Friedrich Gerstäcker
Die Colonie
Friedrich Gerstäcker

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2.

Der Direktor.

Gerade als Günther an seines Gefährten Seite hielt und seinem Beispiel folgte, trat eine Erscheinung aus dem Hause, die beide junge Leute hier, mitten im brasilianischen Walde, wohl kaum vermuthet hatten, und die sie deshalb um so mehr überraschte – eine Dame in vollem europäischen Putze, mit einem grün und schwarz groß carrirten Seidenkleide, sehr bedeutender Crinoline und überhaupt allem dazu Nöthigen und Gehörigen versehen, die mit stolzer, fast majestätischer Haltung aus der Thür rauschte, einen Augenblick erstaunt die Fremden betrachtete und dann, mit einem leichten, kaum bemerkbaren Kopfnicken ihre Begrüßung erwidernd, vorbei und in die kleine Stadt hinein schwebte.

»Alle Teufel,« murmelte der Jüngere der Beiden halblaut vor sich hin, als die Dame außer Hörweite war, »von allen Dingen auf der Welt hätte ich eine Crinoline hier am allerwenigsten erwartet. Das muß die Frau oder eine Verwandte des Directors sein, denn nach einer Colonistenfrau sieht sie doch nicht aus. Es thut den Augen aber ordentlich wohl, nach einem Stück wilden Lebens wieder einmal auf eine so breite Fährte der Civilisation zu kommen. Diesen Anzeichen nach giebt es also hier auch jedenfalls eine haute volée; unser rauher Waldanzug schien der Dame nicht besonders zu behagen, denn sie grüßte nur sehr vornehm und nachlässig.«

»Nun, wir werden ja bald erfahren, mit wem wir es hier zu thun bekommen,« sagte Günther. »Jedenfalls müssen wir jetzt erst erfragen, ob hier der Director wirklich wohnt und, wenn so, ob er zu Hause ist. – Heh, Landsmann.« wandte er sich dann an einen Colonisten, dessen Aeußeres, mit dem langen blauen Rocke und schmalen Kragen, dem Gesangbuche unter dem Arm, über sein Vaterland keinen Zweifel gestattete – »ist das die Wohnung des Directors?«

»Guten Morgen mit einander,« erwiderte der Gefragte, der sich dabei die Fremden von Kopf bis zu Fuß betrachtete – »ja wohl, der Herr Director wohnt hier – er ist oben in seiner Stube – wollen Sie 'was?«

»Danke schön; ja, wir wollen ihn sprechen.«

»Gehen Sie nur hinauf; er ist oben allein, aber – nicht gerade guter Laune. Sie kommen wohl weit her?«

»Nicht sehr.«

»Und wollen Sie hier in der Colonie bleiben?«

»Uns wenigstens den Platz erst einmal ansehen,« sagte Günther, nicht gesonnen, sich hier vor der Thür in eine lange Unterredung einzulassen. Sein Freund hatte das Haus schon betreten, und Beide schritten jetzt die Treppe langsam hinauf. Auf der Treppe oben blieb der Jüngere plötzlich stehen und sagte:

»Kamerad, ich habe mir die Sache überlegt; ich werde jetzt nicht mit hineingehen. Wenn der Herr Direktor übler Laune sind, möchte ich ihm nicht gern in den Weg treten, denn ich will nichts von ihm und gedenke mich deshalb auch nicht seiner übeln Laune auszusetzen. Sie haben Geschäfte mit ihm, das ist etwas Anderes; ich werde indessen in's Wirthshaus gehen und Sie dort erwarten. Machen Sie Ihre Sachen so rasch ab, wie Sie können.« –

Damit wollte er ohne Weiteres umdrehen und wieder hinabsteigen, Günther aber ergriff seinen Arm und sagte:

»Thun Sie mir den Gefallen und bleiben Sie; kommen Sie wenigstens einen Augenblick mit hinein, um Ihren Auftrag auszurichten.«

