Joseph Görres
Eine Auswahl aus seinen Schriften
Joseph Görres

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Christliche Mystik

Da der Herausgeber der Meinung ist, daß die Einleitung zur »Christlichen Mystik« nicht nur geistesgeschichtliche Bedeutung hat, sondern auch eine einzigartige künstlerische Leistung darstellt, ist sie, um die dichterische Atmosphäre ganz widerzuspiegeln, ohne jede Veränderung der Orthographie und Zeichensetzung wiedergegeben.

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Einleitung

Die Mystik ist ein Schauen und Erkennen unter Vermittlung eines höheren Lichtes, und ein Wirken und Tun unter Vermittlung einer höheren Freiheit; wie das gewöhnliche Wissen und Tun durch das dem Geiste eingegebne geistige Licht, und die ihm eingepflanzte persönliche Freiheit sich vermittelt findet. Das ist kürzester rationaler Ausdruck dessen, was die folgenden Blätter zu begründen und in annähernder Reihe in allen seinen Gliederungen darzustellen sich vorgesetzt. Spricht man aber, wie jetzt die Zeiten laufen, solche Worte aus, sogleich wird aus der Ferne dumpfer, immer näher kommender Schall der Lärmtrommel vernommen; wie der Staub auf den Wegen, so wird ein zahlreich Volk vom geschlagenen Wirbel aufgerührt; Väter und Älterväter und ihre Kinder und Kindeskinder kommen in Hast herbeigelaufen, alle rufend: Mystik, Aberglauben, Pfaffentrug, Mönchsbethörung, nieder mit der Mystik! Mit Gründen lassen die Rufenden sich nicht bedeuten, so will ich ihnen zum Eingang dann ein Gesicht erzählen, ob sie etwa, wenn sie sich in ihm erkennen, ihren Ungestümm mäßigen wollen, und dem, was unsterblich ist, fortan das Leben gönnen.

Einst in inneres Schauen vertieft, fand ich auf geräumige Ebene mich versetzt. Die Elemente hatten, so schien es, hier einst auf dem Wahlfeld sich gefunden und grimmigen Kampf gestritten; mit Asche war dem zum Zeugnis der Plan bedeckt, Dämpfe kochten im nachhaltigen Zorn da und dort aus der Erde auf; das ganze Feld war von einer dreifachen Reihe verkohlter, verschlackter Basalte, einer Saat von Drachenzähnen, umstarrt. In Mitte des Rundes stand ein Baum; einsam wie der Todesbaum auf Java, hatte er, so schien es, schon ein Zeuge jenes wilden Kampfs gestanden, und war jetzt noch der Einzige von jenem pflanzenhaften Riesengeschlecht übergeblieben, das in urweltlicher Zeit sich an der ersten Erde stark getrunken, und sich zahlreich über sie hin ausgebreitet. Jetzt waren so viele Jahrhunderte über ihn dahin gegangen, in unablässiger Wiederkehr hatte jeder Winter sein Haar gebleicht, jeder neue Frühling anderes hervorgetrieben, und er schien noch immer nicht ermüdet, noch auch des Lebens überdrüssig. Die Wurzeln hatten sich aus der Erde hervorgedrängt und trugen den hohlen Stamm; darüber breitete sich das Gezweige aus; zwischen Blättern, nach der Lichtseite weißwollig wie die Silberpappel, nach der Schattenseite wie die Nacht erdunkelnd, verbarg sich, wenn ihre Zeit gekommen, die Frucht, die ansehnlich von Gestalt, innerlich mit Asche gefüllt erschien. Am Fusse des Baumes quoll aus schlammiger Brunnentiefe eine Quelle schweren, bittern, übelriechenden, farbenschillernden Wassers auf; das dahinrinnende hatte keinen Fall gefunden, und so war es stehend worden, und hatte die Niederung umher in einen Sumpf verwandelt, den ein grüner Schimmel deckte und auf dem Irrlichter umherhuschten.

So war es um das Stillleben beschaffen in dieser Gegend; wie ich aber näher hingesehen, sah ich es bald auch mit lautem Leben sich erfüllen. Das Baumgewurzel schien das Lager der Trojanischen Saumutter mit ihren dreißig Ferkeln, schon mit einer hoffnungsvollen Nachkommenschaft von Ferkelsferkeln und weiter hinaus umringt. Die Kühle des Abends hatte sie jetzt hervorgelockt, sie hatten sich in den Sumpf geworfen, alt und jung, groß und klein, schwarze, blonde, rothbraune, ganz gestreifte und halbgestreifte, fleckige, borstige und wollige, alle tummelten sich mit Lust im Pfuhle, thaten zärtlich miteinander, wälzten sich im Schlamme um, und hatten ihr Wesen nach ihrer Gebräuchlichkeit. Die Sonne wollte untergehen, und vergoldete mit ihrem Strahl so Baum wie den Koth im Sumpfe; das schien die Saumutter einzuladen, nach gutem Ablaufe der gemachten Turnübungen, der Ruhe sich hinzugeben; sie streckte sich daher im flüssigen Golde aus, den Rüssel über dasselbe hinaus der Sonne entgegenhaltend; die Frischlinge und Ferkel um sie her, thaten nach ihrem Beispiel, und es wurde gute Sieste abgehalten. Das immer tiefer niedergehende Licht schien aber den schlafenden Säuen immer waagrechter in die blinzelnden Augen und der Nervenreiz brachte die Saumutter zuerst, dann die andern zur Ungeduld, und bald auch zum Erwachen. Entrüstet schnüffelten sie nun sich ermunternd in die Luft hinaus, und sahen giftig zur scheidenden Sonne auf. Die Mutter intonirte zuerst ein zornig Grunzen, die Abkommen fielen ihr bald im Chorus bei, und es hub sich ein Schreien durch alle harten und weichen Tongeschlechter; es war nicht zu verkennen, sie fluchten gleich den Äthiopen einstimmig dem Gestirn, daß es ihren Schlaf bescheinend sie aus ihrer Ruhe aufgeweckt. Ein sich erhebender Abendwind, der den Baum durchwehend, einige seiner Früchte zu ihnen herniederschüttelte, gab inzwischen ihren Gedanken bald andere Richtung. Die Mutter schnappte zuerst nach den fallenden; die Kleinen waren aber auch nicht faul und rissen ihr die Beute von dem Munde weg; der Glückliche aber, der den Raub davon getragen, mochte sich auch nur kurze Weile des Gewonnenen freuen, denn Brüderlein that ihm desgleichen. Gute Freunde, wie sie gewesen, wurden sie daher bald uneins, schnautzten sich an, bissen sich und zerrten sich untereinander; der Pfuhl wurde unter ihrem Gestampf bis zum Grunde aufgerührt, und die ganze Umgegend war von ihrem zornigen Geschrei erfüllt, und von der Mofetta verpestet, die sie aus dem Schlamme aufgerührt.

