Joseph Görres
Eine Auswahl aus seinen Schriften
Joseph Görres

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Der Romantiker

Teutsche Volksbücher

Widmung an Clemens Brentano

Ich ging in Waldesnacht, den Bach entlang, es rauschte der Strom so gar gesprächig.

Was habt ihr Wellen mir zu sagen, habt in tiefen Klüften Wunderbares ihr gesehen, das ihr mir vertrauen möchtet?

Da steht der alte graue Fels, dem ihr entquollen seid, ein dunkeles Geheimnis liegt her um ihn, könnt ihr das Wort mir geben?

Es rauschten die Wellen stärker, aber ich verstand ihr Rauschen nicht. Eure Stimme hör' ich wohl, aber Zungen habt ihr keine, die Elementensprache kenn' ich nicht!

Da ward der Bach gar zornig, er sog mehr Wasser an und zog reißend nun einher, seine Stimme war ein gewaltig Brausen. Aber ich verstand die Elementensprache nicht!

Ich war gar bestürzt, und ging an der zürnenden Kreatur hinauf, bis da, wo die Silberschlange ihre Höhle im dunkeln alten Felsen hatte.

Da saß ein Mönch, in sich versenkt, und blickte in die klare Welle nieder. Der Bach glitt ruhig hin, und wand sich schmeichelnd um seine Füße her.

Kannst du, lieber Mönch, mir nicht des Baches dunkele Töne deuten? Viel Menschenweisheit tausch' ich gegen der Elemente Wissen um.

Es sah der Mönch mich schweigend an. Ich kannte wohl schon eher dich, was ist's, das deine Seele treibt?

Das dunkele Wort, das Leben hat, und nimmer bleibende Gestalt, treibt meine Seele um!

Das Wort ist gut, aber wo ist dein Streben hin gerichtet?

Die Pforten des Aufgangs such' ich immerdar, wo die starken Geschlechter wohnen! Wo steht Phosphorus, ich such' ihn lange schon vergebens?

Der Mönch stand auf, und winkte ernst, ich folgte ihm von ferne nach. Es öffnete der alte Fels sich, wie er angeklopft, wir standen an dem Tor von Erz, vor der Springwurzel wich es prasselnd auseinander.

Ein weiter Dom war uns geöffnet, dunkel glimmte Lampenschein, spiegelglatt zog der Kristallboden in die ferne Dämmerung sich hin.

Tritt auf den Spiegel, sprach der Mönch, sind deine Sünden dir vergeben, und ist dein Streben rein, dann wird der Kristall dich tragen, sonst sinkst du unten in die Grabgewölbe nieder.

Ich trat zagend auf die Spiegelbahn, es krachte unter meinen Füßen sehr, der Mönch ging neben hin, und sah mich forschend an; ich ermannte mich, mein Streben war ja rein; wir schritten hin, der Kristall war nicht gebrochen.

Wir kamen, tief in des Domes Grund, in die dämmernde Kapelle, wo Friedrich Barbarossa saß; der Bart war durch den Tisch ihm durchgewachsen. Um ihn drängten sich die alten Helden alle.

Es grüßte sie der Mönch, ich neigte mich; sie sahen verwundert auf.

Reinold. Wer bringt uns diesen her?

Siegfried. Er meldet uns Botschaft aus Alberichs Reich. Carolus magnus. Monjoye Saint-Denis, sie haben große Männer oben!

Oktavianus. Hornvilla hat, wie man sagt, ein zahlreich Geschlecht erzielt, das auf den Burgen wohnt.

Lionell. Es sind die Löwen Katzen wohl geworden, und spinnen und mausen sehr geschickt?

Florenz. Er soll mir meine Ochsen wiedergeben, der Kauf ist nichtig, ich war nicht majorenn!

Heinrich der Löwe. Sie haben Feuer in meinem Hause angelegt, des Teufels Drohung will in Erfüllung gehen, weil ich den Fährlohn ihm nicht entrichtet.

Herzog Ernst. Eben hat der alte Greif die meinigen, in Ochsenhäute eingenäht, den Jungen zum Futter hingetragen.

Wolfdietrich. Steht der Klee recht fett im Rosengarten, das Vieh muß schöne Wampen haben?

Hagen. Sie müssen den Nibelungenhort, den ich in den Strom versenkt, jetzt doch aufgefunden haben, es ist viel Geld und Geldeswert?

Ich sah beschämt am Boden nieder. »Es ist nicht gastlich von euch, Ritter, daß ihr so den Fremdling grüßt, der euch ehrt und liebt.«

Ängstigt ihn nicht, sprach der Mönch, es ist eben der Heillosen keiner.

Da sah Barbarossa auf. Was suchst du bei den Toten, Fremdling?

Ich suche das Leben, man muß tief die Brunnen in der Dürre graben, bis man auf die Quellen stößt.

Das Leben ist nicht mehr bei uns, wir haben es als Erbe euch zurückgelassen, ihr habt übel damit hausgehalten.

Dann laßt aus euern Taten von neuem den Lebensgeist mich ziehen.

Von unsern Taten sind die Schatten nur uns hinabgefolgt, willst du mit ihnen sprechen, lies in diesen Büchern.

Der Mönch schlug die Bücher auf und deutete, ich las. Die Ritter sprachen fort, aber mit Geisterstimmen, Geistersprache, die Worte gestaltlos, vernehmlich dem Ohre, aber unverständlich.

Ich las lange, lange fort; es schien keine Sonne unten, unter den Helden war unaufhörlich unruhige Bewegung. Endlich schien, was sie rührt und regte, vorübergegangen, sie wurden still und ruhig, da schloß der Mönch des Buches Krempen.

Ich sah auf und blickte an der ehrwürdigen Versammlung hin. Im Kreise saßen die edeln Gestalten traurig da, sie waren nicht mehr zornig.

Geh hin, du wirst vieles anders finden. Erzähle, was du gesehen und vernommen hast! sprach Friedrich.

Ich neigte mich, über den Kristallboden führte mich der Mönch zurück, die Pforten fuhren von neuem prasselnd auseinander, wir gingen durch den Berg dahin, es schien die Sonne wieder, der Mönch verschwand.

Ich sah mich außen um, wie war alles anders da geworden! Die alten Bilder waren aus den Nischen herausgeworfen, sie lagen in schmählicher Verstümmlung umhergestreut; die alten Eichen waren hohl geworden von der Zeit, und vom Sturme umgeweht; es würfelten Krieger um Purpurmäntel; alle Marksteine waren ausgegraben.

Wollen die Jahrhunderte im Sturmschritt vorübereilen? Haben sie unten den Becher mir gereicht, in dem man das Leben in einem Zuge schnell vertrinkt; hab' ich in der Vergangenheit meine Zukunft vorweggelebt?

Deckt mir graues Haar den Scheitel, kennen mich denn jene, die mich lieben, nicht, ist mein väterlich Haus denn auch in Schutt zerfallen, und stehen verwundert die Nachbarn um den suchenden Wandrer her, der sich in der Zeit verspätet hat und nach der längst versunknen Jugend fragt?

Wanderer, die du suchst, sind nicht mehr hienieden, dort weht Gras über ihren und ihrer Kinder Gräber!

O wie bin ich alt geworden, wie schlägt das Herz mir zögernd in der Brust, mir ist alles um mich her so alt geworden, o Knabe auf raschem Rosse mit dem Wunderhorn, wie bist du alt geworden!

Es sieht die junge Generation mich so altklug und verständig an, geht nur, ihr seid wackere Kinder, der Himmel wird euch Ruhe und Überfluß verleihen und ein gemächlich Leben.

So muß ich denn für die Enkel niederschreiben, was die Unterirdischen mir aufgetragen, und was mein flimmernd Gedächtnis mir nicht versagt.

*

Faust

Des durch die ganze Welt berufenen Erzschwarzkünstlers und Zauberers D. J. Fausts mit dem Teufel aufgerichtetes Bündnis, abenteuerlicher Lebenswandel und mit Schrecken genommenes Ende. Köln am Rhein und Nürnberg.

