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V.
Die Liebenswürdigkeit und ihr Malheur.

Liebenswürdig macht nur die Liebe, die Lebensbegeisterung, die Jugend, die schöne Natur. Sie ist der süße Saft im Baum, die Mailuft, der junge Trieb und Schoß, der zwischen alten Knorren hervorgrünt, indem er die harte Rinde schmeidigt und sprengt. Wie sich Epheu und wilde Rosen an zackigen Eichen und an kalten Mauern emporranken, so schmiegen sich Jugend und Liebe an das Alter, so umwuchern und umduften sie mit Lebensinbrunst alles Erschaffene – Jugend und Phantasie, Lebenslust, Liebe, Grazie, Glückseligkeit und Liebenswürdigkeit sind ein und dasselbe, – – sie sind der Trieb, der Zauber, der Fluß dieser süßen, heiligen Natur im Menschen, der Wechselhauch, die Begattung von Natur und Geist! Wo diese Zeugung, diese Bildkraft, diese erste Lebensbegeisterung im Menschen schäumt und fluthet, sich in alle Kanäle stürzt, da schmeidigt und tränkt sie die dürren Organe, da spült sie den Schmutz hinweg, da giebt sie dem dunkelsten Gegenstand einen Lüstre und Glanz, wie der frische Quell, der über Kieselsteine fließt. Jugend, Phantasie, Liebe und Lebenslust sind eine Gottesflamme, die in der Nacht des Waldes aus dürrem Reisig emporlodert, Rauch und Finsterniß bewältigt, die Mückenschwärme verzehrt und die wilden Thiere verscheucht, Jäger und Räuber mit gleicher Liebe erwärmt und gesellig macht. Aber ein Feuer kann auch den Wald in Brand stecken, und ein Funke legt das in Asche, was Jahrhunderte gebaut und gesammelt haben.

Jugend und Phantasie, Liebe, Leidenschaft und Lebensbegeisterung sind ein Himmelreich in der Brust des einzelnen Menschen, aber darum noch nicht der sittliche Verstand und die Selbstverläugnung, in welcher die Gesellschaft besteht. Liebe und Liebenswürdigkeit sind allerdings der Saft im Baum und das Purpurblut des Herzens, das aus seinen Kammern in alle Lebens-Kanäle treibt: aus Saft wird Holz, aus Blut wird Muskelfaser, Nerv und Hirn; aber Eins ist darum noch nicht das Andere. Auch die Knochen ernähren sich durch Blut, aber das kostet einen langen Wunder-Prozeß. Das Leben und die Welt bestehen in Liebe und Kraft, in Sympathien und in Charakter-Abgeschlossenheit zugleich. Das Feste muß dem Flüssigen, das Förmliche dem Natürlichen, der Schematismus der elementaren Seele und Liebenswürdigkeit zur Haltung und zur Fassung dienen. Es kann nicht Alles an den Bäumen süßer Maiensaft sein; die Häuser, die Brücken und die Särge werden von Holz gebaut.