Unwillig über das säuische Getümmel, suchte mein Auge einen andern Gegenstand, an dem es sich zerstreuen möge, und da es also umforschend den Baum näher betrachtete, öffnete sich ihm dort ein neues Schauspiel. Ich sah seinen Stamm mit Schaaren von Ameisen bedeckt, größere von der Art der Termiten, deren fünf und zwanzig auf einen Gran gehen, und kleinere, weiße, schwarze, braune; alles lief in der emsigsten Geschäftigkeit vom Stamme hinauf in das Gezweige, und wieder hinunter zu den Wurzeln; sie nagten an den Blättern, saugten die Blüthen an, und naschten an den Früchten. Über den Pfuhl hatten sie an seichten Stellen, wo sie nicht von den Säuen beunruhigt wurden, Dämme aufgeworfen, die zu den Pyramiden führten, die sie sich sieben Ellen hoch am Rande des Sumpfes aus rother Erde zur Wohnung aufgebaut. Da innen hatten sie Wohnzimmer und Erziehungsstuben, Vorrathshäuser und gewölbte Rathssäle angelegt, und mit Bogenstellungen und Gallerien sie wohl verbunden, während sanft ansteigende Treppen die Geschosse einigten; für Strassen und Gänge waren die nötigen Räume aufgespart, Brücken waren über die Klüfte hergelegt, und Thore und Thüren gestatteten den Zugang zu dem Innern; auf den frei gebliebenen Plätzen aber waren Spaziergänge und kleine Gärten von Schwämmchen und Moosen angepflanzt, in denen die frohe Jugend sich ergehen mochte. Jede Landstrasse aber, die über die Dämme führte, theilte sich am Ausgang wie am Eingang wieder in zehn andere, damit keiner der auf ihnen Wandernden den andern hindern möge, und dort nun wie um Baum und Thürme drängte sich das geschäftige Völkchen. Sie waren in Krieger und Arbeiter geteilt, aber weder den einen noch den andern war die Ruhe gegönnt. Mit den Rüsseln an die Erde schlagend, trommelten jene sich den Tact zu ihrer Wuselei, und so zogen sie in ihren Schaaren unaufhörlich in den Strassen und durch die bedeckten Gänge auf und nieder, ohne daß ein Endziel ihrer Bewegungen irgend sichtbar wurde. Die andern aber liefen und eilten immerfort mit großer Hast, mit Spreu und Splittern, kleinen Halmen, Blättchen von Katzengold und was ihnen sonst begegnete, sich mühsam schleppend; bald die Last vorwärts stoßend, bald sie nachziehend; nun sie fallen lassend, dann sie wieder aufhebend; jetzt mit widerstrebenden Kräften gegen einander rennend, dann mit vereinten gemeinsam zu Werke gehend. In den Häusern aber war ein stetes Pochen, Hämmern, Raspeln, Hobeln, Sägen, Kneten, ein immerwährend Laufen und Rennen und Überrennen; Treppe auf und Treppe hinunter, ein unaufhörlich Mühen und Sorgen, Bücken und Aufrichten, und das immerdar und ohne Unterlaß, heute wie gestern und morgen wieder wie heute. Der Baum aber, nur noch auf der Rinde stehend, und innen mit Mulm und Moder erfüllt, schien die Mitte des gemeinen Wesens; dort saß die Ameisenmutter in ihren Gemächern, und münzte regelmäßig wie mit dem Prägestocke die Hoffnung der arbeitsamen Republik; die wurde dann von den aufwartenden Pädagogen in den benachbarten Gallerien aufgefangen, und über die Dämme hinaus in die Erziehungsbehälter gebracht; dort ausgebrütet, gepflegt, dressirt, uniformirt und zu der nämlichen Geschäftigkeit angehalten, wie sie durch so viele Geschlechter die Väter schon geübt, damit auch sie dereinst Theil nähmen an der Arbeit. Und es ging ein Geruch aus von dem Gewimmel, sauer wie der Geruch des Schweißes, und ich wunderte mich über die unermüdete emsige Ameisigkeit, die sich selber zum Zwecke nehmend, sich also wie ein nimmer abreißender Faden ins Unendliche fortzuspinnen nicht ermüdet. Was aber am meisten mich in Erstaunen setzte, war die Sorgfalt, mit der sie das Gold, das keinen Nutzen für sie haben konnte, überall im Staub gesammelt und in ihre Vorrathshäuser eingetragen.

Wie ich also in diese Betrachtungen mich vertieft, wurde es laut oben im Gezweige des Baumes, und dadurch wurde meine Aufmerksamkeit dahin gerichtet. Im Wipfel saß Caes, der blinde Affe, und hielt eine academische Sitzung mit dem Gockelhahn, dem Pfau und der Eule ab, ein Flug Hagelgänse umkreiste die Academiker; das Faulthier aber, das wie ein Sack im Gezweige hing und Blätter fraß, hörte auch mit halbem Ohre auf ihre Reden hin. Der Affe hatte eine Bischofsmütze angethan und einen Doctormantel um die Schulter hergeschlagen; auf dem Schooße hatte er viele Blätter wie eines Buches liegen, und baute daraus Kartenhäuser, die immer gleich der Wind verwehte. Der Pfau hob sich auf seine Füße und den Spiegel weit auseinanderbreitend, sprach er stolzirend und rückwärts schauend zu dem Vorsitzer: Es ist doch was Schönes um die Sonne und ihr Licht; wie brillant ich in dem Scheine glänze! Der Gockelhahn nickte Beifall, der Affe aber sagte verdrüßlich zu der Eule: Was meinst denn du von diesem Lichte, ist's wohl wahr, daß es, wie sie sagen, Alles und Jedes beleuchte und erquicke? ich meinerseits sehe nichts, und so ist auch nichts zu sehen. Kopfschüttelnd darauf die Blauaugige: Nicht ein wahres Wort ist an dieser Rede, du kannst es meinem scharfen Auge glauben, das bei Nacht jegliches Ding gewahrt, jetzt aber im Lichte nichts erblickt. Sie haben daher vom Anbeginn her die Welt betrogen; was sie für den Tag nehmen, ist in Wahrheit die Nacht, und dem Kundigen kann nur die Nacht als der rechte Tag erscheinen. So wechselten sie noch mehr gelehrte Reden. Darauf erhub sich Caes, der Vorstand, und sprach: Ich will euch die rechte Lehre künden. Als im Anfang das Nichts sich selbst verneint, ist dadurch aus seiner Nacht das Etwas an den Tag gekommen. Denn das Nichts ist seiner Natur nach und wesentlich Verneinung; die Verneinung aber muß aus angeborner Art das Vermögen haben, zu verneinen; verneint sie aber nun wirklich in dieser Macht sich selbst, dann wird die sich verneinende Verneinung nothwendig Bejahung werden, und diese Bejahung wird als Etwas vortreten. Es ist also grundverkehrt zu sagen, das Nichts bedürfe eines Bejahers, um etwas zu werden; der Bejaher bedarf vielmehr des Nichts, daß er entstehen könne; während das Nichts, sich selber genügend, nur sich selber den Tod geben darf, um aus sich und an sich den lebendigen Bejaher allen Dingen zum Gotte, sich selber aber zur Creatur zu gebären. Das erstgeborne Bejahte aber ist der Schlamm, der sich unten um des Baumes Wurzeln legt; das Zweitbejahte wird also der Baum selber seyn; der aber hat in neuer Verneinung als Drittes aus seinen Wurzeln die Schweinemutter erboren; als Viertes aus dem Stamme das emsige Myrmidonenvölkchen; aus seinen Zweigen dann euch, im Wipfel sofort mich selbst; von mir aber ist, indem ich meine Vortrefflichkeit zu negiren angefangen, der Mensch als das Letzte hervorgegangen, der dann uns verlassend im Abfall in die Religion und Zivilisation hinein desertirt. Das ist die grauenvolle Pforte, die durch die Verneinung ins Daseyn führt; die Pforte des seligen Ausgangs wird daher durch die Bejahung gehen. Bejaht der Gefallene wieder die Verneinung, die ihn ins Daseyn gebracht, den Zweifel ihr entgegenwendend, dann wird diese Verneinung aufgehoben, und es bleibt nur die eine Grundverneinung zurück, und so wird der Weg wieder zurück bis zur Mutter, zum Schlamme und zum Urnichts durchgemacht. Das Nichts ist also Anfang und Ende aller Dinge; von der Saumutter bis zum Menschen fällt und steigt die Lebensleiter, jene Gipfel, dieser Abgrund; beide aber sind blut- wie geistesverwandt, weswegen nach dem Araber Cophon Bau der Eingeweide, wie Haut und Fett bei den Säuen und den Menschen sich gänzlich ähnlich sehen; beide an gleichen Seuchen erkranken, und endlich auch Schweinefleisch und Menschenfleisch ganz und gar übereins schmecken. Die Gänse schnatterten der Rede nach, der Hahn krähte und schlug freudig mit den Flügeln, der Pfau legte seinen Spiegelfächer auseinander, die Eule glotzte Beifall, auch die Myrmidonen kamen herbeigelaufen; tief von unten herauf ertönte das einstimmende Grunzen der Allmutter, die Wohlgefallen an dem Worte des blinden Propheten hatte: es war großer Jubel und rechte Lustbarkeit in der edeln Genossenschaft.

