Friedrich Gerstäcker
Die Colonie
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

29.

Gefunden.

Tief im Urwald drin lag die einsame Chagra des Brasilianers, der hier ein kleines, in die Hügel gedrücktes, aber äußerst fruchtbares Thal gefunden und in Besitz genommen hatte. Waren doch so viele Deutsche in diese Nachbarschaft gekommen, daß er ziemlich sicher darauf rechnen konnte, in einiger Zeit die Grenzen ihrer Niederlassungen zu sich herausgestreckt zu sehen, und geschah das, so besaß er selber genug Land, ihnen gute Colonien zu verkaufen und konnte nachher in kurzer Zeit ein reicher Mann sein. Daß er vorher und um das zu erreichen, Jahre lang allein und einsam in der Wildniß sitzen mußte, rechnete er nicht.

Natürlich hatte er für sich und seine Familie, wie für ein paar Sclaven, die er hielt, nur eine kleine, ziemlich dürftige Hütte gebaut, denn der Landbau nahm in den ersten Jahren alle seine Arbeitskraft in Anspruch. So beschränkt der Raum war, den er bewohnte, so willig theilte er ihn, wie fast alle Brasilianer, mit dem Fremden – war es nun ein einzelner Jäger, der den Wald durchstreifte, oder eine wandernde Colonistenfamilie, obgleich er die letzteren selten genug zu sehen bekam. Für die Frau – denn der Mann konnte doch wenigstens manchmal fort und unter Leute, während sie das ganze Jahr allein in ihrer Wildniß saß – war ein Besuch aber zugleich immer ein Fest, und was die Küche wie Chagra und Wald boten, wurde willig herbeigebracht und aufgetischt.

Diesen Ort hatte, verirrt und zum Tod ermattet, der alte Mann mit seinem Kind erreicht, und die Frau in den ersten Tagen unter keiner Bedingung zugegeben, daß sie ihre Reise fortsetzten, ehe sich der abgemattete Alte wieder vollständig erholt hätte. Aber er erholte sich nicht mehr. Die Gewissensbisse der vergangenen langen Jahre hatten an seinem sonst gesunden Körper gearbeitet und gezehrt – die furchtbare Zeit der Entdeckung kam dazu, und jetzt, von Angst und Sorge, wie der ungewohnten Anstrengung niedergebrochen, war die Kraft erschöpft, die ihn bis dahin noch fast gewaltsam aufrecht gehalten.

Eine furchtbare Zeit verlebte indessen die Jungfrau mit ihm, denn zu der körperlichen Erschöpfung bei ihm gesellte sich ein geistiger Stumpfsinn, der nur manchmal in krankhafter Flamme wild und erschreckend aufloderte.

Die Stunden, in denen der Furchtbare, der in sein Leben getreten war und seinen Aufenthalt entdeckt hatte, vermittelnd für ihn eingestanden war, so daß seine persönliche Sicherheit von da an ungefährdet blieb, waren aus seinem Gedächtniß verschwunden. Im Geist sah er nur noch den gräßlichen Moment, wo er entdeckt worden, und hielt sich von da an für flüchtig vor dem Gesetz und von Häschern verfolgt. Umsonst suchte ihn Elise zu beruhigen, umsonst trug sie mit einer wahren Engelsgeduld sowohl das eigene Leid wie die Klagen und Beschwörungen des unglücklichen Vaters, wenn er sie bat, ihn nicht zu verlassen und der Polizei auszuliefern. Was sie körperlich dabei erdulden mußte, schwand zu einem Nichts zusammen, und ihre Lage wurde erst dann wirklich gefährlich, als die wilden Phantasien dem Unglücklichen auf keinem gebahnten Weg mehr Ruhe ließen, sondern ihn in den Wald trieben, um den Verfolgern zu entgehen, die er fortwährend auf seiner Fährte glaubte.

Als sie ihn gewaltsam zurückhalten wollte, brach er von ihr fort, daß sie ihn kaum wieder einholen konnte und in Todesangst indessen zu vergehen drohte. So lagerte sie mit ihm die eine Nacht verirrt, ohne einen Trunk Wasser, ohne einen Bissen Brod im wilden Walde, und erst gegen Morgen zeigte ihr der frühe Hahnenschrei von des Brasilianers Chagra, der auch dem Verbrecher Bux die abgelegene Hütte verrathen hatte, Hülfe in der schrecklichsten Noth.

