Friedrich Gerstäcker
Die Colonie
Friedrich Gerstäcker

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11.

Künstler.

Direktor Sarno hatte in diesen Tagen so außerordentlich viel zu thun gehabt, daß er sich mit seinem Gaste gar nicht oder doch nur sehr wenig beschäftigen konnte. Alles drängte auf ihn ein – Alles wollte von ihm Hülfe, Rath, Lebensmittel, Colonien, Ackergeräthe und tausend andere Dinge, die er unmöglich Jedem schaffen konnte, und doch that er was in seinen Kräften stand, um vor allen Dingen wenigstens die Familien unterzubringen.

Schwartzau war indessen sehr fleißig gewesen und hatte einen ziemlich bedeutenden Landstrich vermessen, auf dem ein großer Theil der erstgekommenen Colonisten untergebracht werden konnte. Aber das half immer noch nicht für den ersten Augenblick, wenn sich jetzt auch wenigstens ein Ende absehen ließ. Die neuen Colonisten mußten damit beginnen, in den ihnen bezeichneten Grenzen einen Fleck »klar« zu machen, um ihr Wohnhaus darauf zu setzen, blieben aber in der Zeit, bis das geschehen, noch immer auf ihr Nachtquartier in der Colonie angewiesen, wobei ihnen das Hin- und Herwandern noch sehr viel Zeit fortnahm.

Die meisten der Emigranten bedurften dabei für ihren nächsten Lebensunterhalt der ihnen versprochenen Subsidiengelder, d. h. einer Unterstützung, die ihnen der Staat gab und die sie nur verpflichtet waren, nach einem Zeitraum von fünf Jahren zinsfrei zurückzuzahlen. Aber was kümmerten sich die Leute jetzt um das, was man ihnen etwa nach fünf Jahren wieder abverlangen könne! Ihnen gehörte nur der Augenblick, und was sie deshalb an solchen Unterstützungen aus dem Direktor herauspressen konnten, hielten sie Alles für rein gewonnen und geschenkt, wie sie es ebenfalls dem Director zur Last legten, wenn er soviel als möglich mit den Geldern zurückhielt. Er gönnte es ihnen nur nicht, meinten sie, und wolle es vielleicht gar für sich behalten. Daß er sie selber davon zurück zu halten wünschte, zu viele Schulden zu machen, fiel ihnen gar nicht ein.

Director Sarno hatte den Kopf in der That zum Zerspringen voll, und Könnern, der mit seinen eigenen Hoffnungen und Plänen ebenfalls reichlich beschäftigt war, ging ihm schon soviel als möglich selber aus dem Wege. Als er aber gefunden, daß mit der Jagd in der Nachbarschaft wenig oder gar nichts zu machen war, hatte er seine Mappe wieder vorgenommen und vor allen Dingen einen passenden Platz an den nächsten Hängen gesucht, von wo er einen Ueberblick über die Colonie bekam.

Daß er dabei Meier's kleine, freundliche Plantage besonders im Auge hatte, mochte er sich im Anfange selber nicht recht gestehen, aber es ließ sich auch nicht lange mehr sogar vor sich selber verleugnen, denn um den Platz umher suchte er den ganzen Wald ab, nur um einen Punkt zu finden, von wo er einen Ueberblick in das Thal gewann, und war endlich glücklich genug, einen vorspringenden Felsen an einem der Bergabhänge aufzufinden, von dem aus er Meier's Besitzthum gerade überschaute, während weiter zu Linken die Colonie Santa Clara mit ihren lichten Gebäuden und rothen Dächern, mit den gelben schmalen Wegen und dunklen Fruchtbaum- und Gebüschgruppen ein ganz freundliches und auch wirklich malerisches Bild zeigte.

Allerdings waren ihm hier noch ein paar Palmen und Baumwipfel im Wege, welche zum Theil die ungestörte freie Aussicht verdeckten, aber auch das ließ sich mit geringer Arbeit beseitigen. Selber im Gebrauche der Axt tüchtig eingeübt, stieg er am nächsten Morgen wieder mit einem solchen Werkzeuge zu seinem Waldes-Atelier hinauf, markirte sich die im Weg stehenden Stämme und ging dann scharf an die Arbeit um sich freie Bahn zu schaffen. Noch vor Dunkelwerden war das auch geschehen und die kleine Felsplatte da oben jetzt so weit freigelegt, daß er am nächsten Morgen seine Arbeit, von keinem Hindernisse mehr gestört, beginnen konnte.

Etwa um zehn Uhr Morgens stieg er, seine Mappe auf dem Rücken, seinen Stock in der Hand und ein kleines Beil im Gürtel, auf einem schmalen, zum Theil selber ausgehauenen Stege bergan, und fast unbewußt nickte er, als er den offenen Platz erreichte und das untere Thal mit seinen bewaldeten Seitenhängen vor sich liegen sah, freundlich nach der Stelle hinüber, wo Meier's Chagra lag – hatte sein Blick sie doch schon lange, selbst durch die Büsche hin, gesucht!

So schaute er denn still und schweigend dort hinüber, und sein Auge haftete unverwandt auf dem Einen Punkte. Endlich, wie mit Gewalt die Gedanken zurückdrängend, schüttelte er sich das Haar aus der Stirn und wollte sich eben nach dem schon ausgesuchten Platze wenden, um seine Arbeit zu beginnen, als sein Blick auf eine dort ausgestreckte menschliche Gestalt fiel.