Ich horchte verwundert den begeisterten Worten des Sprechers über den Urgrund und das Endziel seiner Mystik, und hatte, den Sinn nachdenklich in die erhabene Lehre vertiefend, mich in mancherlei Betrachtungen verloren; als ich wieder zu mir gekommen, um mich blickte, hatte sich das Bild gänzlich umgewandelt. Die Gegend war noch dieselbe, die Steinsäulen starrten noch immer aus der Erde, der Baum stand noch wie zuvor in Mitte des Kreises; aber die laute Gesellschaft hatte sich unsichtbar gemacht, und statt ihrer war der Drache um den Stamm des Versuchbaums hergewunden. Dumpf und wie aus weiter Ferne hörte man jetzt die Schweine aus dem Bauche des Ungethümes schreien und grunzen; die goldsuchenden, alles durchwühlenden Ameisen hatten die Brusthöhle zum Lager sich genommen, und wenn der Drache sich ringelnd die schillernden Panzerschuppen bewegte, dann schien es, als regten sich überall an ihm die Wimmelhaufen. Des Affen Kopf aber war Drachenhaupt geworden, und die Eule glotzte aus seinen Augen, und des Hahnen Kamm schwoll auf seiner Stirne, und der Pfauenschweif bildete die Schlangenkrone; sein Mund aber redete: Hat euch etwa Gott verboten zu essen von dieser Frucht? Esset immerhin, denn am Tage, wo ihr esset, werden euch die Augen aufgetan, ihr werdet wie die Götter, zu unterscheiden das Gute von dem Bösen; nimmer aber laßt nach dem Baume des Lebens euch gelüsten. Und mir wurde gesagt, durch die Säue, den Schweif des Drachen bildend, seyen Jene vorgestellt, die alle die Tage ihres Lebens hindurch Staub fressend und nur die Lust der Sinne kennend, stets all ihr Trachten dahin gerichtet hielten, das Höhere in den Koth unterzutreten, im Schmutze aber die Lebensessenz zu suchen. Die goldsuchenden Ameisen aber wurden mir auf Jene gedeutet, die, indem sie durch Geiz und Habgier getrieben, Wühlen und Erraffen zum ausschließlichen Geschäfte ihres Lebens machen, und darüber hinaus gar nichts anderes anerkennen, den Segen der Arbeitsamkeit zum Fluche wandeln, und so nun, wie sie gleich ihm auf der Brust an der Erde hinkriechend ein mühseliges Leben führen, mit ihm auch Theil nehmen an der einen Verwünschung, die ihn getroffen, wie die Vorigen sich mit ihm in die andere getheilt. Der blinde Affe endlich mit der gelehrten Genossenschaft wurde mir auf jene heillose Sophistenzunft ausgelegt, die in Allem sich aufs Nichts gestellt, und deren Streben darum aus Nichts durch Nichts auch wieder in Nichts aufgeht. Die Affen der Kirche also, die sie über anderem Grunde zu erbauen sich fruchtlos mühen, als dem göttlichen, auf dem sie allein in Unerschütterlichkeit ruhen mag; die Affen des Staates, die an ihm nur ausschließlich die irdische ja unterirdische Seite anerkennen, und ihn in Mitte der beweglichen Wellen wie ein Korallenriff aus Meeresgrund hinaufzumauern sich in immer unfruchtbarer und immer wieder neu anhebender Anstrengung abarbeiten; die Affen der Wissenschaft endlich, die allem Wissen das Leere zur Unterlage geben, den horror vacui aber zum Architecten des Werkes machen, und das System zur Puppenhülle sich zusammenweben und kleben und leimen, aus der sie, wenn die Zeit gekommen, dann als Gott auffliegen: sie Alle haben daher sich in das gekrönte Drachenhaupt in Eintracht zusammengethan, auf daß sie in ihm würden, wie die Götter. Wie ich aber dies überlegend noch einmal aufgesehen, da waren auch die Gänse, die im Fluge den Baum umkreist, verschwunden; an ihrer Stelle aber schwebte ein Adler, die Blitze fassend, und der Zukunft des Herrn erwartend, daß er sie entsende.

So war es um dies Gesicht gethan, dessen Anwendung auf die Frage der Mystik sich leicht ergibt. Reine Mystik! ruft es unten aus dem Schlamme; keine Mystik! tönt es aus dem Mulm und Moder des hohlen Baumes; verflucht sey alle Mystik! wüthet die edle Schaar der Gottesmänner oben in der Höhe: denn die unten und oben stehen durch die Mühseligkeit der Mittleren verbunden, sind in eine große Genossenschaft verkehrter Lehre, schlechten Triebes und verkehrten Thuns geeint, und Alle insgesammt jedem höheren Streben gleich gehässig, sind gesenkten Hauptes, gebeugten Rückens und schlangenfüßig gleich den alten Erdgebornen in der gleichen Niedertracht einverstanden, wie sie aber auch sich mühen und abmüden mögen, all ihr Widerspruch wird nach ewiger Ordnung nur zur Befestigung dessen führen, was sie angefeindet: die Zügellosigkeit des wilden Naturtriebs, die sie verkünden, zur Zügelung desselben in rechter Zucht und Ordnung; die Furie des rasenden Veitstanzes, in den sie mit immer zunehmender Beschleunigung der Tanzweise die Willenskräfte hineinzuspielen sich bemühen, zu frei im Ebenmaße geordneter Bewegung; endlich ihr gänzliches Verneinen alles Höheren, in der Rückwirkung desselben, nachdem die Thatsache durch den skeptischen Widerspruch sich überall erst gereinigt und festgestellt, zur vollen Bejahung, was eben der Gipfel aller wahren Mystik ist. Ich sage mit vorbedacht gereinigt und festgestellt durch den skeptischen Widerspruch; denn es ist nicht also gemeint, als ob jeder, der irgend Zweifel in diesen Dingen hege, oder laut werden lasse, sofort einer jener drei Klassen beigezählt werden müsse. Mit Nichten! nur jenes freche Verwerfen der ausgemachtesten Thatsachen, jenes stupide verneinen und Abläugnen vor aller Untersuchung her, dies geflissentliche sich Selbstverblenden, dies dämonische Anfeinden alles Höheren, weil es dem Thier im Menschen, das Staub frißt und auf dem Bauche kriecht, ein Abscheu ist und ein Grauen; kurz die Sünde gegen den heiligen Geist in allen ihren Formen und Gestalten, eine Sünde, die nicht vergeben wird, und darum die Verdammnis dieser Zeit begründet: sie soll damit gezeichnet werden und getroffen und abgewiesen. Der Zweifel aber an sich, wenn mit guter Gesinnung verbunden, soll keineswegs gescholten seyn; denn er ist das zügelnde, durch den Widerspruch Schranken gebende, mäßigende Element in uns, das, während der Irrthum vor ihm nicht bestehen mag, die Wahrheit nur zu befestigen dient, das daher in unserem jetzigen geistigen Zustande als unentbehrliches Correctif einer entgegengesetzten Stimmung gegenübersteht, die durch allzu leichtgläubige Hingebung vielfache Täuschungen und Irrthümer uns bereitet, und wo mehr, als in den geheimnisbedeckten Gebieten, von denen hier die Rede ist. Darum soll die Bejahung wohl als das Erste, thetisch Setzende vorangehen, damit die Untersuchung einen Grund gewinne; aber dann werde auch in allem Einzelnen der Widerspruch gehört, damit sich an ihm der gewonnene Grund befestigt: denn das wäre eine blöde, zaghafte Wahrheit, die sich nicht vor ihrem Widersatze, der, wenn sie ist, nicht seyn muß, zu schützen wüßte.