Jetzt war Alles vorbei – Alles überstanden. Wie sich der Körper des unglücklichen alten Mannes seiner Auflösung näherte, klärte sich auch wieder der bis dahin auf irren Bahnen schweifende Geist. Er war so schwach geworden, daß er kaum noch den müden Arm heben konnte; aber heute zum ersten Mal, wie die Sonne ihren lichten Schein durch das Fenster warf, und sich Elise über sein Lager beugte und ihn fragte, ob sie ihm irgend eine Hülfe leisten könne, strich er ihr mit der fleischlosen, bleichen Hand das Haar von der Stirn und sagte leise:

»Meine arme, arme Elise!«

»Vater, mein lieber, guter Vater!« rief das Mädchen in ausbrechenden Thränen – »kennst Du mich denn?«

»Soll ich Dich nicht kennen, meine treue Gefährtin in Jammer und in Leid, die wacker und brav ausgehalten hat bei dem alten, verlassenen Manne?«

»Mein guter Vater!«

»Gottes Segen über Dich – Gottes reichsten Segen, und daß er die Schuld nicht an Dir heimsuchen möge, die auf Deines Vaters Seele liegt!«

»Vater – Vater!«

»Stille, mein Kind – stille – weine nicht; es ist jetzt Alles gut, und es wird mir so ruhig und leicht im Herzen, wie mir seit langen, langen Jahren nicht gewesen ist. Nur eine – eine Sorge liegt mir noch darauf, und das bist Du, mein Kind, das ich allein und hülflos in dem weiten, fremden Land zurücklasse.«

»Vater, sprich nicht so – Du wirst noch viele, viele Jahre bei mir bleiben, und wir werden ein neues, frohes Leben beginnen, mit frischen Kräften.«

»Armes Lieschen,« sagte aber der Kranke, der nur seinen eigenen Gedanken folgte – »und auch daran trage ich die Schuld – auch daran, daß ich Dich fern gehalten von Allen, nur den eigenen, selbstsüchtigen, sündhaften Plänen folgend – auch daran, und das Gewicht muß ich jetzt mit mir hinab nehmen – hinab in's Grab!«

Elise hatte ihr Haupt auf seine Schulter gelegt und weinte still, und der alte Mann suchte mit seiner linken Hand ihr Lockenhaar, und zog die dünnen, fast durchsichtigen Finger langsam hindurch.

»Weine nicht, Elise,« sagte er leise – »weine nicht – wir sehen uns wieder – wenn nicht Gott sein Angesicht ganz von mir abwendet. Hat er seine Hand aber in dieser letzten schweren Zeit über Dir gehalten, so wird er Dich auch jetzt nicht verlassen in dem fremden Lande – nicht so verlassen, wie Dich Dein alter Vater verlassen muß, wo Du doch Hülfe gerade so nöthig brauchst. Komm, sei gefaßt, mein Kind – sei stark, Lieschen, wie Du ja immer stark gewesen bist.«

»Du wirst nicht sterben, Vater!« schluchzte das arme Kind und preßte ihre Stirn nur fester an seine Schulter – »Du wirst leben, mir – mir zum Troste, daß ich Dich pflegen und hegen kann bis in Dein spätes, spätes Alter hinein!«

»Du willst mir den Abschied recht schwer machen,« seufzte der alte Mann, »und ich habe doch keine Thränen mehr, die mir die Brust erleichtern könnten! – Sieh, wie der Sonnenschein so warm durch's Fenster dringt,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, die nur durch Elisens Schluchzen unterbrochen wurde – »und draußen liegt in Licht und Glanz die Welt, der schöne Wald. – Grüß' mir den Wald, mein Lieschen, wenn Du ihn wiedersiehst – die schattigen Bäume und den murmelnden Bach, und – wenn Du an den Vater manchmal denkst, mag der Gedanke Dich versöhnen, daß er im frischen, grünen Walde schläft und das Rauschen der ewigen Wipfel wie ein frommes Gebet zum Höchsten steigt für den reuigen Sünder!«