Es war ein Mann in, wie es schien, anständiger Kleidung, der hier auf der Brust, das Gesicht im Grase und den einen Arm lang ausgestreckt, regungslos lag. – War er todt? – Wirres schwarzes Haar hing ihm um die Schläfe, daß sich die Züge nicht erkennen ließen – und die eine Hand – Könnern blickte überrascht zu der Gestalt zurück, denn die Hand war zart und weiß, als ob sie einem Mädchen gehöre – die Mappe und seinen Stock jetzt in das Gras legend, bog er sich zu dem vor ihm Ausgestreckten nieder, um zu sehen, ob noch Leben in dem Körper sei. Kaum berührte aber seine Hand die Schulter desselben, als der vermeintliche Todte den Kopf hob, Könnern anstarrte und sich dann langsam aufrichtete.

»Fehlt Ihnen etwas?« fragte Könnern, als er die dunkeln Augen eines jungen Mannes auf sich haften sah.

»Nein« – lautete die Antwort – »ich war nur müde – gedankenmüde geworden und hatte mir die heiße Stirn ein wenig kühlen wollen. Haben Sie den Platz hier ausgehauen, daß man den freien Blick über da unten gewinnt?«

»Ja,« sagte Könnern, den Fremden noch immer halb erstaunt betrachtend, denn er konnte aus der eigenthümlichen Erscheinung desselben nicht recht klug werden. – »Ich glaube, der Punkt hier eignet sich vortrefflich dazu, um von hier aus die Colonie und ihre nächste Umgebung aufzunehmen.«

»Vortrefflich,« erwiderte der Fremde, sich mit der Hand über die Stirn fahrend, »Sie sind Maler? Aber dort hinüber fehlt Ihnen noch ein kleiner Theil. – Sehen Sie da durch den Wipfel jener dünnen Palme das helle Haus mit dem kleinen Erker oben drauf? Sollten Sie Santa Clara zeichnen und das Haus verdecken?«

Könnern wußte nicht recht, was er aus dem Benehmen des Fremden machen sollte. Dieser aber, ohne seine Antwort abzuwarten, fuhr fort:

»Ach, wie ich sehe, haben Sie ein kleines Beil bei sich, damit geht es besser als mit meinem Messer, mit dem ich schon versucht habe die Palme zu fällen. – Geben Sie mir das Beil – ich mache Ihnen Raum.«

Der junge Maler mochte dem so eigenthümlich gestellten Verlangen nicht entgegentreten, und während der Fremde mit ordentlicher Hast nach dem Beil griff und die wenigen Schritte den Hang hinabkletterte, folgte er ihm, damit die junge Palme nicht falsch geworfen würde und ihm vielleicht einen andern wichtigen Punkt verdecke. Er traute dem Fremden eben nicht viel praktische Erfahrung im Baumfällen zu.

Dieser hackte unerbittlich auf den schlanken Stamm los, und Könnern sah zu seinem Erstaunen, daß er wirklich schon mit dem Messer tiefe Einschnitte in die Rinde gemacht, die Arbeit aber endlich als eine zu mühsame aufgegeben hatte.

Als die Schläge den Baum trafen, fielen die schweren Tropfen, die der Nachtthau darauf geworfen, von den Blätternieder. Der Fremde hielt ein, stützte sich mit dem linken Arm gegen den Stamm und sagte traurig:

»Der Mensch ist doch eigentlich ein recht grausames Geschöpf und vernichtet, wohin sein Fuß nur tritt, wohin er die Hand nur ausstreckt, erbarmungslos, was ihm im Wege steht. – Sehen Sie, wie der armen Palme die Thränen von den Wimpern fallen. So jung und schon sterben – so schön und in der Blüthe ihrer Jahre zu Boden geworfen werden – zu Boden, zwischen Gras und Lianen, die sie in wenigen Monaten bedecken und umranken werden! – Aber was kann's helfen,« setzte er nach einigen Secunden rasch und fast wild hinzu, indem er das Beil wieder aufgriff – »weshalb soll der Baum gerade leben und im Sonnenlichte seine Arme dem Glück entgegenbreiten? Fort mit dir, Bursche, du stehst Anderen im Wege! Was nützen uns deine Thränen, dein Herzblut wollen wir haben; in dein Mark hinein wollen wir dringen, und wer der Bitte nicht nachgiebt, ei, den zwingt zuletzt die Gewalt!« – und mit raschen, schlecht gezielten Schlägen hackte er wieder auf die junge Palme ein, aus der er aber doch Span auf Span heraushieb, bis sich endlich der schwere Wipfel langsam zu neigen begann und der Baum in das Gewirr von niederen Büschen und Ranken hineinsank.

»Da liege und träume,« sagte der wunderliche Fremde – »und du bist immer noch glücklich dabei,« flüsterte er, von Könnern ungehört, dazu, »denn du stirbst ihretwegen!«

Einen Augenblick stand er und schaute sinnend auf den gefällten Baum, dann aber, wie seine Gedanken gewaltsam abschüttelnd, sprang er empor, schwang das Beil in die Luft und rief:

»So, mein lieber Herr Maler, das letzte Hinderniß ist beseitigt, nun können Sie ungestört an Ihre Arbeit gehen!«

Könnern hatte dem sonderbaren Wesen und Treiben des Mannes schweigend zugesehen und zerbrach sich dabei den Kopf, wer der Fremde wohl eigentlich sein und was er treiben könne, denn der Anzug gab, wie er recht gut wußte, in den Colonien nur selten den Maßstab für den Mann selber. Die feinen, fast zarten Hände verriethen, daß er noch nie eigentlich schwere Arbeit gethan, und die Ungeschicklichkeit, mit welcher er den jungen Baum fällte, bezeugte das ebenfalls. – Was trieb er denn, um seinen Platz hier in der Colonie auszufüllen?«

Der Fremde aber ließ ihm nicht lange Zeit zu solchen Betrachtungen und schien sonderbarer Weise selber das größte Interesse an der Malerei zu nehmen. Er drängte wenigstens zum Beginne derselben und half bereitwillig Alles vorrichten, was Könnern seine Arbeit erleichtern konnte.