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[Berufung in die Kreise höheren Lebens]

Alle Mystik hat das zum Endziele sich genommen, die Seele, die, durch das Böse aus ihrem Ursprünge herausgetreten, in weite Gottesferne sich verirrt, in engster Gottesnähe wieder zu einigen mit diesem ihrem Ursprung. Ihr Anfang wird also dort gesucht werden müssen, wo die ausgehende Bewegung, rückläufig geworden, in die eingehende sich umwandelt und damit die Rückkehr beginnt. Aller Ausgang aus Gott, der in der Höhe wohnend gedacht wird, ist aber nun ein Fallen in die Tiefe; die Rückkehr zu ihm wird daher ein Steigen sein, zu dem Gott selber den Pfad bereiten und die Mittel und die Kraft gewähren muß. Der Ausgang nämlich ist von der Kreatur gewirkt; denn sie ist es gewesen, die die Sünde zwischen ihren Gott und sich gesetzt und dadurch einen Widerspruch hervorgerufen, der von der einen Seite nur zugelassen, von der andern selbsttätig sich herausgeworfen, weil aber die Rückkehr nur unter der Bedingung der Aufhebung dieses Widerspruchs geschehen mag; der Widerspruch aber seiner Natur nach sich nicht selber aufheben mag: darum muß, um sie einzuleiten, die Initiative von Gott ausgehen; und indem das Verhältnis sich umkehrt, und die Selbsttätigkeit auf seiner Seite nur die Zulassung auf der andern voraussetzt, wird bei ihm aller erste Anfang sein, wie alles Ziel und Ende in ihm.

Es setzt aber nun alle Scheidung eine scheidende Kraft voraus, die, weil sie früher Geeintes auseinander bringt, es im Widerspruche innerer Antipathie feindlich sich entgegensetzt; und diese Antipathie, als Haß hervortretend in der Zwietracht, wird dann gegenseitig sein: einer Eris in der Kreatur wird in Gott, der das Böse ausspeit, eine Anteris entsprechen müssen. Alle Einung wird im Gegenteile nur durch eine einigende Kraft erwirkt, die, durch innere Sympathie vermittelt, sich kundgibt in einem gegenseitigen Zueinanderneigen der Gezogenen. Ein solches Gravitieren im geistigen Gebiete ist aber nun Liebe, und da diese eine wechselseitige sein muß, wird sie sich, Eros und Anteros, unter Gott und die Kreatur so verteilen, daß die erste die Initiative in der Gottheit, die andere das erste Lassen in der Seele ausdrückt. Wie aber alles engere Verbinden in einigender Anziehung nun, in der äußeren Natur, mit physischer Wärmeentwicklung verbunden ist; so wird auch jenes Zusammenschließen in Liebe eine geistige milde Lebenswärme entbinden ... Das Gegenteil von diesem hat im vorangegangenen Scheidungsakte sich zugetragen; die Kälte des Todes ist eingetreten, als früher in geistiger Wärme verbundenes sich getrennt, und im Gefolge dieses Frostes ist in Lichtverschluckung eine entsprechende Verfinsterung eingetreten, deren Maß durch die Weite der Gottesferne gegeben ist.

Hat das mystische Leben nun in den Heiligen die Aufgabe sich gesetzt, aus dem licht- und wärmelosen Zustand, in dem es sich gefunden, zu jener in licht- und wärmereichen Wiedervereinigung als letztem Endziele hinzuführen; dann wird der Anfang an den ersten Übergängen aus dem einen Zustande in den andern liegen: da, wo am Wendepunkt Bejahung zu werden beginnt, was zuvor Verneinung gewesen. Diese Umkehr wird dadurch erwirkt, daß die in Liebe einende Gotteskraft einsteht an die Stelle der in Haß scheidenden Menschenkraft; und ihr Eintritt verkündet sich dann sofort durch die Entbindung der sie begleitenden Liebeswärme und den Aufgang jenes in der gewöhnlichen Ordnung der Dinge verhüllten Lichtes. Es kann aber die Umwandlung des Widersatzes in die Vereinigung nur stufenweise in allmählichem Fortschritte; oder sie kann plötzlich und mit einem Schlage geschehen. Es kann ein Locken und ein langsames Umbeugen, wie in einer Kurve, den Übergang vermitteln, oder mit einem Male, wie durch Blitzeseinschlag, die Richtung in ihr Gegenteil umschlagen: das wird abhängen von dem, der den ersten Anstoß gegeben, von der Art seiner Wirkung und seinem Wohlgefallen. Weil aber diesem Anstoße eine Rückwirkung zur Aneignung entsprechen muß; darum wird diese Umwandlung – obgleich allen, jedem in seiner Weise, zugedacht – doch nicht an allen sich vollführen. Denn wenn auch Gott alle liebend zieht und gleich der Sonne über alle sein Licht scheinen läßt, und nicht etwa dem einen verschlossen, dem andern sich auftut; dagegen aber nicht alle ihm erwidern, wie er es ihnen zuvorgetan: darum wendet er, der in seiner Allwissenheit weiß, an wem seine Einwirkung fruchtlos vorübergeht, und wer sie ergreift, auch diesen vorzugsweise sich entgegen. Das ist, was man als Wahl bezeichnet, in der, wie mit erster Empfängnis die Geburt, so die Wiedergeburt beginnt und das wiedergeborne Leben zugleich die erste Weihe erlangt; um dann unter fortgesetzter Führung zum höheren zu gelangen...

