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II.
Der Rhythmus und die weibliche Natur.

Unbegreiflicher Weise haben bis jetzt Ethiker und Aesthetiker den Begriff und die Thatsache des Rhythmus ignorirt. Der Rhythmus ist ein Haupt-Kriterion des Geistes, der Charakter-Energie, des männlichen Wesens und der sittlichen Lebensbewegung im Unterschiede der elementaren Natur. Die elementare Natur wächst und bildet still, gleichmäßig, unmittelbar und allmälig fort, sie zeigt keine bemerklichen Accente, Gravitations-Punkte und Cäsuren; man hört und sieht in der Natur nirgend ein Räderwerk, eine Maschinerie, einen Kraftaufwand; sie ist so sanft und schmeichelnd, so liebenswürdig lind und leise, so passiv und spielend in ihren Vermittelungsprocessen, wie gebildete Frauen, deren Lebenskunst und Grazie einer Weberei zu vergleichen ist, » wo die Schiffchen herüber und hinüber schießen, die Fäden ungesehen in einander fließen und ein Schlag tausend Verbindungen schlägt«, ohne daß man die Fußtritte, den Ruck und Zug des Webestuhls hören und sehen oder gar mit Händen greifen kann. Aber nachdem die liebenswürdige Natur lange genug so leise im Weben und Wachsen gewesen ist, nachdem sie uns mit lauen Lüften gefächelt, mit Kinder- und Weiberlocken geschmeichelt hat, entbindet sich aus dem blauen Himmel, aus der langen Liebe, aus den langen Locken und kußlichen Lippen, aus den harmonischen und flüssigen Lebensarten plötzlich ein stürmisches Donnerwetter, welches Himmel und Erde in's Chaos zurückzuwandeln droht. Es erhebt sich ein dämonischer Geist, ein Rhythmus der Leidenschaft, des Eigenwillens, des Widerspruchs, des Jähzorns, der sich in den schneidendsten Accenten austobt und mit seinen Cäsuren das ganze Gewebe der Liebe und Liebenswürdigkeit wie mit Messern zerschneidet. In solchen Extremen von Passivität und Ueberkraft, von warmer Flüssigkeit und scharf crystallisirender Kälte, von confusem Temporisiren und totaler Rücksichtslosigkeit gefallen sich die Weiber, die Naturalisten, die Prakticanten, die Kinder und das Volk nach dem Muster der elementaren Natur, die in ihnen eingefleischt ist. – An der Natur und den Naturmenschen begreifen wir erst den Geist! Er ist die aus der überschüssigen Sinnlichkeit und Seele frei entbundene transscendente Kraft; er muß nach dem Gesetz der Polarität und Reaction den Gegensatz zur natürlichen Basis bilden, und er bildet ihn dadurch, daß er die elementare Flüssigkeit der Natur durch einen förmlichen Verstandes-Mechanismus inhibirt. Es ist selten den professionirten Philosophen und niemals den Dilettanten klar, daß der Geist zur Seele nicht nur in einem dynamischen, sondern auch in einem mechanischen Verhältnisse steht, daß er sich nur in Formen reflectiren, daß er sich ohne Mechanik und Schematismus gar nicht in Scene setzen, nicht thätig erweisen kann, daß jeder Rhythmus ein Ausdruck dieser Geistes-Mechanik ist, und daß eben durch sie die sinnliche Confusion und die elementare Nothwendigkeit des Naturalismus bezwungen werden muß; – wie wir das in den Anfängen aller Cultur-Geschichten ersehen.

Die Frauen, das Volk und die Barbaren executiren nur den Rhythmus der Leidenschaft und cultiviren dabei Pedanterie und Ceremoniell. Sie kennen auch den tyrannischen Mechanismus des Verstandes, aber sie effectuiren ihn nur im Interesse der Selbsterhaltung, sie haben nicht den Rhythmus des förmlichen Verstandes, den logischen Enthusiasmus der ein solcher in Kraft einer Idee, einer Begeisterung für Recht und Wahrheit ist. Nur das ideal getriebene Leben des deutschen Menschen, des deutschen Dichters und Denkers, bietet dem Biographen ein metrisches Gesetz an. – Wir scandiren in unseren Herzen das Leben und Wirken Luthers und Huttens, wie Schillers und Fichtes, und fühlen an diesen Genien den sittlichen Rhythmus des deutschen Volkes heraus. – Auf ihn versteht sich aber die Masse der naturalistisch gearteten Weiber so wenig, wie der Mann und Gelehrte auf die Lösung der prononcirt rhythmischen Thätigkeit durch Grazie und Liebenswürdigkeit. Es ist das Geheimniß anmuthiger und graziöser Frauen, daß sie den sittlichen Geist von seinen scharfen Accenten und Cäsuren befreien.