Dann, als der junge Mann seine Mappe öffnete und seine Arbeit wirklich in Angriff nahm, streckte er sich neben ihm auf dem moosbewachsenen Steine aus und schaute in tiefem Sinnen lange auf die vor ihnen ausgebreitete, wahrhaft wundervolle Landschaft.

Könnern, vollständig mit seiner Arbeit beschäftigt, hatte seine Nähe schon fast ganz vergessen und entwarf rasch und mit kecken Strichen die Umrisse des kleinen, freundlichen Bildes als der junge Mann an seiner Seite plötzlich mit leiser Stimme fragte:

»Glauben Sie an Träume?« Er hob dabei das bleiche, ausdrucksvolle Antlitz zu dem Maler und schaute ihn mit den dunkeln Augen scharf und forschend an.

»Nein,« lächelte Könnern, ohne sich in seiner Beschäftigung stören zu lassen. Er zeichnete gerade Meier's Haus, das eigentlich den Vordergrund zu der Skizze bilden sollte, und wieder und wieder flog sein Blick hinüber.

»Ich dachte es mir,« erwiderte ruhig der Frager und ließ den Kopf wieder sinken – »die wenigsten Menschen glauben an Träume und doch sind sie nur zu oft das Spiegelbild unserer Seele, von der wir allein auf diese Weise etwas zu sehen bekommen können.«

»Das wäre ein eigenthümliches Spiegelbild,« lachte Könnern kopfschüttelnd, »das mir etwas zeigt, an das meine Seele das ganze Jahr nicht gedacht hat. Ist man denn im Stande, das zu träumen, was man sich ersehnt?– nie! Wir mögen unsern Geist den ganzen Tag mit festem und entschiedenem Willen auf einem Punkte festhalten bis zum Schlafengehen, ja, bis sich die müden Augen schließen, und Zehn gegen Eins, der Traum springt mit uns nach irgend einer andern Gegend hinüber und bringt uns die verwirrtesten, fremdesten Bilder – doch nie das Verlangte. Aber wie kommen Sie auf solche Ideen und was haben wir hier überhaupt mit einem Traum zu thun? Liegt nicht die Wirklichkeit um uns her so wunderbar schön – viel schöner, als sie uns ein wirrer Traumgarten bieten könnte?«

»Ach, ich träume immer so schwer!« sagte der Mann mit einem recht aus tiefster Brust herausgeholten Seufzer, indem er mit der flachen Hand seine Stirn preßte – »und wenn ich dann aufwache – aber Sie haben Recht,« brach er kurz ab. »Zum Orkus mit den Träumen! Wir wollen uns lieber mit der Wirklichkeit beschäftigen, die uns ja auch nur wie ein Märchentraum umgiebt. – Sehen Sie hier, da hat sich der dünne grüne Stiel mühsam aus der engen Felsspalte herausgearbeitet, nur um ein einziges riesengroßes Blatt zu treiben, und da der Cactus – sehen Sie den Cactus an – sind Sie wohl im Stande, sich eine vegetabilische Katze zu denken? – Das ist eine. – Sehen Sie, wie jener Cactus auf den vom Sturme geworfenen jungen Stamm gesprungen ist und sich daran festgeklammert hat. Die Wurzel des armen Baumes hängt noch zum Theil im Boden und er hätte daraus Jahre lang seine Nahrung ziehen und seine Schößlinge nach oben treiben können – wie es mancher arme umgeworfene Baum thun muß – aber nein, der Cactus sprang auf ihn; sehen Sie, wie er ihn überall mit seinen gegliederten Armen umspannt und preßt, und da aus der Wunde, in die er sich eingebohrt, hat er ihm den Lebenssaft langsam, aber sicher ausgesogen. Es ist merkwürdig, daß wir selbst in dem Leben der Pflanzenwelt so häufig sprechende Aehnlichkeiten mit den Charakteren, mit dem ganzen Treiben unserer Menschenwelt finden – wenn wir nur eben ein Auge dafür haben – und ich glaube fast, ich kenne einen ganz ähnlichen Cactus und« – setzte er langsamer und wie scheu hinzu – »kenne auch den todten Baum, dem er das Herzblut ausgetrunken.«

Könnern war mit dem Auge dem ausgestreckten Arme seines neuen Bekannten gefolgt, und er mußte gestehen, daß der Vergleich ihm selber merkwürdig treffend schien. Der junge Baum war umgeweht und der daraus gewachsene Schmarotzer-Cactus sah wirklich so aus, als ob er den Stamm gierig und fest umklammert hielt, einem Raubthiere gleich, das sich auf ein gestürztes Stück Wild geworfen.

»Und da drüben,« fuhr der Fremde fort – »sehen Sie die Rebe, die sich an den Baum schmiegt und von ihm genährt, getragen und gehalten wird? – Es ist nicht das Bild der Liebe, wie es auf den ersten Blick erscheinen möchte – es ist der falsche Freund, der den Umgarnten hält und in seiner treulosen Umarmung endlich erstickt. – Aber ich halte Sie von Ihrer Arbeit ab,« unterbrach er sich wieder – »das war mein Wille nicht. – Lieber Gott, es ist doch eigentlich recht traurig, daß ich immer und immer wieder nur allen Menschen im Wege sein muß!« – Er warf sich bei diesen Worten auf den Stein nieder, lehnte die Stirn auf seinen Arm und lag viele Minuten still und regungslos.

