Joseph Görres
Eine Auswahl aus seinen Schriften
Joseph Görres

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Kotzebue und was ihn gemordet

... Wenn Zeiten großer Verhängnisse nahen, dann pflegt der Himmel Zeichen als warnende Boten voranzusenden; anfangs unscheinbare, nur dem aufmerksam Sinnenden verständlich, dann allmählich von wachsender Schwere und Begreiflichkeit, auf das ferne Wetterleuchten erst scharfe, zuckende Blitze, langsam nachrollende Donnerschläge, die noch der Besinnung Raum und Weile lassen; dann mit stets zunehmender Eiligkeit immer mehr anschwellende Gewalt, bis endlich Blitz und Schlag betäubend in einem Augenblick zusammenfallen. Dieser Zeichen eines, zu den andern, die wir schon gesehen, ist auch Kotzebues gewaltsamer Tod; wie weit in der natürlichen Folge vorgeschritten, mag sich leicht ein jeder selbst deuten. Als Handlung und als Werk der Freiheit muß die Moral jene Tat verdammen, weil sie ein eigenmächtiges Eindringen in die Gerichte des Himmels, ein vorgreifendes Aburteilen aus eigner menschlich beschränkter Persönlichkeit und einen gewalttätigen Einbruch in die fremde Freiheit durch die Mitte des Lebens nicht gestatten darf. Aber die Handlung ist als das Individuelle bei der Sache aus dem Gesichtspunkt des Ganzen durchaus das Unwichtigere, minder Bedeutende; dagegen die Fügung das, was weit am meisten zu beachten, indem jene, sobald sie vollendet ist, für sich den Gesetzen anheimfallen mag, aber für die Welt sich gänzlich in die Begebenheit verliert, die nun allein nach ihren Verhältnissen zum Ganzen gewürdigt wird. In der Betrachtung dieser Begebenheit ist also die Schickung und das Ominöse, wie überhaupt das einzig Fruchtbare, so auch das wahrhaft Ziemliche, das, ohne den moralischen Gesetzen in ihrem Kreise zu nahe zu treten, über menschliche Taten menschlich urteilt und, nachdem sie vollbracht, in der Zulassung ihre Notwendigkeit für höhere Zwecke erkennt. Der Himmel kann nämlich auf das geächtete Haupt nicht Steine niederregnen oder mit Blitzen den ihm Verfallenen erschlagen, weil er die Natur ein für allemal den Gesetzen der Notwendigkeit hingegeben; aber er hat dagegen es also angeordnet, daß je nach den Umständen edle oder unedle Motive, wahrhafte Begeisterung oder wilde Schwärmerei, ruhige Überlegung oder schnell zuspringende Leidenschaft sich in der menschlichen Brust gegen das Maßlose erheben, und also jedem Übermute seine Demütigung und jeder Sünde spät oder früh ihr Gericht bereitet ist. So hat Kotzebue in bitterster Ironie auf diese Zeit den Dolch gefunden, der mehr als einmal an Napoleon vorbeigegangen, weil die Vorsehung ihn zur Schande und zur Geißel seines Jahrhunderts sorgfältig gehütet, bis die Fluten ihn an jenem Felsen ausgeworfen. Aber zugleich mit der Ironie liegt auch eine grauenvolle symbolische Bedeutung in diesem Tode, die seine Zeitgenossen vor allem wohl bedenken mögen. Kotzebue, in seinem Tun und Treiben alle die Tage seines Lebens, hat immerfort zugleich als Kreatur und Schöpfer der letzten Zeit, die vor der letzten Katastrophe hergegangen, gewirkt; zu ihren Füßen hat er gesessen, und sie horchend zu den seinigen; Schule und Lehrer sind sie wechselseitig sich gewesen; in seinen Dichtungen und sonstigen Werken ist der Rahm ihres hohlen, jämmerlichen Treibens abgeschöpft, und sie hat dagegen ihre größten Staatsaktionen bis zum heutigen Tage mit seinen Phrasen und nobeln Sentiments ausgestattet und an seiner Geschichte Teutschlands täglich in seinem Geiste ein Blatt weiter fortgeschrieben; all ihre Armut hat sie in ihm zusammengelegt, und er hat wieder aus dem Schatze die Spendenden bereichert; aus den Ringen und Obergehängen, die sie dargebracht, hat er ihr das goldene Kalb gegossen, das sie im Leben und seinem Spiegel auf der Bühne umtanzt. Der andere aber, der ihn getötet, gehört, nach allen Umständen der Tat zu schließen, jener