Nikolai Gogol
Die toten Seelen
Nikolai Gogol

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Viertes Kapitel

Vor dem Wirtshause angelangt, ließ Tschitschikow aus zwei Gründen halten: einerseits wollte er, daß die Pferde ausruhen, und andererseits hatte er auch selbst den Wunsch, etwas zu sich zu nehmen und sich zu stärken. Der Autor muß gestehen, daß er diese Art von Leuten um ihren Appetit und ihren Magen beneidet. Er hat für die großen Herren gar nichts übrig, die in Petersburg und in Moskau wohnen und den ganzen Tag darüber nachdenken, was sie morgen essen und was für ein Diner sie sich für übermorgen zusammenstellen lassen sollen; die vor diesem Diner erst Pillen schlucken und dann Austern, Seespinnen und andere Meerwunder verzehren, um später nach Karlsbad oder in ein kaukasisches Bad zu gehen. Nein, solche Herren haben in ihm niemals Neid erregt. Aber die Herren der mittleren Klasse, die auf der einen Poststation Schinken essen, auf der anderen ein Spanferkel, auf der dritten eine Scheibe Stör oder irgendeine Bratwurst mit Zwiebel, und die sich dann, als ob nichts geschehen wäre, zu einer beliebigen Stunde an die Mittagstafel setzen und kochend heiße Sterlettsuppe mit Aalen und Fischmilch löffeln und dazu Pasteten mit Schwanzstücken vom Wels verspeisen, so daß man vom bloßen Zuschauen Appetit bekommt – solche Herren genießen eine beneidenswerte Himmelsgabe! Gar mancher große Herr würde sofort die Hälfte seiner leibeigenen Seelen und die Hälfte der verpfändeten wie auch nicht verpfändeten Güter mit allen den ausländischen und russischen Vorbildern nachgeahmten Vervollkommnungen hingeben, nur um einen solchen Magen zu haben, wie ihn so ein Herr vom Mittelstande hat; leider kann man aber so einen Magen weder für Geld noch für Güter mit oder ohne Vervollkommnungen bekommen.

Das hölzerne dunkle Wirtshaus nahm Tschitschikow unter sein gastliches schmales Vordach auf, welches auf gedrechselten Säulen ruhte, die an altertümliche Kirchenleuchter erinnerten. Das Wirtshaus glich einem russischen Bauernhause, war nur etwas größer als ein solches. Geschnitzte Verzierungen aus frischem Holze um die Fenster herum und unter dem Dache belebten die dunklen Wände; auf den Fensterläden waren Krüge mit Blumen gemalt.

Nachdem Tschitschikow die enge Holztreppe hinaufgestiegen und den breiten Vorraum betreten hatte, stieß er auf eine knarrende Türe und auf eine dicke Alte im bunten Kattunkleid, die ihn mit den Worten begrüßte: »Bitte hierher!« In der Stube fand er lauter alte Bekannte, die jedermann schon in den kleinen hölzernen Wirtshäusern gesehen hat, von denen es an den Landstraßen eine große Menge gibt: einen mit Dampf beschlagenen Samowar, glatt gehobelte Wände aus Fichtenbrettern, einen dreieckigen Eckschrank mit Teekannen und Tassen, vergoldete Porzellaneier, die an blauen und roten Bändchen vor den Heiligenbildern hingen, eine Katze, die vor kurzem Junge geworfen, einen Spiegel, der statt zwei Augen vier und statt des Gesichts eine Art Pfannkuchen zeigte, und schließlich Büschel wohlriechender Kräuter und Nelken, die hinter den Heiligenbildern steckten und so sehr ausgetrocknet waren, daß einer, der an ihnen riechen wollte, nur zu niesen anfing.

»Gibt's Spanferkel?« fragte Tschitschikow die Alte.

»Ja.«

»Mit Meerrettich und saurer Sahne?«

»Mit Meerrettich und saurer Sahne.«

»Bring's her!«

Die Alte zeigte sich sehr geschäftig und brachte einen Teller, eine Serviette, die so steif gestärkt war, daß sie sich wie trockene Baumrinde warf, ferner ein Messer mit gelbem Beingriff, so dünn wie ein Federmesser, eine zweizinkige Gabel und ein Salzfaß, das sich unmöglich gerade hinstellen ließ.

Unser Held begann nach seiner Gewohnheit sofort ein Gespräch mit der Alten und erkundigte sich, ob sie das Wirtshaus selbst betreibe oder ob auch noch ein Wirt da sei; wieviel das Wirtshaus einbringe, ob die Söhne bei den Eltern leben, ob der ältere Sohn ledig oder verheiratet sei, ob er eine Frau mit oder ohne große Mitgift genommen habe, ob der Schwiegervater zufrieden gewesen sei und ob er sich nicht darüber aufgehalten habe, daß er zu wenig Hochzeitsgeschenke bekommen hätte; mit einem Worte, er vergaß auch nicht das Geringste. Selbstverständlich zeigte er auch ein Interesse für die in der Nähe wohnenden Gutsbesitzer und erfuhr, daß es da allerhand Gutsbesitzer gab: Blochin, Potschitajew, Mylnoj, Oberst Tscheprakow und Ssobakewitsch. »So! Du kennst auch den Ssobakewitsch?« fragte er und bekam zu hören, daß die Alte nicht nur Ssobakewitsch, sondern auch Manilow kenne, und daß Manilow viel delikater sei als Ssobakewitsch: wenn er herkomme, lasse er sich gleich ein Huhn kochen und bestelle auch Kalbsbraten; wenn es eine Hammelleber gebe, so lasse er sich auch die Hammelleber auftragen; aber von allem nehme er nur ein paar Bissen; Ssobakewitsch lasse sich dagegen immer nur eine einzige Speise bringen, die er dann auch ganz aufesse; für das gleiche Geld verlange er dann auch noch eine Zugabe.

Während er so sprach und dabei das Spanferkel verzehrte, von dem nur noch ein kleines Stück übriggeblieben war, hörte er eine Equipage heranrollen. Er blickte zum Fenster hinaus und sah vor dem Wirtshause einen leichten, mit drei guten Pferden bespannten Wagen halten. Dem Wagen entstiegen zwei Männer: der eine war blond und lang, der andere etwas kleiner und schwarz. Der Blonde hatte eine dunkelblaue verschnürte Joppe an, der Schwarze aber nur einen gestreiften Morgenrock. In einiger Entfernung kam noch ein leeres Wägelchen gefahren, von vier langhaarigen Pferden gezogen; die Kummete waren zerrissen, und das ganze Geschirr bestand aus einfachen Stricken. Der Blonde stieg sofort die Treppe hinauf, der Schwarze blieb hingegen noch unten, suchte etwas im Wagen, sprach mit seinem Diener und winkte zugleich dem anderen Wagen. Seine Stimme kam Tschitschikow irgendwie bekannt vor. Während er ihn betrachtete, hatte der Blonde schon die Türe gefunden und geöffnet. Es war ein großgewachsener Mann mit schmächtigem, abgelebtem Gesicht und einem kleinen roten Schnurrbart. Seinem gebräunten Gesicht konnte man wohl ansehen, daß er gut wußte, was Rauch bedeutete, und wenn nicht Pulverrauch, so doch jedenfalls Tabaksrauch. Er machte Tschitschikow eine höfliche Verbeugung, die jener auf die gleiche Weise erwiderte. Im Laufe weniger Minuten wären sie sicher ins Gespräch gekommen und hätten nähere Bekanntschaft gemacht, denn der erste Schritt war schon getan, und beide äußerten zur gleichen Zeit ihre Befriedigung darüber, daß der gestrige Regen den Staub auf der Landstraße gänzlich niedergeschlagen habe und daß es sich jetzt kühl und angenehm fahren lasse – wenn nicht der Genosse des Blonden in die Stube getreten wäre. Er riß sich die Mütze vom Kopfe, warf sie auf den Tisch und fuhr sich mit einer kühnen Handbewegung durch die schwarzen Haare. Dieser war ein Bursch von mittlerem Wuchse, nicht schlecht gebaut, mit vollen roten Backen, schneeweißen Zähnen und pechschwarzem Backenbart. Sein Gesicht war wie Milch und Blut und strotzte förmlich vor Gesundheit.

»Ba, ba, ba!« rief er plötzlich und spreizte beim Anblick Tschitschikows beide Arme auseinander. »Woher des Weges?«

Tschitschikow erkannte Nosdrjow, denselben, mit dem er beim Staatsanwalt zu Mittag gegessen und der ihn schon nach wenigen Minuten zu duzen begonnen hatte, obwohl er ihm seinerseits nicht den geringsten Anlaß dazu gegeben.