»Auftrag – es ist nur ein Gruß.«

»Und wenn auch. Er wird uns nicht gleich beißen und ich selber habe vor der Hand ebenfalls nur wenige Worte mit ihm zu sprechen, denn unsere Thiere müssen abgepackt und untergebracht werden.«

»Meinetwegen,« sagte der Freund achselzuckend, »wenn Sie's absolut wollen. Lieber ginge ich freilich in's Wirthshaus.«

Wenige Stufen höher standen sie vor der Thür des Direktors, die eine daran genagelte einfache Visitenkarte bezeichnete. Die Karte trug auch weiter keine Bezeichnung, als »Ludwig Sarno«, nicht einmal der Titel »Director« war beigefügt, und der jüngere Fremde nickte befriedigt mit dem Kopfe. Günther hatte indessen ohne Weiteres an die Thür geklopft und ein etwas barsches »Herein!« lud sie ein, des Löwen Höhle zu betreten.

Der Director, ein schlanker, stattlicher Mann, ebenfalls mit einem militärischen Anstriche, starkem, etwas röthlichem Barte und vollem, lockigem Haar, ging mit auf den Rücken gelegten Händen in seinem Arbeitszimmer auf und ab, das sich besonders durch eine Menge von Gefächern mit actenartig in blaues Papier geschlagenen Folioheften auszeichnete. Bei dem Anklopfen hatte er seinen Spaziergang unterbrochen und stand, halb nach der geöffneten Thür gedreht, mitten im Zimmer. Günther ließ ihn aber nicht lange über sich in Zweifel, sondern auf ihn zugehend, sagte er:

»Herr Director, ich bin gezwungen, mich selber bei Ihnen einzuführen. Mein Name ist Günther von Schwartzau, Ingenieur-Officier, und ich bin vom Präsidenten der Provinz hierher beordert, etwa nöthig gewordene Vermessungen vorzunehmen.«

»Etwa nöthig gewordene?« wiederholte der Director, indem er den Fremden erstaunt ansah; »als ob ich nicht den Präsidenten seit sechs Monaten bei jeder möglichen Gelegenheit mit Eingaben bombardirte, daß er endlich einmal die seit einem Jahre schon fast dringend nöthigen Vermessungen vornehmen lasse! Etwa nöthigen . . .«

»Es thut mir leid, Herr Director, wenn Sie haben warten müssen,« sagte Günther ruhig, »aber meine Schuld war es nicht; denn vor fünf Tagen erst erhielt ich am Chebaja den Brief des Präsidenten, der mich hierher beordert, und Sie werden mir zugestehen, daß ich von dort aus, bei der Entfernung und den Wegen, wahrlich keine Zeit versäumt habe.«

»Der Herr ist Ihr Gehülfe?«

»Bitte um Verzeihung,« sagte der Fremde, der indessen mit einem leichten, kaum bemerkbaren Lächeln dem Gespräche gefolgt war – »ich gehöre in das Geschäft gar nicht hinein und muß mich eigentlich als einen Aufdringling betrachten, will Ihre kostbare Zeit auch nicht länger in Anspruch nehmen, als unumgänglich nöthig ist, Ihnen mir aufgetragene und an's Herz gelegte Grüße zu bestellen.«

»Grüße? Von wem?« sagte der Director, der indessen die schlanke, edle Gestalt des Fremden mit eben nicht freundlicher werdenden Blicken musterte.

»Vom Hauptmann Könnern.«

»Von Hermann Könnern?« rief der Director rasch.

Der Fremde nickte nur langsam mit dem Kopfe.

»Und kennen Sie Könnern persönlich?« fragte der Director eben so eifrig weiter.

»Ziemlich genau,« erwiderte der junge Mann; »er ist mein Bruder und ich heiße Bernard.«

»Der sich in Amerika so lange herumgetrieben – der Maler?«

»Derselbe,« lächelte der junge Mann.

