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Zweites Kapitel.

Es war ein heller Abend; der Schnee leuchtete, und der Halbmond stand matt und ein bißchen verschwommen am Himmel. Man konnte weit sehen von der Chaussee aus, die durch das Sundewitt nach Sonderburg hinüberführte, aber es war ein Bild ohne Licht und Farben, das fern am Horizont in unbestimmten, grauen Tönen zusammenfloß. Nur da, wo der kleine Krug am Wege lag, fielen durch die niedrigen, unverhüllten Fenster warme Lichtstrahlen in die graue Dämmerung und zeichneten leuchtend helle Vierecke in den Schnee. Auch Stimmengewirr drang in das große Schweigen hinaus, und Jens Larsen sah schon von außen, daß fast jeder Platz drinnen besetzt war.

Er bückte sich unwillkürlich, als er durch die niedrige Tür in den Raum trat, in dem die Decke mit den schweren Querbalken so tief über den Köpfen hing. Aus dem dicken Tabaksqualm drang ihm nun das Stimmengewirr entgegen, über das er sich schon draußen auf der Straße gewundert hatte. Meistens saßen die Sundewitter still und ein wenig einsilbig hinter ihren dampfenden Groggläsern. Aber heute waren alle in großer Erregung. Die Zeitungen hatten schwerwiegende, wichtige Nachrichten gebracht: die Preußen waren in Holstein eingerückt, und der Krieg schien unvermeidlich.

Nun war ein lebhafter Wortstreit im Gange für und wider die Befreier. Es gab im Sundewitt, so nahe der dänischen Grenze, viele Leute, die mit ihren Sympathien auf dänischer Seite waren und durch Verwandtschaft und Geschäftsinteressen dort hinüber gezogen wurden. Auch Jens Larsen war aus allen möglichen, wenig stichhaltigen Gründen, die er selbst kaum hätte angeben können, zum Dänenfreund und glühenden Preußenhasser geworden, trotzdem er einer deutschen Familie entstammte.

Er setzte sich heute ohne weitere Worte an einen der Tische und nahm die Zeitung vor, worin die Nachrichten standen, die die Gemüter so erregten. Nach einer Weile, als der Wirt in seine Nähe kam, bestellte er sich einen Kaffeepunsch. Er war hier ein anderer als auf der Hohen Koppel, wo seine Seele weit wurde und ein inneres Kraftgefühl ihn erfüllte und über sich selbst erhob. Hier war er der reiche Jens Larsen, dessen Stimme fast die gewichtigste war im Sundewitt. Er gab sich gespreizt, und allerlei kleine Züge offenbarten sich an ihm.

Um ihn herum dauerte das Lärmen fort. Die Deutschgesinnten erzählten von Ungerechtigkeiten und Barbareien der Dänen und tranken auf das Wohl der Preußen und Österreicher. Es war schon jetzt wie eine Befreiung über sie gekommen, und einer brummte sogar das alte, langverpönte Schleswig-Holsteinlied vor sich hin. Es war Peter Hansen, der Speckhöker, der immer so freundlich und bescheiden aussah und so viel in seinem Leben gearbeitet hatte. Sein Gesicht war ganz faltig und zusammengedrückt und von einem spärlichen, grauen Vollbart eingerahmt. Aber das alles sah man eigentlich nicht; denn wenn man mit Peter Hansen sprach, sah man immer nur seine treuen, blauen Augen. Um den Hals trug er einen gestrickten, grauen Schal. Ohne den hatte ihn noch kaum ein Mensch gesehen, und jeder, der Peter Hansen kannte, wußte auch, daß die schöne Inge, seine Frau, diesen Schal gestrickt hatte, und daß er an sie dachte, wenn er mit den harten, verarbeiteten Händen so zärtlich über die Enden strich.

Jetzt saß er in der Ecke am Ofen und brummte die Melodie des Schleswig-Holsteinliedes vor sich hin. Allerdings konnte es so, wie er sie sang, auch ganz etwas anderes sein, aber seine Nachbarn wußten doch, was er meinte.

»Wo kommst du denn heute her, Peter Hansen?« fragte einer.