»Woher des Weges?« fragte Nosdrjow und fuhr, ohne die Antwort abzuwarten, fort: »Ich komme aber direkt vom Jahrmarkt, mein Bester. Du kannst mir gratulieren: habe alles verspielt! Du darfst es mir glauben: noch nie im Leben war ich so blank! Bin sogar mit gemieteten Pferden gefahren gekommen! Schau nur zum Fenster hinaus!« Bei diesen Worten drückte er Tschitschikows Kopf hinunter, so daß dieser sich beinahe am Fensterrahmen angeschlagen hätte. »Siehst du diesen Dreck! Mit Mühe haben sie mich hergeschleppt, die verdammten Schindmähren; dann bin ich aber in seinen Wagen umgestiegen.« Bei diesen Worten zeigte er auf seinen Genossen. »Wie, ihr kennt euch noch nicht? Mein Schwager Mischujew! Den ganzen Morgen haben wir von dir gesprochen. ›Paß auf,‹ sage ich ihm, ›wenn wir heute den Tschitschikow nicht treffen.‹ Ach, Bruder, wenn du nur wüßtest, wieviel ich verspielt habe! Glaube es mir, ich habe nicht nur meine vier Traber verloren, sondern einfach alles! Ich habe weder Uhr noch Kette bei mir . . .« Tschitschikow blickte ihn an und sah, daß er wirklich weder Uhr noch Kette hatte. Es kam ihm sogar vor, als sei die eine Hälfte seines Backenbartes etwas kleiner und dünner als die andere. »Hätte ich aber nur zwanzig Rubel in der Tasche,« fuhr Nosdrjow fort, »nicht mehr als zwanzig Rubel, so hätte ich alles wieder gewonnen, so wahr ich ein ehrlicher Mensch bin, und hätte außerdem noch dreißigtausend Rubel eingesteckt.«

»Das hast du auch schon früher gesagt«, bemerkte der Blonde. »Als ich dir aber fünfzig Rubel gab, so verspieltest du auch sie.«

»Ich hätte sie nicht verspielt! Bei Gott nicht! Hätte ich nicht selbst die Dummheit gemacht, so hätte ich sie nicht verspielt. Hätte ich nicht nach dem Paroli der verdammten Sieben die Ecke umgebogen, so hätte ich die ganze Bank sprengen können.«

»Und doch hast du sie nicht gesprengt«, entgegnete der Blonde.

»Ich habe sie nicht gesprengt, weil ich die Ecke nicht zur rechten Zeit umgebogen habe. Glaubst du vielleicht, daß dein Major gut spielt?«

»Ob er gut spielt oder nicht, jedenfalls hat er gewonnen.«

»Eine große Kunst!« sagte Nosdrjow. »So kann auch ich bei ihm gewinnen. Nein, soll er mal versuchen, Doublet zu spielen, dann werde ich erst sehen, was für ein Spieler er ist! Wie gut haben wir dafür in den ersten Tagen gebummelt, Freund Tschitschikow! Der Jahrmarkt war ganz ausgezeichnet. Die Kaufleute selbst sagen, daß der Besuch noch nie so gut gewesen sei. Alles, was ich vom Lande mitgebracht hatte, habe ich zum vorteilhaftesten Preise verkauft. Ach, Bruder, war das ein Bummel! Wenn ich mich jetzt daran erinnere . . . hol's der Teufel! . . . so leid tut es mir, daß du nicht dabei warst! Denk dir nur: drei Werst von der Stadt liegt ein Dragonerregiment. Glaub es mir, sämtliche Offiziere, vierzig Mann, kamen in die Stadt . . . Und als wir zu trinken anfingen, mein Bester . . . Der Stabsrittmeister Pozelujew . . . so ein Prachtkerl! Mit einem so langen Schnurrbart! Statt Bordeaux sagt er einfach Gebräu. ›Bring mir mal, mein Bester,‹ pflegt er zu sagen, ›noch ein Gebräu!‹ Dann der Leutnant Kuwschinnikow . . . Mein Bester, ist das ein lieber Mensch! Ein Bummler von Fach, darf man wohl sagen. Ich war mit ihm die ganze Zeit zusammen. Was für einen Wein hat uns der Ponomarjow vorgesetzt! Du mußt nämlich wissen, daß er ein Gauner ist und daß man in seinem Laden nichts kaufen soll; in den Wein tut er jeden Dreck: Sandelholz, gebrannten Kork und selbst Holunderbeeren tut der Schuft hinein. Wenn er aber dafür einmal aus dem letzten Zimmer, das bei ihm ›Extrazimmer‹ heißt, irgendein Fläschchen holt, so ist man gleich im Paradies. Wir hatten einen Champagner . . . was ist der Champagner vom Gouverneur dagegen? – einfacher Kwas. Denke dir nur: kein gewöhnliches Cliquot, sondern Cliquot-Matradura, das ist doppeltes Cliquot. Dann brachte er uns ein Fläschchen französischen Wein, welcher Bonbon hieß. Das Aroma? – wie Rosen und alles, was du willst. Ach, wie wir gebummelt haben! . . . Nach uns kam irgendein Fürst gefahren und schickte Champagner kaufen: keine einzige Flasche Champagner gab es in der ganzen Stadt: alles haben die Offiziere ausgetrunken. Glaub es mir, beim Mittagessen hab ich allein siebzehn Flaschen Champagner ausgetrunken!«

»Na, siebzehn Flaschen wirst du nicht austrinken.« wandte der Blonde ein.

»So wahr ich ein ehrlicher Mensch bin, habe ich sie getrunken«, erwiderte Nosdrjow.

»Du magst sagen, was du willst, ich sage dir aber, du kannst nicht mal zehn austrinken.«

»Was gilt die Wette, daß ich sie austrinke?«

»Warum gleich wetten?«

»Nun, wetten wir um die Flinte, die du in der Stadt gekauft hast.«

»Ich will nicht.«

»Versuch's nur!«

»Ich will es nicht mal versuchen.«

»Todsicher würdest du die Flinte verlieren. Ach, Bruder Tschitschikow, wie hat es mir leid getan, daß du nicht mit warst! Ich weiß, du hättest dich vom Leutnant Kuwschinnikow nicht mehr trennen können. Ein Herz und eine Seele wäret ihr geworden! Der ist doch ein ganz anderer Mensch als der Staatsanwalt und alle die Geizhälse in unserer Stadt, die für jede Kopeke zittern. Der spielt Bank und jedes Kartenspiel, das du nur willst. Ach, Tschitschikow, warum bist du nicht dagewesen? Ein Schwein bist du, ein Viehzüchter! Gib mir einen Kuß, mein Herz! So schrecklich liebe ich dich! Mischujew, schau: da hat uns das Schicksal zusammengeführt! Was bin ich ihm, und was ist er mir? Er ist Gott weiß woher gekommen, und ich wohne hier . . . Und wieviel vornehme Equipagen hat es dort gegeben, und alles en gros. Ich hab auch mein Glück in der Lotterie versucht und zwei Büchsen Pomade, eine Porzellantasse und eine Gitarre gewonnen; dann machte ich noch einen Einsatz und verlor alles, so eine Gemeinheit, und noch sechs Rubel dazu. Ach, wenn du nur wüßtest, was für ein Schürzenjäger dieser Kuwschinnikow ist! Ich habe mit ihm fast alle Bälle besucht. Eine war da, die war so aufgeputzt in Rüschen und Trüschen, weiß der Teufel, was die alles anhatte . . . Ich denke mir bloß: Teufel! Aber Kuwschinnikow, diese Bestie, setzt sich zu ihr heran und macht ihr allerlei französische Komplimente . . . Glaube es mir, der verschmäht nicht ein einfaches Weib. Das nennt er: Erdbeeren genießen. So wunderbare Fische und gedörrte Störe hat es da gegeben. Einen habe ich mitgebracht, es ist gut, daß ich ihn mir kaufte, als ich noch Geld hatte. Und wo fährst du jetzt hin?«

»Zu einem gewissen Menschen«, antwortete Tschitschikow.

»Ach, was soll dir dieser Mensch? Laß ihn laufen! Komm zu mir!«

»Es geht nicht, es geht nicht. Ich habe ein Geschäft vor.«

»Ach was, Geschäft! Was du dir nicht ausdenkst! Ach, du Opoldekok Iwanowitsch!«

»Nein, wirklich, und das Geschäft ist sogar dringend.«

»Ich wette, daß du lügst! Sag mir nur, zu wem fährst du?«

»Nun, zu Ssobakewitsch!«

Nosdrjow brach hier in jenes schallende Gelächter aus, das nur frischen und gesunden Menschen eigen ist, die dabei ihre sämtlichen wie Zucker weißen Zähne zeigen und die Wangen erzittern lassen, so daß der Nachbar hinter zwei Türen aus dem Schlaf erwacht, die Augen aufreißt und sagt: »Was der bloß hat!«

»Was ist denn daran so komisch?« fragte Tschitschikow, den dieses Lachen ein wenig verletzte.

Nosdrjow fuhr aber fort, aus vollem Halse zu lachen und dabei zu sprechen: »Hör auf! Sonst zerspringe ich noch vor Lachen.«

»Da ist doch nichts zum Lachen: ich habe ihm mein Wort gegeben«, sagte Tschitschikow.

»Du wirst deines Lebens nicht froh, wenn du zu ihm hinkommst: er ist einfach ein Filz! Ich kenne ja deinen Charakter: du irrst dich grausam, wenn du bei ihm eine Kartenpartie oder eine gute Flasche Bonbon erwartest. Hör mal, Bruder: diesen Ssobakewitsch soll der Teufel holen! Komm zu mir! Was für einen gedörrten Stör ich dir vorsetzen werde! Der Ponomarjow, diese Bestie, hat mir beim Abschied gesagt: ›So einen Stör kriegen nur Sie! Sie können den ganzen Jahrmarkt absuchen und werden keinen ähnlichen finden.‹ Im übrigen ist er ein abgefeimter Gauner. Das habe ich ihm auch ins Gesicht gesagt: ›Du und der Branntweinpächter, ihr seid die größten Gauner!‹ Er aber lacht nur, diese Bestie, und streicht sich den Bart. Ich und Kuwschinnikow haben jeden Morgen in seinem Laden gefrühstückt. Ach, Bruder, eines vergaß ich dir zu sagen: ich weiß, daß du mich jetzt nicht mehr in Ruhe lassen wirst, aber ich gebe ihn auch nicht für zehntausend Rubel her, das sage ich dir gleich. – He, Porfirij!« rief er, ans Fenster tretend, seinem Diener zu, der in der einen Hand ein Messer und in der anderen eine Brotrinde und ein Stück Stör hielt, das er sich im Vorbeigehen mit großem Geschick abgeschnitten hatte. »He, Porfirij!« schrie Nosdrjow. »Bring mal den jungen Hund her! Ist das ein Hund!« fuhr er fort, sich an Tschitschikow wendend. »Ich habe ihn gestohlen, der Besitzer wollte ihn nicht mal um sich selbst hergeben. Ich versprach ihm die braune Stute, weißt du, die ich von Chwostyrjow im Tauschhandel bekommen habe . . .« Tschitschikow hatte übrigens, seit er lebte, weder die braune Stute noch den Chwostyrjow gesehen.