zweiten Zeit, die aus natürlichen Gründen vor allem die heranwachsende Jugend in sich aufgenommen, die ein einiges, freies, starkes, unabhängiges, wohlgeordnetes und sicher gewährtes Teutschland sich versprochen und der Reihe nach in allen ihren Hoffnungen aufs grausamste sich getäuscht gefunden und nun mit schmerzlichem Zorn im Herzen vor dem Pfuhle unseres öffentlichen Lebens steht, der in seinen gähnenden Schlund und seinen bodenlosen Abgründen alle ihre Ansprüche, Erwartungen, Wünsche und Träume herabgeschlungen. Beide Zeiten sind hier zum ersten Male blutig sich begegnet, der gewaltsam zurückgedrängte fressende Unmut hat hier in die erste Gewalttat sich entladen. Ist das nicht ein prophetisch Zeichen, aus dem die drohende Zukunft und das Schicksal der kämpfenden Zeiten sich leichtlich jedem deutet, der im Kleinen das Große und im Einzelnen das Allgemeine wahrzunehmen weiß? Ist es nicht ein furchtbar dräuend Schauspiel, aus dem Unterreich heraufbeschworen, um den Zeitgenossen wie in einer Geistererscheinung ihr verhülltes Schicksal im Bilde vorzuspielen, damit sie, solange ihnen noch Frist vergönnt sein mag, durch besonnene Einkehr das drohende Unheil von sich wenden? Werden sie mit gewohntem Leichtsinn auch an dieser blutigen Warnung vorübergehen und, wenn die erste Bestürzung erst verwunden, sie nach beliebter tiefsinniger Weise als ein Wert überspannter Verrücktheit und zufällig eingetretener Umstände beschreiben und nach Beseitigung des unbequemen Eindrucks wieder vergnügt fortfahren, wo sie nachgelassen? Kann eines Menschen Blut nicht soviel wie Ströme Bluts beweisen in einem Gottesurteil? Soll dies erbitternde Anfeinden, dies Verhetzen der Gemüter, dies argwöhnische Verlästern der Gesinnungen, die feige vergiftende Mißtrauen zwischen Ständen, Klassen, Ordnungen und Individuen nimmer zu Maß und Ziel gelangen? Soll dies ewige Revolutionieren des Despotismus von oben herab und dies Depositieren revolutionärer Ideen von unten herauf, dieser unerquickliche politische Brownianismus, der sich leider unserer wackern Jugend zu bemächtigen anfängt und sie auf dem öden Boden unwesenhafter Abstraktionen zum Brüten über leeren Allgemeinheiten treibt, immerfort in ihrem Zerstörungswerte sich begegnen? Dies blödsinnige Verwerfen und Mißkennen aller Geschichte und aller, auch der am tiefsten begründeten historischen Wechselbeziehungen; dies übermütige hartnäckige Verschmähen alles dessen, was als Gesamterwerb vieler vergangener Jahrhunderte, als Ergebnis des Weltverstandes einer allmählich geistig gereiften Nation ihren einzigen Schatz und das alleinige Erbe vergangener Zeiten bildet und zugleich der wahren Freiheit, die nicht von heut noch gestern ist, die einzige sichere Gewähr und Bürgschaft leistet; dies beinahe tierische Zertreten alles dessen, was auf der Einfalt stiller Gewohnheit und eines frommen Glaubens sich begründen will, und das alles im Dünkel dort einiger starrer Staatsmaximen, hier einiger armen magern politischen Ideen aus der ganzen unendlichen Fülle der Ideenwelt wie einzelne geradlinige Durchschnitte herausgerissen: soll all dies unselige, ewig unfruchtbare Treiben, dies Bepflügen dürrer Sandwüsten und dies Besäen öder Felsen ewig dauern? ... Hat man aus der Geschichte selbst der letzten Jahre nicht gelernt, daß der Teutsche, sonst der Langmütigste von allen, wenn er im Zornesfeuer einer ethischen Entrüstung glüht, der Furchtbarste, Unversöhnlichste von allen ist, und hat man ihm nicht noch jetzt dazu das Gefühl einer brennenden Scham vor dem Ausland und der Nachwelt wie einen neuen Feuerbrand in die Brust geworfen? Man sollte denken, es sei genug verspielt und gewagt, es seien der Zeichen und Wunder genug geschehen; und das letzte hat sein Weh so laut gerufen, daß ein ernstliches Nachdenken und Insichgehen wohl an seinem Orte wäre. Aber die europäische Gesellschaft