Könnern zerbrach sich noch immer den Kopf, was er aus seiner neuen Bekanntschaft machen solle, denn manchmal kam es ihm so vor, als ob er es mit einem halb Wahnsinnigen zu thun habe und dann auch wieder verwarf er den Gedanken und hielt den Fremden nur für einen Unglücklichen, der, in seinen Hoffnungen und Erwartungen getäuscht, Bitterkeit gegen das ganze Menschengeschlecht im Herzen trage, diesem Gefühle aber auf seine eigene barocke Weise Raum gebe. Es that ihm aber auch wieder leid, daß sich der Fremde seinetwegen Vorwürfe machen solle, und er sagte freundlich:

»Machen Sie sich deshalb keine Sorge. Sie sind mir nicht im Geringsten im Wege und stören mich gar nicht. Im Gegentheil, es ist ganz angenehm, bei der Arbeit Jemanden zu haben, mit dem man plaudern kann, und in der Colonie habe ich bis jetzt leider noch Wenige getroffen, mit denen es sich der Mühe lohnte.«

Der Fremde richtete sich langsam auf, strich sich die Haare aus dem Gesicht und sagte dann: »Ich danke Ihnen; Sie sind wenigstens nachsichtig mit meinem Geschwätz. Aber ich will Ihre Geduld auch nicht mißbrauchen – vielleicht vertreibe ich Ihnen die Zeit auf eine andere Weise« – und mit den Worten selbst trat er in das nächste Gebüsch und Könnern sah zu seinem Erstaunen, wie er von dort eine Violine nahm und sie stimmte.

»Sie sind Musiker?« fragte er.

»Musikant – ja,« lachte der Fremde bitter vor sich hin – »ich darf den Bauern zum Tanz aufspielen und den Jungen die Griffe lehren und mir die Ohren zerreißen lassen, wenn sie mit den dicken, gefühllosen Fingern auf allen Saiten zugleich herumtappen« – und damit strich er wild in die Saiten, bis sich sein Aerger in den Tönen des eigenen Instrumentes milderte und er zu einem weichen, meisterhaft gespielten Adagio einlenkte.

Könnern lauschte entzückt dem Spiel des Fremden, und als dieser endlich innehielt und sein Instrument in tiefen Gedanken neben sich auf den Boden stemmte, sagte er freundlich:

»Sie sind mehr als Musikant, mein lieber Freund, und wie Sie sich auch hier Ihr Brod verdienen müssen, Ihr Spiel verräth den Künstler.«

»Künstler,« lachte der Fremde und warf sich die Haare wieder aus der Stirn – »es ist ein wunderlicher Name und ich habe mir schon oft den Kopf darüber zerbrochen, weshalb man derartige Leute Künstler nennt – doch wohl nur deshalb, weil sie sich mit einem solchen Instrumente nur höchst künstlich am Leben erhalten und vor dem Verhungern schützen können. Künstler – der Name hat etwas Vogelfreies in der Bedeutung, selbst in dem Doppelsinn des Wortes – eine wunderliche Brüderschaft mit ihren Auswüchsen von Seiltänzern, Taschenspielern und Bänkelsängern. – Man sagt, das Handwerk habe einen goldenen Boden und was hat die Kunst? – Einen vergoldeten Deckel, und darunter liegt Jammer und Elend, Hunger und Noth, Neid und Bosheit. – Wenn ich einen Knaben hätte, er müßte mir ein Handwerk erlernen und wenn er das geringste Talent zu einer sogenannten ›Kunst‹ verriethe, drehte ich ihm mit kaltem Blute selber den Hals um.«

»Und doch sitzen hier oben auf dem einen alten Felsblock zwei lebendige Wesen, die der nämlichen vogelfreien Gilde angehören,« lachte Könnern.

»So treffen sich die Menschen in der Welt,« sagte der Fremde leise, »wandern eine kurze Strecke eine und dieselbe Bahn und trennen sich wieder, um an verschiedenen Orten ihr eigenes Grab aufzusuchen – wunderliches Leben das!« – und wieder sein Instrument aufnehmend, überließ er sich ganz seinen wilden Phantasien. Könnern unterbrach ihn auch nicht darin und zeichnete fleißig weiter, bis er die erste Anlage seiner Skizze vollständig beendet hatte und aufstand, um seine Mappe zu schließen.

»Sind Sie fertig?« fragte der Violinspieler und sprang ebenfalls auf.

»Noch nicht, aber doch mit der Anlage. Wie finden Sie die Skizze?«

Der Fremde warf einen flüchtigen Blick darüber hin, und dann die vor ihnen ausgebreitete Gegend mit dem Auge überfliegend, sagte er, wieder zu der Zeichnung zurückdeutend: »Da liegt die Palme, die wir erst gefällt und gleich darüber, in die Blüthenbüsche hineingeschmiegt – doch fort, was kümmern mich die Leute, und daß ich immer dorthin zurück muß, kann ich's ändern? – Ha, da ist das Directionsgebäude und die Kirche, wo die Bauern Sonntags ihre Gesangbuchsverse abbrüllen und das Andacht nennen. Dahinter liegt der kleine dunkelgrüne Hügel – da das Schulhaus, wo hinein sie mich bannen wollten, wenn ich nicht eben vogelfrei gewesen, und hier im Vordergrunde die Höhle des alten Mannes mit den weißen Haaren, der vollkommen Recht hat, daß er die Menschen haßt und scheut, und nur dabei vergißt, daß er ein anderes, junges Leben ebenfalls in seiner Gruft vergräbt.«

»Sie kennen den alten Meier?« fragte Könnern rasch.