»Herr! Wollen Sie nicht etwas zu sich nehmen?« fragte die Alte, zu ihm herangehend.

»Ich nehme nichts. Ach, Bruder, war das ein Bummel! Gib übrigens ein Glas Schnaps her. Was hast du für welchen?«

»Anisschnaps«, antwortete die Alte.

»Dann gib den Anisschnaps«, sagte Nosdrjow.

»Kannst gleich auch mir ein Gläschen geben!« sagte der Blonde.

»Im Theater gab es eine Schauspielerin, die sang wie ein Kanarienvogel, diese Kanaille! Kuwschinnikow, der neben mir saß, sagte: ›Bruder, das wär so eine Erdbeere!‹ Ich glaube, es hat da mehr als fünfzig Buden gegeben. Fenardi drehte sich vier Stunden hintereinander wie ein Mühlenrad.« In diesem Augenblick nahm er den Schnaps aus der Hand der Alten, die sich vor ihm dafür tief verbeugte. »Gib ihn her!« schrie er plötzlich, als er Porfirij mit dem jungen Hunde eintreten sah. Porfirij war ebenso gekleidet wie sein Herr, trug auch einen wattierten Morgenrock, der nur ein wenig fettiger war.

»Gib ihn her, leg ihn auf den Boden!«

Porfirij legte den Hund auf den Boden. Das Tier spreizte alle vier Beine auseinander und beschnüffelte den Boden.

»Das ist ein Hund!« rief Nosdrjow, indem er den Hund am Rücken packte und in die Höhe hob. Der Hund stieß ein recht klägliches Geheul aus.

»Du hast aber nicht getan, was ich dir befohlen habe!« wandte sich Nosdrjow zu Porfirij, indem er den Bauch des Hundes aufmerksam betrachtete. »Es ist dir gar nicht eingefallen, ihn zu kämmen.«

»Nein, ich habe ihn wohl gekämmt.«

»Wo kommen denn die Flöhe her?«

»Das kann ich nicht wissen. Vielleicht aus dem Wagen.«

»Du lügst, du lügst, es ist dir gar nicht eingefallen, ihn zu kämmen. Ich glaube gar, es sind noch deine eigenen Flöhe hinzugekommen. Schau nur her, Tschitschikow, diese Ohren: nimm sie nur in die Hand.«

»Warum denn? Ich sehe auch so, der Hund ist von guter Rasse!« antwortete Tschitschikow.

»Nein, betaste die Ohren!«

Um ihm einen Gefallen zu tun, betastete Tschitschikow dem Hunde die Ohren und sagte: »Ja, es wird wohl ein guter Hund werden.«

»Und die Nase, fühlst du, wie kalt die ist! Nimm sie doch in die Hand!« Um ihn nicht zu verletzen, nahm Tschitschikow den Hund auch bei der Nase und sagte: »Eine gute Nase.«

»Ein echter Bullenbeißer«, fuhr Nosdrjow fort. »Offen gestanden, ich wollte mir schon längst einen Bullenbeißer anschaffen. Porfirij, trag ihn zurück!«

Porfirij nahm den Hund am Bauche und trug ihn in den Wagen.

»Hör' mal, Tschitschikow, du mußt unbedingt zu mir kommen; es sind nur fünf Werst, wir sind im Nu da, dann kannst du noch immer zu deinem Ssobakewitsch.«

– Warum auch nicht? – dachte sich Tschitschikow. – Ich will mal wirklich erst bei Nosdrjow einkehren. Er ist doch nicht schlimmer als die anderen, außerdem hat er sich arg verspielt. Er ist wohl zu allem fähig; folglich werde ich von ihm auch was ganz umsonst kriegen. – »Gut, ich komme mit,« sagte er, »aber du darfst mich beileibe nicht aufhalten: meine Zeit ist mir teuer.«

»So ist es recht, Bruderherz! So ist es schön! Wart', ich geb' dir einen Kuß dafür.« Nosdrjow und Tschitschikow küßten sich. »So ist's schön, jetzt fahren wir zu dritt.«

»Nein, mich mußt du gehen lassen«, sagte der Blonde. »Ich muß nach Haus.«

»Unsinn, Unsinn, Bruder, ich laß dich nicht.«

»Nein wirklich, meine Frau wird sich ärgern; du kannst ja jetzt in seinen Wagen umsteigen.«

»Nein, keine Rede davon!«

Der Blonde gehörte zu jenen Menschen, in deren Charakter man gleich auf den ersten Blick Starrsinn sieht. Man hat noch nicht den Mund aufgetan, als sie schon zu streiten anfangen, sie werden niemals auf etwas eingehen, was ihrer Gesinnung widerspricht, werden niemals Dummes klug nennen und vor allem niemals nach einer fremden Pfeife tanzen; die Sache endet aber meistens damit, daß ihr Charakter sich als weich erweist, daß sie sich gerade damit einverstanden erklären, was sie ablehnten, daß sie das Dumme klug nennen und vorzüglich nach der fremden Pfeife zu tanzen beginnen; mit einem Worte, sie fangen tapfer an und enden feig.

»Unsinn!« sagte Nosdrjow auf diesen Einwand des Blonden. Darauf setzte er ihm seine Mütze auf, und der Blonde folgte ihm.

»Herr, Sie haben den Schnaps noch nicht bezahlt . . .« sagte die Alte.

»Gut, gut, Mütterchen. Hör' einmal, lieber Schwager, bezahl' du, bitte. Ich habe keine Kopeke in der Tasche.«

»Was hast du zu bekommen?« fragte der Schwager.

»Was soll ich verlangen, Väterchen? Bloß zwanzig Kopeken«, sagte die Alte.

»Unsinn! Gib ihr einen halben Rubel, das genügt vollkommen.«

»Es ist etwas zu wenig, Väterchen«, sagte die Alte, nahm aber das Geld mit Dank an und lief sogar voraus, die Türe zu öffnen. Sie hatte keinen Schaden, denn sie hatte im voraus viermal so viel verlangt, als der Schnaps kostete.

Die Reisenden nahmen Platz. Tschitschikows Wagen fuhr neben dem Wagen, in dem Nosdrjow und sein Schwager saßen, und so konnten sie sich alle drei während der ganzen Fahrt frei unterhalten. Ihnen folgte, fortwährend zurückbleibend, das kleine Wägelchen Nosdrjows mit den mageren Mietspferden. In diesem Wägelchen saß Porfirij mit dem jungen Hund.

Da das Gespräch, das die Reisenden führten, dem Leser wenig Interessantes bietet, ziehen wir es vor, einiges über Nosdrjow selbst zu sagen, dem es vielleicht beschieden ist, nicht die letzte Rolle in unserem Poem zu spielen.

Nosdrjows Gesicht dürfte dem Leser einigermaßen bekannt sein. Solche Menschen hat wohl ein jeder oft gesehen. Man nennt sie geriebene Burschen, sie gelten schon in der Kindheit und in der Schule als gute Kameraden, werden dabei aber recht oft verprügelt. Ihre Gesichter drücken immer etwas Offenes, Gerades und Kühnes aus. Sie schließen sehr schnell Bekanntschaften, und ehe man es sich versieht, fangen sie einen zu duzen an. So eine Freundschaft sieht zuerst so aus, als ob sie fürs Leben geschlossen wäre; aber meistens geraten die neuen Freunde schon am gleichen Abend bei einem Trinkgelage in Streit. Sie sind immer redselig, tapfer, zum Bummeln aufgelegt und fallen leicht auf. Nosdrjow war mit seinen fünfunddreißig Jahren genau so, wie er es mit achtzehn und mit zwanzig gewesen war: er liebte es noch immer, über die Schnur zu hauen. Die Ehe hatte ihn gar nicht verändert, um so mehr, als seine Frau bald nach der Hochzeit ins bessere Jenseits abberufen wurde und ihm zwei Kinder zurückließ, für die er absolut keine Verwendung hatte. Die Kinder wurden übrigens von einem recht hübschen Kindermädchen bemuttert. Er war nicht imstande, länger als einen Tag zu Hause zu sitzen. Mit seiner Spürnase witterte er jeden Jahrmarkt, wo es Bälle gab und viele Menschen zusammenkamen, selbst in einer Entfernung von einigen Dutzend Werst. Im gleichen Augenblick war er schon da und fing am grünen Tisch Händel an, denn er hatte, wie alle Menschen seines Schlages, eine große Leidenschaft fürs Kartenspiel. Beim Kartenspiel verfuhr er, wie wir es schon im ersten Kapitel sahen, nicht ganz korrekt und anständig; er kannte viele Tricks und Kunstkniffe, und darum endete das Kartenspiel oft mit einem anderen Spiel: entweder verprügelte man ihn mit Stiefeln, oder nahm seinen dichten schönen Backenbart in Behandlung, so daß er oft nur mit einer Hälfte desselben heimkam, die dazu auch noch recht dünn war. Seine gesunden und vollen Backen waren aber schon einmal so beschaffen und enthielten so viel wachstumbefördernde Kraft, daß der Backenbart sehr bald von neuem wuchs und sogar noch schöner wurde als zuvor. Das Seltsamste aber ist – und das ist nur in Rußland möglich –, daß er nach ganz kurzer Zeit mit den gleichen Freunden, die ihn verprügelt hatten, zusammenkam und beide Teile sich so benahmen, als ob nichts geschehen wäre.