Daß Satans Reich groß und mächtig auf Erden sei, hatte man frühe schon verstanden, was oben am dunkeln Himmel glänzte, blinkte, strahlte, das war den Menschen wohl befreundet und ehrwürdig, aber nicht grauenvoll, schreckhaft: was aber der Erde dunkler Schoß verbarg, was im Erdbeben ihn durchzuckte, was aus geborstenen Rissen dunstig, schwefelflammig, seuchenverbreitend sich ergoß, das war ihnen unheimlich, verdächtig, grausenhaft; da schien ihnen kein Stern herauf, finsterer und immer finsterer wurde die Finsternis, je tiefer sich die Phantasie in den Abgrund hinabversenkte, bis endlich die Geschreckte selbst erstarrte, und unten, ganz unten die Nacht in schwarzen Klumpen gerann; und in dem Abgrund, den nimmer des fernen Himmels Morgenrot erreichte, da brannte der Hölle Pfuhl, da lag der alte Lindwurm mit allen Erdenübeln und schlief, so lange der Sonne Licht der Erde Oberfläche bescheint und die Gemeinde gottselig fromm vor den Altären kniet; wenn aber die Nacht die Erde nicht mehr mit Himmelslichte tränkt, wenn der Kerzenschein am Altar erlischt, wenn der Hölle Reich dann weiter wird und freier, wenn die Lebenden schlafen, die Toten aber wachen und wandeln: dann sendet der grimme Wurm die junge Brut hinaus auf Raub und Nahrung, und durch die Lüfte streift dann das Gezücht, und die Werke der Finsternis treiben, die treten dann auf den Kreuzwegen in ihren Zauberkreisen mit ihnen in Verkehr, und die ungetümen Kinder der Lüge helfen ihnen Unheil und Böses schaffen. Denn die Fürsten des Himmels, hat man geschlossen, die Sterne, sind an der Astrologen Kreise festgebunden; der Menschengeist vermag so gleicherweise durch nekromantischen Zauber die Fürsten der Finsternis in gleiche Kreise einzubannen, daß sie ihm Rede stehen, daß sie die arge aber übermenschliche Kraft zu seinem Dienst verwenden, daß sie die Geheimnisse und die Schätze der dunkeln Nacht ihm öffnen, daß sie die Naturkräfte ihm dienstbar machen und ihn durch ihre Macht zum Erdenfürsten erheben, dafür daß er sich selbst und den irdischen Leib ihnen erb- und eigentümlich verschreibt. Das ist daher das Wesen der Magie, ein furchtbarer Bann, der hinunter in der Erde Abgrund reicht, und wenn des Menschen Tun die Schranken des Irdischen verläßt, wenn er in seinem Treiben sich in sich selber scheidet und himmelan die Flamme der frommen Gottseligkeit schlägt, und endliche Menschen zu Heiligen des Himmels sich verklären, dann muß in der Scheidung der Gegensatz notwendig sich ebenfalls mit hervordrängen: während die einfältige, schuldlose Gottesfurcht in stiller Hingebung des Himmels Reich gewinnt, muß der kecke, übermütige Trotz der Hölle Pforten stürmen, dort wird irdische Mühseligkeit mit himmlischer Glorie dann vergolten, hier irdische Wohlfahrt mit ewiger Höllenqual gebüßt. Daher ist die Magie mit ihrer ganzen Enzyklopädie der Goetie, Nekromantie, Nekyomantie, Anthropomantie, Lekonomantie, Gastromantie, Kaptromantie, Onomantie, Hydromantie, Geomantie, Pyromantie, Kapnomantie, Ichtyomantie, Tephramantie, mit allen ihren Künsten und Zauberformeln und Beschwörungen, mit ihren Kreisen und Sprüchen durchaus ein deszendenter religiöser Kultus; gottlos schwört das Menschenkind den Himmel ab, und mildtätig nimmt die Hölle ihn dafür zum Heiligen auf.

Das war der konsequente Volksglauben der Zeit, die in religiöser Genialität so viele Selige dem Himmelreiche eingeboren hat; er hat auch diesen Faust geboren, der zwar als ein Produkt der jüngeren Zeit erscheint, von dem aber die Propheten der vergangenen Alter wie von einem noch kommenden geweissagt hatten. Ebenso ist hauptsächlich auch von ihm, als die religiöse Genialität in eine poetische sich verlor, jenes neue unendliche Objekt der Kunst ausgegangen, an dem sie in den neueren Zeiten so vielfältig sich versucht, die Darstellung des Teufels nämlich. Das Zerrissene, Grundböse in plastischen Umrissen, also in Harmonie, darzustellen; das durch seine innere falsche Natur immerfort verzerrte zur Ordnung und Einheit zusammenzuzwingen; das Mißverhältnis selbst in Verhältnisse einzuschließen und der absoluten Verlogenheit doch eine Kunstwahrheit zu leihen: das ist die schwer zu lösende Aufgabe, gleichsam als ob man fressendes Gift bereiten sollte in einem Becher, der seine Berührung scheut und davon in Stücke zerspringt. Durchaus fällt daher das Problem jenseits der Grenzen der eigentlichen Kunstschönheit hinaus, gerade der negative Gegensatz alles Schönen muß sich in ihm bilden, und ein vollendeter Teufel kann uns unmöglich Hiebe abgewinnen, er kann nur auf unsern Haß Anspruch machen; teufelisch müssen wir ihn selbst erblicken und teufelisch uns an ihm freuen, und dies Erwecken unserer Teufelhaftigkeit durch die äußere kann allein die Genialität des Werkes konstituieren. Indem wir aber uns an ihm ergötzen, haben wir selbst gleichfalls gewissermaßen schon einen Bund mit ihm geschlossen, Fausts Sympathie mit ihm war eine gleiche, nur enger; er lebte mit ihm gleichsam in einer umgekehrten Ehe, der nicht Hiebe, sondern Feindseligkeit zum Grunde lag, und die daher mit der Vernichtung des Schwächeren, Gehaßten endete ...

Daß Faust gegen das Ende des fünfzehnten und den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wirklich existiert habe, geht aus einer Menge historischer Zeugnisse von Augenzeugen, die ihn gesehen zu haben versichern, hervor. Er lebte gleichzeitig mit Paracelsus und war, wie es scheint, Freund von ihm und dem gleich berüchtigten Cornelius Agrippa. Melanchthon gedenkt seiner in seinen Briefen, und ebenso Konrad Geßner als seines Zeitgenossen. Manlius in seinen Collectaneis Locorum communium sagt von ihm Seite 38: Novi quendam nomine Faustum de Kundling, quod est parvum oppidum patriae meae vicinum. Widman führt in der Einleitung mehrere Äußerungen Luthers über ihn an und sagt dabei am Ende: »Diese und andere mehr kurzweilige und fröhlich erzählte Gespräch, hab' ich aus einem besondern Schreiben, so mir bekannt, wollen erzählen.« Aus allen diesen Zeugnissen, obgleich sie sich häufig, sogar in Rücksicht auf sein eigentliches Vaterland, widersprechen, geht so viel hervor, daß er als historische Person angesehen, als ein pfiffiger, verschlagener, seinem Jahrhundert imponierender, vielleicht auch in geistiger Bildung und technischer Geschicklichkeit wirklich überlegener Mensch erscheint, der besonders seine Wichtigkeit eben durch sein Zeitalter erhielt. Indem nämlich die Reformation den erschlafften religiösen Sinn wieder aufs neue weckte, konnte dieser bei dem durchhin nüchternen nordischen Charakter, der sie bezeichnete, unmöglich in glühender Andacht sich in religiöse Transzendenz verlieren, sie mochte lieber polemisch hervorbrechen und den Gegensatz des Heiligen dem öffentlichen Abscheu hingeben, wie sie überhaupt den ältern Kultus als einen gleich negativ Gewordnen dargestellt und dem gleichen Abscheu preisgegeben hatte. So erscheint Faust daher in der Geschichte gleichsam als der allgemeine Repräsentant der ganzen schwarzkünstlerischen, zauberischen Tendenzen, die durch alle Jahrhunderte durchgegangen waren, jetzt aber an der Grenze, wo das einige Ganze der Religion schismatisch in sich selbst zerfiel und Haß und Feindschaft in den getrennten Gegensätzen erwuchs, endlich ihren gemeinschaftlichen Sammelpunkt in einem Manne fanden, der bei seinen vielfältigen Reisen in mannigfaltige Berührung mit allen Klassen des Volkes gekommen war und überall sich der Gemeinschaft mit dem Bösen rühmte. Schon in den frühesten Zeiten trug sich das Volk mit ähnlichen Erzählungen von Teufelsbannungen, wie sie im Faust sich finden. Außerdem daß das ganze Hexenwesen unmittelbar damit zusammenhing, in dem durchaus die mystische Verzückung, aber nicht in die Seligkeiten des Himmels, sondern in den Abgrund der Hölle, auf den Blocksberg oder unter das Hochgericht wiederkehrte, hatte das Volk zu allen Zeiten Menschen, die es im Bunde mit dem Teufel glaubte ...