»Ich kenne ihn,« sagte der Fremde ruhig, »und habe ihn manchmal gesehen, wie man den Panther sieht, wenn man durch den Wald streift – wie einen Lichtschein durch die Büsche und fort! Aber das ist keine Natur, die mir zusagt, ich hasse Vögel im Bauer, und nur draußen in der Freiheit – da – sehen Sie dort?!« unterbrach er sich rasch und deutete mit ausgestrecktem Arm in die Ansiedelung hinab, »sehen Sie, wie der Schimmel dort unten durch die Straßen fliegt? – sehen Sie, wie die Locken der Amazone wehen, wie ihr Auge blitzt, wie die Wangen vom scharfen Ritt geröthet sind und die kleine Hand das Thier unter sich doch immer zu noch schärferer, wilderer Flucht antreibt? – Ach, das ist Musik, wenn das muthige Roß den Boden mit den Hufen schlägt – das ist Musik, wenn ihr fröhliches Lachen durch die Seele dringt und die Brust mit Wonne und Jubel füllt! Das Andere, was wir Musik nennen,« setzte er langsamer und finster hinzu, »ist nur eine Art von musikalischem Lärm – ein Mißton in der Harmonie der Natur – gehen Sie mir mit solcher Musik!« Und ohne eine weitere Antwort des jungen Malers abzuwarten, ja, ohne ihn weiter zu beachten oder Abschied von ihm zu nehmen, stieg er mit seiner Geige mitten in das Dickicht hinein, um sich seinen Weg nach der Ansiedelung hinab direct zu bahnen.

Könnern, der Anfangs dem ausgestreckten Arme des Fremden mit dem Blicke gefolgt war, hatte in der von hier aus ziemlich fern gelegenen Colonie nur eben drei Reiter erkennen können, die in voller Flucht die breite Hauptstraße hinabsprengten. Einer von diesen ritt einen Schimmel, weiter ließ sich aber natürlich auf solche Entfernung nichts erkennen.

Jetzt sah er erstaunt und kopfschüttelnd seinem neuen Bekannten nach, der ihn auf so rasche und schroffe Art verließ. Aber nicht gesonnen, sich ihm aufzudrängen, wenn er sich auch fest vornahm, unten in der Colonie nähere Erkundigungen über ihn einzuziehen, packte er sein Zeichenbuch ebenfalls zusammen und stieg langsam auf dem von ihm selber ausgehauenen Weg in die Colonie zurück.


In der einen Querstraße Santa Claras, am westlichsten Ende der Ansiedelung, wo sich der bebaute Platz schon nach den Bergen hin zu heben begann, stand ein kleines, ziemlich ärmlich aussehendes Häuschen mit drei Fenstern und einer Thür und unter dem Ziegeldache einer Bodenkammer.

Aermliche Häuser gab es nun zwar in Santa Clara genug, aber die meisten sahen doch wenigstens reinlich aus, und wenn sie auch keinen Reichthum verriethen, zeigten sie doch fast alle das Streben der Insassen nach einer gewissen Wohnlichkeit, die sich auch durch das einfachste Material herstellen läßt, wenn nur eben Alles sauber und in Stand gehalten wird. Es bedarf nicht immer künstlich zugehauener Steine und werthvoller Hölzer; ein Topf weiße Farbe, und ein Scheuerlappen verrichten oft vortreffliche Dienste, nur muß der gute Wille und das Gefühl dafür vorhanden sein.

Hier schien das Alles zu fehlen. Der weiße Anputz des Hauses war lange von Wind und Wetter heruntergewaschen, die Fensterscheiben waren an vielen Stellen zerbrochen und an der Wetterseite mit Papier nothdürftig verklebt. Das Staket des kleinen Gartens, in dem nur Unkraut groß gezogen wurde, lag an mehreren Stellen niedergebrochen; im Dache fehlte hier und da ein Ziegel, und der Regen ward durch untergeschobene Späne an solchen Stellen nothdürftig abgehalten, sich seinen Weg in's Innere zu bahnen.

Ebenso sah es vor dem Hause selber aus. Wo fast alle anderen Ansiedler gar nicht schwer zu erlangende Steinplatten gelegt, die wenigstens einen trockenen und reinlichen Eingang in den Hausflur bildeten, hatte der Besitzer dieses Hauses bequemer zu erreichendes Material verwandt und nur einige Körbe voll Späne, die das Feuerholz geliefert, oben auf den weichen Lehm geschüttet und nach und nach hineintreten lassen oder selber hineingetreten. Aber diese waren nicht einmal erneuert worden und dadurch Stellen entstanden, die man bei nasser Witterung nur mit größter Vorsicht passiren konnte.

Nichtsdestoweniger prangte über der Thür ein mächtig großes Schild, das fast die Hausbreite einnahm und den Raum zwischen Thürsims und Dach vollständig ausfüllte. Auf dem standen mit in die Augen springenden Buchstaben die Worte:

Bekleidungs-Akademie von Justus Kernbeutel,
Kleiderkünstler für Herren, und Zimmermaler.

Justus Kernbeutel selber saß unter seinem Schilde an einem der offenen Fenster auf seinem Zuschneidetische und hatte ein Paar alte breitgestreifte Hosen vor sich auf dem Schooße, auf die er eben in Ermangelung eines ähnlichen Stoffes einen violet carrirten Flicken setzte, während in dem andern Zimmer auf einem Herd, der eine ganze Sammlung von schmutzigen und zerbrochenen Töpfen trug, eine zu der ganzen Umgebung vortrefflich passende Frau das Mittagsmahl bereitete.