Nosdrjow war in gewisser Beziehung eine geschichtliche Persönlichkeit. Jede Versammlung, an der er sich beteiligte, endete immer mit irgendeiner Geschichte: entweder wurde er von Gendarmen an den Armen genommen und aus dem Saale geführt, oder seine eigenen Freunde sahen sich genötigt, ihn hinauszuschmeißen. Und wenn weder das eine noch das andere geschah, so passierte eben etwas anderes: entweder besoff er sich am Büfett so, daß er nur noch lachen konnte, oder er tischte solche Lügen auf, daß er sich schließlich selbst schämen mußte. Dabei log er ohne jede Not: plötzlich erzählte er, daß er mal ein Pferd mit blauem oder rotem Fell gehabt habe oder einen ähnlichen Unsinn, so daß ihn schließlich alle stehenließen und sagten: »Der fängt schon wieder an, seine Kugeln zu gießen!« Es gibt Menschen, die eine Leidenschaft haben, ihrem Nächsten ohne jeden Grund einen üblen Streich zu spielen. Mancher Mann, der sogar von hohem Range ist, ein edles Äußere hat und einen Ordensstern an der Brust trägt, wird sich mit Ihnen über die erhabensten und tiefsinnigsten Gegenstände unterhalten und Ihnen dann vor Ihren Augen einen ganz üblen Streich spielen; und dies tut er wie ein ganz gemeiner Kollegienregistrator und durchaus nicht wie ein Mann, der einen Ordensstern an der Brust hat und über tiefsinnige Gegenstände spricht, so daß man nur staunt und die Achseln zuckt. Die gleiche seltsame Leidenschaft hatte auch Nosdrjow. Je intimer er sich einem Menschen anschloß, um so üblere Streiche spielte er ihm: er ließ irgendein Gerücht los, wie man es sich dümmer gar nicht ausdenken kann, machte Verlobungen zunichte, verdarb Geschäfte, hielt sich dabei aber keineswegs für einen Feind; im Gegenteil, wenn er einem, dem er so übel mitgespielt hatte, zufällig begegnete, behandelte er ihn freundschaftlich und sagte sogar: »Du bist doch wirklich ein gemeiner Kerl: niemals läßt du dich bei mir blicken.« Nosdrjow war in vielen Beziehungen vielseitig, das heißt stets zu allem fähig. Im selben Augenblicke machte er Ihnen den Vorschlag, mit Ihnen auch bis ans Ende der Welt zu fahren, ein beliebiges lohnendes Geschäft zu unternehmen und alles gegen alles zu vertauschen. Ein Gewehr, ein Hund, ein Pferd – waren für ihn nur Tauschobjekte; dabei dachte er niemals an seinen Vorteil, es war nur eine Äußerung seiner erstaunlichen Lebhaftigkeit und seines Temperaments. Wenn er mal auf einem Jahrmarkt einem dummen Kerle beim Kartenspiel die ganze Habe abnahm, so kaufte er alles auf, was ihm in die Augen fiel: Kummete, Räucherkerzen, Kopftücher für das Kindermädchen, einen Hengst, Rosinen, eine silberne Waschschüssel, holländische Leinwand, feinstes Weizenmehl, Tabak, Pistolen, Heringe, Bilder, einen Schleifstein, Töpfe, Stiefel, Fayencegeschirr – soweit ihm das Geld reichte. Alle diese Neuanschaffungen brachte er übrigens in den seltensten Fällen nach Hause; meistens verspielte er sie am gleichen Tage an einen anderen glücklicheren Spieler; oft fügte er auch noch seine eigene Pfeife samt Rohr und Tabaksbeutel hinzu, manchmal auch das ganze Viergespann mit dem Wagen und dem Kutscher, so daß er selbst in einem kurzen Röckchen oder Morgenrock irgendeinen Freund suchen mußte, der ihn dann auf seinem Wagen mitnahm. So war dieser Nosdrjow beschaffen. Vielleicht wird man ihn einen abgelebten Typus nennen, vielleicht wird man behaupten, daß es solche Nosdrjows nicht mehr gibt. Doch nein! Ungerecht urteilen diejenigen, die so sprechen. Nosdrjow wird nicht so bald aus der Welt verschwinden. Er ist immer zwischen uns, nur daß er vielleicht einen anderen Rock trägt. Die Menschen sind aber von einer leichtsinnigen Oberflächlichkeit und immer geneigt, einen Menschen im anderen Rock für einen neuen Menschen zu halten.

Indessen rollten die drei Equipagen vor Nosdrjows Hausflur. Im Hause waren keinerlei Vorbereitungen für ihren Empfang getroffen. Inmitten des Speisezimmers stand ein hölzernes Gerüst, und zwei Bauern weißten die Wände, wobei sie irgendein endloses Lied sangen; der Boden war ganz mit Kalk bespritzt. Nosdrjow ließ sofort das Gerüst mit den Bauern hinausschaffen und lief ins Nebenzimmer, um irgendwelche Befehle zu erteilen. Die Gäste hörten, wie er dem Koch ein Mittagessen bestellte; Tschitschikow, der schon einigen Appetit spürte, berechnete gleich, daß sie sich nicht vor fünf zu Tisch setzen würden. Als Nosdrjow zurückkam, führte er seine Gäste ins Freie, um ihnen seinen Besitz zu zeigen; im Laufe von mehr als zwei Stunden hatten sie schon alles besichtigt, so daß nichts mehr zu zeigen übrigblieb. Zuallererst besichtigten sie den Pferdestall, wo sie zwei Stuten sahen – eine Apfelschimmelstute und eine hellbraune; dann sahen sie noch einen braunen Hengst, der eigentlich recht unansehnlich war, für den aber Nosdrjow, wie er bei Gott versicherte, zehntausend Rubel bezahlt hatte.

»Zehntausend hast du für ihn nicht bezahlt«, bemerkte der Schwager. »Er ist auch nicht eintausend wert.«

»Bei Gott, zehntausend!« sagte Nosdrjow.

»Du kannst schwören, soviel du willst«, entgegnete der Schwager.

»Was gilt die Wette?« sagte Nosdrjow.

Wetten wollte aber der Schwager nicht.

Dann zeigte ihnen Nosdrjow leere Stände, in denen früher einmal vorzügliche Pferde gestanden hatten. Im gleichen Stalle sahen sie auch einen Ziegenbock, wie man ihn nach einem alten Aberglauben bei den Pferden zu halten pflegt und der mit ihnen im guten Einvernehmen zu leben schien: er spazierte unter ihren Bäuchen wie zu Hause. Dann zeigte ihnen Nosdrjow einen jungen Wolf, der an einer Kette lag. »Ein junger Wolf!« sagte Nosdrjow. »Ich füttere ihn absichtlich mit rohem Fleisch. Ich will, daß er recht wild wird!»Dann gingen sie zum Teich, in dem es nach Nosdrjows Behauptung Fische von der Größe gab, daß zwei Mann sie nur mit Mühe herausschleppen konnten, was sein Schwager bezweifelte. »Ich zeig' dir gleich ein wunderbares Paar Hunde, Tschitschikow!« sagte Nosdrjow. »Die Schenkel sind von einer erstaunlichen Prallheit und die Schnauzen wie die Nadeln!« Er führte sie zu einem recht hübschen Häuschen, das von allen Seiten von einem Zaun umgeben war. Als sie in den Hof traten, erblickten sie eine Menge von Hunden: glatthaarige und langhaarige von allen Farben, rote mit schwarzen Schnauzen, schwarze mit braunen Flecken, weiße mit gelben Flecken, rotbraune, gelbbraune, schwarzohrige, grauohrige. Da gab es alle erdenklichen Hundenamen, alle Imperativa: Schieß, Schimpf, Flieg, Feuer, Frechling, Streich, Scheit, Ungeduld, Täubchen, Lohn, Patronesse. Nosdrjow stand unter ihnen wie ein Familienvater da: alle Hunde erhoben sofort die Schweife, die man bei Hunden Ruten nennt, und liefen den Gästen entgegen, um sie zu begrüßen. An die zehn Stück legten ihre Vorderpfoten Nosdrjow auf die Schultern. Der Schimpf erwies den gleichen Dienst Tschitschikow und leckte ihn mitten auf den Mund, so daß Tschitschikow sogar ausspie. So besichtigten sie die Hunde mit den erstaunlich prallen Schenkeln: es waren gute Hunde. Darauf gingen sie zu einer krimschen Hündin, die schon blind war und nach Nosdrjows Behauptung bald eingehen sollte. Sie sahen sich diese Hündin an: sie war tatsächlich blind. Darauf besichtigten sie die Wassermühle, an der die Spindel fehlte, um die sich das obere Mühlrad dreht, und die der russische Bauer sehr anschaulich mit »Hüpfer« bezeichnet. »Gleich kommt die Schmiede!« sagte Nosdrjow. Nach kurzer Strecke stießen sie wirklich auf die Schmiede und besichtigten dieselbe.

»Hier auf diesem Felde,« sagte Nosdrjow, »gibt es eine solche Menge von Hasen, daß man vor ihnen die Erde nicht sieht. Neulich fing ich selbst einen mit der Hand an den Hinterläufen.«

»Na, einen Hasen wirst du kaum mit der Hand fangen«, bemerkte der Schwager.

»Und doch hab' ich einen gefangen, justament gefangen!« antwortete Nosdrjow. »Jetzt werde ich dich zu der Grenze führen,« wandte er sich an Tschitschikow, »wo mein Besitz aufhört.«

Nosdrjow führte seine Gäste über ein Feld, das stellenweise aus lauter Erdbuckeln bestand. Die Gäste mußten sich zwischen Brachfeld und geeggten Äckern durchschlängeln. Tschitschikow begann Müdigkeit zu spüren. An vielen Stellen spritzte unter ihren Schritten das Wasser empor: so tief lag das Feld. Anfangs nahmen sie sich in acht und setzten die Füße vorsichtig einen vor den anderen; als sie aber sahen, daß das nichts nützte, traten sie gleichgültig hin, ohne zu unterscheiden, wo der Schmutz größer und wo er kleiner war. Nach einer gehörigen Strecke erblickten sie tatsächlich die Grenze, die durch einen Pfahl und einen schmalen Graben bezeichnet war.

