und jenes Vergessen der Persönlichkeit, ohne welches die genialischen Menschen keine wären. Dies Selbst-Vergessen ist der einzige Leichtsinn, den mir der gütige Gott mitgegeben, und die einzige Grazie in meiner ganzen Natur

Rahel faßt also tiefsinnig die Grazie als Naivetät, als ein Vergessen der eigenen Persönlichkeit, als den leichten Sinn, welcher die Eigenthümlichkeit an das allgemeine Leben hingiebt, als die Versöhnung des particulären Lebens mit dem generischen Sein.

Nur wo das individuelle Leben vom allgemeinen verschlürft wird, kann die Grazie erblühen; aber darum ist es nothwendig, daß ihr die Charakter-Energie und der sittliche Rhythmus des Mannes vermählt werde: denn lauter Grazie führt zum sinnlichen Nihilismus, zur Charakterlosigkeit, wie die Charakterhärte zur Unliebenswürdigkeit und häßlichen Unnatur.

Das Festrennen in die Persönlichkeit macht selbst einen Jean Paul so abgeschmackt ungraziös und taktlos bei aller Herzlichkeit. Die Rahel empfand diesen Mangel an Geschmack bei J. Paul so übel, daß sie ihn sich nur schmutzig denken konnte.

Die Koketterie mit der Persönlichkeit muß bis zur Narrheit führen. Der Narr sitzt eben um des Mangels an generellem Verstande und Weltleben auf dem Isolirstuhl, indem er Illusionen wie Wirklichkeiten traktirt.

Das allgemeine Leben handelt naturnothwendig von allen Augenblicken in uns und außer uns etwas ab. Wir müßten wahnsinnig werden, wenn es nicht geschähe.

Umgekehrt steht fest, daß nur im Partikularismus, in der Abschließung von der Weltmannigfaltigkeit und dem Augenblicksleben diejenige Selbstbesinnung, Selbsttreue, Festigkeit und Thatkraft bewahrt wird, in welcher der Charakter besteht, und daß ohne ihn die Narrheit verschuldet wird, wiewohl auch die Charakterfestigkeit bis zur Narrheit getrieben werden kann.

Rahel sagt treffend: »alle Wahrheiten sind nur Lokal-Wahrheiten«, und diese Augenblicks-Wahrheiten muß die Zeit reguliren, dekliniren und zu allgemeinen Wahrheiten erheben. Grazie ist flüssig; sie zeigt recht eigentlich den Uebergang des Augenblicklichen, Individuellen und Lokalen in das Generelle, in die Weltökonomie; ist also die Abbildlichkeit des sittlichen Lebens!

Eine trockene Grazie giebt es nicht, eine trockene Wahrheit ist nicht graziös, und kein trockener, unelastischer, unflüssiger, unbeweglicher Verstand ist graziös. –