So hatte jedes Zeitalter gewissermaßen seinen Faust, von jedem wußten die Zeitgenossen irgend etwas Übermenschliches beizubringen, das nur als Emanation des Bösen ihnen begreiflich wurde; alle diese Einzelheiten sammelten sich endlich in dem wahren und dem letzten Faust, der als der Heermeister aller vorhergegangenen Zauberer sich an ihre Spitze stellte und alles vollbrachte, was diese gekonnt, und noch ein mehreres. Faust ist daher gewissermaßen mehr Buch als Person, alles, was von seinen Zauberkünsten die Geschichte seines Lebens erzählt, ist früher viele Jahrhunderte schon als Tradition im Volke umgelaufen, und Fausts Bildnis war gleichsam das Siegel nur, was man auf die Sammlung aller gedrückt. Wirklich ist kaum irgendein Faktum in Fausts Leben, das sich nicht mit einer früheren gleichlautenden Tradition belegen ließe ...

*

Genoveva

Eine schöne, anmutige und lesenswürdige Historie von der unschuldig bedrängten heiligen Pfalzgräfin Genoveva, wie es ihr in Abwesenheit ihres herzlieben Ehegemahls ergangen.

Köln und Nürnberg.

Eine stille, einsame Kapelle in tiefer Waldeseinsamkeit, der Poesie, der Treue und der Ergebung gebaut, um die rund umher eng verschlungenes Dickicht, über der alte Eichen in heißem Sommertages Brand flüsternd sich bewegten, durch deren Zweige gebrochen dann das Licht durchstreift und ein Schattengewölke über die Wände gießt, und spielend an ihnen auf und nieder zittert, während von innen halbdunkle Kühle, erfrischende Stille herrscht und hinten in der Nische das Bild der Heiligen dämmernd und freundlich durch das Gitter blickt, in dem Waldblumen halb welkend niederhängen, und unten auf der Steinstufe der bekannte Alte betend kniet, während Vogelschlag eindringt durch die offene Türe, und Waldgerüche und kühles Luftgesäusel und grüner Schein und Baches Rauschen, und alles feierlich und betend rund umher, bis auf die Wolken, die einzeln wie Pilger, hell in innerem Verlangen erglänzend, auf blauer Himmelsbahn hinwandeln zum Lande der Verheißung, und die Winde, die wie Stumme der Natur nur im Hauche beten: so blickt das Gedicht mit dem bescheidnen kleinen Glockenturme aus des Mittelalters dicht verwachsenem Hain vom fernen, grauen Berg herab, und Jahrhunderte durch läutet das kleine Glöckchen oben fort und fort, zum Trost einladend dem Wandrer zu, daß er zu dem Bilde komme und sich Stärke hole und freudigen Lebensmut. Unter allen den verschiednen Büchern dieser Gattung ist die Genoveva durchaus das geschlossenste und am meisten ausgerundete; stellenweise ganz vollendet, und in seiner anspruchlosen Natürlichkeit unübertrefflich ausgeführt, im ganzen in einem rührend unschuldigen Ton gehalten, kindlich, ungeschmückt, und in sich selbst beschattet und erdunkelnd in heiligem Gefühl. Und so war es denn wert, wie es da ist, zwei treffliche Dichter zu begeistern. Tieck, daß er uns in seinem Gedichte, wie ein Zauberer im Kristalle, die ganze romantische Liebe in einem zarten Luft- und Glut- und Farbengewebe aus einer lichtklaren Morgenröte kunstreich zur Gestalt gebildet zeigt, und der Maler Müller, in seinem Fragmente, die Heilige als eine Hünenjungfrau vom Riesengebirge malt, die mit dem Serpent Golo kämpft, der bald in vielfachen Farben brennend und glühend, sie verführerisch umzüngelt, und sie dann das Schwert ergreift und zürnt:

»Sieh her, her, hab' ein Schwert,
Ha, meines Siegfrieds Schwert!
Will tief ins Herz mir's drücken,
Anlachen dich.
Ich, ich?
Lieber den Teufel als dich!
Entweich', Scheusal, tötest mich,
Hölle sind mir deine Blicke,
Verräterischer, elender Mann,
Lächelst du mich noch einmal an,
So stoß ich zu, so ist's getan.«

Dann aber, wenn er gift- und feuer- und flammensprühend sie und ihr Kind zu vernichten droht, ihm entgegenflammt:

»Lieber erwürgt' ich gleich,
Diesen mit eignen Armen,
Schläng' diese Lock' um sein'n Hals,
Erdrosselt' ihn ohn' Erbarmen,
Als daß ich durch Schand und Schmach
Ihn wollt verfluchen – Erwach',
Henker – ich verlache dich.
Komm, fessel mich, komm, töte mich!
Bring' alle Marter, Feuer und Schwert,
Vertilg' mich heimlich von der Erd,
Der Himmel wird's sehen – hören die Welt,
Mein Siegfried lebt, es lebt mein Held.«

Unendlich bescheiden steht das Volksbuch hinter diesen Efulgurationen der poetischen Kraft, aber in dem ruhigen, stillen, lieblichen Schein, in dem es strahlt, bricht derselbe poetische Geist, nur leise phosphoreszierend, hervor, der in Tiecks und Müllers Werken in lichten Flammen aufbrennt und glüht.

Das Volksbuch ist gearbeitet nach der Schrift des Pater Ceriziers: L'innocence reconnue, das in einem preziösen, geschraubten Tone die Begebenheiten erzählt ... Der teutsche Bearbeiter, indem er das Buch zum Grunde legte, hat eine ganz verständige Auswahl, und zugleich mit ihr den Ton, getroffen, der einer Schrift dieser Art zukommt. So erzählt der Jesuit, wie der Wolf der Genoveva das Schaffell gebracht: »Die fromme Gräfin nahm das Geschenk wohl an; gab aber zugleich dem Wolfe einen Verweis, daß er das Leder gestohlen und den armen Leuten gegeben.« Ein andermal, als Genoveva zufällig im Wasser ihre Runzeln und Magerkeit erblickt, sei ihr die Königin der Engel erschienen und habe sie also angeredet: »Also fein, Genoveva, also fein! Wohl schöne Ursache hast du, dich zu beklagen über einen Verlust, der höchlich zu wünschen ist. Ach, liebe Genoveva, wüßtest du, wie sich mein Sohn verliebe in diese deine schwarzbraune Farb', es würde dir leid sein, daß du einmal bist weiß gewesen« usw. ...

*

Eulenspiegel

Der wiedererstandene Eulenspiegel, das ist wunderbare doch seltsame Historien Till Eulenspiegels, eines Bauern Sohn, gebürtig aus dem Land zu Braunschweig, aus sächsischer Sprache auf gut hochdeutsch verdolmetscht, und jetzt wieder aufs neue mit etlichen Figuren vermehrt und verbessert, sehr kurzweilig zu lesen, samt einer lustigen Zugabe. Jetzund abermal ganz frisch gesotten und recht neu gebacken. Köln und Nürnberg.