»Das ist die Grenze!« sagte Nosdrjow. »Alles, was du auf dieser Seite siehst, gehört mir, und auch alles, was jenseits liegt, auch jener dunkle Wald dort, und alles, was hinter dem Walde liegt, gehört mir.«

»Seit wann gehört dieser Wald dir?« fragte der Schwager. »Hast du ihn denn soeben gekauft? Vor kurzem gehörte er doch gar nicht dir.«

»Ja, ich habe ihn vor kurzem gekauft«, erwiderte Nosdrjow.

»Wie hast du es so schnell machen können?«

»Gewiß, ich hab' ihn vorgestern gekauft und, hol's der Teufel, viel bezahlt.«

»Du warst doch die ganze Zeit auf dem Jahrmarkte.«

»Ach du Narr! Kann man denn nicht zugleich auf einem Jahrmarkte sein und Land kaufen? Gewiß, ich war auf dem Jahrmarkte, und mein Verwalter hat den Wald ohne mich gekauft.«

»Ja, es müßte schon der Verwalter sein«, sagte der Schwager, schüttelte aber zweifelnd den Kopf.

Die Gäste gingen den gleichen schlechten Weg zum Hause zurück. Nosdrjow führte sie in sein Arbeitszimmer, in dem übrigens nichts davon zu sehen war, was es sonst in Arbeitszimmern gibt: also weder Bücher noch Papiere; an der Wand hingen Säbel und zwei Gewehre, eines dreihundert und das andere achthundert Rubel wert. Der Schwager sah sich die Gewehre an und schüttelte den Kopf. Dann zeigte er ihnen türkische Dolche; auf dem einen war irrtümlicherweise eingraviert: »Meister Ssawelij Ssibirjakow«. Darauf führte er den Gästen eine Drehorgel vor. Nosdrjow setzte sie auch gleich in Betrieb. Die Drehorgel hatte einen nicht unangenehmen Ton, aber in ihrem Innern war wohl etwas nicht in Ordnung, denn die Mazurka ging plötzlich in das bekannte Lied »Marlborough zog in den Krieg« über, und dieses letztere endete mit einem altbekannten Walzer. Nosdrjow drehte schon längst nicht mehr, aber in der Orgel war eine ungemein lebhafte Pfeife, die unmöglich zur Ruhe kommen wollte und noch lange allein tönte. Dann zeigte er ihnen seine Pfeifen aus Holz, Ton und Meerschaum, angerauchte und nicht angerauchte, mit und ohne Wildlederbezug, ein Pfeifenrohr mit Bernsteinmundstück, das er vor kurzem gewonnen, und einen von einer Gräfin gestickten Tabaksbeutel; die Gräfin hatte sich auf irgendeiner Poststation in ihn über die Ohren verliebt, und ihre Händchen waren »das subtilste Superflu«: mit diesem Worte bezeichnete er offenbar den höchsten Gipfel der Vollkommenheit. Nachdem sie zuvor gedörrten Stör als Vorspeise zu sich genommen, setzten sie sich gegen fünf zu Tisch. Das Mittagessen bildete für Nosdrjow anscheinend nicht den Hauptinhalt seines Lebens; die Gerichte spielten keine große Rolle: einiges war angebrannt und einiges halbroh. Der Koch ließ sich offenbar von einer Intuition leiten und tat in die Speisen alles hinein, was ihm zuallererst in die Hand fiel: hatte er zufällig Pfeffer in der Nähe stehen, so nahm er Pfeffer; war es Kraut – so tat er Kraut hinein, ebenso Milch, Schinken, Erbsen, mit einem Worte, alles, was sich gerade traf; die Hauptsache war, daß es möglichst heiß sei; der Geschmack wird sich aber schon von selbst ergeben. Dafür widmete sich Nosdrjow sehr eingehend den Weinen: die Suppe stand noch nicht auf dem Tisch, als er den Gästen schon je ein großes Glas Portwein und dann je ein Glas Haut-Sauternes einschenkte; einfachen Sauternes gibt es in den Gouvernements- und Kreisstädten bekanntlich nicht. Dann ließ Nosdrjow eine Flasche Madeira bringen, »wie ihn selbst der Feldmarschall nicht besser getrunken hat.« Der Madeira brannte tatsächlich im Munde, denn die Kaufleute, die den Geschmack der Gutsbesitzer kannten, versetzten ihn erbarmungslos mit Rum und taten zuweilen auch Königswasser hinein, in der Hoffnung, daß ein russischer Magen alles vertragen könne. Dann ließ Nosdrjow noch einen ganz besonderen Wein auftragen, der nach seiner Behauptung ein Bourgognon und Champagnon zugleich war. Er schenkte sehr eifrig nach rechts und links – seinem Schwager und Tschitschikow – ein; Tschitschikow merkte aber zufällig, daß er sich selbst nicht sehr viel einschenkte. Dies veranlaßte ihn, vorsichtiger zu sein, und sooft Nosdrjow sich ins Gespräch vertiefte oder seinem Schwager einschenkte, sein Glas in den Teller zu schütten. Sehr bald darauf wurde ein Ebereschenschnaps gebracht, von dem Nosdrjow behauptete, daß er so mild sei wie Rahm, der aber erstaunlicherweise ganz schrecklich nach gemeinstem Fusel schmeckte. Darauf tranken sie noch irgendeinen Balsam, dessen Namen man sich gar nicht merken konnte und den übrigens auch der Hausherr selbst bei nächster Gelegenheit mit einem ganz anderen Namen bezeichnete. Das Mittagessen war längst zu Ende, die Weine waren sämtlich durchprobiert, aber die Gäste saßen noch immer bei Tisch. Tschitschikow wollte nicht mit Nosdrjow in Gegenwart des Schwagers von der Hauptsache zu sprechen anfangen; der Schwager war doch immerhin ein Fremder, der Gegenstand erheischte aber eine freundschaftliche Unterredung unter vier Augen. Der Schwager konnte übrigens wohl kaum gefährlich werden: er war ziemlich voll und nickte immer mit der Nase vornüber. Als er selbst merkte, daß er sich in einer wenig zuverlässigen Verfassung befand, fing er zu bitten an, nach Hause fahren zu dürfen, tat es aber mit einer so trägen und matten Stimme, als zöge er, wie der Russe sagt, einem Pferde das Kummet mit einer Zange über den Kopf.

»Nein, nein, ich lasse dich nicht!« sagte Nosdrjow.

»Kränk' mich nicht, Freund, ich muß wirklich heim«, sagte der Schwager. »Das ist eine schwere Kränkung für mich.«

»Unsinn, Unsinn, wir wollen gleich ein Bankspiel inszenieren!«

»Inszeniere es selbst, Bruder, ich kann aber nicht: meine Frau wird sich sehr beleidigt fühlen; ich muß ihr ja vom Jahrmarkt erzählen. Ich muß ihr wirklich dieses Vergnügen bereiten. Nein, halt mich nicht zurück!«

»Ach, hol' deine Frau der Kuckuck . . . Etwas Wichtiges habt ihr wohl vor!«

»Nein, Bruder, sie ist eine so gute Frau. Eine wirklich musterhafte, ehrenwerte und treue Gattin! Sie erweist mir solche Dienste . . . wirst du's mir glauben? – mir treten sogar Tränen in die Augen. Nein, halt mich nicht zurück: so wahr ich ein ehrlicher Mensch bin, ich fahre heim. Ich versichere dich auf Ehre und Gewissen.«

»Soll er nur fahren: was taugt er uns?« sagte Tschitschikow leise zu Nosdrjow.

»In der Tat!« antwortete Nosdrjow. »Solche Waschlappen kann ich nicht leiden!« Dann fügte er laut hinzu: »Gut, hol' dich der Teufel, fahr nur zu deinem Weib, du trauriges Mannsbild!«

»Nein, Bruder, nenne mich nicht trauriges Mannsbild«, antwortete der Schwager. »Ich verdanke ihr mein Leben. Sie ist wirklich so gut und nett, sie ist so lieb zu mir, daß mir manchmal die Tränen kommen. Sie wird mich fragen, was ich alles auf dem Jahrmarkte gesehen habe – ich muß ihr alles erzählen . . . sie ist wirklich so lieb.«

»Gut, fahr hin, lüge ihr was vor! Hier ist deine Mütze!«

»Nein, Bruder, so darfst du von ihr nicht sprechen; damit kränkst du, ich darf wohl sagen, mich selbst. Sie ist so lieb.«

»Gut, scher dich zu ihr!«

»Ja, Bruder, ich fahre gleich zu ihr; verzeih, daß ich nicht bleiben kann. Ich täte es herzlich gern, aber ich kann es nicht.« Der Schwager wiederholte noch lange seine Entschuldigungen und merkte nicht, daß er schon längst im Wagen saß, längst zum Tore hinausgefahren war und längst nur leere Felder vor sich liegen hatte. Es ist anzunehmen, daß seine Frau von ihm nicht viel über den Jahrmarkt zu hören bekam.

»Dieser Ekel!« sagte Nosdrjow, am Fenster stehend und dem sich entfernenden Wagen nachblickend. »Wie der sich langsam schleppt! Das Seitenpferd ist zwar gar nicht übel, ich möchte es schon längst haben. Aber mit ihm kann man doch nicht einig werden. Ein trauriges Mannsbild!«

Darauf kehrten sie ins Zimmer zurück. Profirij brachte Kerzen herein, und Tschitschikow merkte in der Hand des Hausherrn ein plötzlich aufgetauchtes Spiel Karten.