Nun unterbrach er seinen Gesang und antwortete: »Von Alsen.«

Da rückten die Schleswig-Holsteiner näher an ihn heran, die Dänen hörten mitten in ihrem Gespräch auf, und alle riefen: »Von Alsen? Wie sieht es denn da aus?«

Peter Hansen kraute sich den Kopf. Es war ihm peinlich, vor so viel Menschen zu sprechen; er mochte viel lieber still in der Ecke sitzen und vor sich hinbrummen. »Gräsig mit Menschen,« sagte er endlich. »Allens voll Soldaten und Pferde und Wagen. Ich konnt' beinahe nicht durchkommen. Und höllisch scharf sind sie auf alles und haben mich ausgefragt, wo ich hinwollt' und wo ich herkäm'.«

Weiter wußte er eigentlich nichts zu sagen, man erwartete auch nicht mehr von ihm, sondern nahm die früheren Debatten wieder auf, und nach einer Weile fing Peter Hansen wieder an zu brummen, genau an der Stelle, wo er vorher aufgehört hatte.

Die Stimmen wurden immer lebhafter und hitziger, die Meinungen platzten immer schärfer aufeinander, und plötzlich schlug Jens Larsen auf den Tisch und übertönte alles mit seiner dröhnenden Stimme: »Laßt die Preußen man kommen! Die Dänen schlagen sie schon am Danewerk zurück. Über das Danewerk kommt keiner hinaus, und wir hier im Sundewitt kriegen keinen Schwanz von ihnen zu sehen.«

Heftige Gegenstimmen machten sich bemerkbar, aber Jens Larsen ließ sie nicht aufkommen.

»Was haben sie denn 48 erreicht?« rief er höhnisch. »Nichts. Sie machen ja nicht Ernst. Hunderte laufen vor einem einzigen Dänen davon. Paßt auf, wir wollen uns wieder sprechen, wenn die Komödie hier zu Ende ist, wir alle, die wir hier sitzen, und dann werdet ihr an meine Worte denken. Macht euch das doch mal klar. Wenn hier das Danewerk ist – und hier – und hier – so –« er baute mit Aschbechern und ähnlichen Sachen eine Art Wall auf den Tisch, »und dann kommen die Preußen hier die Straße 'rauf, und die Dänen schießen wie toll von hier oben 'runter immer auf die Preußen – ha – da sollte ein einziger davonkommen? Weglaufen tun sie.«

Er schlug auf den Tisch, so daß sein künstlicher Festungsbau umfiel, und trat mit gewichtigen Schritten zu einer anderen Gruppe.

»Peter Hansen, alter Brummklaas, hast mich verstanden? Du, mit deinem Schleswig-Holsteinlied? Weglaufen tun sie, und wir wollen ihnen eins auf den Weg Pfeifen. Und wenn sie weg sind, dann wollen wir beide mal hier zusammen einen Grog trinken, wir beide, Peter Hansen und Jens Larsen, he?«

Es lag etwas Gereiztes in seiner Stimme, als er diese letzten Worte sprach, als ob er etwas Persönliches mit Peter Hansen auszufechten hätte, und er schlug dem Alten derb auf den Rücken. Die Stimmen der andern waren unwillkürlich verstummt oder klangen wenigstens nur noch gedämpft, und aller Augen waren auf die beiden Männer gerichtet, – Jens Larsen in seiner stolzen, triumphierenden Haltung und Peter Hansen, der so klein und gebückt dasaß und sich den Kopf kraute. Er hatte so seine eigenen Gedanken, aber er konnte sie nicht so schnell in Worte umsetzen. Jens Larsen aber sah in manchen Gesichtern etwas aufdämmern wie eine Erinnerung an etwas, das vor Jahren geschehen war, und da überkam ihn plötzlich eine jähe Ernüchterung. Er strich sich mit einer ungeduldigen Bewegung das Haar aus der Stirn. Die Luft war ihm auf einmal heiß und drückend, der Tabaksqualm erschien ihm unerträglich, und so bezahlte er seinen Kaffeepunsch und ging.

Die andern sahen ihm nur flüchtig nach und nahmen ihr Gespräch wieder auf. Sie kannten ja alle Jens Larsens Art und wunderten sich nicht weiter über ihn. Nur der Schullehrer, der noch nicht lange in der Gegend war, machte ein nachdenkliches Gesicht und sagte: »Jens Larsen hat in seinem Innern einen Punkt, der ihn nicht zur Ruhe kommen läßt.«