 

Echter, vierschrötiger, gediegener Bauernwitz; ein Kapital von Spaß und Scherz, das immerfort in der Nationalbank stehenbleibt, aus der dann jede Generation ihre Interessen zieht; eine wahre Hauspostille des Spaßhaften, die den Seelenjubel und die Freude und die laute Lache im Volke nie versiegen läßt. Das Ganze deutet durch seine rhapsodische Form durchgängig auf ein sukzessives Entstehen in verschiednen Zeiten, und ein Erzeugnis einer ganzen Klasse, die es als Denkmal eines nationellen innern Übermutes und freudigen Mutwillens nach und nach wie einen Scherbenberg zusammentrug, den nun irgendein einzelner vollends ordnete. Was ihm daher die allgemeine Haltung gibt, ist durchaus das immer sich gleichbleibende Gepräge der untern Volksklasse, in der es ursprünglich entstanden war, das man in allen seinen charakteristischen Merkmalen hier wiederfindet, bis auf die Ader von boshafter Tücke hin, die durch den ganzen Charakter Eulenspiegels durchläuft, und die man als den teutschen Bauern eigen allgemein anerkennt. Daher das Massive, Ungeschlachte, für die höheren Stände Unflätige des Witzes, der nur gar zu gern in körperliche Effluvien sich ergießt, obgleich niemals in das eigentlich Obszöne sich verliert. Allein wenn man das anstößig finden wollte, dann bedenke man doch, daß der Scher; des Aristophanes durchgängig von nicht viel mehr sublimierter Art erscheint, und daß das ganze atheniensische Publikum keinen Anstand nahm, von den Götterbildern zu der Bühne hinzueilen, und dort an den bizarren Nuditäten des Dichters sich zu ergötzen. Gerade weil unsere einseitige Kultur uns nach und nach auf eine alberne Ziererei hingetrieben hat, die die Natur verleugnen will, und sich der Wohltaten schämt, die sie von ihr empfängt, weil sich alles gerade eben nicht mit eleganter Sauberkeit abtun läßt; für diese ist eben Eulenspiegel eine sehr gute Gegenwucht und eine ironierende Apostrophe der Verachteten an die Hoffärtigen, die gegen sie fremd und vornehm tun, damit sie sich erinnern, daß sie auch aus Fleisch und Bein gemacht und der Erde angehören. Nicht immer aber verweilt auch der Witz des Buches auf jener untern Stufe, er erhebt sich auch häufig genug in die höhere Sphäre des reinen Scherzes, und der Schwank mit dem Bienenkorbe, mit den zwölf Blinden, denen Eulenspiegel zwölf Gulden gibt, der mit dem Schneiderkonvent, mit den Schneidergesellen auf dem Laden, mit den Hühnern der Bäuerin, der er den Hahn zum Pfande läßt, der mit dem Esel, dem er Hafer zwischen die Blätter eines Buches streut, um ihn lesen zu lehren, sind ehrbar und von gutem Sperlingswitz. Im ganzen Eulenspiegel erscheint der landstreichende Witz personifiziert dargestellt, bei allen Ständen und Gewerben wandelt er umher, und indem er durchaus den Ernst ironisch beim Worte nimmt, geht daraus immer ein verkehrtes Tun und in ihm der Spaß hervor. So treibt er sich durch alle Klassen herum, selbst bei den Fürsten, aber nur auf eine kurze Weile; er will keines einzelnen Menschen sein, sondern er ist allein Schalk auf seine eigne Faust, und daher der eigentliche wahre Volksnarr, im Gegensatz der früher allgemein üblichen Hofnarren. Als solcher ist er daher auch auf unsere Zeit gekommen, und während die Fürsten die Stelle längst als überflüssig erkannt haben, ist das Volk keineswegs derselben Meinung gewesen und hat sich seinen plebejischen Tribun in der Schellenkappe nicht nehmen lassen, und man würde in höchstem Grade unrecht tun, wenn man von dieser Seite irgend gewaltsam störend eingreifen wollte. Man wolle doch nicht die einzige kleine Kapelle einreißen, die der Scherz noch in der großen Menge hat! ...

Von Eulenspiegel selbst sagt man, daß er um 1350 gestorben sei, und zu Mölln bei Lübeck wird sein Grab unter der Linde gezeigt, mit der Eule und dem Spiegel in den Stein eingehauen. Dies Symbol und sein allegorischer Name deuten eben auf seine Unpersönlichkeit, und die Eule, die er zum Embleme führt, ist durchaus physiognomisch richtig zur Bezeichnung seines Charakters, bösartig, katzenmäßig, schadenfroh, fratzenhaft, glühäugig, diebskniffig, gewählt.

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Die Heymonskinder

Schöne Historie von den vier Heymonskindern Adelhart, Ritfart, Writsart und Reinold, samt ihrem Roß Bayard, was sie für ritterliche Taten gegen die Heiden zu Zeiten Caroli magni, König in Frankreich und erstem römischen Kaiser, begangen haben. Dem ist beigefügt das Leben des heiligen Reynoldi, des jüngsten von den vier Gebrüdern, was er für Wunderzeichen und Mirakeln durch Zulassung Gottes getan hat. Köln am Rhein und Nürnberg.