»Was meinst du, Bruder«, sagte Nosdrjow, das Kartenspiel seitlich zusammendrückend, so daß die Umhüllung zerriß und absprang. »Zum bloßen Zeitvertreib! Ich halte die Bank mit dreihundert Rubeln!«

Tschitschikow tat aber so, als ob er nichts gehört hätte, und sagte plötzlich, als sei es ihm erst eben eingefallen: »Ach ja, daß ich es nicht vergesse: ich habe eine Bitte an dich.«

»Was für eine Bitte?«

»Gib mir erst dein Wort, daß du sie erfüllen wirst.«

»Was ist das für eine Bitte?«

»Gib mir erst das Wort!«

»Gern!«

»Dein Ehrenwort?«

»Mein Ehrenwort.«

»Es ist folgende Bitte: du wirst wohl viele verstorbene Bauern haben, die in den Revisionslisten noch nicht gestrichen sind?«

»Gewiß habe ich welche; was willst du mit ihnen?«

»Übertrage sie auf meinen Namen.«

»Was brauchst du sie?«

»Ich brauche sie eben.«

»Wozu?«

»Ich brauche sie . . . es ist schon meine Sache – mit einem Worte, ich brauche sie.«

»Du hast sicher etwas ausgeheckt. Gestehe nur, was!«

»Was soll ich ausgeheckt haben? Mit einem solchen Dreck kann man doch nichts anfangen.«

»Was brauchst du sie dann?«

»Ach, bist du neugierig! Jeden Dreck mußt du mit der Hand betasten und auch noch mit der Nase beschnüffeln!«

»Warum willst du es mir dann nicht sagen?«

»Was nützt es dir, wenn ich es dir sage? Es ist ganz einfach so eine Laune von mir.«

»Also hör': wenn du es mir nicht sagst, tu ich es einfach nicht.«

»Nun siehst du es, das ist unehrlich von dir: zuerst gibst du mir das Wort, und jetzt willst du auf einmal nicht mehr.«

»Gut, wie du willst, aber ich tue es nicht, ehe du mir gesagt hast, wozu du sie brauchst.«

– Was soll ich ihm nun sagen? – dachte sich Tschitschikow. Nach kurzer Überlegung erklärte er ihm, daß er die toten Seelen brauche, um sich Gewicht in der Gesellschaft zu verschaffen; er habe keine großen Besitztümer und möchte darum wenigstens einige Seelen haben.

»Du lügst, du lügst!« sagte Nosdrjow, ihn nicht aussprechen lassend. »Du lügst, Bruder!«

Tschitschikow merkte selbst, daß seine Erfindung nicht ganz geschickt und seine Ausrede recht schwach war. »Nun will ich dir die Wahrheit sagen,« verbesserte er sich, »aber erzähle es bitte nicht weiter. Ich habe die Absicht, mich zu verheiraten; du mußt aber wissen, daß die Eltern meiner Braut höchst ehrgeizige Menschen sind. Eine schwierige Sache, ich bin nicht mehr froh, daß ich mich eingelassen habe. Sie wollen nämlich unbedingt, daß der Bräutigam nicht weniger als dreihundert Seelen habe, mir fehlen aber beinahe hundertundfünfzig daran . . .«

»Du lügst, du lügst!« rief wieder Nosdrjow.

»Nein, jetzt habe ich nicht einmal so viel gelogen«, sagte Tschitschikow und zeigte mit dem Daumen auf ein winziges Endchen seines kleinen Fingers.

»Ich setze meinen Kopf ein, daß du lügst!«

»Das ist schließlich eine Beleidigung! Was bin ich denn eigentlich? Warum muß ich unbedingt lügen?«

»Ich kenne dich ja durch und durch: du bist ein großer Spitzbube, laß es dir in aller Freundschaft sagen! Wäre ich dein Vorgesetzter, so ließe ich dich auf dem ersten besten Baum aufhängen.«

Tschitschikow fühlte sich durch diese Bemerkung verletzt. Jede einigermaßen rohe und unanständige Bemerkung war ihm unangenehm. Er liebte es sogar nicht, sich von irgendwem familiär behandeln zu lassen, höchstens nur von einer Person, die in hohem Range stand. Darum fühlte er sich jetzt äußerst schwer gekränkt.

»Bei Gott, ich ließe dich aufhängen«, erwiderte Nosdrjow. »Ich sage es dir ganz aufrichtig, nicht um dich etwa zu beleidigen, sondern einfach aus Freundschaft.«

»Alles hat seine Grenzen«, sagte Tschitschikow mit großer Würde. »Wenn du mit ähnlichen Redensarten paradieren willst, so geh' bitte in eine Kaserne.« Dann fügte er hinzu: »Wenn du sie mir nicht schenken willst, so verkaufe sie mir.«

»Ja, verkaufen! Ich kenne dich ja, du bist ein Schuft und wirst mir nicht viel geben wollen.«

»Ach, auch du bist gut! Schau: sind sie etwa aus Diamanten?«

»Nun haben wir es. Ich kenne dich doch!«

»Aber höre einmal, Bruder, was ist das für eine jüdische Geldgier! Du müßtest sie mir doch einfach schenken.«

»Gut, also hör': um dir zu zeigen, daß ich durchaus kein Filz bin, will ich von dir für sie nichts verlangen. Wenn du mir den Hengst abkaufst, so kriegst du sie umsonst als Zugabe.«

»Aber erlaube mal, was brauche ich den Hengst?« sagte Tschitschikow, der über diesen Vorschlag tatsächlich sehr erstaunt war.

»Was du ihn brauchst? Ich habe für ihn zehntausend Rubel bezahlt und lasse ihn dir für viertausend.«

»Aber was soll ich mit dem Hengst? Ich habe doch kein Gestüt.«

»Höre doch, du verstehst mich noch immer nicht: ich verlange von dir bloß dreitausend, und die übrigen tausend kannst du mir später einmal bezahlen.«

»Ich brauche keinen Hengst, Gott sei mit ihm!«

»Dann kaufe mir die hellbraune Stute ab.«

»Ich brauche auch die Stute nicht.«

»Für die Stute und für den grauen Gaul, den du bei mir gesehen hast, will ich von dir bloß zweitausend verlangen.«

»Aber ich brauche keine Pferde.«

»Du kannst sie doch immer verkaufen: auf dem ersten besten Jahrmarkt zahlt man dir für sie dreimal soviel.«

»Verkauf sie dann selbst, wenn du überzeugt bist, daß man dir das Dreifache gibt.«

»Ich weiß, daß ich das Dreifache kriege, aber ich möchte, daß du das Geschäft machst.«

Tschitschikow bedankte sich für die freundschaftliche Gesinnung und verzichtete endgültig wie auf den grauen Gaul so auch auf die hellbraune Stute.

»Nun, so kauf mir ein Paar Hunde ab. Ich will dir ein Paar verkaufen, daß es dich kalt überläuft! Schnauzbärte haben sie, die Haare stehen wie die Borsten, die Wölbung der Rippen ist einfach erstaunlich. Die Pfoten sind so zusammengeballt, daß sie kaum den Boden berühren!«

»Was brauche ich die Hunde? Ich bin doch kein Jäger.«

»Aber ich will, daß du Hunde hast. Hör' einmal, wenn du keine Hunde willst, so kaufe mir die Drehorgel ab. Eine herrliche Drehorgel! So wahr ich ein ehrlicher Mensch bin, sie hat mich anderthalb Tausend gekostet; dir lasse ich sie aber für neunhundert.«

»Was soll ich mit der Drehorgel? Ich bin doch kein Deutscher, der mit so einem Instrument durch die Straßen zieht und bettelt.«

»Aber das ist doch keine Drehorgel, wie sie die Deutschen haben. Es ist eine richtige Orgel, schau nur her, sie ist ganz aus Mahagoni. Ich will sie dir noch einmal zeigen!« Nosdrjow packte Tschitschikow bei der Hand und schleppte ihn in das andere Zimmer; wie sehr sich Tschitschikow auch mit den Füßen gegen den Boden stemmte und versicherte, daß er die Drehorgel schon kenne, mußte er doch noch einmal hören, wie Marlborough in den Krieg zog. »Wenn du nichts bezahlen willst, so mache ich dir folgenden Vorschlag: ich gebe dir die Drehorgel und alle toten Seelen, die ich habe, und du gibst mir dafür deinen Wagen und dreihundert Rubel in bar.«

»Was dir nicht einfällt! Wie soll ich ohne Wagen von hier fortkommen?«

»Ich gebe dir einen anderen Wagen. Komm nur in den Schuppen, ich zeige ihn dir. Du mußt ihn nur neu streichen lassen, dann hast du einen wunderbaren Wagen.«

– Der ist von einem Teufel besessen! – dachte sich Tschitschikow und entschloß sich, auf alle Wagen, Drehorgeln und Hunde, wie wunderbar gewölbt ihre Rippen und wie zusammengeballt ihre Pfoten auch sein mögen, zu verzichten.

»Du kriegst doch den Wagen, die Drehorgel und die toten Seelen – alles zusammen.«

»Ich will nicht!« sagte Tschitschikow noch einmal.

»Warum willst du nicht?«

»Weil ich ganz einfach nicht will.«

»Ach, bist du ein Mensch! Wie ich sehe, kann man dich gar nicht wie einen Freund oder guten Bekannten behandeln . . . Da sieht man gleich, daß du ein doppelzüngiger Mensch bist!«

»Bin ich ein Dummkopf oder was? Urteile selbst: wozu soll ich einen Gegenstand erwerben, den ich absolut nicht brauche?«

»Sprich bitte nicht so. Ich kenne dich gut. Was bist du für eine Kanaille. Also hör': wollen wir eine Partie Bank spielen? Ich setze alle toten Seelen auf die Karte und die Drehorgel dazu.«

»Nein, sich auf ein Kartenspiel einlassen, bedeutet doch, sich einer Ungewißheit auszusetzen«, sagte Tschitschikow und schielte nach den Karten, die jener in der Hand hielt. Beide Spiele kamen ihm etwas sonderbar vor, und die gesprenkelte Rückseite machte einen recht verdächtigen Eindruck.