»Vater!«

»Fasse Dich, mein Lieschen – es muß sein – und nun noch Eins – rufe mir unsern freundlichen Wirth herein, daß ich ihm danken kann für alles Liebe und Gute, das er uns erzeigt. Habe ich doch nichts weiter auf der Welt, was ich ihm bieten könnte, wie meinen Dank! – Er wird Dich auch nicht gleich verstoßen; seine Frau ist gut und freundlich – war sie doch gut und freundlich gegen mich – oh, wenn ich den Trost mit mir hinübernehmen könnte, daß mein armes Kind nicht ganz verlassen wäre!«

Elise richtete sich gewaltsam empor – sie durfte jetzt nicht zurückdenken, nur jetzt nicht – oder das Herz hätte ihr brechen mögen in Jammer und Wehe.

»Ich gehe, Vater, und rufe ihn,« sagte sie leise – »nur einen Augenblick, ich bin gleich wieder zurück.«

Der alte Mann hielt noch immer ihre Hand. »Mein armes Lieschen!« sagte er traurig.

»Ich bin gleich – gleich wieder bei Dir, Vater. – Er ist jedenfalls draußen – ich höre schon seinen Schritt.«

Der Kranke winkte ihr nur mit den Augen, und Elise flog nach der Thür, als sich diese öffnete und Könnern auf der Schwelle stand.

Das Mädchen sah und erkannte ihn, aber jede weitere Willenskraft schien in dem Augenblick ihren Körper verlassen zu haben. Sie stand wie eingewachsen in den Boden; ihre Arme hoben sich langsam, aber mehr wie abwehrend gegen das, was sie für eine Erscheinung ihrer erregten Sinne hielt, und mit leise flehendem Ton murmelte sie: »Bernard!«

»Elise – Elise!« rief Könnern, auf sie zueilend und sie in seine Arme schließend – »oh, nun ist Alles gut – Alles, und Nichts im Leben soll uns wieder trennen!«

»Und bist Du's wirklich, Bernard? – Ist es nicht Dein Geist, der nur gekommen, um mich in meinem größten, furchtbarsten Schmerz zu trösten?« hauchte Elise und drückte ihn wie scheu und furchtsam von sich.

»Wer ist der Fremde, Lieschen?« fragte der alte Mann und wandte bestürzt den Kopf der Thür zu.

»Ein Freund,« sagte Könnern, die Geliebte mit dem linken Arm umschlingend, indem er sie mit der Rechten stützte – »ein Freund, der nicht mehr von Elisens Seite weichen wird, so lange sie ihn selbst nicht von sich stößt!«

»Lieschen!«

»Vater!« rief das Mädchen, wand sich aus Könnern's Arm, flog an seine Seite und barg ihr Haupt wieder an seiner Schulter.

Der alte Mann lag still und regungslos; er hatte die Augen geschlossen und nur das leise Athmen seiner Brust verrieth, daß er noch lebe. Endlich schlug er die Augen wieder auf. Sein Blick fiel auf das zu ihm niedergebeugte, schmerzbewegte Gesicht des jungen Mannes.

»Herr Gott, ich danke Dir!« sagte er leise – »Lies–chen, leb' – wohl – sei glücklich – Gott segne Dich!« – und wie er noch einmal seine Hand auf ihr Haupt legen wollte, sank sie ihm herunter – er war todt. – –

 

Draußen im Walde hielt Rottack neben dem gebundenen Verbrecher Wache, der jetzt still und verstockt am Boden lag und mit den Zähnen knirschte. Wohl hatte er schon vorsichtig versucht, die Bande von seinen Armen zu streifen, aber die Schleife, welche Könnern gezogen, saß zu fest, und als sein Wächter es merkte, drohend den Gewehrkolben hob und ihm versicherte, er würde ihn bei dem geringsten Fluchtversuche zu Boden schlagen, lag er still. Er trotzte noch darauf, daß die beiden Fremden hier im Wald nicht im Stande sein würden, ihn gebunden zu transportiren, und baute für die Nacht seine Pläne zur Flucht.