Wie ein Eichbaum stolz und fest steht dies Werk in der Umgebung einer großen historischen Vergangenheit unter den Rittergedichten da. Was die untergegangene Herakleide den Griechen mag gewesen sein, das dies Gedicht der neuern Zeit. Wie Herkules abgebildet wird, fest und grandios, mit gewaltigem torosen Muskelbau, breiter hochgewölbter Brust, aber kleinem Kopfe und niederer Stirn, im Ausdruck einer innern bornierten Intelligenz bei überschwenglicher Lebens- und Muskelkraft, dabei mit der Miene von kecker Ruhe und Sicherheit und der gutmütigen, ehrlichen Herzhaftigkeit, so erscheint Reinold in dem Werke. Wie ein Löwe stark und kühn, trotzig, auffahrend, fest auftretend und zermalmend, wohin er trifft, dabei doch wieder besonnen und in ruhig-bescheidener Haltung; rasch und wild im Ausbruch, dann wieder barmherzig, mitleidig und mild und gerecht; zornig und dann wieder fromm, zutraulich und ehrlich, so durchaus charakterisiert sich der Held von dem Augenblicke an, wo sein Vater ihn entdeckt und er nun ergrimmt zu ihm spricht: »Wenn Ihr mein Vater nicht wäret, ich wollte Euch dermaßen schlagen, daß Ihr müßt liegenbleiben!«, weil er so freundlich an seine Brust und Wangen ihn drückt, daß ihm die Nase blutet, bis zu dem Momente, wo er ihn selbst gefangen auf sein Pferd aufbindet und er ihn dem Karl zuführt, um ihn zu lehren, daß er seine Kinder fange. Und diesem mutigen, kecken Heldenjüngling nun, und bei ihm ein gleiches Heldenpferd, das Roß Bayard, und dabei die gute Klinge Florenberg, überdem noch drei tapfere Brüder und den Vetter Malagis, in allen Künsten der Nigromantia erfahren, diesem Bunde, setzte der Dichter voraus, müsse die Welt nicht widerstehen können. Und als Repräsentant dieser Welt mußte ihm keiner tauglicher sein als der Herr des ganzen Okzidents, Carolus magnus, der, nachdem er die Sachsen bezwungen und den großen Raubstaat der Hunnen zerstört – bald am Nordmeer der Normänner und Dänen wilde Kraft bekämpfte, bald jenseits der Alpen die italienischen Völker überwältigte und dann wieder jenseits der Pyrenäen mit den Sarazenen siegreich rang; dem daher beinahe der ganze Westen gehorchte; um dessen Freundschaft der Osten sich bewarb; der der stolzen Byzanz gegenüber eine okzidentalische Roma gründete und mit dem orientalischen Kaiserreich sich in das Erbe der Römer, die Weltherrschaft, teilte, während beiden gegenüber das geistliche Reich des Papstes wieder in religiöser Einheit sich verband. So ist also das Epos der Kampf jenes Bundes mit diesem Regenten, und mit der höchsten Haltung und Ruhe entwickelt nun das Gedicht diesen Kampf durch sechzehn Jahre hindurch in dem mannigfaltigsten Wechsel der Begebenheiten und mit dem ganzen Zauber der Romantik ausgestattet. Es ist gar nicht zu verkennen, daß dem Dichter Homers Ilias vorgeschwebt; außerdem sind die einzelnen Helden der Iliade nachgebildet, während Reinold in allen seinen Beziehungen, soweit die Fabel es erlaubt, der Hektor des Gedichtes ist, und der alte Heymon der Priamus, erscheint hingegen Karl als Agamemnon, trefflich gehalten, und zwar im teutschen Volksbuche, indem er Hugo von Bourbon tötet, zuerst zornig und hingerissen von fremder, bewußtlos treibender Gewalt; dann wieder königlich und gerecht, indem er großmütig Beleidigungen verzeiht, bis Reinold seinen Sohn Ludwig schlägt, wo er nun, aufgereizt zur Wut, wild und unversöhnlich bis zum Eigensinn, erscheint und diese Unversöhnlichkeit auch da noch fort hauptet, wo die Brüder aus der Gefangenschaft ihn entlassen und am Ende noch gegen das Roß Bayard den tiefen Groll und Haß hinwendet, das als Sühnopfer getötet wird; dabei oft pedantisch beinahe und gotisch befangen, in dem Stile wie das Bilderwerk an Dagoberts Grabe gedacht, im Ornate der Zeit unbehilflich oft, aber scharf und bestimmt gezeichnet. So wunderlich fremd und strenge und dunkel wie der Heerführer ist auch seine Umgebung; die ganze Genossenschaft ein Granitsäulengang, ein trotziger, fester, kecker Heldenadel, wie er den griechischen Fürsten umgab; ergeben ihrem König, aber auch wieder stark und kräftig auf eigenen Füßen stehend, und durchaus in heroischer Individualität scharf und streng gehalten. Der Geist dieser Genossenschaft aber konzentriert sich im Achilles-Roland. Die ganze wunderbare Reizbarkeit eines stolzen, durch und durch mutigen Gemütes; dieser Heroismus im dunkeln, tiefen Impulse einer verhüllten, im innern Menschen wohnenden Macht lebend und daher in seinen Ausbrüchen lyrisch launenhaft erscheinend; dieser reine Sinn für Ehre und Rechtlichkeit in Wort und Tat; diese hohe Exaltation der Liebe und des Hasses; dies reiche Metall im innersten Busen erklingend bei jedem Schwertesschlag; dieser herrische, unbeugsame Charakter, der bis zur wilden Ungezähmtheit früher bei Heymon ging; alles erscheint in wunderbarer Objektivität in diesem Roland dargestellt und erinnert überall an den Helden der alten Zeit, der hier in der allgemeinen Metempsychose in romantisch freien Formen wiederkehrt. Alle höhere Intelligenz aber erscheint durch das ganze Werk als Zauberei, und wie List und Verschlagenheit im Odysseus ihren Repräsentanten fanden, so finden sie ihn hier in dem Schwarzkünstler Malagis, in dem nun wunderbare romantische Feueradern durch das Ganze schießen, in der Szene z. B. auf der Brücke, wo die beiden Bettler einen goldenen Becher mit Edelsteinen besetzt zwischen sich stehen haben, in dem Malagis einen köstlichen Zaubertrank von dem allerköstlichsten Wein und allerlei Kräutern und Spezereien bereitet, und der König nun ein Schnittlein begehrt, weil der Papst zu Rom die Messe darüber gelesen und er Entledigung seiner Sünden hofft, und dann die Knechte mit gefalteten Händen kommen und auch Schnittlein zu sich nehmen. Dann wieder das seltsam Humoristische in der Szene, wo Malagis dem Könige aufwartet und dieser ihm ein Bißlein von einem Pfauen in den Mund stecken will und er ihn nun in den Daumen beißt, also hart, aus Rache, daß er vorher mit dem Fuße ihn gestoßen. Und so erscheint das Ganze dann wie ein großer Basaltsäulenweg, ein Riesendamm über die Wogen der Zeit mit den scharfen Kristallen hervorbrechend, aus einer großen eisernen Geschichte heraus, wo das Leben ganz hinter das Metall zurückgetreten ist und der Held in der Rüstung nun wie ein großes Naturwerk fest und unerschütterlich dasteht.

Was wir bisher von diesem Gedichte ausgesagt, ist zwar im allgemeinen von dem teutschen abgezogen; es gilt aber auch vom französischen, obgleich dies bedeutend in der Handlung und der Natur der Begebenheiten abweicht von jenem. Auch in Frankreich ist nämlich das schöne Kunstwerk zum allgemein gelesenen Volksbuch geworden ...

Ein Wesen und eine Seele wohnt dem Gedichte in einer und der andern Sprache inne; aber dies Wesen hat in der freien Bearbeitung vielleicht dem Charakter der beiden Nationen sich gefügt und ist daher bei den Franzosen zusammenhängender, korrekter, mehr gerundet und in redseliger Begeisterung geboren, erscheint aber dafür in etwas monoton und geschwätzig konversierend, während es im Teutschen minder gelenk und gefügig geworden ist, derber und in der Form mehr ungeschickt; dafür aber, was es im Allgemeinen eingebüßt, im Besonderen wieder gewonnen hat, durch die geniale kecke Ungebundenheit, die die Kunst mit festem Arm erfaßt und sicher und geübt das Rechte immerfort ergreift. Beiden hat ein älteres Gedicht zugrunde gelegen, aus dem sie geschöpft, und das in ihnen sich ebenso in zwei verschiedene Richtungen entschied wie die beiden Nationen, die in Karl verbunden waren, sich in der Folge der Zeiten geschieden haben. Man gibt gewöhnlich den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts als den Zeitpunkt an, in dem die Heymonskinder gedichtet worden seien; indessen möchte ihre Entstehung wohl in einer noch entfernteren Zeit gesucht werden müssen ...

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Epilog

Werfen wir einen Blick auf die ganze Masse der Erscheinungen zurück, die wir an uns vorübergehen sahen, dann drängt ein eigenes wunderbares Gefühl sich in uns hervor. In unabsehbarer langer Reihe geordnet stehen die Jahrhunderte, die nächsten mit uns genau befreundet, in Haltung und Gestalt wie wir beschaffen, unsere eigene Sprache uns verständlich sprechend; die ferneren immer seltsamer, immer wunderbarer, immer unverständlicher und geheimnisvoller; in die Weite eingeschleiert, wollen ihre Züge sich nicht erfassen lassen, und die fremden Laute, die von ihnen herübertönen, verklingen und verschweben in die Weite: bei den fernsten aber ist die Form in das Wunder aufgelöst, und sie sprechen in dunkeln Hieroglyphen von der Ewigkeit, wie die Elemente sprechen, sinnvoll und bedeutend, aber nicht mit Menschenzungen, nicht mit artikulierten Tönen. Wie Windeswehen, wie Kindeslallen ist ihr Reden, das Ohr horcht den wundersamen Klängen, aber dem innern Sinne ist ihr Verständnis nur gegeben. So kreisen sie jenseits, die Gestalten der Vergangenheit, diesseits aber treiben wir selbst in der Gegenwart uns um, und dazwischen ist der bunte Teppich des Lebens ausgespannt, und eilt vorwärts, von der Zeit getrieben, wie der Farbenbogen auf der Regenwolke, und kaum, daß wir aufgeblickt, sind wir auch jenseits unter den schwebenden Gestalten, und ein anderes Geschlecht spielt außen im Sonnenschein. Aber es geht ein rascher wunder- und zaubervoller Odem durch die Zeiten durch, gleich den unterirdischen Windeszügen, die kühl und frisch und immer wach aus dunkeln Höhlen brechen; vor sich treibt er seines Hauches Spiel, geheimnisvolle Blätter, her, denen die vergangenen Geschlechter ihre Weisheit und des Herzens Gefühle und der Andacht stille Begeisterung anvertraut und des Lebens ernste Regel, und wie die Geschlechter vorüberziehen und in Erde sich verhüllen, grünt immer von neuem die Palme mit den Blättern wieder, und wenn die neue Gegenwart dann aus der Erde steigt, sind die Hieroglyphen reif geworden; das dunkelkühle Sausen löst sie von den Zweigen ab und treibt sie still vor sich an der Erde hin; das ganze Geschlecht aber sammelt die Zauberschriften und erkennt geliebte Züge wieder; in innerer Brust werden dann Geisterstimmen wach, und in leisem Geflüster sprechen sie mit der Vergangenheit, die vernehmlich antwortet in den Zügen, und aus der Erde hinauf in die Erde hinab wechseln die Generationen bedeutend stumme Worte, und das Fernste ist nun nicht mehr zerflossen und nebelnd und in den Schatten erdunkelt; wie die Zeit unsterblich, so sind es die Zeiten auch geworden, wie wäre die Welt so arm, wenn jedes Sein am Kommenden rein gestorben wäre; wenn der Engel des Lebens mit dem Tode nicht zugleich umwandelte und das Köstlichste ewig jung erhielte! Es ist eine herrliche Gabe, daß, während das Leben unaufhaltsam forteilt und in wirbelndem Schwunge den Staub immer neugestaltet, ihm vergönnt wurde, immer das Beste des Erstrebten mit hinüberzunehmen in den neuen Zustand und mit dem Erworbenen zu wuchern in der Zukunft ...