Meister Kernbeutel oder »Justus,« wie er in der Ansiedelung gewöhnlich glattweg genannt wurde, schien übrigens seiner Arbeit nicht zu eifrig obzuliegen, denn er ließ oft die Nadel ruhen, um etwa Vorübergehenden nachzusehen oder dann und wann auch Einen oder den Andern anzurufen. In ein ordentliches Gespräch ließ sich aber Niemand mit ihm ein, denn Jeder hatte seine bestimmte Beschäftigung und daß Justus keine zu haben schien, kümmerte die Andern eben nicht.

Justus sah übrigens auch gar nicht so einladend aus, das Haar hing ihm noch wirr um Kopf und Schläfe, als ob er sich an dem Morgen – etwas sehr Wahrscheinliches – noch nicht einmal gewaschen hätte, und ein paar blutige Striemen in dem von Leidenschaften gefurchten, unrasirten Gesicht dienten ebenfalls nicht dazu, ihn zu verschönern.

Sein Humor schien aber dafür desto besser; er pfiff fortwährend bei der Arbeit, aber ob aus eigener fröhlicher Laune, oder vielleicht die Vorübergehenden und die Nachbarn wissen zu lassen, daß er sich den Henker um Einen von ihnen schere, ließ sich nicht genau erkennen. Es kümmerte sich auch Niemand darum.

Da kam ein einzelner Fußgänger langsam die Straße herauf, er hatte die Mütze, mit einem Tressenbande darum, schief und herausfordernd auf dem linken Ohr, beide Hände in den Taschen einer alten Militärhose, die Weste um einen Knopf zu hoch eingeknöpft und den blauen Leinwandrock fleckig und an der Schulter eingerissen, außerdem aber eine kurze, schmutzige Porzellanpfeife im Munde und einen roth und grünen Tabaksbeutel vorn im Knopfloch hängen.

Wie er dem Hause gegenüber war, blieb er stehen und las das Schild, besah sich dann aufmerksam den am Fenster sitzenden Eigenthümer, ging ohne Weiteres zu ihm hinüber, lehnte beide Arme auf das Fensterbrett und sagte:

»Guten Morgen, Schneider, wie gehts?«

Es giebt in der Welt eine Physiognomik, die wie die Freimaurerei ihre gewissen Zeichen unter sich hat, und nach der sich verwandte Charaktere oft wie durch eine Art von Instinct zu erkennen scheinen. Im Guten wie im Bösen zeigt sich das, und wie sich ein braver, rechtlicher Mann von dem offenen und ehrlichen Augen eines oft ganz Fremden angezogen fühlt, so kann der Lump oder Verbrecher gerade das offene und ehrliche Auge nicht leiden, fühlt sich aber augenblicklich heimisch, wo er die Gewißheit findet, das zu treffen, was er selber zu seinem eigenen Wohlbehagen braucht: Genossenschaft im Laster und ein schlechtes Gewissen. Zu dem Ersten müßte er aufblicken, das ist ihm unbequem – zu dem Andern sagt er Du – wenn auch nicht immer gleich wörtlich, doch immer gleich im Geiste, und die Gesellschaft ist ihm gerade recht.

»Guten Morgen, Schneider, wie geht's?« redete auch deshalb der Fremde den am Fenster sitzenden Justus an, als ob sie seit Jahren Freunde gewesen wären, und nicht erst heute oder gestern erfahren hätten, daß sie gegenseitig auf der Welt wären – »immer so fleißig?«

»Muß ja wohl,« lautete die für jetzt noch ausweichende Antwort des Arbeitenden, dem der Fremde zu rasch gekommen war, um sich gleich in ihn hinein zu finden; »wohl erst neulich angekommen?«

»Mit dem Schiff – ja. Hübsch hier in Brasilien, wie?«

»Wem's gefällt, ja,« lautete die Antwort; »aber Donnerwetter, wie ist mir denn? Das Gesicht sollt' ich doch kennen – bist Du denn nicht der Bursche, Kamerad, den die vornehme Gesellschaft da neulich beim Bier hinausfuhrwerkte? Hast wohl noch keine Zeit gehabt, Dir den Rock wieder zu flicken?«

»Hm,« brummte der Fremde, dem die Erwähnung jener Scene eben nicht besonders angenehm zu sein schien; »wenn zehn Lümmel über Einen herfallen – hübsche Gastfreundschaft hier bei Euch, das muß wahr sein, und Du hast vielleicht auch mit angefaßt?«

»Doch nicht,« sagte Justus kopfschüttelnd – »hol' sie der Teufel, die Canaillen, mir sind sie eben so wenig grün und ich hab' gerade eine solche Kreide gegen sie.«

»Oho!« lachte der Fremde, der dadurch neues Vertrauen faßte – »aber was hilft's? Viele Hunde sind des Hasen Tod, und wenn die Meute zusammenhält, wer kann dagegen?«

»Deshalb muß man warten, bis man sie einmal auseinander trifft, und nachher seine Zeit wahren, aber wo kommst Du her?«

»Vom Rhein,« sagte der mit der Tressenmütze.

»Und was hast Du für ein Geschäft oder Handwerk?«

»Keins von beiden,« brummte der Bursche, sich bequem mit dem Kinn auf seine beiden Arme lehnend.

»Schafskopf!« sagte auf einmal eine deutliche Stimme dicht hinter dem Schneider, der sich rasch und erschreckt umsah und die Nadel fallen ließ, als er keinen Menschen hinter sich erblickte.