Da rief unten vom Weg eine Stimme ihr »Hallo,« und als Rottack darauf geantwortet, brachen und rauschten die Büsche, und der Brasilianer stand im nächsten Augenblick vor der Gruppe.

»Ei, sieh' da,« sagte er, einen Blick auf den am Boden Liegenden werfend, »das scheint ja ein sauberer Patron, der hier im Sprenkel hängt! – Wie geht's. Fremder? Wollt Ihr Euch den mit in die Colonie nehmen?«

»Er hat einen Mord verübt,« sagte Rottack, nachdem er den Gruß des Alten erwidert – »und da sind wir hinter ihm drein und haben ihn da oben im Wald, wo er wahrscheinlich vom Wege abschnitt, um nicht verfolgt zu werden, erwischt. Aber wo ist mein Kamerad?«

»Im Hause – ich hab' einen Deutschen mit seiner Tochter dort, und der Mann liegt im Sterben.«

»Im Sterben?«

»Ja – aber jetzt kommt, daß wir den Patron da hinunterschaffen. Wo sind Eure Pferde?«

»Oben am Hang stehen sie, und die unglückliche Familie dieses Schuftes sitzt dort ebenfalls.«

»Und hat der Lump auch Familie?« fragte der alte Brasilianer entrüstet; »das ist recht, nur immer gleich Frau und Kinder mit unglücklich gemacht! Und was wird nun aus denen?«

»Sie müssen mit in die Colonie zurück; es sind Deutsche genug dort, die für sie sorgen werden – besser als der da es gethan. Soll ich hinauf und die Pferde lieber holen?«

»Laßt's nur sein, Fremder,« sagte der Brasilianer, »die Familie könntet Ihr doch nicht gleich mitbringen; ich schicke dann vom Hause aus ein paar von meinen Negerjungen hinauf, die das viel besser und rascher besorgen. Aber Ihr blutet ja!«

»Nur ein Ritz; der Schuft stieß mit dem Messer nach mir, als wir ihn fassen wollten.«

»Natürlich – wenn's einmal an den Kragen geht, kommt's nachher auf die Kleinigkeit mehr oder weniger auch nicht an. Also vorwärts, mein Bursche, steh' einmal auf und gebrauch' Deine Spazierhölzer – oder sollen wir Dir Beine machen?«

»Er versteht kein Portugiesisch.«

»Oho – noch ein Frischer? Also importirt Ihr derartige Sorte auch nach Brasilien? Für die ist's aber kaum der Mühe werth, daß der Staat Passage bezahlt, denn es kostet ihm nachher immer noch außerdem einen Strick. – So sagt Ihr ihm einmal auf gut Deutsch, daß er gutwillig mitgeht, sonst kann ich es ihm doch vielleicht auf Brasilianisch begreiflich machen.«

Er nahm dabei sein schweres Buschmesser aus dem Gürtel, hieb einen jungen Stamm ab und hackte, noch während er sprach, die Aeste davon herunter.

Bux hatte dem Gespräch der Männer in der ihm unverständlichen Sprache mit scheuem Blick gelauscht. So lange er sich noch allein in den Händen der Deutschen befand, schien ihm seine Lage immer nicht zum Aeußersten gefährlich. Jetzt zum ersten Mal überkam ihn der Gedanke an die Strafe, der er entgegenging, überkam ihn zugleich die Angst davor.

»Steh' auf,« sagte Rottack zu ihm; »Du wirst einsehen, daß Dir weiteres Sträuben nichts hilft, und Du kannst höchstens Deine Lage noch verschlimmern.«

»Landsmann,« sagte Bux mit heiserer, angstgepreßter Stimme, »Ihr werdet mich nicht den Fremden übergeben – ich – ich will ja Alles gestehen – ich bin ein armer Teufel – der Böse plagte mich – der Justus war auch ein schlechter Kerl – er hat mich verführt – er reizte mich. – Landsmann,« bat er dringender, als sich Rottack mit Ekel von ihm abwandte, indem er sich auf die Kniee warf und die gebundenen Hände zu ihm aufhob. – »Laßt mich laufen – ich will ein ordentlicher, braver Kerl werden, ich will meine Frau nicht mehr prügeln und die Kinder – ich will arbeiten, daß mir das Blut unter den Nägeln vorspritzt – Landsmann, habt Barmherzigkeit – Barmherzigkeit!« und er schrie die letzten Worte in Todesangst gellend heraus.