Das sind Betrachtungen, die alle Geschichte in uns weckt ...

Wie mit dem Verlaufe der Geschichte die Kultur sich mehr nach Westen zog, ziehen sich auch die Kreise enger um unsere Zeit zusammen: vorzüglich aber das Mittelalter ist die Periode, wo die Gestalten sich am dichtesten aneinanderdrängen, wo hauptsächlich die Stiftung gegründet wurde, von der die gegenwärtige Generation noch die Zinsen zieht. Welch eine wunderseltsame Zeit ist nicht dies Mittelalter, wie glühte nicht in ihm die Erde liebeswarm und lebenstrunken auf; wie waren die Völker nicht kräftige junge Stämme noch, nichts welkes, nichts kränkelndes, alles saftig, frisch und voll, alle Pulse rege schlagend, alle Quellen rasch aufsprudelnd, alles bis in die Extreme hin lebendig! ... Die alten Götter waren gestorben, wie das Laub gefallen war, und wie Grabeshügel lagen die Schutthaufen ihrer Tempel weit umher, und über Tod und Grab erhaben und über Endlichkeit und Zeitlichkeit war siegreich ein anderer Gott hervorgegangen; er hatte den letzten Atem der Sterbenden aufgeatmet, und alle irdischen Lichter waren in seinem Glanz zerronnen, und das Leben war zu seiner ersten Quelle zurückgegangen; wie es aber durchbrach durch des Grabes Nacht und glorreich gegen Himmel fuhr, da brachte es die neue Zeit aus der Tiefe mit herauf, Elysium und die Unterwelt entwichen von der Erde, die keinen Raum mehr für sie hatte, und die schöne freudige alte Sinnlichkeit war nun gebrochen und die Freundschaft des Menschen mit den Elementen aufgehoben, es war Feindschaft zwischen ihm und der Natur geworden, und er sollte der Schlange den Kopf zertreten. Denn es waren andere Geister in ihm aufgestanden, die ein anderes wollten als die Sinnenfreuden; es waren Flammen in ihm aufgelodert, die das Irdische verzehren wollten, um Höheres zu erlangen, und hohl von innen schwand die sinnliche Natur in sich zusammen; die plastische Fülle magerte mißgestaltet ab, aber auf den Ruinen der irdischen Herrlichkeit wandelten die freudigen Geister, die das Werk der eigenen Hinopferung vollbracht, die sich selbst, ihr Leibliches und alle Lust der Welt dem Ewigen zur Sühne hingeschlachtet und triumphierend nun über den Gluten des Scheiterhaufens schwebten, auf den sie selbst freiwillig sich hingelegt. So hatte der Funken, den der alte Prometheus vom Himmel in der Ferula hinweggenommen, des Stengels Mark verzehrt und wollte nun, leise um die Asche flatternd, sich wieder von der Fessel reißen, in die ihn der Titan gelegt, und wiederkehren zu der Heimat, der ihn die übermütige Kraft entführt.