»Nanu?« rief er ordentlich bestürzt aus und fuhr auf seinem Stuhle herum – »da hätt' ich denn doch darauf schwören wollen, daß Jemand dicht hinter mir schimpfte. Hast Du nichts gehört?«

»Ich?« sagte der Fremde gleichgültig – »gar nichts. Was war's denn?«

»Na, das ist aber doch merkwürdig,« meinte der Schneider kopfschüttelnd – »ich habe ganz deutlich gehört, wie Jemand sagte . . .«

»Schafskopf!« ertönte die Stimme noch einmal, und der Mann fuhr von seinem Tische herunter, als ob er auf glühendem Eisen gesessen hätte. Jetzt hielt sich aber auch der Fremde vor dem Fenster nicht länger und schlug ein so gellendes Gelächter auf, daß Justus sich erstaunt und halb gereizt nach ihm umsah. Der mit der Tresse aber, noch immer lachend, während er sich mit beiden Händen an dem Fensterbrett hielt, rief:

»Beruhige Dich nur, tapferer Kamerad – beruhige Dich nur; es ist nicht der Geist irgend eines verschnittenen Tuchrockes, der zu Dir gesprochen, sondern . . .«

»Ich war's ja selber,« rief wieder eine feine Stimme aus der entferntesten Ecke vor.

»Ja, was beim hellen Teufel!« fluchte Justus – »Halunke Du, bist Du denn ein Bauchredner?«

Der mit der Tresse lachte noch immer, daß ihm die Thränen von den schmutzigen Backen herunterliefen und Justus, sich wieder auf seinen Tisch setzend, fuhr jetzt selber lachend fort:

»Verfluchter Kerl! Habe wahrhaftig einen ordentlichen Schreck gekriegt. Aber komm herein, Kamerad; die Alte wird das Essen gleich fertig haben und wenn Du nicht vielleicht beim Director eingeladen bist . . .«

»Ein recht vergnügtes und sauberes Pärchen, das muß wahr sein,« unterbrach in diesem Augenblick eine Stimme von der Straße die Unterhaltung der Beiden, und als sie rasch den Kopf danach drehten, ging eben Jeremias mit einem Bündel junger Pfirsichbäume auf der Schulter, die er draußen auf irgend einer Chagra geholt, die Straße hinab.

»Dich kümmert's wohl, Du verbrannter Halunke!« rief ihm der Schneider zu, dem beim Anblick seines Feindes die Galle rasch wieder überlief.

»Lauf, mein Junge, lauf, sie kommen!« rief in dem Momente eine Stimme dicht hinter Jeremias und dieser drehte rasch und verwundert den Kopf der leeren Stelle zu.

»Lauf, mein Bursche, lauf! Sie kommen wahrhaftig!« drängte es auf's Neue und Jeremias, der noch immer keinen Menschen sah, wurde es doch jetzt unheimlich. Er dachte gar nicht mehr an den Schneider und dessen Gesellschaft, sondern schritt schärfer aus und als jetzt gar eine Stimme an seiner Seite laut wurde, die rief:

»Halt still, Bursche, halt still! Ich muß eins von Deinen Ohren haben!« fing er herzhaft an zu laufen und stand, von dem jubelnden, wiehernden Gelächter der Beiden verfolgt, nicht eher still, als bis er wieder in die eigentliche Straße und zwischen mehrere Häuser kam.

Justus Kernbeutel war aber jetzt rein außer sich vor lauter Vergnügen, seinen ärgsten Feind – denn er haßte den fleißigen und sparsamen Jeremias wie Gift – so angeführt und gejagt zu sehen und der mit der Tresse mußte, er mochte wollen oder nicht, mit zu ihm in's Haus hinein, um an der eben aufgetragenen Mahlzeit Theil zu nehmen.

Er fand allerdings nicht viel Appetitliches da vor, denn des Justus »Haushälterin« paßte zu demselben und sie dachte nicht daran, wegen so eines Gastes auch noch Umstände zu machen. Das Tischtuch – ein alter Baumwollenlappen – sah aus, als ob es eine Zeit lang zum Fußteppich vor der Hausthür gedient hätte und war mit Fett übergossen, die irdene Schüssel nur inwendig ein wenig ausgewischt, und die blechernen Löffel trugen noch die Erinnerung an die letzte Mahlzeit. Der mit der Tresse war aber ebenfalls nicht verwöhnt und es ist sogar möglich, daß er sich vor einem reinen, weißen Tischtuch unbehaglicher gefühlt hätte, als gerade hier. Jetzt fühlte er sich gleich daheim, wischte sich ohne Umstände seinen Löffel an dem nächsten Zipfel des Tischtuches – wenn auch nicht rein, doch trocken, und langte dann tapfer mit in die mitten auf dem Tische stehende Schüssel hinein, in der eine ziemlich reichliche Mahlzeit von klein geschnittenen Kartoffeln und Fleischstücken aufgetragen stand. Während des Essens wurde nicht viel gesprochen.

»Wie heißt Du denn eigentlich?« fragte der Schneider seinen Gast.

»Bux,« sagte der Mann kauend.

»Kurz genug ist der Name,« lachte der Wirth – »und der Vorname?«

»Hab' keinen.«

»Hast keinen Vornamen? Aber Du mußt doch getauft sein?«

»Möglich; aber schon als Junge wurde ich von meinen Alten nur immer Bux genannt, und dabei blieb's. Um Weiteres hab' ich mich nimmer erkundigt, interessirte mich nicht.«

»Und die Polizei daheim ließ sich das auch gefallen?«

»Bah, was wollte sie machen?« lachte der Bursche – »eine Weile fuhrwerkten sie mich per Schub im Lande herum, um zu erfahren, wo ich zu Hause sei und meine Documente zu bekommen. Nachher fanden sie sich darein, und Bux hieß ich und blieb ich.«

Die Frau trug das Essen wieder hinaus, als Alle fertig waren, ohne auch nur eine Silbe zu sprechen – nicht einmal guten Tag hatte sie geboten, als sie in's Zimmer kam. Wie sie den schmutzigen Fetzen vom Tische riß und damit verschwand, sagte Bux, hinter ihr her deutend:

»Scheint heute nicht besonderer Laune, das schöne Geschlecht.«

»Hausdrache,« meinte Justus lakonisch, »aber – was ich Dich fragen wollte, kennst Du den Lump, der da vorüberging?«

»Den ich so hübsch auf den Trab brachte?« fragte Bux, indem er seine kurze Pfeife zwischen die Zähne nahm und aus dem roth und grünen Beutel stopfte.