Grazie, als die » Schönheit der Bewegung«, kann sich nie in der Hast entwickeln, denn Schönheit kennt keinen prononcirten Gegensatz von Natur und Geist, also auch keinen von Mitteln und Zwecken, von Stoff und Form, von Ursache und Wirkung, oder von Theil und Totalität, wo aber jeder Augenblick Selbst-Zweck ist, da fällt auch die Ursache zur Eile fort, da ist Hast und Ziel ein Widersinn. Die erste Bedingung der echten Vornehmheit ist also schon um der Grazie willen eine Ruhe, welche, ohne Indolenz zu verrathen, Harmonie, Sättigung, Integrität und schönes Ebenmaaß aller Geistes- wie Gemüthskräfte manifestirt. Personen von Distinction haben demnach schon aus inneren Gründen und weil sie Erziehung besitzen, keine hastigen und keine solchen Manieren, die für sich selbst etwas bedeuten wollen. Ueberdies liegt ihnen Eile aus äußeren Veranlassungen in der Regel ebenfalls fern; – denn nur der Arme oder der mit Geschäften überhäufte Mensch, der nichts versäumen, nichts verloren gehen lassen darf, weiß so zu sagen »seinem Leibe keinen Rath.« Wenn dem vornehmen Manne wirklich Eile Noth thut, so maskirt er sie, weil er wohl weiß, daß sie mit der Würde unverträglich ist und den Nimbus der Hoheit und Fürstlichkeit sogleich zerstört. – Verlorene Balance, Unruhe, Ungewißheit, Ungeberdigkeit, Gereiztheit, jede Leidenschaftlichkeit und Verzagtheit verrathen aber noch weit mehr als Geschäftigkeit und Hast den Alltags-Menschen und sein unmännliches Naturell; Haltung, Styl und Ruhe charakterisiren den Mann und die vornehme Person. – Die Grazie ist aber gleichsam die Blüthe dieser nobeln Lebensart und Sittlichkeit, die ihrerseits aus der Verläugnung der individuellsten Augenblicke und aus dem Ebenmaaß aller Kräfte hervorgeht. Der vollkommen gebildete Mensch hat keine Formen, die sich nur als solche darstellen und geltend machen wollen, denn in der lebendigen und vollkommenen Bildung verschmilzt, ähnlich wie in den Goethe'schen Gedichten, der Gegensatz von Form und Wesenheit zur Grazie und schönen Natur. Häßlichkeit, Prosa, Ungrazie und Unbehagen ist eben da, wo der Dualismus, der Schematismus und Mechanismus zum Vorschein kommt, und wo auf einzelne Augenblicke auf die individuellsten Motive und Figurationen ein ungebührlicher Accent gelegt, wo ein rigoroser Rhythmus mit Prätension in Scene gesetzt, wo einer Emphase und Excentricität, gehöre sie der Wissenschaft, der Sitte, dem Recht oder der Religion, die schöne Harmonie und der stille Fluß des Lebens geopfert wird. – Mit der sittlichen Emphase, mit der Charakter-Energie kommt es zum Bruch zwischen Natur und Geist; mit diesem Bruch beginnt die Cultur-Geschichte, die Geschichte des vernünftigen Geistes; aber mit den Grazien ist's dann vorbei, und sie kommen erst zum Vorschein, wenn der Dualismus von Natur und Geist durch Liebe und Poesie, durch die schönen Künste versöhnt ist. In der Grazie stecken nicht nur die weiblichen Tugenden und Zaubereien, sondern auch die weibliche Charakterlosigkeit, die weibliche Unentschiedenheit und Willenlosigkeit, die dann wieder nach dem Gesetz der Reaction in Eigensinn, Ceremoniell und Schematismus umschlägt. Die Grazien vermeiden zwar, so lange sie bei guter Laune sind, Inconvenienzen, Uebertreibungen und Zerwürfnisse, aber sie verschulden auch Verschleppungen, Confusionen, Unordnungen und Schlaffheiten, weil bei ihnen jeder Rigorismus, jeder scharfe Accent und jede bestimmte, scharf begrenzte Unterscheidung verpönt ist. – Die Grazien mahnen keine Geldschuld, aber sie halten auch nicht so leicht einen Termin, weder in Geldsachen noch sonst worin ein. Die weibliche, d. h. die graziöse Tugend taugt besser zur Conversation als zum Geschäft, besser zum Gehorsam als zum Befehlen. Graziöse Arbeiter, Lehrer, Richter, Helden, Reformatoren oder Polizeidiener gewinnen keinen soliden sittlichen Effekt und keinen kürzesten Prozeß.

Die Grazien dürfen aber wiederum nicht echauffirt und abgearbeitet, mit scharfen Accenten oder mit »griffigen Redensarten« in Scene gesetzt sein.

Venus-Maler sollen sich nicht auf Charakterköpfe capriciren, und Ballettänzer nicht die männliche Würde prononciren oder den Ernst der Weltgeschichte tanzen wollen.

Summa Summarum: die männliche Tugend, die prononcirte Kraft des Geistes, des Willens, des rhythmisch bewegten Charakters hat verdammt wenig mit der antiken, der naiven, der weiblichen Grazie, und diese hat eben so wenig mit dem ganzen Ernst der christlichen Tugend, d. h. mit dem Schisma und Kampf zwischen Natur und Geist zu thun. Nur dem alten Adam der Griechen ward die volle Grazie, die unverkümmerte Natur-Schönheit, die Inspiration und Natur-Plastik zu Theil.