»Dann seien Sie mir herzlich und viel tausendmal willkommen,« rief Sarno, der in dem Augenblick ein ganz anderer Mann zu werden schien – »herzlich willkommen!« wiederholte er noch einmal, die gefaßte Hand aus allen Kräften schüttelnd. »Oft haben wir von Ihnen gesprochen – und wie geht es Hermann? – Aber davon nachher – Sie kommen eben von der Reise und unsere Wege sind nichts weniger als musterhaft; erst müssen Sie sich erholen und eine Erfrischung einnehmen; nachher plaudern wir viel, recht viel mit einander, denn Ihr Bruder ist der beste Freund, den ich auf der Welt habe, und ich muß Alles wissen, was ihn angeht.«

»Er schrieb mir noch in seinem letzten Briefe, wo ich Sie hier in Brasilien anträfe den Fuß nicht eher aus dem Bügel zu setzen, bis ich Ihnen die aufgetragenen herzlichen Grüße überbracht – da ich aber nicht gut die Treppe herauf reiten konnte, mußte ich wenigstens vor der Thür absteigen.«

»Ihr Pferd steht noch unten?«

»Gesattelt.«

»Desto besser, dann legen Sie Alles gleich herein – keine Widerrede; ich schicke gleich Jemanden hinunter, denn leider Gottes habe ich Menschen genug dazu im Hause – Bernard Könnern soll wahrhaftig nicht in Brasilien in einem Wirthshause wohnen, so lange ich selber ein Dach über mir habe und ein Bett, mit ihm zu theilen.«

»Aber, Herr Director . . .«

»Kein Wort mehr; ich lasse keine Einrede gelten, wenn ich Ihnen auch keine besondere Bequemlichkeit zu bieten vermag. Sie aber sind ja auch an ein Lagerleben gewöhnt. – Mein lieber Herr von Schwartzau,« wandte er sich dann an den Ingenieur, »mit großem Vergnügen würde ich auch Sie gern beherbergen, aber überzeugen Sie sich selber, ich habe das ganze Haus voll von Emigranten, und noch dazu fast lauter Kranke, Frauen und Kinder, die ich bei dem ewigen Regen in dem erbärmlichen Auswanderungshause nicht lassen mochte.«

»Mein lieber Herr Director!« sagte Günther abwehrend.

»Sie können uns aber helfen,« fuhr der Director fort. »Vermessen Sie uns eine tüchtige Strecke Land, daß ich die armen Einwanderer bald unterbringen kann, und ich habe dann Raum genug in meinem Hause für sechs oder acht Freunde, und vielleicht für mehr.«

»Mit Freuden, sobald ich nur erst einmal weiß, wo anfangen.«

»Das zeige ich Ihnen noch heut Abend, denn wir haben in der That keine Zeit zu verlieren. Ihre Pferde brauchen Sie dabei nicht anzustrengen, ich borge Ihnen von meinen Thieren, und Könnern hier begleitet uns; dann können Sie morgen früh mit Tagesanbruch Ihre Arbeit gleich beginnen. Was Sie von Leuten dazu brauchen, stelle ich Ihnen; ich kenne einige dazu ganz passende junge Burschen, und hätte die Arbeit schon längst selbst gemacht, wenn ich's eben im Stande wäre. Aber sehen Sie selber hier die Actenstöße an – Berichte, Klagen, Eingaben, Zänkereien, Befehle von Oben, wovon immer einer dem andern widerspricht, und Quengeleien, daß sie einen Heiligen manchmal zum Fluchen bringen könnten – und ich bin eben keiner – doch darüber sprechen wir nachher. Und außerdem noch, lieber Schwartzau – Sie waren Officier, nicht wahr?«

»In schleswig-holsteinischen Diensten.«

»Aha – die alte Geschichte, mit der sie daheim die besten Kräfte über die Grenze getrieben haben. – Ich muß Sie noch um Entschuldigung bitten, daß mein Empfang gerade kein überfreundlicher war, aber weiß es Gott, sie treiben es hier manchmal, daß es Einem die Galle mit Gewalt in's Blut hineinjagt. Die Frau Gräfin verbessert überhaupt nie meine Laune, wenn sie mich einmal mit ihrem hohen Besuche beehrt.«

»Die Frau Gräfin,« sagte Könnern, aufmerksam werdend, »war das etwa die Dame, die vorhin aus dem Hause trat?«

