Joseph Görres
Eine Auswahl aus seinen Schriften
Joseph Görres

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Der religiöse Denker

Glauben und Wissen

Aus dem Überschwenglichen, Unnennbaren tritt die Gottheit hinaus ins Sein, indem sie den Akt des Selbstbewußtseins übt. Aus der unergründlichen Beschlossenheit ihres Wesens geht sie in der Glorie ihrer Herrlichkeit hervor, indem sie ihre Machtvollkommenheit sich selber offenbart. In der Gottheit, die sich selber denkend setzt, ist alle Existenz gesetzt, und in der höchsten, einzig ihrer würdigen Idee, die die Gottheit denken kann, ist das All zur Existenz gekommen, und alles Dasein ist in ihr geworden. Der Akt des göttlichen Selbstbewußtseins ist daher zugleich der Schöpfungsakt.

Wenn die Gottheit aber sich selber erkennen soll, dann muß sie sich selbst als Erkennendem ein Erkanntes gegenübersetzen; über dem Akte ist sie in ihrem Wesen eins, im Schaffen und einzig für das Schaffen reißen sich die höchsten Gegensätze, die in den Tiefen der Gottheit aufgehoben liegen, voneinander los und treten als entgegengesetzte Geschlechter einander gegenüber, und das Geheimnis dieser Trennung und der Wiedervereinigung der Getrennten in einem ursprünglichen Zeugungsakt, der eins ist mit dem Selbstbewußtseinsakt, ist das Geheimnis der Schöpfung, in der die Gottheit sich im All als ihrem Ebenbilde schaut, indem sie den höchsten göttlichen Gedanken denkt, den sie sich selber zeugend eingebärt.

Die Schöpfung wird daher mit dem Ausfluß des göttlichen Wesens in weiblicher Form beginnen, während das, von dem es ausgegangen ist, alsdann in männlicher Form erscheint, und wie beide ineinander aufgelöst im Medium des Überschwenglichen ohne Zeugung das Wesen der Gottheit bilden: so werden sie geschieden aus dem göttlichen Menstruum zwar gemeinschaftlich von jenem Wesen beschlossen handeln, aber jedes für sich seine eigene Wesenheit besitzen und insofern nur eine Seite des Urwesens darstellen; während das geschaffene Ebenbild, das sie miteinander in Wechselwirkung setzen, dies Wesen ganz, obgleich durch Entzweiung getrübt, wie es in seinem Schaffen sich manifestiert, in der Sphäre des Realen seiner Anschauung reflektieren soll.

Das Weibliche, das aus dem Wesen der Gottheit ausgeflossen ist, das Erkannte im göttlichen Selbstbewußtsein, wird die reine Passivität, die im Wesen der Gottheit ist, repräsentieren; das Negative, gänzlich und durchaus frei von allem Zusatz des positiven, wird in ihm wirksam sein; alle negativen Faktoren, die eingehen in die göttliche Idee, in eine und dieselbe Totalität geflossen, innere Gesetzmäßigkeit, Notwendigkeit, Gerechtigkeit, werden seinen Charakter bilden; das leidend schaffende Vermögen, das der freien Kraft den Widerstand bietet, gegen den sie kämpfend in die gemeinschaftliche Schöpfung sich ergießt, die ursprüngliche Eduktivität, erscheint in ihm dargestellt. Das alte Schicksal, das als negativ im Ewigen herrschende Kraft die letzte Grenze des weiblichen Glaubens ist, drückt das Weibliche in der Gottheit am nächsten aus.

Diesem Weiblichen gegenüber wird ein Männliches erscheinen, das Erkennende, das eingeht in den göttlichen Selbstbewußtseinsakt, das relativ tätige Prinzip; das reine Energische, ganz und durchaus frei von allem Zusatz irgendeines Negativen, wird in ihm herrschend sein, alle positiven Prädikate, die die Gottheit in sich begreift, Allwissenheit, Allmacht, Alliebe, werden, in eine Totalität vereint, seinen Charakter bilden; das freie schaffende Vermögen, die ursprüngliche Produktivität ist in ihm repräsentiert. Diese Männlichkeit wird durch die Benennung der Vorsehung in der Sprache ausgedrückt, die als positiv im Absoluten herrschende Kraft die letzte Grenze des männlichen Willens ist.