Sein Nachbar nickte, sah auf Peter Hansen und sagte: »Kann woll sein.«

Als Jens Larsen hinauskam, blieb er einen Augenblick stehen und atmete tief auf. Verdammt heiß und qualmig war's da drin gewesen! Er nahm die Pelzmütze ab und ließ sich die kalte Winterluft über die erhitzte Stirn streichen; dann versenkte er die Hände in die Manteltaschen und ging wieder die Chaussee entlang, um den Feldweg zu erreichen, der seitlich abbog und nach dem Larsenhof führte. Wieder waren das große Schweigen und die graue Dämmerung um ihn, Eis und Schnee und gespensterhafte, kahle Bäume. Er bog den Kopf vor und ging stetig vorwärts. Von weitem kam ihm ein Mensch entgegen, und zwar eine Frau, aber er achtete nicht auf sie, seine Gedanken nahmen ihn ganz in Anspruch. Warum war er immer so heftig und hitzig, daß sein Zusammensein mit anderen Menschen meistens so endete wie dieses? Warum konnte er nicht in Ruhe und Frieden mit allen leben? Immer gingen sein Temperament, sein Jähzorn, sein Hochmut mit ihm durch, und kein Mensch auf der Welt half ihm, verstand ihn, glättete die Wogen in seinem Innern mit einem guten, klugen Wort, mit einem warmen Blick. Er war so furchtbar einsam, Jens Larsen vom Larsenhof, und heute lastete die Einsamkeit auf ihm.

Die Frau war näher gekommen, so nahe, daß er im Mondlicht ihr Gesicht sehen konnte, und da erkannte er sie.

Sie blieben beide betroffen stehen und sahen einander an. Lange –.

»Guten Abend, Jens Larsen,« sagte sie endlich.

»Guten Abend, Inge Hansen,« antwortete er, und seine Stimme klang wie aus einem tiefen Traum.

Nun waren sie wieder still, und es war, als ob das Schweigen um sie her Töne und Stimmen annähme.

»Wir haben uns lange nicht gesehen, Inge.«

»Nein. Wie geht es dir, Jens Larsen?«

»Wie's so geht,« sagte er müde und zuckte die Achseln. Aber der Frau gegenüber fiel ihm plötzlich das Ereignis in seiner Familie wieder ein, das er vorhin unter den Männern ganz vergessen hatte, und er fuhr fort: »Wir haben gestern Verlöbnis gefeiert. Meine Tochter Gesine hat sich Thies Matthiessen versprochen.«

Über das Gesicht der Frau ging ein eigentümlicher Zug. »Hat sie ihn lieb?« fragte sie statt aller Antwort.

Er machte wieder ein ganz betroffenes Gesicht. »Ich denke,« meinte er endlich zögernd.

Inge Hansen nickte. »Natürlich, meine Frage war ja dumm. Das ist doch immer so, wenn zwei sich miteinander versprechen.«

Ihr Gesicht war ganz ruhig, aber ihre Stimme hatte einen herben Klang. Jens Larsen antwortete nicht, und sie schien das auch nicht erwartet zu haben. Aber ihre Blicke trafen sich und wurzelten fest ineinander und sprachen eine ganze Geschichte. Sie vergaßen beide, daß sie hier im Schnee standen und ihre Wege sie eigentlich auseinanderführten, denn jeder verkörperte dem andern eine Summe von Glück und Leid und Kampf seines Lebens, und ihnen war, als wenn ihre Jugend ihnen hier plötzlich an diesem stillen Winterabend auf der einsamen Landstraße begegnet wäre.

Die Frau hieß in der Gegend noch immer die schöne Inge, trotzdem sie die vierzig nun schon überschritten hatte. Sie war auch noch schön. Ihre hohe, schlanke Gestalt hatte etwas Blühendes, und unter dem Haar, das schon seit Jahren weiß war, sah ihr Gesicht mit den klaren, blauen Augen und dem bräunlichen Ton der Hautfarbe noch recht jung aus.

»Weißt du schon, Jens Larsen,« sagte sie plötzlich mit einer hellen, frischen Stimme, in der es wie Jubel klang, »es gibt Krieg!«

Jens nickte, und sein Gesicht nahm einen anderen Ausdruck an. »Ja,« sagte er, »und meine Meinung darüber habe ich Peter Hansen eben unten im Krug gesagt, frag ihn nur.«

Ihr schien an seiner Meinung nicht viel zu liegen, denn sie fragte jetzt lebhaft, als ob ihr ganzes Interesse sich nun darauf richtete: »Ist Peter im Krug?«