»Kurz vorher, ehe Sie kamen – sie verließ mich sehr beleidigt, daß ich einen armen Teufel von Bauer, der noch drei Stunden Weges bis nach Hause hat, nicht ihretwegen vor der Thür warten ließ und ihn abfertigte, während sie bei mir war. Doch ich schwatze und schwatze. Also, Schwartzau, Sie müssen sich noch ein paar Tage im Wirthshause unterbringen, und dann werden Sie wahrscheinlich gezwungen sein, einige Wochen auszulagern, bis dahin aber hoffe ich, Ihnen Raum geschafft zu haben. Heh, Christoph – Klaas!« rief er dann aus dem Fenster – »schafft doch einmal die Sachen des fremden Herrn in's Haus – Sattel und Taschen, oder was es ist – wo wollen Sie hin, Könnern?«

»Wenn Sie es denn nicht anders haben wollen, so muß ich wenigstens hinunter, um mein Packthier selber abzuladen, daß mir die guten Leute nichts zerbrechen.«

»Gut, auch recht. Lassen Sie nur Alles hier herauf schaffen und draußen vor die Thür stellen, wir arrangiren es dann selber, denn ich habe hier Junggesellenwirthschaft. Indessen Sie das besorgen, schreibe ich nur noch zwei Briefe, die jener Colonist mit in eine andere neue Colonie nehmen muß, wohin sonst sehr selten Gelegenheit ist.«

»Und um wie viel Uhr ist es Ihnen recht?« fragte Günther.

»Um – aber das können wir nachher bereden,« sagte der Director; »natürlich essen Sie mit uns, was gerade da ist, und nach dem Essen reiten wir in aller Bequemlichkeit hinaus. Die übrigen Geschäfte müssen warten, denn dieses ist das wichtigste. Um ein Uhr esse ich gewöhnlich, bis dahin behalten Sie also noch übrig Zeit, sich ein wenig auszuruhen. Und Sie, lieber Könnern, kommen gleich wieder zu mir herauf, sobald Sie Ihre Sachen besorgt haben.«

Und damit, ohne irgend eine Einwendung zu erwarten, setzte er sich ohne Weiteres an seinen Schreibtisch und überließ die beiden Fremden indessen sich selber.

»Nun, wie gefällt Ihnen Ihr Direktor?« sagte Könnern auf der Treppe.

»Vortrefflich!« erwiderte Günther; »im Anfang schien er ein wenig brummig, aber der Name Ihres Bruders wirkte Wunder. – Wo haben sich die beiden Herren eigentlich gekannt?«

»In der österreichischen Armee,« erwiderte Könnern, »wo sie den siegreichen Feldzug in den vierziger Jahren zusammen durchgemacht haben. Mir gefällt aber der Mann auch außerdem; er ist rasch, kurz angebunden und, wie mir scheint, aufrichtig und offen. Mit solchen Leuten ist immer am besten verkehren, denn der Böse soll die Ueberfreundlichen holen, die stets ein lächelndes Gesicht zeigen, und bei denen man doch nie und nimmer weiß, woran man mit ihnen eigentlich ist.«

»Mich hat es ebenfalls gefreut, daß er mich so ohne Weiteres in's Wirthshaus wies. Er hätte ja eine lange Entschuldigung machen können, aber er sagte einfach, deshalb geht's nicht, und damit Punktum. Ich glaube, ich werde mit dem Direktor fertig.«

Sie waren damit vor die Thüre getreten, wo ihre Diener mit den Pferden noch hielten, und während Günther wieder ausstieg, lockerte Könnern seinem Grauen den Sattelgurt. Da schallten rasche Hufschläge die Straße herauf, Beide wandten den Kopf dorthin und Günther rief aus:

»Hallo, wer kommt da – eine Amazone!«

In demselben Augenblicke aber sprengten schon zwei Reiter, mehr in Carrière als in Galopp, an dem Hause des Direktors vorüber, und die beiden Fremden hatten nur eben Zeit zu bemerken, daß auf dem ersten Pferde ein junges wunderhübsches Mädchen mit einem knapp anschließenden, dunkeln Reitkleide saß, mit einem kleinen Amazonenhute auf, von dem eine einzelne mächtige Straußfeder und ein paar lange Reiherfedern in dem scharfen Luftzuge weit auswehten. Ihr Begleiter, der etwa eine Pferdelänge hinter ihr folgte, war ein ganz junger Bursche von etwa sechzehn bis siebzehn Jahren.