Um liebenswürdig zu sein, muß man von nobeln Verhältnissen getragen werden, darf man nicht den Kampf zwischen Armuth und Luxusbedürfnissen, zwischen Ehrgefühl und malpropren Verwandtschaften oder gemeinen Geschäften und idealen Intentionen ohne Rast und Ruhe auf sich nehmen. – Die sittlichen Kräfte mögen immerhin in dem Konflicte zwischen Persönlichkeit und Welt erstarken. Die Bequemlichkeit und Lebensharmonie allein producirt freilich nicht jene tiefere Liebenswürdigkeit, in welcher sich unsere Charakter-Eigenheiten und Härten mit Bewußtsein abschleifen und erweichen; aber die Grazien, welche von der Liebenswürdigkeit unzertrennlich sind, vertragen keine übertriebene gemeine Arbeit und Pein, keine solche immerwährenden Befürchtungen, Sorgen, Demüthigungen, Selbstverläugnungen und Quälereien von Innen und Außen, solche körperlichen und geistigen Abäscherungen und Zermürbungen, wie sie einem von Natur nobeln, gefühlvollen und ambitiösen Menschen durch kleinliche, triviale, verwickelte, ärmliche und subalterne Verhältnisse auferlegt werden. Wer mit Grazie arbeiten, balanciren, tanzen, fechten, conversiren oder scherzen soll, darf es nicht mit Zentnerlasten, mit geladenen Gewehren, in der Höhle des Löwen, mit dem Damokles-Schwert über dem Haupte thun. Die Grazien dürfen nicht mit Staub bedeckt, nicht so verarbeitet sein, daß ihnen die Pulse fliegen, die Muskeln heraustreten und der Angstschweiß ausbricht. Grazie und Liebenswürdigkeit sind wie der junge Schoß am Baum; wenn ihn das Weide-Vieh erst heruntergebrochen und abgefressen hat, wächst er zum andernmal nicht mehr so schlank und grade heraus. Wunden verharschen und vernarben wohl am Körper und am Geiste, aber sie lassen Nachwehen zurück. Andauernde grobe Arbeit und Sorge macht nicht nur den Körper, sondern auch Geist und Seele stumpf und steif. Wir müssen unser Glück, unsere Bildung und Tugend von Innen heraus erwerben, aber auch von Außen vorfinden; – wir müssen vom Wasser getragen werden, wenn wir schwimmen sollen. Im Sumpfe helfen uns Schwimmkünste nichts. – Es kommt also in dem Kapitel von der Grazie und Liebenswürdigkeit darauf hinaus, daß man der Aristokratie angehören, daß man eine gewisse sorgenfreie, sichere und komfortable Lebensstellung haben, daß man der Hast, der Gefahr, den Misèren des Lebens enthoben, oder ein Halbgott oder Genius sein müsse, falls von uns die Blüthe der Liebenswürdigkeit producirt werden soll.

Die liebenswürdigsten Leute und eben sie können sehr unliebenswürdig werden, wenn man zu ihnen mit Nachdrücklichkeit spricht, wenn man ihnen den Rhythmus, welcher durch die sittliche Weltordnung geht, ein wenig durch Blicke, Geberden, Bewegungen und accentuirte Worte scandirt. Der liebenswürdigen Natürlichkeit unserer gebildeten Damen zufolge soll Alles im Menschen-Verkehr, in der Menschen-Erziehung, im Welt-Reglement, sogar im Geschäft, ganz so allmälig, still, vermittelnd, versöhnlich, harmonisch, unmerklich, dynamisch und unmittelbar so flüssig und elastisch vor sich gehen, wie in der süßen heiligen Natur – wo bekanntlich weder ein Diplomat, noch ein moderner Damen-Naturforscher und Pflanzen-Aesthetiker das Gras wachsen hören kann. Abgesehen aber davon, daß die Natur ihren Rhythmus nicht nur in Orkanen und Erdbeben, in Sündfluthen und Seuchen, in Tages- und Jahreszeiten, in Ebbe und Fluth markirt, sondern daß sie auch denselben Lebensfaden, den sie so langsam, säuberlich, linde, leise und liebenswürdig gesponnen, sehr rigorose und sans façon abzureißen versteht: so ist eben den klügsten, den feinsten und liebenswürdigsten Leuten nicht beizubringen, daß der Geist des Menschen eine höhere Potenz verwirklichen soll, als die elementare Natur, und daß insbesondere der Mann seine Ueberlegenheit über die Naturgeschichte, über die naturwüchsigen Frauen, Kinder und Wilden darin zeigt: daß er den naturempfangenden, naturgehorsamen, naturgenießlichen, lyrisch-poetischen und romantischen, kurz den passiven Geist, in einen activen, dramatischen, vernünftigen und sittlichen Geist umsetzt, d. h. in einen solchen, welcher auf die natürliche Basis mit Uebermacht reagirt.