»Ja, er sitzt in der Ecke am Ofen und singt das Schleswig-Holsteinlied.«

Nun lachte sie. »Das glaube ich, das singt er jetzt den ganzen Tag.«

Er runzelte die Stirn. »Du solltest vorsichtiger sein, Inge Hansen, und das nicht so laut sagen. Noch gilt hier dänisches Regiment, und das duldet keine Aufrührer, wie du weißt.«

Da warf sie den Kopf zurück. »Wir sind keine Aufrührer, Jens Larsen, das weißt du recht gut, wir sind Schleswig-Holsteiner, die ihr Recht haben wollen. Aber du bist ein Landesverräter. Du bist deutsch wie wir, noch vor zwanzig Jahren hast du so deutsch gedacht wie ich, und nun hältst du es mit den Dänen. Das ist Sünde, ist – treulos.«

Das letzte sagte sie mit leiser Stimme und sah zu Boden.

Jens trat von einem Fuß auf den andern, daß der Schnee knirschte.

»Davon verstehen Frauen nichts,« sagte er finster.

Sie maß ihn mit einem langen Blick. »So? Denkst du jetzt so von den Frauen? Früher dachtest du anders.«

Da trat ein gequälter Ausdruck in sein Gesicht, und seine Stimme klang weich und bittend. »Sprich nicht von früher.«

Sie nickte stumm, als wollte sie ausdrücken, daß es wohl besser wäre, die Vergangenheit ruhen zu lassen, und dann fragte sie nach kurzem Schweigen: »Also Peter ist im Kruge?«

»Ja, und wo willst du hin, Inge?«

»Ihm entgegengehen. Er ist zwei Tage fortgewesen.«

»Und da willst du, trotzdem es kalt und dunkel ist –«

»Gerade, weil es kalt und dunkel ist.«

Inge Hansen wußte sich den seltsam bewegten Ausdruck, der über Jens Larsens Gesicht ging, in diesem Augenblick nicht zu deuten. Er hatte aber in diesem letzten Wort von ihr die alte Inge wiedergefunden, die er geliebt und treulos verlassen hatte. Das war sie ganz, wie sie früher gewesen war. Gerade, weil es kalt und dunkel war, ging sie ihrem Mann entgegen und reichte ihm die Hand und machte es ihm warm. Er sah Peter da im Kruge sitzen, so klein und gebückt und unscheinbar, und eine Wut gegen den Mann erfüllte ihn.

»Die Sehnsucht scheint ihn nicht sehr zu quälen,« meinte er, »wenn er da so ruhig im Kruge sitzen kann und vor sich hinbrummen.«

Sie kniff die Augen ein bißchen zusammen. »Du, Jens Larsen, willst du mich ärgern? Gib dir keine Mühe, das gelingt dir nicht. Wie Peter Hansen seine Frau liebt, das weiß ich am besten, und ich sage dir, Inge Hansen tauscht mit keiner Frau im ganzen Sundewitt, auch mit der reichsten nicht.«

Sie hatte den Kopf zurückgebogen, und ihre Augen gingen in die Ferne, als überblicke sie ihr Leben, und die Worte, die sie eben gesprochen, waren wohl das Fazit, das sie daraus zog. Jens antwortete nicht, er sah auf den Schnee zu seinen Füßen und dachte, daß es kalt wäre und sie nun wohl weitergehen müßten.

Plötzlich rief Inge lebhaft: »Da kommt Peter!«

Sie hatte an Jens vorbei die Chaussee entlang gesehen. Er folgte nun der Richtung ihres Blickes. In einiger Entfernung kam ein Mann langsam auf sie zu. Er ging vornübergebeugt und zog einen Karren hinter sich her.

»Ist das Peter Hansen?« fragte Jens. »Kannst du ihn jetzt schon erkennen?«

Inge nickte. »Ja, das ist er. Guten Abend, Jens Larsen.«

Ohne sich noch einmal umzublicken, ging sie mit ihren schnellen, elastischen Schritten an ihm vorbei ihrem Manne entgegen. Jens blieb unschlüssig stehen und sah ihr nach, endlich ging er langsam weiter und bog in den Seitenweg ein, der von der Chaussee nordwärts nach dem Larsenhof führte. Aber dort im Schutz der Knicks, die den Weg von beiden Seiten begrenzten, blieb er stehen und wartete.