Ein Zug nach oben, der die Wende bewirkt; und ein warmer Anhauch, der sie begleitet; und ein Lichtblick, der, von ihm ausgehend, die gewendete Seele begrüßt, verkündet, daß die Wahl geschehen und der Gewählte in die Kreise des höheren Lebens eingetreten. Inwiefern von der einen Seite keine Verpflichtung zu der Gabe stattgefunden, ist sie als ein freies Geschenk der Gnade geboten worden; inwiefern aber dies Bieten nur auf die Gewißheit der Aneignung hin geschehen, diese aber als von der Eigentümlichkeit des Annehmenden abhängig, an seine Anlage geknüpft erscheint; zeigt sich die Mitwirkung einer Art von Talent, eines Genius der Heiligkeit dabei im Spiele. Überall nämlich, wo etwas, in welchem Gebiete es sei, ohne unser direkt wirkendes Tun, nur mit unserem Zutun in uns gewirkt wird, setzen wir einen Genius voraus, der uns gedrängt, es in uns hervorgerufen. So sendet in philosophischen Dingen die Wahrheit ihren Strahl zu uns hernieder; wir lassen uns ihr und werden von ihr entzündet und befruchtet, und wir nennen das vom Genius begeistert. So ist es in anderer Weise das Schöne, das uns in seinen Harmonien berührt; wir geben uns hin, und wenn unser Inneres nun nachklingend, in denselben Harmonien, zum Selbsttönen sich bewegt; dann sagen wir, es habe uns der Genius der Kunst ergriffen. Es ist in beiden Fällen etwas in uns gekommen, das wir nicht in freiem Bewußtsein hervorgerufen; und doch haben wir nicht müßig uns dabei verhalten: denn es ist doch unser Werk, wir haben es gefaßt, und nachdem wir ihm irdischen Leib gegeben, es an den Tag erboren; nur das ihm einwohnende Lebenslicht ist ihm, wie durch blitzartige höhere Befruchtung, von anderswoher gekommen ... Wie aber nun Licht und Zug im Geiste höherer Art sind, denn Gleichnamiges in der Materie; so ist wieder über beide und in beiden Licht und Liebe, wie sie von Gottes überhohem Wesen ihren Ausgang nehmen ... Es wird daher alle Begeisterung, welcher Art sie auch immer sein möge, hat jede gleich einen selbst eigenen Grund in sich; doch zuletzt zurückgehen auf jenen ersten Grund, der in jeglicher, nur oben unmittelbar, unten mittelbar, sich wirksam zeigt: denn alle gute Gabe kommt von oben, und alle guten Geister sind von jenem einen göttlichen Geiste, der sie alle ausgestrahlt.

Es ist aber, wie sich leicht begreift, die Wirkung dieser in Allgegenwärtigkeit zur Erwählung und Führung wirksamen Gotteskraft an kein irdisch beschränktes Verhältnis gebunden; nicht an Ort und Zeit oder Gelegenheit; sie schlägt durch den Übermut des frischen und gesunden Lebens durch, wie sie durch die Erschöpfung und Müde des Kranken sich nicht hemmen läßt; sie geht an der geistigen Einfalt nicht etwa verächtlich vorüber, noch auch läßt sie sich von der höchsten Geisteskraft Gewalt antun. Selbst die Gesinnung entscheidet nicht unbedingt; da die gute, sich willig öffnend, wie die leitenden Körper dem Blitze geöffnet sind, von selbst sich zum Ziele richtet; die verkehrte aber wohl bisweilen Gewalt erfährt und durchbrochen von ihrer Macht, sich in sich selbst zur Willigkeit umgewendet und also befreit findet. Wie hier überall die innerliche Handlung dieselbe ist und nur die Form ihres Hervortritts sich wandelt, so wird auch das Verhältnis der Geschlechter nur einen solchen formalen Einfluß üben. Eben weil in jenem Verkehre mit Gott sein höherer, nur in Achtung fremder Freiheit sich selbst mäßigender Wille der stärkere ist, wird das Tun des mitwirkenden Schwächeren bei beiden verhältnismäßig als ein Leiden und Lassen erscheinen: und, wie Gott überhaupt in keine notwendige Relation zur Kreatur eintritt, obgleich sie zu ihm; so wird auch um so mehr die des Geschlechtes vor ihm verschwinden. In Rücksicht auf den aufwärts gehenden Bezug der Seele zur Gottheit, wird aber allerdings das gegenseitige Geschlechtsverhältnis von Bedeutung sein; und das weibliche, als das vorzugsweise empfangende, wird sich daher auch besonders für die leichtere Aufnahme höherer Einwirkung eigenen; während im männlichen der Geschlechtscharakter in der stärkeren Gegenwirkung sich kundgibt. Die Gesamtwirkung wird daher im ersten Falle mehr durch, in beweglicher Fülle, harmonisch geordnete Gestalt; im andern mehr durch in Kraft und Leben mitwirksame Tätigkeit bezeichnet sein ...

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[Erhöhung und Reinigung des unteren Lebens durch die Askese]

... Ganz außen in der Gottesferne, gleichsam am Rande des Daseins, hat die lenkende Obmacht den Begünstigten sich erlesen und will ihn nun zur Einigung in die Gottesnähe führen. Sie muß ihn also umwenden und ihn Wege führen, die völlig entgegengesetzt sind denen, die er zuvor gegangen; so daß er dem den Rücken zukehrt, was zuvor als Ziel seines Strebens ihm vorgestanden und dafür sich dem zuwendet, von dem er sich abgekehrt. Die Bande, die er geknüpft, sie müssen wieder zerrissen werden, damit die andern, die er gelöst, sich wieder anknüpfen mögen. Mit dem Bösen aber hat er angebunden; das Böse ist es auch gewesen, das die Bande zerschnitten, die mit dem Guten ihn verbunden ... Und wie nun alles Streben der Mystik dahin gewiesen ist, dies feindselige Scheidungsmittel selber auszuscheiden, damit die Wiedervereinigung geschehe; so erscheint dies ihr Streben je nach seiner Möglichkeit durch das Erlösungswerk bedingt, das den bittern, immerfort aus der Vergangenheit in die Menschheit hineinquellenden Giftbrunnen, zuerst gedämmt und abgeleitet und seine Ader unterbunden. Von seiner gemeinsamen Wurzel abgeschnitten, ist dadurch der Todesbaum in jedem Menschen auf seine eigene Vegetationskraft beschränkt; und so mag das Leben, ohne in allzu ungleichen Kampf einzugehen, mit ihm sich Streites unterfangen; und dem Kernstamme kann es gelingen, die Schmarotzerpflanze zu ertöten, die sich um ihn hergewunden. Der Streit wird daher damit anheben, daß jener absteigenden Bewegung, die ihn in die Niederung hinuntergeführt und dort gefesselt hat, eine andere ansteigende entgegentritt, die ihn entfesselnd von den Banden, die ihn unten gefangenhalten, in die Freiheit der Liebe wiederherstellt. Alle Verhältnisse werden in dieser Umkehr ihre Wende finden, und so wird der ganze Mensch, in allmählicher Umbeugunq, in all seinem Wesen in eine im tiefsten Grunde geänderte Beziehung zu Gott, zur Welt und zu sich selber kommen. Anders gestellt, anders gerichtet, anders orientiert und äquilibriert, muß er absehen von dem, wo er zuvor hingesehen, und sein Antlitz wenden gegen das, von dem er zuvor abgesehen; damit ihm tief innerlich werde, was ihm zuvor äußerlich gewesen, und indem sich fernt, was in allzu vertrauliche Nähe sich an ihn herangedrängt, das ihm Entfremdete wieder an die alte befreundete Nähe trete. Damit er also einem neuen Dasein erboren werde, muß wie in einem mystischen Sterben der Schwerpunkt seines Lebens sich verrücken; seine Liebe, die er auf die unrechte Seite hingelegt, muß sich zurücknehmen und wieder an die rechte Stätte geben, und so wird der wandernde Schwerpunkt an seinem Orte sich befestigen; und indem er nun allem andern Ordnung und Folge gibt, wird das umgewandelte Dasein sich zurechtfinden und einrichten in der neuen Heimat, in die es eingewandert. Diese Wendung des ganzen Menschen in sich selber für eine neue Geburt – sie das gemeinsame Werk des eigenen beharrlichen Willensentschlusses und der höheren führenden Gottesmacht –, ist nun Zweck und Gegenstand seiner Bereitung durch die reinigende Mystik. Und wie alle Dinge auf Erden, obgleich in ihrer tiefsten Wurzel urplötzlich wie in Blitzes Schlag hervorgehend, doch in ihrer Ausbreitung und Entwicklung an die stetig verlaufende Zeit gebunden erscheinen, so wird auch diese reinigende Mystik, eben weil sie vom untersten ausgehend und vom greiflichsten, nach und nach die verschiednen Verhältnisse durchwirkend, in allmählichem Fortschritte, dort lösend, hier bindend, entladend und beladend, erhebend und niederdrückend, verfährt, je nach den Regionen des Lebens verschiedene Stufen der Entwicklung durchlaufen, bedingt durch jene beiden in ihr zusammenwirkenden Willensmächte...