ist kränker, als sie selbst zu glauben scheint; zwanzig Jahre hindurch hat sie dort alle Sünde, hier alle Schande auf sich gehäuft, endlich ist durch höhere Fügung die Sünde zu Fall, die Schande zu Ehren gekommen, und nun soll nichts geändert sein, als daß sich die Rollen wechseln und die Sünde dort einkehrt, wo die Schande gewohnt; das ist mehr, als die Geschichte sich gefallen und der Himmel sich bieten läßt. Darum die tiefe Empörung in den Herzen, die schon alle Leidenschaften zu ihren Bundesgenossen wirbt; daher der Geisterkampf, der von einem Ende des Weltteils zum andern geht; darum der Hader, der die innersten Elemente des Staates in sich entzweit; daher die fieberhaften Bewegungen, die in allen Adern zucken ... Es möchte schwerlich zu behaupten sein, daß allen den Bewegungen, die gegenwärtig die Welt erschüttern, ein bescheidener, frommer, tugendhafter Trieb zugrunde liege; aber das Unheilige ist eben das furchtbar Praktische in ihnen; die Natur in ihrer Verzweiflung ist auch nicht fromm noch schonend und bescheiden, sie ist ein reißendes Tier, gewaltsam, wild, stürmisch, blutgierig, wo es gilt. Es ist aber eben die Verzweiflung des gesellschaftlichen Lebens, die in jenen Stürmen kämpft; es ist die Rückwirkung der Lebenskraft, die mit ihrer letzten Anstrengung der Krankheit und der Auflösung sich erwehrt; es ist der Aufruhr der Lebensgeister, der gegen die Vernichtung sich empört. Diese Bewegungen also, die jene anfeinden, sind gerade das einzig Tröstliche in der Erbärmlichkeit der Zeit, indem sie die fortdauernde Wirksamkeit einer innern reproduktiven Heilkraft beweisen, die den Marasmus, den unsinnige Rückwirkungen herbeiführen möchten, abzuwenden sich aufgemacht; aber allzusehr gereizt und unvorsichtig angeregt, leicht in das Entgegengesetzte, Äußerste einer allzu großen Irritation und einer gewaltsamen Zerreißung aller ohnehin nur mehr lose geknüpften Lebensbande überschlagen könnte. Auf beides aber, die Lähmung wie das Übermaß, hat die Natur gesetzt, was von je allen unheilbaren Zerrüttungen der gesellschaftlichen Verhältnisse gefolgt, einen neuen Barbarenüberzug, der drohend im Hintergrunde steht und des Resultates der gegenwärtigen Bewegungen wartet.

Das leere Schwatzen über diesen Vorfall in der beliebten leichtfertigen Weise; jene hohle Phraseologie von Mystizismus, von fanatischer Phrenesie, von Dolchen, die sich im Herzen des Vaterlandes wenden, wie wir sie schon nahe und ferne Heranrauschen hören; jenes schön stilisierte Zetergeschrei über die Jugend und ihre Verführer, das uns noch bevorsteht; das Dreinfahren mit plumper Gewalt und verkehrten Maßregeln, wie es hier und da versucht werden möchte; alles das wird nichts bessern, noch das Geschehene ungeschehen machen; die Handlung ist vollbracht, und der Eindruck haftet unauslöschlich; wie sie auch mit ängstlicher Hast oder höhnendem Trotz sich mühen mögen, jenen Blutflecken auszuwaschen, er wird immer wiederkehren. Der junge Mann, der die Tat geübt, hat zur Buße freiwillig hingegeben, was die Gesetze ihm abgefordert hätten; ob dies Opfer zulässig ist, ob sein Leben aufwiegt das fremde Leben, das er gewalttätig weggenommen, und die Absicht der Störung der bürgerlichen Ordnung, die er herbeigeführt, darüber wird Gott richten; der Mensch aber soll sich enthalten, vorgreifend anzulästern, was gänzlich außerhalb des Kreises der gewöhnlichen Ordnung der Dinge fällt. Das Blut aber, das hier vergossen worden, wird über das Haupt derjenigen kommen, die, nachdem sie Teutschland alles geraubt, was es billig als den Preis seiner Anstrengungen erwarten konnte, nun auch mit frevelhaftem Beginnen den innern Frieden her Gemüter stören, die mit vermessenen Händen an seine tiefsten Lebensteile greifen, um sie wieder langsam von innen heraus zu lähmen und zu erdrücken oder beim Aufschrei der tödlich mißhandelten Natur gewalttätige Bewegungen