Das war der Genius, den die neue Religion in die Welt geboren, und er traf nicht auf ein ermattetes Geschlecht; lebendige Sinne hatten diese Menschen, um das Sinnliche zu genießen, und es galt schweren Kampf zwischen den beiden Welten, bis die höhere siegte. Und das eben macht die Zeiten so unendlich interessant und rührend, diese starken Naturen demütig, fromm und hingegeben dem Heiligen zu sehen: denn es ist kein erfreulicher Anblick, wenn die Ohnmacht und die Schwäche gebeugt in kraftloser Andacht verschwimmen; aber wenn die Stärke sich selber zwingt, wenn das Kolossale den Nacken von Erz und die geharnischten Knie beugt; wenn die Gewalten, die berufen sind, aufrecht und stolz wie Götter über die Erde hin zu gehen, freiwillig dem Unsichtbaren ohne Heuchelei sich neigen, dann ist's ein freudiger Triumph der Idealität im Menschen und ein schöner Sieg des Göttlichen ... Und es ging noch ein anderer Kultus und eine andere Andacht in den Heldengemütern hervor: auch das Schöne hatte seine Kirche, vor dem zarten, anmutsvollen Bilde beugte die Gemeinde auch die Knie, und der Weihrauch dampfte, und die Blumenkränze dufteten, und die Lauten tönten, und die ewige Lampe brannte fort und fort. Die alte, strenge, klare, lichte, plastische Weiblichkeit war im Liebesfeuer zerronnen, und ein Heiligenschein war hervorgequollen und umfing nun das Wunderbild, und die Züge wichen in ein mystisch glimmend Licht zurück, und wie mildes Öl floß von ihm die Anmut aus und sänftigte die Stürme der Zeit. So gingen Andacht, Liebe, Heldensinn in einen großen Strom zusammen, und der Strom ging durch alle Gemüter durch und befruchtete die reiche Sinnlichkeit, und es erblühte der neue Garten der Poesie, das Eden der Romantik. Es war unterdessen aber auch tief im Süden ein anderer Geist und ein ander Gesetz gereift ... Und die Quellen der Poesie, die im Orient sprangen, und jene, die im Okzident und im Norden entquollen waren, hatten sich gemischt, und der Orientalismus war tief eingedrungen in die nordische Kultur; der Blütenstaub der südlichen Poesie ward hinübergeweht in die westliche Welt, und es sprangen seltsame Mischlinge hervor, und es wanderten die Blumen von Süden hinauf, wie früher die Völker von Norden hinuntergewandert waren. Ein üppig Quellen und ein rasches Streben riß daher alles in dem frohen Rausche hin, das ganze Gemüt war aufgeregt und glühte und schimmerte, und die Kunst war ins Herz des Lebens aufgenommen ... Alle europäischen Nationen aber nahmen teil an diesem Lebensfeste, alle vereinigte ein einig Band, der gleiche Trieb begeisterte ein jeglich Volk, und es war nur eine Erde und zwei Geschlechter auf dieser Erde... Tief im Norden aber, wo der Himmelsdrache den Scheitel eng umkreist, war der dunkle Bogen aufgestiegen, und es schossen da und dort Blitzlichter heraus, und die Dunkelheit sog sie wieder ein und sandte neue, stärkere hervor; und die Lichtsäulen stiegen zu den Sternen auf; und eng durchwebte mit den Strahlenschüssen sich der Himmel, und die fahrenden Lichter zischten, und Geister sausten, und ein unerklärbar Getöne zog durch die Lüfte, wie Pfeilgeprassel und Helmgeklirr, und es öffnete sich der mitternächtlich dunkle Bogen, und es stand im lichten Glanz ein neuer Götterhimmel. Die Feuerbrücke, und an ihr die Himmelsburg, Thors vielgewölbte Halle, die Elfenwelt, Asgard, wo in goldenen und silbernen Palästen die ewigen Götter und die Göttinnen wohnen, und Walhalla, von Gold gebaut, unabsehbar groß, mit fünfhundertvierzig Toren, mit Lanzenschäften getäfelt, mit goldenen Schilden gedeckt, wo Odin mit den gefallenen Helden schmaust; Ymer, aus dessen Fleisch die Erde geschaffen, aus dem Gehirne der Himmel, aus den Knochen die Felsen, und die Eisriesen, von Schnee und Reif zusammengeronnen, in der Ferne kämpfend; die Nornen, die das Schicksal regeln, aus dem Wunderborne steigend. Und die Wolen zogen weissagend um, und die Walküren webten in dem Hügel das Gewebe der Schlacht mit Gedärmen der Menschen, von Männerschädeln die Fäden gezogen, blutige Lanzen die Tritte, Pfeile die Schiffchen, mit Schwertern wird das Todesgewebe geschlagen, und schnell fliegen sie dann auf eilenden Rossen hinweg. Oben am Pole aber zuckt an dem Hamen des gewaltigen Donnerers die giftige midgardische Schlange, und dazwischen tönen Skaldengesänge und Totengesänge und feiernder Hymnen Schall. So hatten denn die Wechselchöre von allen Seiten her Teutschland umzogen; es konnte nicht stumm bleiben in dem lauten, sangvollen Leben: von allen Gebirgen riefen sie in Strophen und Gegenstrophen antwortend einander zu; was klangbar nur in ihm war, mußte wohl sich regen, es mußte resonieren bei so vielfältiger Berührung. Der alte inländische Bardengesang war mit dem Eindringen des Christentums verhallt; es erwachte bald ein anderer Dichterkreis; am Rheine und in Schwaben, der Provence von Teutschland, wurden die ersten Stimmen laut, es zündete Stimme sich an Stimme an, durch Franken, Thüringen, Sachsen bis nach Österreich rauschte bald der Gesang dahin. Die Minnesänger waren aufgestanden, und es war die weiße Rose, die ihnen blühte, während die Purpurrose sich in den Troubadours entfaltete. Schuldlos, einfach, herzlich, zart und innig war die Liebe, die sie sangen; würdig, ernst und brav und edel der Ton, in dem sie Taten priesen und Männerstreben; der Geist des Volkes redete aus ihnen. Es hatte die Nation, nachdem sie eifrig für ihre alten Götter und ihren alten Glauben gekämpft, die neue Religion in ihre gotischen Tempel aufgenommen, und der geheimnisvolle Geist, der unter den hochgewölbten fallen webte, hatte sich herabgelassen auf die Betenden und war eingedrungen in die stillen ruhigen Gemüter, und sie waren auch Tempel ihm geworden, und in die Dämmerung goß er seine Strahlen aus. «Es war die Gemeinde fromm im Glauben, aber keck und frei im Leben, weil Sinn und Lebensmut sie trieb. «Eine sonderbare Verfassung hatte sie sich zugebildet, verschränkter, durcheinandergewundener Arabeskengeist; ein seltsam sprossend, rankend Geschlinge vielfach verschiedener Formen, jede fleißig bis ins einzelne ausgeschnitzt, nirgend Monotonie und herrschende Übermacht, das Ganze in freier Willkür erfunden und kunstreich zusammengesetzt. Unabhängiger Sinn war herrschendes Prinzip in der ganzen Konstruktion; während die Ritter daher auf ihren Burgen hausten und Ritterwerk und Kriegsspiel übten, hatte in den Reichsstädten auch ein Rittertum der Bürgerlichkeit sich gebildet, und es war ein schönes rasches Leben in diesen nordischen Republiken, ähnlich dem, wie es früher in den griechischen bestanden hatte und gleichzeitig in den italienischen Freistädten bestand. Mutiger Sinn für Recht und Ehre trieb diese Heldenbürger, wie Inseln waren ihre Städte reich und blühend über das stürmische Meer der Zeit hervorgetreten, und sie hatten ein Vaterland in ihnen zu bewahren. Jede hatte daher eine Geschichte und ein Ahnenreich gewonnen; kühn kämpften sie jeder Übermacht entgegen, römischer Geist der bessern Zeit trat in Kriegesläuften, nichts Seltenes, hervor, und in ruhiger Zeit pflegten sie gleich sorgsam alle Friedenskünste, und wie die Hansestädte mit echter, vielleicht ausgestorbener, Genialität den Handel trieben und einen mächtigen Bundesstaat bildeten, so waren die Binnenstädte die unmittelbaren Organe des innern Verkehrs, des Kreislaufs und der Assimilation. Selbst der Bauernstand hatte etwas später in der Schweiz Ritterehre sich erkämpft; eine Hirtenrepublik hatte auf ihren Gebirgen sich gebildet, und wenn auch vielleicht ihr Streben für die Poesie unmittelbar verloren war, so war es das doch keineswegs für die Poesie des Lebens. Und auch die Fürsten blieben bei dem allgemeinen Wetteifer nicht zurück; man weiß, wie die Kunstgeschichte teutsche Kaiser und Fürsten jeder Art unter den Sängern dieser Zeit aufführt. Und so mußte denn in diesen Tagen, wo die Nation noch nicht unter fortdauernden Kriegsplünderungen und Friedensdruck verarmt, mit dem Wohlstand auch eine eigene selbständige Poesie erblühen: es war die Begeisterung der Natur in dem Lande noch nicht erloschen, sie konnte die teutschen Weine treiben in der Begeisterung, die erwärmend die Kunst anregt, mochte nichts Schlechteres reifen. Während daher die Minnesänger in lyrischem Enthusiasmus die Liebe sangen und des Gemütes Sehnen, und leicht wie den Federball das leichte Wort handhabten, und in zierlich schönen Bogen und reizend gefälligen Formen hin und zurück, sinkend und steigend durch die Lüfte trieben, sangen der Aventüre Meister in größeren Gesängen die epische Kraft, die wie eine Gottheit verborgen in tiefer Menschenbrust wohnt, und Tat mit Tat, wie die Natur Welt mit Welt verkettet, bis um den Menschen her sich das Leben wie eine romantische Wildnis zugezogen hat. Und sie boten dem allgemeinen Verein zuerst, was unmittelbar auf ihrem Boden sich erzeugt, das Nibelungenlied, jenes große Gedicht, wahrscheinlich in naher Berührung mit der nordischen Heldenmythe hervorgegangen, die der Normänner Züge bis nach Italien hinunter frühe schon verbreitet hatten, und die gerade um diese Zeit, im zwölften und dreizehnten Jahrhundert, Saemund und Snorre in der Voluspa, der Heimskringla, Edda, Rymbegla und so vielen andern Dämosagen sammelten. Ein großes Denkmal hat sich die große Zeit in diesem Werk gebaut, nicht in Marmor rein und in allen Umrissen plastisch vollendet, wie die Ilias, ist das Gedicht gedichtet, sondern eine Rune in festen Granit gedacht, als ob ein ganzes Gebirge, der Athos, zur Bildsäule gebildet wäre und, zum Male einer mächtigen riesenhaften Vergangenheit aufgerichtet, durch den ganzen Weltteil herrschte und durch die ewige unergründlich tiefe Zeit. Und es war das Heldenbuch hervorgegangen, die Gigantomachie der gotischen, vielleicht langobardischen Periode; es hatte in ihm die Poesie den Seidenfaden um ihren Zaubergarten hergezogen, und es freute sich die Nation der rüstigen Kämpfer, die kamen, um ihr die Kränze abzugewinnen. Und viel waren derer, die um die Kränze rangen, was die Zeit nur von poetischem Stoffe aus den Tiefen des Gemüts heraufgeworfen hatte, das faßten diese auf und eigneten es dem Geiste ihres Volkes an, und sangen es in teutscher Zunge wieder. Die Engländer boten ihren Artus mit der Tafelrunde, sie und die Franzosen hatten in ihm einen Dichterkreis geöffnet, und die Teutschen schlossen in ihren Gebilden ihn wieder. So war der herrliche Titurel unter Albrechts von Halberstadt Pflege hervorgegangen; so der wundersam verschlungene, abenteuerreiche, thumbe Parzival des Wolfram von Eschenbach; so der taten- und zaubervolle Löwenritter des Hartmann von der Aue, Lancelot vom See von Ulrich von Zezinchoven, der Wigolais des Wirich von Grauenberg, Daniel von Blumenthal und so manche andere, die untergegangen sind. Die Franzosen und die Italiener aber hatten den Kreis von Karl dem Großen und seinen Genossen gegründet, und die Teutschen nahmen davon Rolands Taten in ihrem Stricker und Reinold und Malagis und Ogier von Dänemark auf. Und während von andern Helden Rudolf von Montfort und Ulrich von Türheim und Konrad von Würzburg und viele außer ihnen in kräftiger, derber, mannhafter Sprache sangen, dichtete Gottfried von Straßburg nach bretonischen Mären den galanten, zierlichen Tristan, und es gestaltete sich die heroisch kindliche Idylle Flore und Blancheflore, und Lothar und Maller, das schöne Bild treuer Ritterfreundschaft, und im Freidank und im Renner und dem Welschen Gaste und dem Windsbeck und der Windsbeckin und vielen andern hatte die Nation ihre Gnomen und didaktische Poesie niedergelegt. So war mit kräftiger, nahrhafter Lebensprosa geistreiche und begeistigende Poesie verbunden, und wie Wetterleuchten schlug dann durch das alles der mutwillige, kecke Scherz hindurch. Zünftig war der Witz in den Hofnarren geworden, die Zeit hatte den Fürsten den erhaben geschliffnen Spiegel zugegeben, aus dem ihr verkleinertes und verschobenes Bild spöttisch sie anlachte, und was unter der Schellenkappe der freie Geist gestaltete, war als ein bewußtloses Naturprodukt anerkannt. Und dramatisch hatte dieser Geist in den vielen seltsamen, barocken Festen den Narren- und Eselsfeiern sich offenbart, und es hatte darin die Zeit, die nichts, was natürlich und menschlich, zu unterdrücken wußte, auch dem Harlekin im Menschen freien Lauf gelassen, und er sprang mit raschen Sätzen vor und trieb sein loses Spiel mit allem, was auf Ehrwürden Anspruch machen wollte. Er brachte zum Dank dafür die zahllosen Schwanke und komischen Erzählungen und in einer Anwandlung von Bitterkeit und Ernst auch selbst Reineke Fuchs, jenes große Weltpanorama, mit, und alle sind als ein Vermächtnis dieser Jahrhunderte bis auf uns gekommen. Keine Menschenkraft war auf diese Weise stumm geblieben, alle sprachen, alle rangen im gemeinsamen Wetteifer, wie die Sänger auf der Wartburg, im Angesicht der Nationen; und es war ein großer kunstreich verschlungener Tanz, in dem sich die ganze Generation bewegte, und in eine schöne wundersame Arabeske war das Geschlecht verwachsen unten mit dem Blumenreich und oben mit dem Himmelreich, und es sangen alle Vögel in den Zweigen, und die Kinder spielten in den Blumen, und es rührten schöne Frauen die Laute in den Schirmen, und es hasteten geharnischte Ritter durch das Dickicht und kämpften mit Serpenten, und Eremiten knieten betend, und auf bunten Libellen trieben die Scherze sich umher, es gingen Löwen stolz und freudig an der Minne Zügel, und das ganze Gewächs tränkte Himmelstau und der Erde Mark, in dem sich auch die Rebe nährt...