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[Kraft und Gelassenheit im Unglück]

Die Natur ... geht ihre gewiesenen Wege und kümmert sich um keine Mystik; der geistige Gesamtverband ist auch nichts weniger als mystisch gestimmt: das reißende Tier in ihm geht lauernd durch die Nacht; während das jagdbare durch die Wälder und über die Höhen streift; das zahme aber im Pfluge geht oder auf dem Anger weidet: innen aber der rechnende Verstand als Hausmeister Buch hält und die nötigste Zucht besorgt. Was sich nun zu dieser Ordnung hält: Gewaltsames in sich dem Gewaltsamen, Zahmes dem Zahmen beigesellend und dem Imperativ des Ökonomen sich fügend, das gedeiht leidlich, physisch und moralisch in Gesundheit und Wohlbehagen. Da erscheinen aber nun diese Fremdlinge wie Meteore einer höheren Welt in Mitte dieser Ordnung, die ihnen eine Unordnung ist, wie sie ihr ein Ärgernis; und finden natürlich keine Stätte sich bereitet. Sie haben nicht irdische Schwerkraft genug in sich, um in die auf sie eindringenden Verhältnisse scharf einzuschneiden, das allzu Zudringliche von sich abzuwehren und, mit dem Unabwendbaren langsam sich setzend, auf Erden einen sicheren Fuß zu gewinnen. Mehr des Flugs gewohnt als ruhig gemessenen Ganges, fühlen sie vielmehr bald sich aufgehoben; und wie Vögel, die in den Sturm geraten, von der Macht unbemeisterter Elemente hingerissen und hin und her geworfen. Nach einem anderen Grundtone ausgestimmt, finden sie bald nach allen Seiten hin sich von Mißklängen berührt; und das Fremdartige in ihnen will nirgendwo recht passen und zusammengehen. So Natur wie Gesellschaft fühlen beide, in der ihnen eigentümlichen Heimat, sich allzu stark, um durch ihre Nähe sich im mindesten irren zu lassen; sie also, die Eingedrungenen, die kaum das Recht der Schutzgenossen genießen, müssen es entgelten und büßen; und wie das physische Mißverhältnis sich in Krankheiten, Gebrechlichkeiten und Schmerzen aller Gattungen an ihnen ausläßt, so das moralische durch Heimsuchungen und Prüfungen anderer Art, die sie nun als solche, die da zur weitern Bereitung der noch ungebrochenen Natur über sie verhängt und ihnen aufgelegt sind, in Ergebung hinnehmen müssen. Wie hart angefaßt sie also immer sich fühlen; wie tief einschneidend, versehrend, ja zerreißend ihre wunden Sinne die Einwirkung dieser Verhältnisse empfinden mögen: sie werden das alles, als sei es eine Lebensbedingung ihrer Persönlichkeit, hinnehmen müssen; und es wird dann erziehend, läuternd, reinigend wirken, und somit als reinigendes Mittel in die mystische Disziplin aufgenommen sein ...

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[Gebet]

Auch mit dem Ablösen von sich selber ist das Werk der Aszese noch nicht vollendet; die gelöste Seele mag nicht schwebend ohne alle tragende Unterlage bleiben; sie muß eine andere suchen, und diese kann ihr allein in Gott gefunden werden. Sie muß sich also nach dieser Seite wenden, und die Bande, die sie nach abwärts gelöst, wieder nach aufwärts anzuknüpfen suchen. Denn es reicht nicht hin, daß die Werke nicht bloß in ihr und für sie nicht getan, die Gedanken in ihr und für sie nicht gedacht werden; sie soll auch in Gott und für Gott handeln und denken. Diesem Eintragen fügen sich, ist der Hochmut einmal gebrochen, die Kräfte leichter in ihrem obersten Teile, wo sie an sich schon mehr gegen die obersten Dinge gerichtet stehen; und weil sie allzumal geistig und abgeschieden sind und weder Zeit noch Stelle noch irgendeines Stoffes zu ihrem Wirken bedürfen, mehr nach Aufwärts streben. Schwieriger aber ist's im anderen Teile, in dem sie niederwärts streben und zu den unteren Dingen sehen und sinnliche Wahrheit suchen und den Unterschied der Dinge auswendig geben und darum auch der Richtung nach Aufwärts, als der ihnen unnatürlichen, zuwider sind. Dieser ihr Widerstand muß zuerst gebrochen, und sie müssen in ihren Strömungen in sich gewendet und die gewendeten dann in die höheren eingetragen sein; ehe denn sie alle miteinander, in die große göttliche Grundströmung gebracht und nachdem sie ihrer selbst darbend geworden, in Gott verloren, sich auch in Gott wiederfinden mögen. Dieses Verwerden des ganzen innern Menschen ist daher die unumgänglich notwendige Vorbedingung seines neuen Erwerdens in Gott und seiner vollkommenen Reinigung und Wiederherstellung ... Geht der Wanderer auf diesen Wegen, lehrt die Aszese weiter, dann will ihn Gott in dem Verhältnisse, wie er aufhört, sich selbst zu wollen; er weiß Gott in dem Maße, wie er sich selbst, als alles wissen ersten Grund, zu wissen aufhört; und im Verhältnisse, wie er sich gestorben in Gott, wird er leben in ihm über sich hinaus; und Gott herrscht in ihm in seiner Herrlichkeit und lebt in ihm in seinem höheren Leben. Ist er dahin gelangt, dann ist er heilig in seinem Sein und nicht bloß in seinen Werken; denn die Werke heiligen nicht als solche, sondern nur insofern der heilig ist, der sie übt und einen guten Grund hat, aus dem sie gewirkt werden, und der, wenn selber heilig, die in ihm hervorkeimenden heilig macht.

Damit aber nun dieser Eintrag des menschlichen Grundes in den göttlichen sich vollbringe, muß ein von jenem ausgehendes Verlangen, die Verbindung zu wirken, sich erheben und die Möglichkeit begründen, daß ein Band der Einigung sich vom einen zum andern hinüberwebe. Jenes Verlangen äußert sich nun im Gebete, dem im Falle der Erhörung die Gewährung, wie Einschlag dem Aufzuge, zur verknüpfenden Webe sich einwebt. Aller Gebete erstes und vorzüglichstes aber, sagt Kuysbroek, ist dieses: »Gib mir, Herr mein Gott, was du willst, und tu mit mir in allem nach deinem Wohlgefallen«. Dasselbe, was der Herr im Beginne seiner Leidenszeit gebetet, als er gesagt: Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe! und damit den Grund zu unserem Heile gelegt. Dies Gebet, inwiefern es sich zwischen alles Kreatürliche und das Höhere im menschlichen Grunde setzt, löst und trennt ihn von Natur und aller Weltlichkeit in sich und um sich her; es reinigt ihn, indem alle Eigenheit in ihm sich aufgibt, damit alsdann der Gelöste und Gereinigte sich einigen könne mit dem Gottesgrunde. Scheidend aber und reinigend gehört das Gebet der Aszese an, und alle Mystischen haben es als ein mächtiges aszetisches Mittel, und die Virtuosität in seiner Übung als die notwendige Vorbedingung jedes weiteren Vorschrittes anerkannt ...