»Warum denn einer Ungewißheit?« sagte Nosdrjow. »Es ist doch gar keine Ungewißheit dabei. Wenn du bloß Glück hast, kannst du ein Vermögen gewinnen. Da, schau, dieses Glück!« sagte er, indem er ein paar Karten hinwarf, um Tschitschikow Appetit zu machen. »Dieses Glück! Das haut nur so! Da ist ja die verfluchte Neun, mit der ich alles verloren habe! Ich wußte es ja, daß sie mich verraten wird, machte aber die Augen zu und sagte: ›Hol' dich der Teufel, verrate mich, Verdammte!‹«

Während Nosdrjow dieses sprach, brachte Porfirij eine Flasche herein. Tschitschikow weigerte sich aber aufs entschiedenste zu spielen und auch zu trinken.

»Warum willst du denn nicht spielen?« fragte Nosdrjow.

»Weil ich nicht in der Stimmung bin. Offen gestanden, bin ich auch kein Freund vom Kartenspiel.«

»Warum bist du kein Freund?«

Tschitschikow zuckte die Achseln und erklärte: »Weil ich kein Freund bin.«

»Ein Ekel bist du!«

»Was soll ich machen! Gott hat mich einmal so erschaffen!«

»Ein trauriges Mannsbild bist du! Ich glaubte früher, du seist ein einigermaßen anständiger Mensch, du hast aber keinen Dunst vom Umgang mit Menschen. Man kann mit dir unmöglich wie mit einem Freunde sprechen . . . Nicht die geringste Aufrichtigkeit, keine Spur von Geradheit! Bist der reinste Ssobakewitsch, so ein gemeiner Schuft!«

»Warum schimpfst du so? Ist es denn meine Schuld, daß ich nicht spiele? Verkaufe mir die Seelen allein, wenn du ein Mensch bist, der um jeden Mist zittert.«

»Einen Dreck kriegst du! Anfangs wollte ich sie dir einfach schenken, jetzt kriegst du sie aber nicht! Auch wenn du mir drei Königreiche bietest. So ein Taschendieb, ein Ofenhocker! Nun will ich mit dir nichts zu tun haben. Porfirij, geh, sag' dem Kutscher, er soll seinen Pferden keinen Hafer geben, sie sollen nur Heu fressen.«

Auf diesen Schluß war Tschitschikow gar nicht gefaßt.

»Wärest du mir doch lieber nicht in den Weg gekommen!« sagte Nosdrjow.

Trotz dieses Wortwechsels aßen der Hausherr und sein Gast gemeinsam zu Abend; diesmal standen aber auf dem Tische keinerlei Weine mit phantastischen Namen. Es gab nur eine Flasche Zyperwein, der sich als der reinste Essig erwies. Nach dem Abendessen führte Nosdrjow Tschitschikow ins Nebenzimmer, wo für ihn ein Bett bereit stand, und sagte: »Da ist dein Bett. Ich will dir nicht mal gute Nacht wünschen.«

Tschitschikow blieb, nachdem Nosdrjow hinausgegangen war, in der übelsten Laune zurück. Er ärgerte sich über sich selbst und schimpfte auf sich, daß er bei diesem Nosdrjow eingekehrt war und die teure Zeit vertrödelt hatte; noch größere Vorwürfe machte er sich, weil er mit ihm vom Geschäft gesprochen hatte; er hatte so unvorsichtig wie ein Kind, wie ein Narr gehandelt: das Geschäft war durchaus nicht von der Art, daß man es dem Nosdrjow anvertrauen konnte . . . Nosdrjow ist ein übler Bursche, Nosdrjow kann noch verschiedenes hinzulügen, Gott weiß was für Gerüchte loslassen, und dann wird ein furchtbarer Klatsch daraus entstehen . . . Das ist nicht gut, gar nicht gut. »Ich bin einfach ein Narr!« sagte er sich selbst. Er schlief die ganze Nacht sehr schlecht. Gewisse kleine, äußerst lebhafte Insekten bissen ihn furchtbar schmerzhaft, so daß er mit allen Fingern die verletzten Stellen kratzte und dabei sprach: »Hol' euch der Teufel mitsamt Nosdrjow!« Er erwachte sehr früh. Seine erste Handlung war, Stiefel und Schlafrock anzuziehen, durch den Hof nach dem Stall zu gehen und Sselifan zu befehlen, unverzüglich anzuspannen. Als er durch den Hof zurückkehrte, stieß er auf Nosdrjow, der gleichfalls einen Schlafrock anhatte und schon seine Pfeife rauchte.

Nosdrjow begrüßte ihn recht freundschaftlich und fragte, wie er geschlafen habe.

»Nicht schlecht«, antwortete Tschitschikow recht trocken.

»Ich schlief aber fürchterlich, Bruder«, sagte Nosdrjow: »So einen Dreck sah ich die ganze Nacht im Traume, daß es sogar scheußlich wäre, es wiederzuerzählen; im Munde hatte ich aber nach dem gestrigen Abend einen Geschmack, als ob darin eine ganze Schwadron übernachtet hätte. Denk dir nur, mir träumte, daß man mich mit Ruten züchtigte, bei Gott! Und denke dir nur, wer! Das wirst du niemals erraten: der Stabsrittmeister Pozelujew und der Leutnant Kuwschinnikow.«

– Es wäre gar nicht schlecht, – dachte sich Tschitschikow, – wenn man dich in Wirklichkeit mit Ruten züchtigte. –

»Bei Gott! Und das tat weh! Als ich erwachte, fühlte ich sogar ein Jucken am ganzen Körper: das waren wohl die verdammten Flöhe. Nun, geh hin, zieh dich an. Ich will gleich zu dir kommen. Ich muß nur noch dem Verwalter, diesem Schuft, ein Donnerwetter machen.«

Tschitschikow ging auf sein Zimmer, um sich zu waschen und anzuziehen. Als er darauf ins Speisezimmer kam, stand schon der Tee nebst einer Flasche Rum auf dem Tisch. Im Zimmer waren noch Spuren vom gestrigen Mittag- und Abendessen zu sehen. Offenbar hatte noch kein Besen den Boden berührt. Auf dem Boden lagen Brotkrumen herum, und auf dem Tischtuch war noch Tabaksasche zu sehen. Der Hausherr selbst, der bald darauf erschien, trug unter seinem Morgenrock nichts als die nackte Brust, auf der eine Art Bart wuchs. Wie er so mit der Pfeife in der Hand dasaß und den Tee aus der Tasse schlürfte, bot er ein ausgezeichnetes Modell für einen Maler, der die geschleckten und gekräuselten oder kurzgeschorenen Herren nicht leiden mag, die man auf den Schildern der Barbiere sieht.

»Nun, wie denkst du?« fragte Nosdrjow, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. »Willst du um die Seelen spielen?«

»Ich habe es dir doch schon gesagt, Bruder, daß ich nicht spiele; wenn du sie verkaufen willst, so kaufe ich sie gern.«

»Verkaufen mag ich sie nicht: das wäre nicht freundschaftlich. Ich will nicht, weiß der Teufel wovon, den Rahm abschöpfen. Ein Kartenspiel ist eine andere Sache. Spielen wir doch wenigstens eine Partie!«

»Ich hab dir schon gesagt, daß ich nicht will.«

»Willst du auch nicht tauschen?«

»Nein, ich will nicht.«

»Dann höre: wir wollen eine Partie Dame spielen; wenn du sie gewinnst, gehören alle Seelen dir. Ich habe doch eine Menge Seelen, die in den Listen noch nicht gestrichen sind. He, Porfirij, bring mal das Damenbrett her!«

»Vergebliche Mühe: ich werde nicht spielen.«

»Das ist doch was ganz anderes als Kartenspiel; hier kann weder von Glück noch von einem Schwindel die Rede sein: alles hängt vom Können ab, und ich mache dich schon im voraus darauf aufmerksam, daß ich sehr schlecht spiele; du wirst mir etwas vorgeben müssen.«

– Ich will mal versuchen, – dachte sich Tschitschikow, – mit ihm Dame zu spielen. Dame spiele ich sonst nicht schlecht, und schwindeln kann er dabei nicht. –

»Schön, es sei, eine Partie Dame will ich spielen.«

»Die Seelen setze ich mit hundert Rubeln ein!«

»Warum denn mit hundert? Es genügt, wenn du sie mit fünfzig einsetzt.«

»Fünfzig ist doch kein Betrag! Lieber gebe ich für die gleichen hundert Rubel auch noch einen jungen Hund mittlerer Sorte oder ein goldenes Anhängsel in Form eines Petschaftes dazu.«

»Also gut!« sagte Tschitschikow.

»Und was gibst du mir vor?« fragte Nosdrjow.

»Warum soll ich dir was vorgeben? Natürlich nichts.«

»Dann will ich wenigstens die beiden ersten Züge haben.«

»Ich will nicht: ich spiele selbst schlecht.«

»Das wissen wir, wie schlecht ihr spielt!« sagte Nosdrjow, einen Zug machend.

»Schon lange habe ich keinen Stein in der Hand gehabt!« sagte Tschitschikow, gleichfalls einen Stein vorrückend.

»Das wissen wir, wie schlecht ihr spielt!« sagte Nosdrjow beim zweiten Zug.

»Schon lange habe ich keinen Stein in der Hand gehabt!« sagte Tschitschikow, wieder einen Stein vorrückend.