»Die suche Dir bei Gott,« sagte Rottack erschüttert – »Deinetwegen sitzt schon ein unschuldiger, braver Mann die ganze Zeit, und der muß frei werden. Komm, wir haben keine Zeit mehr zu versäumen.«

Unten auf dem schmalen Waldwege knarrten Räder, und der Brasilianer, der einen Blick hinabgeworfen, pfiff auf seinem Finger. Bei dem Karren gingen vier Neger, die Bauholz zu einer neuen Scheune im Walde geschlagen. Drei von ihnen kamen den kleinen Hang heraufgesprungen.

»Werft einmal Euer Holz ab,« sagte der Brasilianer, »und ladet den Burschen hier auf; fahrt ihn aber nicht zum Hause, sondern in den kleinen Schuppen drüben bei den Kaffeebäumen, daß ihn meine Frau und die Kinder nicht zu sehen bekommen. Du, Joao, springst hinauf – wo ungefähr sind Ihre Pferde mit der Familie des Burschen da?«

»Etwa in dieser Richtung,« sagte Rottack, mit dem Arm aufwärts deutend – »aber die Frau versteht kein Portugiesisch, ich will lieber mit den Leuten gehen; wenn Sie nur so lange die Bewachung des Verbrechers übernehmen wollen.«

»Für den steh' ich gut. Also Du gehst mit dem Señor dort hinauf und thust, was er Dir sagt; und Ihr Beiden packt einmal den Gesellen da auf, wenn er nicht gutwillig gehen will, und werft ihn auf den Karren.«

Die Neger sprangen lachend auf den Gebundenen zu, der in Angst und Entsetzen auffuhr und sich den Hang hinabwerfen wollte; aber die Leine, mit der er an den jungen Stamm befestigt war, warf ihn zu Boden, und wenige Minuten später fand er sich machtlos in der Gewalt der beiden riesigen Schwarzen, die ihn wie ein Kind zwischen sich nahmen und hinabschleppten.

Eine Stunde später etwa kam Rottack mit der armen, in Thränen aufgelösten Frau und den Kindern, die vor Angst und Bangen sprachlos schienen, hinunter zur Chagra. Es war ein schweres Amt für ihn gewesen, den Jammer der Frau mit anzusehen und sich dabei sagen zu müssen, daß er eigentlich die Mitschuld daran trage; aber es konnte auch nicht umgangen werden, denn die schon so unglückliche Frau durften sie nicht allein und hülflos mitten in dem fremden Wald zurücklassen; sie wäre mit den Kindern verdorben. Was aber in seinen Kräften stand, sie zu trösten, that er. Er gab ihr vor allen Dingen alles Geld, das er bei sich führte, und versprach, für sie in Santa Clara zu sorgen, auch ihre Kinder unterzubringen – sie ginge jetzt einem besseren Leben entgegen, als sie an der Seite des Verbrechers geführt – die Colonisten in Santa Clara würden sich ihrer annehmen, und sie solle außer Sorgen für die Zukunft sein. Er nahm ihr auch das kleinste Kind ab und trug es selber, daß sie leichter vorwärts kam, und that alles Mögliche, nur erst einmal ihre Thränen zu stillen. Es war ihm furchtbar, wenn er einen erwachsenen Menschen weinen sah.

So erreichten sie endlich die Chagra, der junge Graf noch immer das schreiende Kind auf dem Arm, als ihm Könnern entgegensprang.