Der Mann aber, der einen solchen Geist besitzt und in Welt-Scene setzen soll, der dringt rücksichtslos durch alle die natürlichen Confusionen und langsamen Vermittelungs-Prozesse, Spiralen und liebenswürdigen Winkelzüge auf einen letzten Zweck und ein deutliches, festgestecktes Ziel, – das ihm nicht wackelig werden, oder Metamorphosen vorspielen darf. So Einer greift durch, ohne Rücksicht darauf, was bei dem directen und festen Griff zerknickt und verbogen wird. – Frauen, Goethe'sche Naturen und Aesthetiker lieben die Metamorphosen, die Geheimnisse, die Versteck-Spiele mit dem eigenen Selbst, sie lieben die Katzenpfötchen, die Hinterthürchen, das Temporisiren, das Verzögern, die Saumseligkeit und scheuen jede Katastrophe, jede durchschneidende Manier. Der männliche Sinn und Geist aber weiß, daß die vollendete männliche Liebenswürdigkeit mit der Hundsfötterei blutsverwandt zu sein pflegt, daß der Mensch sich nur durch rücksichtsloses Handeln und Denken eine Charakter-Energie bewahrt, und daß durch den dramatischen Geist die Naturgeschichte zur Weltgeschichte hinaufgehoben wird!

Man lobt sich so die jungen Leute, welche natürlichen Takt, Anstand und Mutterwitz haben, man zieht diese natürliche Begabung insbesondere bei den Mädchen der Schulbildung vor, und die Männer mögen die geistreichen Frauenzimmer nur dann, wenn an ihnen Grazie und weiblicher Instinct überwiegend ist. Diese Liebhaberei wird aber nicht selten auf des Mannes Kosten corrigirt, der sich ein Mädchen zur Frau nahm, welche nichts hatte, als ein sogenanntes liebenswürdiges Naturell; denn Liebenswürdigkeit, Divination und Grazie verschwinden mit der Jugendkraft, wohl aber bleibt der Geist und die Bildung, die auf ihn gegründet war. Der junge Mann ist schroffer, eckiger, geschmack- und taktloser als das Mädchen, weil er weniger elementare Natur besitzt, weil er mit derselben einen überschüssigen, vielseitig geweckten Geist, weil er Kunst und Wissenschaft mit der Natur versöhnen soll, weil er durch Reflexion den Instinct stutzig gemacht, weil er Kritik erworben hat. – Aber dieser linkische, ungraziöse, witzlose, zu Extremen geneigte Jüngling wird ein maßvoller, spiritueller, vernunftgebildeter Mann, ein großer Künstler und Gelehrter; – und das inspirirte, liebreizende, graziöse, naive Landmädchen wird in der Regel eine triviale, hausbackene, geistlose Matrone und eben so oft noch ein gemeines, zänkisches, klatschiges Weib. Mädchen, die wenig Grazie und natürliche Anmuth, die nichts Divinatorisches und Naives an sich haben, entwickeln dafür nicht selten einen Geist, der länger vorhält, als der sinnliche Instinct. Daß dieser Geist ein zu männlicher werde, ist freilich das Risico, aber ein gemeiner Sinn und Geist ist doch die schlimmste Aussicht und Gefahr.

Wo viel Naivetät, Schelmerei und Kecklichkeit ist, da wiegt die Sinnlichkeit vor – der Geist ist nicht so dreist, so naiv und lustig, als der Naturalismus, und es bleibt nicht bei der edlen Dreistigkeit und beim lustigen Mutterwitz, es kommen die Geilschößlinge, die Frechheiten, die Listen und Wetterwendigkeiten, die heillosen Naturmetamorphosen, der Verrath an Liebe und Treue, die gewissenlose Profanation und Perfidität.

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