»Das wissen wir, wie schlecht ihr spielt!« sagte Nosdrjow, indem er mit der Hand einen Stein und zugleich mit dem Ärmel einen zweiten vorschob.

»Schon lange habe ich keinen Stein in der Hand gehabt! . . . He! he! . . . was ist denn das, Bruder? Schieb ihn doch zurück!« sagte Tschitschikow.

»Wen denn?«

»Nun, den Stein!« sagte Tschitschikow. Im selben Moment bemerkte er dicht vor seiner Nase auch noch einen zweiten Stein, der eben im Begriff war, Dame zu werden. Woher dieser Stein plötzlich aufgetaucht war, das wußte Gott allein. »Nein,« sagte Tschitschikow, sich erhebend, »mit dir kann man unmöglich spielen. Das geht nicht: drei Züge auf einmal!«

»Warum denn drei? Es war ein Versehen. Der eine Stein hat sich zufällig verschoben, ich will ihn gern zurückschieben.«

»Und wo kommt der andere her?«

»Welcher andere?«

»Dieser da, der eben Dame werden will?«

»Da haben wir's, als ob du es nicht mehr wüßtest!«

»Nein, Bruder, ich habe alle Züge gezählt und habe alles im Kopf. Du hast ihn eben erst hergesetzt. Sein Platz ist hier!«

»Wie, wo ist sein Platz?« sagte Nosdrjow errötend. »Wie ich sehe, Bruder, bist du gar ein Dichter!«

»Nein, Bruder, du scheinst eher Dichter zu sein, doch einer ohne Erfolg.«

»Für wen hältst du mich denn?« sagte Nosdrjow. »Werde ich etwa mogeln?«

»Für gar nichts halte ich dich, aber ich will nicht mehr mit dir spielen.«

»Nein, du darfst nicht mehr zurücktreten,« sagte Nosdrjow, sich immer mehr ereifernd, »das Spiel ist angefangen!«

»Ich darf wohl zurücktreten, denn du spielst nicht so, wie es einem anständigen Menschen geziemt.«

»Nein, du lügst, das darfst du nicht sagen!«

»Nein, Bruder, du lügst selbst!«

»Ich habe nicht gemogelt, und du darfst nicht mehr zurücktreten, du mußt die Partie zu Ende spielen!«

»Dazu kannst du mich nicht zwingen«, sagte Tschitschikow kaltblütig. Er trat ans Brett und warf alle Steine durcheinander.

Nosdrjow geriet in Wut und ging so nahe an Tschitschikow heran, daß dieser zwei Schritte zurückwich.

»Ich werde dich zwingen, zu spielen. Das macht nichts, daß du die Steine durcheinander geworfen hast. Ich kann mich aller Züge erinnern. Wir stellen sie wieder so auf, wie sie standen.«

»Nein, Bruder, die Sache ist erledigt: ich werde mit dir nicht mehr spielen.«

»Du willst also nicht spielen?«

»Du siehst doch selbst, daß es unmöglich ist, mit dir zu spielen.«

»Nein, sage es gerade heraus: du wirst nicht mehr spielen?« sagte Nosdrjow, immer näher an Tschitschikow herantretend.

»Ich will nicht«, sagte Tschitschikow, indem er sich für jeden Fall beide Hände vors Gesicht hielt, denn die Situation wurde tatsächlich brenzlig. Seine Vorsicht war durchaus am Platze, denn Nosdrjow holte schon mit der Hand aus . . . und es hätte leicht passieren können, daß eine der anmutigen, vollen Backen unseres Helden mit unverwischbarer Schmach bedeckt worden wäre; er parierte aber geschickt den Schlag, packte Nosdrjows beide kampflustigen Hände und hielt ihn fest.

»Porfirij, Pawluschka!« schrie Nosdrjow in seiner Wut, indem er sich zu befreien versuchte.

Als Tschitschikow diese Worte hörte, ließ er ihn los, da er die Leibeigenen nicht zu Zeugen dieser ärgerniserregenden Szene machen wollte und zugleich fühlte, daß es doch nutzlos wäre, Nosdrjow festzuhalten. In diesem Augenblick kamen Porfirij und Pawluschka ins Zimmer; der letztere war ein handfester Bursche, und es schien gar nicht vorteilhaft, mit ihm etwas zu tun zu haben.

»Du willst also die Partie nicht zu Ende spielen?« fragte Nosdrjow. »Antworte!«

»Es ist unmöglich, die Partie zu Ende zu spielen«, sagte Tschitschikow und blickte zum Fenster hinaus. Er sah seinen Wagen fertig im Hofe stehen, und Sselifan schien nur auf den Wink zu warten, um vorzufahren; es war aber gar keine Möglichkeit, aus dem Zimmer herauszukommen: In der Türe standen die beiden handfesten leibeigenen Narren.

»Du willst also die Partie nicht zu Ende spielen?« wiederholte Nosdrjow, feuerrot vor Zorn.

»Wenn du spielen würdest, wie es einem anständigen Menschen geziemt . . . so kann ich aber nicht.«

»Aha! du kannst also nicht, Schurke! Weil du siehst, dass du bei mir nicht gewinnen kannst, sagst du plötzlich, dass du nicht kannst! Haut ihn«, schrie er wütend, sich an Porfirij und Pawluschka wendend, während er selbst ein Pfeifenrohr aus Weichselholz in die Hand nahm. Tschitschikow wurde bleich wie Leinwand. Er wollte etwas sagen, fühlte aber, dass seine Lippen sich nur lautlos bewegten.

»Haut ihn«, schrie Nosdrjow, mit dem Pfeifenrohr in der Hand auf ihn losstürzend, ganz in Feuer und Schweiß, als gelte es, eine unbezwingbare Festung zu erobern. »Haut ihn«, schrie er mit einer Stimme, mit der bei einem wichtigen Sturmangriffe ein tollkühner Leutnant, dessen wahnsinnige Tapferkeit solche Berühmtheit erlangt hat, dass ein eigener Befehl ergangen ist, ihn in den entscheidendsten Augenblicken bei den Händen zu halten, seinen Soldaten: »Vorwärts, Kinder!« zuzurufen pflegt. Der Leutnant ist aber schon ganz im Banne der Schlacht, in seinem Kopfe dreht sich alles; das Vorbild Ssuworows schwebt ihm vor, es gilt eine große Tat. »Vorwärts, Kinder!« schreit er, vorwärts drängend, ohne sich zu überlegen, daß er dem vorberechneten allgemeinen Angriffsplan schadet, daß Millionen von Gewehrläufen aus den Schießscharten der unbezwingbaren, in die Wolken ragenden Festungsmauern starren, daß seine ohnmächtige Kompanie wie Flaum in die Luft fliegen wird und daß schon die verhängnisvolle Kugel pfeift, die ihm seinen vorlauten Mund verschließen wird. Wenn aber Nosdrjow einen solchen tollkühnen, besinnungslosen, eine Festung bestürmenden Leutnant darstellte, so machte die Festung, gegen die er zog, durchaus keinen unbezwingbaren Eindruck. Die Festung hatte im Gegenteil solche Angst, daß ihr das Herz in die Hosen gefallen war. Schon war ihm der Stuhl, mit dem er sich verteidigen wollte, von den Leibeigenen entrissen; schon war er, mehr tot als lebendig, mit geschlossenen Augen bereit, das tscherkessische Pfeifenrohr des Hausherrn zu kosten; doch dem Schicksale war es angenehm, die Seiten, die Schultern und alle die edlen Körperteile unseres Helden zu retten. Ganz unerwartet erklang plötzlich wie aus den Wolken Schellengeläute, ein Wagen fuhr dröhnend vor, und das schwere Schnaufen und Schnarchen einer erhitzten Troika wurde sogar im Zimmer vernehmbar. Alle blickten unwillkürlich zum Fenster hinaus: ein Mann mit Schnurrbart, in halb militärischer Uniform, stieg aus dem Wagen. Nachdem er sich im Vorzimmer erkundigt hatte, trat er ins Zimmer just in dem Augenblick, als Tschitschikow, der sich von seinem Schreck noch nicht erholt hatte, sich in der jämmerlichsten Lage befand, die je ein Sterblicher erfahren hat.

»Darf ich fragen, wer ist hier Herr Nosdrjow?« fragte der Unbekannte, mit einigem Erstaunen bald auf Nosdrjow, der mit dem Pfeifenrohr in der Hand dastand, und bald auf Tschitschikow, der aus seiner unvorteilhaften Lage eben zu sich zu kommen begann, blickend.

»Gestatten Sie zuerst die Frage, mit wem ich die Ehre habe?« fragte Nosdrjow, näher herantretend.

»Ich bin der Polizeihauptmann.«

»Und was wünschen Sie?«

»Ich komme, um Ihnen eine mir eben zugegangene Meldung mitzuteilen, nämlich, daß Sie sich im Anklagezustand befinden, bis der gegen Sie schwebende Prozeß erledigt ist.«

»Unsinn, was für ein Prozeß?« sagte Nosdrjow.

»Sie sind in den Fall des Gutsbesitzers Maximow verwickelt, den Sie in trunkenem Zustande durch Rutenschläge persönlich beleidigt haben sollen.«

»Sie lügen! Ich habe einen Gutsbesitzer Maximow nie im Leben gesehen.«

»Mein Herr, lassen Sie es sich gesagt sein, daß ich Offizier bin. Das können Sie Ihrem Diener sagen und nicht mir.«

Tschitschikow wollte gar nicht abwarten, was Nosdrjow darauf erwidern würde; er ergriff schleunigst seine Mütze, schlüpfte hinter dem Rücken des Polizeihauptmanns hinaus, stieg in seinen Wagen und befahl Sselifan, die Pferde im Galopp anzutreiben.


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