Der Schneider nickte und fuhr dann leise fort:

»Das ist der nichtswürdigste Halunke, der im ganzen Ort herumläuft, und hat dabei« – er warf einen Blick zurück, ob die Frau nicht im Zimmer sei – »ganze Säcke voll Silber im Walde vergraben.«

»Der?« sagte Bux und hielt erstaunt mit Feuerschlagen inne – »sieht aber wahrhaftig nicht danach aus.«

»Und doch ist's wahr,« bestätigte Justus; »der Lump ist mit allen Hunden gehetzt, verdient Geld Hand über Hand und giebt nicht einen Pfennig davon aus. Was er aber zusammenscharrt, steckt er in einen alten Sack und gräbt's irgendwo draußen ein, wo es der Teufel selber nicht finden kann.«

»Hm,« sagte Bux, indem er den dicken Qualm aus seiner Pfeife blies und Justus dabei gerade in's Gesicht starrte – »das wäre ein Fund für einen ehrlichen Kerl, wenn man einmal über ein solches Nest stolperte!«

»Ja, hat sich was!« brummte der Schneider – »an Unsereinen kommt so 'was nicht – hol's der Böse, ich hab' einmal kein Glück!«

»Zu viel Glück in der Liebe!« lachte Bux und Justus murmelte einen lästerlichen Fluch vor sich in den Bart, während der mit der Tresse weiter dampfte. Beide blieben auch jetzt eine Weile mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Endlich nahm Bux das Gespräch wieder auf.

»Sollte er wirklich so dumm sein, es draußen im Walde verscharrt zu halten?«

»Und warum dumm? Sollt' er's lieber Jemandem borgen?«

»Uns Beiden etwa?« lachte Bux.

»Draußen liegt's, das ist sicher,« fuhr Justus fort, ohne auf den harmlosen Scherz einzugehen, »und ich – habe auch eine entfernte Ahnung, wo, aber allein ist mit dem Schuft nichts zu machen. Er hat Kräfte wie ein Bär, und ich möchte ihm nicht einzeln in der Gegend in den Weg laufen.«

»Und muß er dabei sein? Wenn nun einmal irgend Jemand wo nach Trüffeln gräbt?« fragte der Andere jetzt lauernd, denn sein neuer Kamerad schien mehr zu wissen, als er anfangs selber gedacht. Justus war aber noch nicht recht mit sich im Klaren, denn die Bekanntschaft mochte ihm doch wohl noch zu neu erscheinen, um gleich eine so große Vertraulichkeit zu rechtfertigen. Der mit der Tresse hatte ihn dabei viel zu rasch beim Wort genommen, und Justus, ob er nun wirklich nichts weiter wußte, oder sich noch erst einmal ein derartiges Compagniegeschäft reiflicher überlegen wollte, hielt zurück und gab ausweichende Antworten.

Bux dachte ebenfalls nicht daran, ihn zu drängen und nur erst auf die Spur gebracht, brauchte er vielleicht nicht einmal den Schneider zu seiner weiteren Hülfe – er hatte schon andere Dinge möglich gemacht.

»Bleibst Du in Santa Clara?« fragte ihn Justus jetzt.

»Vor der Hand, ja – muß erst wieder frisches Reisegeld haben, um ein wenig im Land herum zu fahren; nachher lass' ich mich nieder, kaufe mir ein paar Dutzend Mohren und werde Pflanzer.«

»Du giebst wohl Vorstellungen?« fragte der Schneider.

»Wollen sehn, was zu machen ist und ob die Leute Geld haben. Sie werden's doch nicht Alle im Walde verscharren?«

»Ne, schwerlich,« lachte Justus – »ich wenigstens nicht.«

»Na, denn adjes, Kamerad, für jetzt – bin gerade dabei, ein bischen im Orte umher zu horchen, wie die Sache am besten anzufangen ist. Wer könnte Einem denn da wohl die bequemste Auskunft geben?«

»Hm,« sagte Justus nachdenkend – »der Pfarrer.«

»Hahahaha,« lachte Bux, »da käm' ich gerade an die rechte Schmiede – ne, Kamerad, mit dem Pfarrer hat mein Geschäft oder meine Kunst, wenn Du willst, nichts zu thun.

»Gut, da geh nicht hin,« brummte Justus beleidigt – »wenn Du mir aber folgen willst, gehst Du gerade zum Pfarrer und um Gottes willen nicht zum Director, denn mit dem wär's nichts. Der Pfarrer ist aber ein kreuzfideles Haus, ein Pastor, wie er im Buche steht, der seinen Spaß mitmacht und auch bei Gelegenheit einmal über die Schnur haut.«

»Und bist Du wirklich im Ernst?« fragte der mit der Tresse, noch immer zweifelhaft.

»Gewiß bin ich,« sagte Justus ernsthaft; »versuch's nur einmal – er beißt nicht.«

»Gott straf' mich, dann geh' ich zum Pfarrer!« lachte Bux laut auf – »und wenn's nur des Spaßes wegen wäre, daß der und ich einmal in einem Joche ziehen. Also auf Wiedersehen, Kamerad!« Damit drückte er seinem neu gefundenen Freunde die Hand, rückte seine Mütze wieder auf ein Ohr und schlenderte langsam in die Stadt zurück.



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