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[Von der Ekstase]

Es gibt zwei Grundzustände des Menschen, in deren einem er der Einwirkungen alles dessen, was nicht er selber ist, Herr bleibt, sie bemeistert und beherrscht und ihnen gegenüber seiner selbst vollkommen bewußt erscheint; während in dem andern diese Einwirkungen in ihrem Überdrange Macht über ihn gewinnen, ihn hinreißen und bemeistern; so daß sein Selbstbewußtsein aufgehen will in das vorwiegende Bewußtsein, wie dies in den Gegenstand; der Wille aber sich ebenso gebunden findet. Man sagt im ersten Falle: der Mensch ist bei sich, im andern: er ist außer sich oder im Zustand der Ekstase. Da die menschliche Natur aber in der Mitte schwebt, zwischen einer äußeren Natur, die tiefer steht denn sie, und einer höheren Wesenheit, der sie sich untergestellt findet, so wird sie auch in zwiefacher Weise außer sich geraten können: einmal nach abwärts sich an jene tiefere Natur verlierend, dann nach aufwärts in jene höhere Wesenheit aufgehend. Im ersten Zustande kann sie wohl in tiefere Naturkreise eingeführt und dadurch scheinbar gehöht werden in ihrer Wirksamkeit; in Wahrheit aber findet sie sich um so mehr gebunden, je mehr die Kräfte, die sie bemeistern, von der Natur der Mitte haben. Inwiefern ihr höheres Selbstbewußtsein sich daher an das tiefere Bewußtsein verloren und ihre Willensfreiheit von jener Naturnotwendigkeit sich umsponnen findet, ist sie, außer sich kommend, in Wahrheit unter sich gekommen. Im andern Zustande aber ist sie freilich sich selbst entrückt, scheinbar gebunden und in einen Zustand größerer Passivität versetzt; in Wahrheit aber ist sie durch die höhere Macht in den Kreis eines höheren Bewußtseins eingeführt, dem gegenüber das besonnene Selbstbewußtsein als ein unversonnenes, von der eigenen Objektivität ergriffenes Bewußtsein erscheint; und ebenso in die Region einer höheren Freiheit erhoben, der entgegen die gewöhnliche Willensfreiheit als eine Art von Selbstgezwungenheit sich zu erkennen gibt. Außer sich kommend in dieser Weise, ist sie daher in Wahrheit über sich gekommen; und wie dort geniedrigt, so hier gehöht. Es müssen aber die Gaben des göttlichen Geistes, die, mit Maß gespendet, das Leben in allmählicher Erhebung begeistigen; wenn mit Überfülle andrängend, eine Ekstase der zweiten Art in ihm hervorrufen, die also das Vorhandensein eines solchen Andranges als äußeres Zeichen ausdrückt; und sohin von den minder zu den mehr bestimmten Symptomen wahrhaft mystischer Zustande hinüberleitet ...

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[Befähigung zur Ekstase]

... Wenn unser Geist aus dem Kreise seiner gewöhnlichen Gedanken und Wahrnehmungen hinausgesetzt, zu einer höheren Erkenntnis sich gehöht findet, fühlen und sagen wir, er sei außer sich, Ein Geist also, dem es gegeben ist, mit Leichtigkeit sich von den Sinnen und ihren Wahrnehmungen abzulösen; von sich selber und dem ordentlichen Gange seiner Gedanken abzusehen und sich in sich sammelnd und absorbierend in den geheimnisbedeckten Tiefen der Unsichtbarkeit unterzutauchen; der, dem hinreichende Schwungkraft zugeteilt ist, daß er der niederziehenden Gewalt des erdhaft Schweren im Gedankenreiche sich zu entringen und im Fluge zum höheren geistigen Äther sich zu erheben wagen darf; den erkennen wir schon in irdischen Verhältnissen als einen Begeisterungsfähigen, und er wird auch zur Aufnahme jener höheren Begeisterung sich wohlbegabt finden. Ebenso wenn jemand, absehend von allem sonst Begehrenswerten und von sich selber, all sein Verlangen dem Gegenstande seiner Freundschaft oder seiner Liebe entgegenwendet und nunmehr lebt, wo er liebt, als wo er seelt: dann sagen wir gleichfalls von ihm, die Liebe habe ihn außer sich gesetzt. Hat nun irgend jemand ein so reiches Gemüt zu seinem Teil erlangt, daß er, von allen selbstisch vereinzelnden Bezügen leicht absehend, die ganze Fülle seiner Neigungen auf einen äußeren geliebten Gegenstand zu übertragen und an ihn sich ganz zu verlieren imstande ist, dann wird er, wie er in irdischen Beziehungen leicht überwallend ist, so auch unter geänderten Verhältnissen in höhere überzuströmen sich geeignet finden. Krankheiten gewisser Art, inwiefern sie jene geistige Abgezogenheit oder dieses gemütskräftige Aneignen fördern oder auch nur größere Beweglichkeit in die Anschauungen und Affekte bringen, können daher allerdings auch diese Anlage steigern. Aber das alles ist das minder Wichtige und Bedeutende; das Entscheidende aber sind die unsichtbaren Mächte, und vor allem Gott, der seine Gaben zuwendet, wem er will, und auch den minder reich Ausgestatteten damit besucht, wenn es ihm so wohlgefällt oder er sich des Besuches sonst würdig gemacht...

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[Über die natürliche Magie]
(Vorrede zum 3. Band der Christlichen Mystik]

... Wie ist es nun um die natürliche Magie beschaffen; ist sie wirklich der Art, daß kein vernünftiger Mensch ihr Glauben beimessen darf, und daß der kindische um so eher zur Mündigkeit gelangt, je früher er sich von ihr lossagt? Die Frage hat viele Seiten, von denen sie betrachtet werden kann, der langen Rede kürzester Sinn scheint aber auf folgendes hinauszulaufen.

Der Mensch ist ein aus Natur und Geist in eine Persönlichkeit verbundenes Wesen, was nur dadurch sich bilden kann, daß die Natur in ihm etwas vom Geiste, der Geist hinwiederum etwas von der Natur angenommen, und beide nun im Lebensbande aufs engste untereinander sich geeint.

Die Natur in ihm, mit einem ihr untergeordneten Geistigen verbunden, der Nachtmensch in der Persönlichkeit, ist nun, weil aus der Erde hervorgegangen, auch der Mensch der Erde; er gehört ihr also, auf die Bedingung jedoch, daß sie ihm angehöre. Denn er ist das eigentliche Zentrum der Erde und aller ihrer Bildungen, er ist also durch Radien mit allen ihren Reichen und Peripherien verbunden, lebt mithin in ihnen allen, wie sie in ihm; ist Leib von ihrem Leibe und Geist von ihrem Geiste; fühlt darum auch in alles sich hinein, wie er alles aus ihr herausfühlt, und beherrscht durch seine Rapporte alle ihre unteren Kreise, indem er allen dient.