Eine andere Grazie ist die des Geistes und eine andere die der Sinnlichkeit; eine andere die männliche und die weibliche, die antike, die naive, die plastische, und eine andere die christliche moderne und musikalische Grazie, Tugend und Kunst. Keiner Tugend, keiner Kunst und keiner Männlichkeit darf die antike, weibliche Grazie ganz fehlen; aber umgekehrt arten die Grazien ohne Dialektik, Rhythmik und männlichen Geist in Lüge und Flachheit, in Koketterie, Sinnlichkeit, Confusion und Charakterlosigkeit aus. –

Die graziösen und liebenswürdigen Menschen sind eben das, was sie sind, weil sie die scharfen Accente, die Cäsuren, die Emphasen und alle Uebertreibungen vermeiden; aber eben darum muß man bei ihnen nicht die Charakter-Entschiedenheit, die auf einen Punkt gerichtete Thätigkeit, die Treue, die Gewissenhaftigkeit, die Mühseligkeit, die Originalität und die Virtuosität in einer solchen Sphäre suchen, welche Abstraction von der Sinnlichkeit und dem schönen Schein verlangt. Eine Magd, die etwas Graziöses und Tänzelndes in Gang und Haltung besitzt, wird schwerlich Kraft beim Waschen und Scheuern anwenden, und der allerweltsgewandte, flinke Knecht wird selten die Nachdrücklichkeit und Ausdauer mit Holzaxt und Dreschflegel haben, als ein plumper und sturer Kamerad, falls er nicht zu den extrafaulen Exemplaren gehört. In den genievollen Menschen finden sich freilich Grazie und Kraft, Leichtigkeit und Nachdrücklichkeit, Liebenswürdigkeit, Gründlichkeit und alle anderen Gegensätze vereint, die Alltagsleute aber werden von einer entschiedenen Richtung, Tugend, Gewohnheit, Form und Kraftäußerung absorbiert. Genievolle Gelehrte und Künstler zeigen sich oft in dem Maaße liebenswürdig, mittheilsam und human, als sie Tiefsinn und Gründlichkeit in ihren Studien darthun; der gewöhnliche Gelehrte und Künstler verliert aber in der Regel das an geselliger Liebenswürdigkeit und rein menschlichen Tugenden, an der Harmonie und Integrität seines ganzen Wesens, was er an Erudition und Virtuosität in seiner Wissenschaft oder Kunst vor sich gebracht hat: sie wächst ihm über den Kopf, sie wird ihm zu einer dämonischen Macht, zu einem schmarotzenden Ungeheuer, welches sein Herzblut trinken darf. Umgekehrt steht die Erfahrung fest, daß eben die graziösesten Frauen die unsolidesten sind, daß sie mit dieser Grazie die Charakter-Energie absorbiren und von dem Augenblick leer ausgehen, wo mit der sinnlichen Blüthe die Grazie Abschied nimmt. Von der Natur fehlerhaft gebaute und eingesetzte Gliedmaßen erlauben keine freien, spielenden, graziösen Bewegungen; in ihnen malt sich und zeichenredet die ganze Anatomie. Weiber mit stark auswärts gedrehten Beinen, mit hastigen, eckigen, plumpen Bewegungen, mit ausgreifenden Schritten, unternehmenden Arm- und Leibes-Schwenkungen, mit weit vorgebeugtem, vorauf recognoscirenden Oberleibe, mit Ellbogen, die gewaltsam von den Rippen abgewendet und gekrümmt, hin und her geschlenkert werden, sind meist so schroff und geschmacklos in ihrem Charakter, wie in Bewegung und Gang.

Zierlichkeitsüppig trippelnde, affectirte, auf den Fußspitzen tänzelnde, in den Düften kokett-bewegliche Weibsbilder sind gleichfalls keine erquickliche Erscheinung und keine gesegnete Acquisition für einen ehrlichen Mann.

Allzuzierlich ist eine Närrin, allzuliebenswürdig eine Dirne und allzugradaus ein Trampelthier in menschlicher Gestalt. – Wenn irgend wo und an wem, so will man am Weibe das Ebenmaaß, die Integrität einer schönen Natur und diejenige gesättigte Harmonie aller Geistes- und Sinnenkräfte verwirklicht sehen, deren Personification eben den Zauber der Weiblichkeit für den minder harmonisch gebildeten Adams-Sohn ausmacht.

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