herbeizuführen, die in anderer Weise zum verderblichen Ziele drängen ... Es darf nicht vergessen werden die Schlaffheit, die Indolenz, die unwürdige Verzagtheit und der unteilnehmende Leichtsinn, durch den alles und jedes aufs Äußerste kommen muß, und die also durch Unterlassen die schwerste Schuld auf sich geladen, von der sich keiner lossagen darf, und die darum alle gemeinsam auch mit dem Fluch getroffen, daß von all ihrem Tun und Treiben nichts zum Bestande kommt und die ganze Generation in ewig fruchtlosem Ringen, in wirrem Treiben, in immer sich selbst verzehrender Tätigkeit, ruhmlos und rastlos ohne Glück und Segen von oben sich verzehrt. Das sollte jeder bei dieser ernsten Begebenheit bedenken, möge er auf dem Throne sitzen oder an seinen Stufen stehen oder im Privatleben seinen Teil verschulden; möge er der aristokratischen oder der demokratischen Partei angehören; alle mögen in ihren Busen greifen und versuchen, wie jeder an seinem Teil die Schuld mindern möge und mit ihr den Fluch, der sie getroffen, und der sich mit allen Künsten der Selbstbelügung nicht versöhnen und abwenden läßt. Jene Begebenheit, die alle Gemüter erschüttert hat und unsere Verantwortung um ein schweres gemehrt, kann uns ein Segen werden, wenn endlich alle Zeitgenossen erkennen wollen, daß allein, was im sittlichen Ebenmaße sich begründet und auf dem festen Grunde würdig-menschlicher Gesinnung ruht und die Gewähr der Wahrheit ohne Lüge und die ethische Würde in sich trägt, auf die Dauer sich behaupten kann, daß aber alles, was im Aufstande des menschlichen Übermuts gegen die ewigen Gesetze des Lebens hervorgegangen, alles, was nur auf der haltlosen Unterlage des frechen persönlichen Dünkels ruht, alles, was sich durch Lügen und durch Trügen an dem ruhigen Widerstand der Wahrheit und des Rechts allmählich oder an den unwandelbaren Gesetzen des moralischen Gleichgewichts gewaltsam vergeht, gegen die jeder Kampf wahnsinnig und töricht ist. Jenes Blut ist nicht umsonst geflossen, wenn die Parteien erkennen, daß der einzige Kampf, der immer siegreich ist, und der einzige Gegensatz, den die Natur anerkennt, die Geschichte ehrt, und die Vorsehung immer segnet, der des Guten mit dem Schlechten ist; daß aber alle andern Spannungen und Gegensätze von Menschen und Institutionen in ganzer Masse, nur insofern geehrt und gutgeheißen sind, als sie von jener ersten Opposition in sich tragen, und daß je nach der Mischung von Recht mit Unrecht ewig Sieg mit Niederlage bis zur gänzlichen Aufreibung wechselt. Es ist nicht umsonst geflossen, wenn das lebende Geschlecht, die Herrscher wie die Beherrschten, endlich jenes alten Aberglaubens an die Macht der Lüge, des Betrugs, frevelnder Gewalt und aller Künste der Täuschung sich abtun und sich überzeugen, daß auf dem schlichten Wege der Ehrlichkeit, der Wahrheit, des Rechts und eines offenen mutigen Vertrauens, das mit jeder klugen Vorsicht sich verträgt, ganz allein durchzukommen und dahin zu gelangen ist, wohin nimmer Diebespfade führen. Die aber, die sich zu den Freunden des Getöteten zählen, werden ihm den letzten Dienst erweisen und ihm die Last der Verantwortung, die er jenseits für das, was er durch den Mißbrauch mancher Talente an seiner Zeit gesündigt hat, leisten muß, leichter machen, wenn sie den Götzenaltar, den er ethisch, politisch, historisch und ästhetisch errichtet, und bei dem seine Zeitgenossen jenen schändlichen Baalsdienst geübt, zerstören helfen. Die Worte aber, die hier geredet worden, mögen auch als eine Predigt gelten über den Geist der Zeit, aber freilich nicht in der Weise, wie sie den Ohren der Machthaber oder verblendeter Parteigänger angenehm sein mag, die Ansicht aber, die darin herrscht, werden selbst die Gründer der Heiligen Allianz nicht mißbilligen können, eben weil sie die biblische ist.


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