Logik, Dialectik, Methode und Styl sind nichts anderes, als die Figurationen des rhythmischen Geistes, d. h. der männlichen Art, zu welcher die graziöse Lebensart, die Anmuth und Liebenswürdigkeit der Frauen (das ewig Weibliche) ein Gegengewicht bilden muß. Die Weltökonomie, die Lebens-Schönheit besteht in der Neutralisation des männlich rhythmischen Geistes durch weibliche Grazie, und dann wieder wird sie von dem rhythmischen Geiste des Mannes schematisirt und stilisirt.

Die Frauen haben den Rhythmus des Herzens, aber nicht den des Kopfes. Die Diagnose des rhythmischen Geistes ist der in scharfe Accente gesetzte, der präcis formulirende, Consequenzen, Cäsuren und Normen respectirende Verstand. Die Diagnose eines rhythmischen Charakters ist die Entschiedenheit und Schärfe seines Wesens und Willens, die Gravitation seiner Gemüthskräfte gegen irgend eine Idee und einen Punkt, bei nüchternem Muthe. Diesen Rhythmus des Charakters zeigt auch das Weib, der Barbar und der Naturalist; aber der Impuls kommt bei ihnen nicht wie bei dem geschulten deutschen Manne, vom Geiste, von einem klaren Begriffe, sondern von einer Leidenschaft her. Das Ziel der Barbaren und Naturalisten ist nicht Gesetz und Wahrheit, sondern Macht, Egoismus, Eigenwille und sinnlicher Genuß. Kinder, Frauen und Wilde verrichten keinerlei Arbeit mit gemeinschaftlichem und prononcirtem Rhythmus, mit einem bemerklichen Zug und Ruck. Erst die Arbeiter der cultivirten Nationen: Matrosen, Zimmerleute, Kornmesser, haben durch Erfahrung die Nothwendigkeit erkannt, im Rhythmus thätig und durch ihn zu einem einzigen Arbeitskörper verbunden zu sein.

Frauen, Barbaren, Kinder, Südländer und Naturalisten sind liebenswürdiger und graziöser, aber in allen werktäglichen Lebensarten viel weniger entschieden, eifrig accentuirt, methodisch, consequent, d. h. rhythmisch, als der deutsche und schulgerecht gebildete Mann. Und weil es so ist, darum fühlt sich das elementar graziöse, flüssige, formlose Weib zum rhythmischen, sittlich accentuirten Manne hingezogen. Es will seine sittliche Zerfahrenheit und Auflösung durch den förmlichen Geist, den methodischen Verstand des Mannes gefestigt, es will seinen wetterwendischen Naturalismus durch die vernünftige Mechanik des Mannes regulirt und inhibirt sehen. Eben so fühlt der Mann seinen Geist durch des Weibes Seele, fühlt er seinen Schematismus durch ihre Natur und Lebensunmittelbarkeit, seine Mathematik und Pedanterie durch ihre Divination und Grazie flüssig gemacht.

Des Weibes melodische Seele bildet erst mit der harmonischen Kunst und dem rhythmischen Geiste des Mannes eine vollkommene Musik. Selbst in den facettirten Muskeln und in den eckigen Bewegungen des Mannes hat die Natur die scharfen Accente seines Wesens, wie in den weichen verfließenden Formen des weiblichen Körpers, und in seiner Wellen-Bewegung den melodiösen Sinn und die Grazie des Weibes ausgedrückt. – Wer das begriffen hat, wird in der Liebe und Ehe noch ein tieferes Gesetz, eine sublimere Oekonomie und Genugthuung, als die der Fortpflanzung des Menschengeschlechts ersehen. Das »ewig« Weibliche soll dem Männlichen, die Natur dem Geiste vermählt werden. Das ist die absolute Satisfaction des Weltgeistes, das heilige Gesetz der Lebensökonomie. Man kann vom Rhythmus nicht verhandeln, ohne gewisser Unregelmäßigkeiten und Polaritäten zu gedenken, die sich nur aus dem Gesetz der Reaction erklären.

Dieselben Leute, welche präcis oder schwunghaft denken und sprechen, sind eben so oft confuse, schlaff und rathlos in ihrem wirklichen Thun. Diplomaten, Literaten, Actenmenschen und Hofleute, welche die spitzeste Feder führen und ein Haar rhythmisch-dialectisch zu spalten verstehen, zeigen sich dann auch noch zu mittelmäßigen, halben und verschleppenden Maßregeln, zum Temporisiren und Balanciren, zum Knoten-Schürzen und Lösen geneigt, sobald das Schwert aus der Scheide gezogen ist, das alle Knoten und Maschen entzwei schneiden soll.