Der Geist, mit einem ihm untergeordneten Natürlichen verbunden; der Tagmensch in der Persönlichkeit, ist aber seinerseits nicht von der Erde, und gehört ihr also auch nicht an, ungleich dem vorigen. Denn einem höheren Zentrum, als das ihrige verbunden, lebt er, gleichsam wie dieses wohl im niedern und dem mit ihm geknüpften Peripherischen, also jedoch, daß er frei gelöst und doch wieder dasselbe in sich aufnehmend, es überschwebt, es stets auf sich beziehend und in seinem Lichte es zum klaren Bewußtsein bringend. Sein Reich ist das Geistige, dem er entstammt; daher gehen seine Rapporte und Verbindungen in dies Reich; und wie Freiheit das Gepräge aller Geister ist, so ist er auch mit Anerkenntnis dieser seiner Freiheit in dasselbe aufgenommen.

Jener Nachtmensch und dieser Tagmensch sind nun in dem einen und selben Menschen verbunden, ursprünglich ohne sich durcheinander zu verwirren oder aufzuheben; weil eben ihr gemeinsames Sein in Gott, der über ihren beiden Welten steht, die Getrennten auseinander haltend, doch in sich zusammen hält. Der erste hat dem andern sein leibliches Haus erbaut, und hat Wohnung in ihm genommen; aber der andere, der mit beim Bau gewesen, durchwohnt nun das Gebaute gleichfalls und gebraucht sich seiner zu seinem Zwecke. Die ganze Leiblichkeit ist daher zweiherrisch, und die Doppelherrschaft greift durch alle Organe hindurch und drückt sich in ihnen aus; und dieselbe Schiednis geht durch alle Verrichtungen hindurch, bis zur höchsten Spekulation hinauf, die in subjektive und objektive geteilt, nur in Gott und was Gottes ist, Ruhe und Einheit findet.

So war es uranfänglich. Der höhere Mensch war der Gebieter, der untere dienstbar, und jener herrschte durch seine höhere Mitte über die Tiefen des andern. Dieser als Zentrum der Natur, durchschaute die ihm verbundene Natur, wie wir unsern Leib durchschauen; er beherrschte sie, wie wir unsere Glieder beherrschen, und belebte sie in gleicher Weise. Er befaßte also in sich das Bild und Gesetz der unteren Natur, wie der andere das der höheren; und wie dies Bild und dies Gesetz, diese Naturweisheit, die Naturethik und dazu die natürliche Vitalität ins Höhere eingetragen und in Gott aufgehoben wurde, beherrschte der Mensch in Gott ohne Anstrengung und ohne Mühe die ihm zugeteilte Region.

So sollte es auch bleiben und sich befestigen durch die geforderte Gewähr. Da schlug ein neues Moment, die Sünde, ein Produkt des geistigen Reichs, hervor und störte die ganze Ordnung. Der Tagmensch hatte die Missetat begangen, in ihm auch der Nachtmensch, beide miteinander traf die Strafe. Die Sünde setzte sich zwischen jenen und Gott, und auch das höhere Geisterreich verfinsterte sie bis zur Unsichtbarkeit, und fesselte den Tagmenschen an den Zwang des alten Gesetzes. Sie drang zwischen den andern und die äußere Natur, umnachtete ihm auch diese in ihren tieferen Gebieten, und machte den Nachtmenschen dem Naturgesetze hörig. Sie drang endlich auch zwischen beide menschliche Naturen desselben Menschen, schied sie wie mit Schwertes Schärfe und machte im Tode in ihren unteren Gebieten sie lösbar voneinander. Sie umnachtete eine für die andere und kehrte die Ordnung der Mittelpunkte um; so daß, da der höhere zuvor herrschend in seiner Höhe gestanden, umfaßt von dem andern, jetzt der untere herrschend in der Mitte steht, und der obere ihn umfaßt, wie dem Scheine nach der Himmel die Erde. Nun muß der Tagmensch im Schweiße seines Angesichts die Wissenschaft, wie die Erde mit dem Pflug, bebauen.

Was aber nun durch den Tod in Trennung voneinander gelöst werden mag, das kann auch durch Krankheit innerhalb eines gewissen Spielraums auseinander weichen, und eines um das andere eines gewissen Übergewichtes sich erfreuen. Es kann also das untere Zentrum, äußerlich auf der Höhe sich im Zerebellum bergend, weit vorweg überwiegend werden und das höhere im Zerebrum ganz und gar sich unterordnen und bemeistern. Dann wird der Mensch, der der Natur schon hörig ist, ganz und gar ihr leibeigen; der Tagmensch dient dem Nachtmenschen ganz und gar, wie dieser der äußeren Natur verfallen ist. Der eine herrscht aber in der Macht dieser Natur über den andern, denn er denkt Naturanschauungen und wirkt Naturwirkungen in den Kräften dieser Natur, mit der er sich geeinigt findet, und lebt ganz und gar in ihrem Leben. Es ist ein natürlicher Magier, der da herrscht als dienstbarer Geist der umgebenden Welt.

Mit einem solchen Verhältnis würden viele unter den Weisen der Welt sich nun versöhnen; aber dies einmal zugegeben, kommt nun die Kehrseite desselben herangezogen und will sich nimmer abweisen lassen. Ist innerhalb jenes Spielraums nämlich eine Lösung nach der unteren Seite hin möglich, dann wird auch eine nach der oberen hin zugegeben werden müssen. Der Mensch kann nämlich, besonders seit die Erlösung ihn befreit, noch all sein Tun und seine Mühen dem obern, gegen Gott hin gerichteten Mittelpunkte entgegenwenden und diesen, soviel das im Leben tunlich ist, von der Macht des unteren zu befreien sich bestreben, und eine Gnade von oben kann ihm dabei hilfreich entgegenkommen. Dann wird, wenn dies gelungen, der Mensch nach unten frei; denn die höhere Mitte in ihm ist die zentrale geworden; und er hat nach oben nicht Knechtschaft, sondern Freiheit in Gott eingetauscht. Sein Prinzip ist nun: ich erkenne nur, inwiefern mich und in mir Gott erkennt; ich will nur, inwiefern Gott mich und in mir will; ich lebe nur, inwiefern Gott mich und in mir lebt. Er ist jetzt auch ein Seher und ein Magier geworden, aber einer der höheren Art, weil Gott in ihm seine Werke schaut, seine Taten wirkt und ein unsterbliches Leben lebt.

Das wollen nun die gelehrten Leute, wie sie unzufrieden mit ihrem Lose durchs Leben gehen, nimmer und in keiner Weise. Was hälfe es nun wohl auch, wenn sie die Stäbe, die sie führen, auch in lebendige Schlangen verwandelten; wenn sofort die große und starke Schlange des Propheten von oben sie alle aufschmausen sollte. Sie haben über die Verhältnisse des Menschen zum Unsichtbaren und zu seinem Bereich gewisse Meinungen festgestellt und bekennen sich zu ihnen, solange es gehen will. Wie sollte nun da eine solche Konfusion zugelassen werden, die ihre ganze religiöse Bank sprengen und auf die Gant bringen würde. Also fangen sie konsequent mit dem Anfang an, leugnen alles frischweg, kommen aber etwa Erscheinungen, die sich nicht ableugnen lassen, dann sekretieren und vertuschen sie das Vernommene und suchen so bald als möglich es in Vergessenheit zu begraben ...


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