In Vorsehung und Schicksal entzweit sich daher die Gottheit, indem sie sich selbst erkennt, und zum Behufe des Erkennens. Eine urkräftige Energie bricht aus ihrem Schoß hervor, eine grenzenlose Wirksamkeit dringt aus den Tiefen der göttlichen Natur heraus, aber nur ein absolutes Streben nach Schaffen ist dieses Wirken, eine stofflose Kraft ringt in ihr nach einem würdigen Gegenstande, an dem sie sich tätig äußern könne. Und ein zweiter Strom ergießt dem ersten sich entgegen, einen formlosen Stoff strömt die Gottheit aus den Abgründen ihrer Wesenheit hervor, und in der Unform ist ein ewiger Drang nach Form, und in der Kraft liegt ein unergründlich tiefes Sehnen nach dem belebenden Prinzip und ein Verlangen, daß dieses sie durchdringe und eins werde mit ihr und ihr die Form eingebäre. Aber Wirken und Gegenwirken, Streben und Sehnen, Bilden und Bildsamkeit sind von derselben Überschwenglichkeit umfangen. Mit dem göttlichen Selbstbewußtsein werden sie geschieden, und mit der Scheidung ist in demselben Moment auch die Wiedervereinigung gesetzt, und das Geschiedene sucht durch die endlose Kette von Schöpfungen, durch die Metamorphose des Alls die verlorene Einheit wieder auf, und wie die göttlichen Ströme im Schoße des Unnennbaren gegeneinander rauschen und das väterliche Prinzip und das Mütterliche in der erhabenen göttlichen Idee in Umarmung sich begegnen, geht als reeller Ausdruck der höchsten Persönlichkeit das große All hervor.

Das Männliche, das bei der Schöpfung tätig wirkt, ist das erste, das Weibliche das zweite, beide gleich göttlich, beide ineinander und durcheinander und miteinander; aber das dritte ist unter ihnen: es ist ein geschaffener Gott, der zwar gleichfalls im Überschwenglichen wohnt, aber nicht durch sich selbst, sondern durch den göttlichen Selbstbewußtseinsakt geworden ist, und daher dem höchsten Gotte sich unterordnet und als Geschaffenes das Ebenbild des Schaffenden im Gebiete des Seins repräsentiert. Aber der Akt, der ihm sein Dasein gibt, ist ein zugleich absolut freier und ewig notwendiger; die Gottheit ist frei, schaffend ihr eigenes Wesen sich selber zu offenbaren, allein sie ist, insofern sie denkt, notwendig an diese Manifestation] gebunden, und Freiheit und Zwang lösen sich in eine und dieselbe Identität der überschwenglichen Selbstbestimmung auf. Und wieder, die Gottheit ist frei, das Geschaffene durch Absorbtion in ihr eigenes Wesen aufzunehmen, und dies hat als vollkommenes Ebenbild gleiche Absolutheit und Ewigkeit mit ihr, nur daß hier Absolutheit und Ewigkeit sich einander wechselseitig binden. Der Schöpfungsakt und der Absorbtionsakt sind daher beide gleich sehr an den göttlichen Selbstbewußtseinsakt, und dieser an das Wesen der Gottheit selbst gebunden; beide sind keine äußere Veränderung dieses Wesens, sondern nur gleichsam ein inneres schöpferisches Gären, ohne sichtlichen Wechsel des wandellosen göttlichen Wesens. Bildlich zersetzt sich daher der Mittelpunkt des Überschwenglichen in zwei Brennpunkte, und der unendliche Kreis des Unnennbaren wird in der unendlichen Ellipse, der Eiform der Wirklichkeit objektiv.

Der Gedanke, den die Gottheit im Schöpfungsakte sich selber denkend denkt, der gegenbildliche, der geschaffene Gott, in dem sie sich anschaut, erscheint, insofern er in unmittelbarer Beziehung zu dem Denkenden steht, als Dreifaltigkeit, die daher als Abbild des schaffenden Gottes das All erfüllt. Die Heilige Trias ist die Projektion des obersten Gottes in die Wirklichkeit, die höchste Emanation des Unerforschlichen in seiner ganzen Totalität, der in die selige Betrachtung seiner selbst versenkt, sein Ebenbild in dreifacher Form aus seiner eigenen göttlichen Substanz ins Werden ruft. Und das geschaffene Gegenbild ist nicht ein gefallener Gott; denn das Bild, in dem die Gottheit sich selber schauen soll, muß ihrer würdig sein; ihre ganze Machtvollkommenheit muß auf ihm ruhen, die ganze Majestät des höchsten Wesens muß in ihm widerscheinen, damit es ein ganzes, in sich selbst vollendetes Abbild seines Schöpfers sei ...