»Graf Rottack, Sie als Kinderwärter?« sagte er lächelnd, indem er vor ihm stehen blieb »und doch steht es Ihnen gut – Sie haben ein schweres, schweres Amt gehabt!«

»Allerdings,« seufzte der junge Mann, indem er einer auf ihn zukommenden Negerin das Kind übergab – »da, mein Schatz, sei Du so gut und sieh einmal zu, ob Du den Schreihals stopfen kannst, der Außerordentliches auf dem Weg hierher geleistet hat – und daß die arme Frau da etwas zu essen bekommt. Ich fürchte fast, daß ihre Hauptkrankheit der Hunger ist. – Aber was ist denn mit Ihnen vorgegangen, Könnern? – Ihr Gesicht strahlt ja ordentlich vor Seligkeit!«

»Rottack – Rottack,« rief Könnern, seine Hand ergreifend – »ich habe sie gefunden!«

»Sie – so?« sagte der junge Graf in komischem Erstaunen; »so viel ich weiß, hatte ich sie gesucht und Sie hatten es nur mit einem ihn zu thun.«

»Elise mein' ich.«

»Elise? – des alten Meier Tochter?«

»Sie ist hier – hierher geflüchtet; ihr Vater wurde krank und ist eben in ihren Armen verschieden.«

»Nun,« sagte Rottack trocken, »für einen derartigen Sterbefall sehen Sie leidlich vergnügt aus. Wollen Sie aber so freundlich sein und mir sagen, weshalb Sie darüber so entzückt sind?«

»Aber wissen Sie denn nicht, daß ich Elise schon wie ein Verzweifelter im ganzen Wald gesucht hatte?«

»So? – nicht übel; also deshalb dieser Eifer, dem armen Köhler wieder zu seiner Freiheit zu verhelfen und dem Mörder auf die Spur zu kommen, und ich wurde eigentlich blos mitgenommen, um zuerst den Diebsfänger, nachher den Brautführer zu machen und nebenbei schreiende Kinder durch den Wald zu schleppen, wie verzweifelte Mütter zu trösten!«

»Liebster, bester Graf!«

»Lassen Sie es gut sein; ich sehe schon wie es ist, immer die alte Geschichte – Günther geht heim zu seiner Braut, Köhler wartet nur darauf, bis wir zurückkommen und sitzt dann wieder mit seiner jungen Frau da oben in dem Miniaturparadies – Sie haben ebenfalls jetzt gefunden, was Sie gesucht, und ich bin wie gewöhnlich der, welcher leer ausgeht. Mein einzig, sichtbarer Vortheil ist auch nur der, daß ich mich jetzt von Kopf bis zu Füßen neu kleiden kann und außerdem noch eine Apothekerrechnung für Pflaster zahlen und für Herrn Bux' Familie sorgen darf! Hol' der Teufel Brasilien!«

»Armer Rottack,« lachte Könnern gutmüthig.

»Ja wohl, armer Rottack,« sagte der junge Mann »und das ist noch nicht einmal Alles! Sie können natürlich die junge Dame jetzt nicht mit dem todten Vater allein lassen, um alles das zu besorgen, was irgend nöthig ist. Also darf ich mit ein paar sehr unangenehm ausdünstenden Negern wahrscheinlich den Transport allein übernehmen – wieder ein Vortheil!«

»Von Herzen gern will ich das thun,« rief Könnern rasch, »wenn Sie nur dann meine Stelle hier vertreten wollen.«

»Hm, so? – damit Sie mir dann auch noch in Santa Clara den Dank der jungen Frau wegschnappen? Nein, damit ist's denn doch nichts; das will ich wenigstens haben und wenn ich's mir stehlen müßte. Aber wie weit ist's von hier nach Santa Clara – haben Sie eine Idee?«

»Dieser Weg,« erwiderte Könnern, »führt nach der Colonie Santa Martha hinüber und soll bequem im Thal hinlaufen. Von dort haben Sie breite, trockene Fahrstraße bis Santa Clara, etwa sieben Legoas im Ganzen.«

»Nun, das geht an; dann brech' ich aber in einer Stunde auf. – Und wann kommen Sie nach?«

»Morgen früh wird die Leiche des alten Mannes beerdigt, dann hält mich hier nichts weiter, und wenn es irgend möglich ist, bringe ich die Familie des Verbrechers gleich mit. Wir müssen jedenfalls sehen, daß wir für die arme Frau ein Unterkommen in der Colonie finden.«

»Das giebt wieder eine passende Beschäftigung für mich,« sagte Rottack, indem er zu seinem Pferde ging und es absattelte. Es mußte erst ein wenig gefüttert werden, ehe er den Heimritt darauf antreten konnte.



 << zurück weiter >>