Es dauerte gar nicht lange, bis Peter und Inge Hansen auf der Chaussee an ihm vorüberzogen. Sie gingen nebeneinander. Inge hatte sich auch ein Seil des Handwagens um die Schulter geworfen und half ziehen. Sie sprach zu Peter mit einem hellen, frohen Ton in der Stimme. Verstehen konnte Jens ihre Worte vor dem Quietschen der Räder im Schnee nicht, aber es klang, als wenn sie ihm Bericht erstattete von dem, was sie in den zwei Tagen seiner Abwesenheit erlebt hatte. Peter rauchte eine kurze Pfeife und hörte zu.

Jens Larsen schaute ihnen lange nach. Schließlich trat er wieder auf die Chaussee zurück, um sie besser sehen zu können. »Auch mit der reichsten nicht!« sagte er ein paarmal wie in Gedanken vor sich hin. Es sah doch recht armselig aus, wie sie so im Schnee dahinzogen, der Speckhöker Hansen und seine Frau, gemeinsam ihren Karren ziehend. Und doch war keine Frau im ganzen Sundewitt so schön und stolz wie Inge Hansen, und doch hatte sie vorhin hier vor ihm gestanden und ihm ins Gesicht gerufen: sie tauschte mit keiner Frau im ganzen Sundewitt, auch mit der reichsten nicht.

Er versenkte die Hände in die Taschen seines weiten Pelzmantels und wandte sich langsam zum Gehen.

Wie schön sie noch war! Und all diese Schönheit würde sein eigen sein, wenn er sie nicht mit eigener Hand von sich gestoßen hätte, weil er meinte, eine arme Tagelöhnerstochter könnte nicht als Frau auf den Larsenhof ziehen. Deshalb hatte er die reiche Witwe von Gerd Matthiessen geheiratet, und Inge war nun die Frau von Peter Hansen, der mehr als zwanzig Jahre älter war als sie.

Ob sie den wohl auch mit einer so großen, starken Liebe geliebt hatte, wie ihn? Er meinte, eine solche Liebe, wie sie sie damals verbunden hatte, könnte der Mensch nur einmal im Leben empfinden. Wenigstens, wenn er an sich dachte. Aber es war ja in der ganzen Gegend bekannt, daß Peter und Inge eine sehr glückliche Ehe führten, und wie er sie heute gesehen hatte, fand er das bestätigt.

Als er nach Hause kam, war schon der Abendbrottisch gedeckt, und seine Frau saß auf dem Sofa und strickte. Eine Art Zorn überkam ihn plötzlich. Mußte sie denn immer dasitzen und stricken, immer und immer, jeden Abend, den Gott werden ließ?

»Guten Abend, Jens,« sagte sie, »nun können wir wohl essen?«

Das sagte sie auch jeden Abend, er hatte schon darauf gewartet.

»Natürlich können wir essen,« rief er unfreundlich, »warum sollten wir nicht können?«

Sie sah ihn erschrocken an, sagte aber nichts, sondern ging hastig nach der Tür und rief auf die Diele hinaus: »Gesine, Vater ist da, wir können essen.« Jens hatte der kleinen, schmächtigen Gestalt, die so verängstigt durch das Zimmer gehuscht war, fast feindselig nachgesehen, und im Geist sah er Inge Hansen hier durch das Zimmer schreiten mit ihren großen, elastischen Schritten. Und dann stand wieder das Bild vor ihm, wie sie mit Peter gemeinsam den Karren zog. Gemeinsam – darin lag das Geheimnis ihres Glückes, er wußte es plötzlich. Sie war ihrem Manne eine Kameradin, die alles mit ihm teilte.

Er seufzte. Die kleine, blasse Frau da auf dem Sofa war ihm nie Kamerad gewesen, immer nur sein Schatten, sein Echo.

Als Gesine mit der Schüssel mit dampfenden Bratkartoffeln hereinkam, fiel ihm Inges Frage in bezug auf Gesines Verlobung ein: »Hat sie ihn lieb?«

Merkwürdig, weder er noch seine Frau hatten je darüber gesprochen noch nachgedacht, ob Gesine Thies eigentlich liebte. Da mußte erst Inge Hansen, die Gesine gar nicht kannte, auf der Landstraße danach fragen.

Und wieder stieg ein bitteres Gefühl gegen seine Frau in ihm auf. Hatte sie auch als Mutter die zarten, feinen Pflichten nicht erfüllt, die außerhalb des Gebotenen und Alltäglichen liegen und die ein Frauenherz selbst finden muß? Wieder kam ihm der Vergleich mit Inge, und darüber vergaß er selbst in Gesines Gesicht zu lesen, ob sie wohl glücklich wäre oder nicht.


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