Die christliche Mythe bezeichnet das positive Prinzip mit dem Namen Vater; in ihm hat sich das Absolute am reinsten eingewohnt, in ihm ist die höchste Freiheit dargestellt, die Allheit ist in ihm der Potenz nach enthalten und die Möglichkeit, das Weltganze produzierend zu gestalten. Als das Negative erscheint in dieser Mythe der Geist; in ihm ist das Ewige am reinsten dargestellt; die Notwendigkeit hat sich in ihm personifiziert; die Allheit ist in ihm aktualiter als Einheit formlos beschlossen; das bebrütende Prinzip ist ihm daher, wie er über dem Chaos schwebt, zugeteilt. Im Sohne, der ausgegangen ist vom Geist und zurück zum Vater kehrt, wird als Neutrales das Produkt der beiderseitigen Wechselwirkung erscheinen, und die Versöhnung der entgegengesetzten Prinzipien Absolutheit und Ewigkeit, wie sie im Vater und im Geiste getrennt, im Überschwenglichen hingegen eins und ungeteilt enthalten sind, ist in ihm vollbracht. Über der Trias aber wird die Gottheit ebenso erhaben stehen, wie diese über ihrem Geschaffenen; das Unnennbare wird alle Personen gleich sehr in seiner Unergründlichkeit befassen. Die höchste Idee, die die Gottheit nach ihrem unerforschlichen Ratschlusse in ihrem Selbstbewußtsein gestaltet, ist die des Heiligen, die, indem sie sich selber wieder denkt, eine neue untergeordnete Idee in eine untergeordnete Sphäre setzt. Die erste Idee ist daher das Setzende der zweiten, alle aber sind wieder in demselben Abgrund unsäglicher Göttlichkeit befangen. Denkt man in der Trias den unendlichen Progessus aufgehoben, durch den die beiden göttlichen Tendenzen in ihr ineinander sich gestalten, dann löst sie sich wieder in die heitere Uberschwenglichkeit der Gottheit auf und kehrt in den Schoß des Wesens wieder, aus dem sie sich mit dem Schöpfungsakte niederschlug.

Das Absolute und das Ewige, das Positive und das Negative, die beide in gleicher Reinheit und wechselseitiger Unabhängigkeit im Überschwenglichen erscheinen, wenn der scheidende Strahl bei der Schöpfung es durchzuckt, werden sich wechselseitig durcheinander binden in der Idee, die hervorgeht aus ihrer Wechselwirkung: sie werden es daher auch in jedem der integrierenden Glieder der Idee, die alle gemeinschaftlich teilnehmen an dem Wesen dessen, was sie zusammen miteinander darstellen. Und zwar wird in dem einen Gliede das Absolute als ein Größtes von einem Kleinsten des Ewigen gebunden erscheinen, und dies wird daher, von der Vorsehung gelenkt, evolvierend tätig handeln und sich produzierend expandieren. In dem zweiten Gliede wird hinwiederum ein Maximum des Ewigen von einem Minimum des Absoluten gebunden werden; dies wird daher von dem gewaltigen Schicksal beherrscht hemmend gegenwirken und leidend dem formenden Prinzip die Fülle seines Stoffes bieten. Im dritten Gliede endlich werden Absolutheit und Ewigkeit im Gleichgewicht erscheinen, alle Möglichkeit des schöpferischen Wirkens, die in Gott ist und als Vater sich personifiziert, wird daher mit aller Notwendigkeit, die in ihr sich birgt und als Geist sich manifestiert, zu einer göttlichen Wirklichkeit zusammentreten, in der das Bild der Gottheit als wahres Ebenbild erst vor dem verhüllten Antlitz des Höchsten schwebt, und als seine eigene Tat, zugleich den Tuenden und das Tun vorstellt ...


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