Aus dem Zeitalter, das wir priesen, sind die Volksbücher meist hervorgegangen, mit deren Anschauung wir uns beschäftigt haben; was wir über sein Wesen ausgesprochen, gilt auch von ihnen, die sie Kinder sind von dieser Zeit und noch stehende Ruinen. Es war die ganze Masse der Nation so bis ins Innerste erregt, daß bis zu den untersten Klassen die Begeisterung drang, und wenn die große Menge einmal schwankend sich bewegt, dann legen sich sobald nicht die Wellenschläge wieder: bis heute sind jene Gesangeswelten dem Volke nicht zergangen, während zu ihrer Schande jene, die sich die Gelehrten nennen, rein das Andenken verloren hatten an die ganze Zauberwelt, in der ihre Vorfahren gewandelt waren. Und so reich war diese Welt, daß nicht die Vornehmen bloß reiche, zierliche Kleider zu ihrem Anteil bekommen hatten und schöne, goldgestickte Wat, in dem sie prangen mochten; auch der Gemeinste im Volke erhielt ein weißes reines Gewand zum Feierkleid, und man muß dem Volke Zeugnis geben, daß es die Gabe wohlbewahrt, sorgfältig sie in seine Schränke eingeschlossen, und noch jetzt ihrer an seltnen Tagen sich erfreut; während die höheren Stände alle ihre Pracht sündlich versäumt und hingegeben haben, weil sie immer nur der Mode frönend kein Herz für den alten Plunder haben konnten. So hat die alte Zeit verbannt beim Volke sich verbergen müssen und das Volk ist rein auch allein vom Schimpfe der bösen Zeiten geblieben, die sie verdrängten. Wollt ihr sie suchen, die Verwiesenen, ihr müßt sie beim Volke suchen, wo sie noch im Leben gehen, und im Staube der Bibliotheken, wo sie schon viele Jahrhunderte den Winterschlaf gehalten haben! Wecken wir sie denn aus dem langen Schlummer auf, sie werden Wunder staunen, in welchem Zustand sie die Enkel finden; die kleine Schamröte mögen wir immerhin über uns ergehen lassen. Und wenn sie denn nun wachen, und wenn sie unserer sich angenommen haben: dann ums Himmels willen! laßt uns das alte Affenspiel nicht wieder auch mit ihnen treiben und wie Knaben hinter ihnen ziehen und grimassierend, voll Affektation und hohlem, taubem Enthusiasmus ihre Haltung und ihr Gebärdenspiel und alles ihnen nachstümpern, daß es ein kläglicher Anblick für Götter und Menschen ist. Ernst und würdig sind die Gestalten, zu edel für eine solche Mummerei; wenn wir sie dafür mißbrauchen wollen, dann lassen wir sie lieber unten schlafen. Nimmer läßt sich, was eigentümlich einer Zeit und einer Bildungsstufe ist, in einer andern unmittelbar objektiv erreichen, Es kann wohl das Genie das Vergangene eben auch zum Objekte seiner bildenden Tätigkeit erwählen, es wird alsdann das Wesen des Alten in die Form des Neuen umgebildet oder auch hinwiederum das Wesen des Neuen in die alte Form übertragen, und es entsteht eine halbschlägige Natur, die aber immer ihre innerste Wurzel in der Gegenwart hat. Das aber ist's nicht, was vor der Hand uns noch not tut, nicht daß wir das Alte umbilden nach uns selbst, wird an uns gefordert, sondern daß wir uns in etwas nach dem Alten bildeten; daß wir an ihm aus der Zerflossenheit uns sammelten, in der wir zerronnen sind; daß wir einen Kern in uns selbst gestalten und einen festen Widerhalt, damit in uns nicht das eigene Selbst fernerhin verloren bleibt, das wird uns angemutet, Ernst sollen wir und Würde von diesen ernsten Gestalten lernen, die uns beide so unendlich im Leben fehlen: im Vertrauen auf uns selbst sollen wir unsere Eigentümlichkeit ausarbeiten, wie sie die ihrige ausgearbeitet haben, aber wir selbst aus unserm eignen innern Lebensgrund hervor, nicht wie dummes Blei uns abermal in ihre Formen umgießen lassen; in unser Inneres sollen wir einkehren und dort, wo's beim Anschlagen so hohl und hölzern klingt, wieder Natur und Innigkeit und gediegene Festigkeit zurückrufen; jenes unmäßigen Affengenies sollen wir in ihrem Angesicht uns schämen und unserer leeren Ziererei, unseres prahlerischen Renommierens: dann werden auch die Götter gnädig sein und bessere Zeiten senden.


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