Umgekehrt erleben wir täglich, daß eben nach dem Gesetz der natürlichen Reaction Frauenzimmer, Naturalisten und Empiriker, weil sie im Reden und Denken confuse und unpräcis sind, sich im Handeln schnellkräftig, entschlossen und durchgreifend zeigen, und zwar in dem Maaße, als ihre Situation eine drängende und verzweifelte oder ihre Leidenschaft in Aufruhr gebracht ist. – Vor ihrem Rhythmus mögen sich die Frauen immerhin hüten, da sie schon von Natur zu demselben incliniren und es neben dem großen Zug und Ruck einer edlen Leidenschaft und Begeisterung auch zehntausend Zank- und Eitelkeitsteufelchen mit ganz unerträglichen, heillosen Accenten giebt. Aber Frauen sollen gleichwohl den logischen Rhythmus so weit anstreben oder an den Männern respectiren, daß sie denselben nicht, wie sie es lieben, mit den kleinlichsten Dingen ohne Noth unterbrechen, wenn diese in höchster Geistes-Anstrengung und im ehrlichsten Disputir-Eifer sind. Die Empörung der Männer, die auf solche weibliche Naivetät und Zerfahrenheit erfolgt, hat nicht nur in der veranlaßten Störung ihren Grund, sondern auch in der notorischen Thatsache, daß der gewaltigste Mann, daß kein Heiliger, kein Genie und kein Held mitten in seiner Emphase, seinem Pathos und seinem Triumph auch nur ein paar Augenblicke einem Weiblein zu imponiren vermag, die eben mit ihren eigenen Angelegenheiten und liebenswürdigen Koketterien beschäftigt ist, mögen dieselben noch so kleinlich und nichtswürdig sein.

Es giebt eine große Masse von gebildeten und für liebenswürdig geltenden Weibern, die fast alle Augenblicke ihres Lebens so zerstreut, so ganz mit ihrem theuern Selbst, oder mit ihrer Familien-Misere beschäftigt, die so ganz unfähig sind auch nur ein paar Augenblicke aus sich heraus zu gehen und ihre Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand zu concentriren, daß man sie wie Irrenhaus-Patienten mit Tropfbädern behandeln zu dürfen wünscht.

Falls eine halbe Welt unterginge und eine richtige Evas-Tochter zusehen dürfte, so vergäße sie nicht, ihren Kamm in dem Augenblick fester zu stecken, wo der Sturm, welcher die Erd-Veste bricht, ein klein wenig ihren Kopfputz derangirt hätte. Ich habe es erlebt, wie gebildete, liebenswürdige Damen weniger darüber außer sich geriethen, daß vor ihren Augen Menschen im Feuer oder im Wasser umkamen: sondern daß sie selbst bei der Schreckensscene eine Alteration aushalten mußten, sich wieder alle Façon gestoßen und ihren Anzug in Unordnung gebracht sahen. Für ein Weib, das mit ihrer liebenswürdigen Rolle, mit ihren äffischen Muttergefühlen, mit ihren trivialsten Wasch- und Küchen-Sorgen, mit ihren kleinlichen Interessen, Leidenschaften, Intriguen, Gefallsüchtigkeiten und Duodez-Gedanken beschäftigt ist, existirt keine absolute Wichtigkeit, keine Wahrheit, kein Wort, kein Ideal, kein Ereigniß, kein Heiligthum, keine Norm. Sie hört, sie sieht und denkt nur sich; sie ignorirt unsern Herrgott mitten im Spruch am jüngsten Tage, wenn sie ihre Schmachtlocken nicht effectiv weiß. Nicht die Opposition des Weibes oder der durch ihren Eigensinn herbeigeführte Schaden verdirbt dem Manne, dem Philosophen, dem Menschenkenner die Contenance, sondern die immer wieder aufgefrischte Ueberzeugung, daß ein Weib nicht zu bessern, nicht zu besiegen ist, daß sie nur mit ihrem Leben ihre Weibernatur, ihre Vorurtheile, ihre Gewohnheiten, Eigenheiten und Mucken, ihren Profan-Verstand aufgiebt, dem nichts imponirt, womit er sinnlichermaßen verkehrt. Frauen verleugnen sich, sie beherrschen und veropfern sich ein ganzes Leben hindurch in allen Stunden und Augenblicken, aber sie thun es keinmal mit der Ueberzeugung und Freudigkeit einer gewonnenen Erkenntniß, sondern mit dem Stolz, der Phantasterei, der Eitelkeit einer Heldin und Dulderin. Wo ein Weib sich nicht mehr die Illusion einer Aufopferung machen, wo sie sich nicht mit Liebe und Leidenschaft, mit Extase hingeben kann: da hat sie keinen Witz, keine Satisfaction, keine Tugend und Kraft, während der echte Mann gar nicht zu Roman-Scenen, zu Heldenthaten aufgelegt, wohl aber jeden Augenblick bereit ist mit nüchternem Muthe für das zu sterben, was ihn sein Verstand als Recht und Pflicht, als Wahrheit und Nothwendigkeit erkennen läßt. Dieser Unterschied zwischen den Accenten der Empfindung und denen des Verstandes, zwischen dem Rhythmus der Leidenschaft, die auch noch in der Veropferung eine Selbst-Schwelgerei verbleibt, und dem Rhythmus des Verstandes, der in seiner formalen und abstracten Nüchternheit ein logischer Enthusiasmus und eine logische Selbst-Entäußerung bleibt: das ist der über Zeit und Sinnlichkeit hinausreichende Unterschied zwischen Mann und Weib, zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, zwischen Natur und Geist, zwischen Kultur und Barbarei.

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