Joseph Görres
Eine Auswahl aus seinen Schriften
Joseph Görres

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An Frau Baronin von Giovanelli

München, 18. September 1845.

Gnädige Frau! Moys Brief, ehe ich ihn geöffnet, hat mir schon zum voraus angemeldet, was in ihm enthalten war.Freiherr Joseph von Giovanelli, geb. 12. April 1783 zu Bozen, starb daselbst am 14. September 1845. Dieser Inhalt hat mich mit Betrübnis erfüllt, und dieser mein Brief wird noch größere bei Ihnen treffen. Ich vertraue aber auf die heroische Ader in Ihrem Wesen und auf die Resignation, die Ihnen Ihre religiöse Gesinnung gegeben, daß Sie den Schmerz nicht allzu tief um sich fressen lassen werden. Es ist schon voraus bedungen, daß wir uns nur finden, um uns wieder zu verlieren, wir dürfen uns daher nicht darüber beklagen, wenn die eingegangene Bedingung sich erfüllt. Ist auch auf Erden alles wohl gegeneinander abgewogen und sind alle Verhältnisse passend eingerichtet, es greift noch ein anderes Höheres ein, von dem wir nichts wissen; das schneidet dann in alles ein, ohne uns Rechenschaft zu geben, und wir müssen es dann hinnehmen, wie es uns zugemessen wird. Versetzen Sie sich in Gedanken wieder auf den steirischen Berg, den Sie damals mit ihm bestiegen und auf dem ein Unwetter Sie überfallen, wären damals die Fügungen wie dieser Sturm zwischen Sie getreten und hätten Sie voneinander gerissen, das wäre hart gewesen und beklagenswert. Jetzt aber sind diese Fügungen schonend und lind gekommen, so viele Jahre haben Sie miteinander in Glück und Frieden zugebracht; Segen hat Ihrem Hause nicht gefehlt. Endlich ist das Unvermeidliche eingetreten, immer zu früh nach unserer Meinung, die nur den engsten Teil des Kreises überschaut, aber gerade recht im wissen der höherm Macht, die das Ganze durchblickt. Wie tief Sie trauern mögen, es wird Ihnen wohl nicht leicht jemand glaublich machen, daß auch der, den Sie betrauern, mit gleicher betrübter Empfindung auf die Erde, und alles, was er dort gelassen, herniedersieht. Das alles hat sein volles Recht in seinem Gebiete, aber von oben gesehen schwindet es gar sehr zusammen; und die freudige Empfindung, sich frei von all der Plage zu wissen und das härene Hemde abgestreift zu haben, muß doch das erste Gefühl sein, was uns dort empfängt; und der Schmerz über das Scheiden, der uns schon diesseits vor dem Eintritte des Todes verläßt, wird auch hier zurückbleiben und jenseits seine Lösung in jener höhern Tröstung finden.

Nehmen Sie also nicht allein die ganze doppelte Last auf sich, lassen Sie sich nicht vom Nachgefühl seines Schmerzes hinreißen, sondern vielmehr von einem Vorgefühle seiner freudigen Stimmung durchdringen: das wird Sie Ihren Teil der Last leichter tragen machen. Er hat seinen Anteil an der Lebensschwere ehrlich getragen; äußerlich war es ihm leichter gemacht als tausend und tausend andern, dafür ist ihm innerlich doch auch manches aufgelegt worden, das er tapfer hingenommen; anderes hat er zur Ausgleichung sich selber aufgelegt, dessen er sich wohl hätte entschlagen können. Tirol wird es jetzt wohl erst fühlen und anerkennen, was es an ihm gehabt, und nicht so leicht und bald wird ein anderer die Lücke ausfüllen, die er zurückgelassen Wie es auch sei, er konnte am Ablauf seines irdischen Lebens ruhig und mit gutem Gewissen auf sein Tun herniederschauen, Gott von allem, was er getan und erreicht, die Ehre gebend. Mit diesem Gedanken ist er in sein anderes übergegangen, und nach diesem seinem Zeugnis ist sein Leben gerichtet worden, und mit diesem Kapitale hat er das neu beginnende angetreten.

Trösten Sie sich also, ihm gebricht nichts; Ihnen bleibt der Segen, den sein Tun auf Erden zurückgelassen. Er hätte freilich noch länger leben können nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, aber wir müssen glauben, daß seine Stunde ihm gerade zur günstigsten Zeit gekommen und daß eine längere Lebensdauer sogar physisch nur durch Opfer erreichbar gewesen, die das Erreichte nicht belohnt. Erhalten Sie sich in Ihren Kindern; es ist nur ein Atemzug zwischen Ihnen, aber atmen Sie so lang als möglich immer tapfer unter uns andern fort.

An alle Ihre Kinder meine tröstlichsten Wünsche, daß auch sie sich fassen mögen.

Ihr ergebenster J. Görres.


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