Wie eine Erscheinung flogen die Beiden an ihnen vorüber, und Günther hatte noch außerdem jetzt mit seinem eigenen Pferde zu thun, das sich, wie es schien, am liebsten dem Rennen angeschlossen hätte und herüber und hinüber tanzte.

»Hier im Orte scheint es wirklich ganz interessante Gesellschaft zu geben,« sagte Könnern, als die wilden Reiter die Straße hinab verschwunden waren, »und es wird lohnen, sich eine Zeit lang aufzuhalten und ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Beinahe hätt' ich das Letzte gleich gethan,« lachte Günther, »denn mein Rappe schien dasselbe Bedürfniß zu fühlen. Aber Adieu jetzt, Kamerad. Um ein Uhr sehen wir uns beim Diner wieder.«

»Hoffentlich nicht im Frack, denn darauf bin ich nicht eingerichtet,« nickte ihm Könnern zu, während Günther, von seinen beiden Lastthieren gefolgt, denselben Weg, aber bedeutend langsamer, einschlug, den die junge Dame eben genommen. Die Kirche lag in dieser Richtung, und er wußte gut genug, daß Könnern Recht hatte, wenn er das Wirthshaus dicht daneben vermuthete.

Aus dem Directionshause waren indessen ein paar deutsche Arbeiter gekommen, junge Burschen in Hemdärmeln und mit ledernen Hosen und Pantoffeln, der eine eine runde blaue, der andere eine viereckig grüne Mütze auf, und beide genau so aussehend, als ob sie eben dieselben Pantoffeln nicht ausgezogen hätten, seit sie in Bremen oder Hamburg das Schiff betreten.

Diese griffen willig mit zu, das Packthier abzusatteln, und wenn sie auch stets an den verkehrten Stricken, aber deshalb nicht minder gutgemeint, zogen, gelang es doch endlich mit Könnern's Hülfe, den Packen aufzuschnüren und die verschiedenen Gegenstände in's Haus und in die erste Etage zu schaffen. Die Pferde brachten sie dann ebenfalls auf einen kleinen Weideplatz dicht am Hause, wo sie auch einzeln gefüttert werden konnten, und seinen Diener schickte Könnern dann mit dessen eigenem Sattelzeuge in das Wirthshaus hinüber, da er den Eingeborenen nicht mit den Deutschen zusammenbringen wollte. Er wußte, daß dies selten gut that.

Hierbei gelang es ihm, einen Blick in den untern Theil des Directionshauses zu werfen, und es sah dort allerdings wild und wunderlich genug aus. Das ganze Haus war noch neu, ja, es stand sogar noch ein Theil des Gerüstes. Die Wände waren auch nur erst einfach geweißt und die Fensterrahmen noch nicht einmal gestrichen.

Gleichwohl glich der Platz da unten weit eher einem indianischen Bivouak, als der Wohnung eines Direktors der Colonie, denn überall in den Zimmern lagen Matratzen, überall an den Wänden standen die riesigen Kisten und Koffer der Auswanderer, mit der groß gemalten Adresse »Nach Brasilien« noch daran, und auf dem ebenfalls preisgegebenen Kochherde war auf jeder Ecke ein Feuer angezündet, über dem theils ein Kessel brodelte, theils eine Pfanne zischte. Selbst im Hofe loderte ein stattliches Feuer, um den übrigen Kochgeschirren Raum zu geben, denn heute war ja Sonntag, und die Deutschen feierten diesen, genau wie daheim, mit Essen und Trinken.

Könnern, im Augenblick ohne weitere Beschäftigung, trat dort hinein, ohne daß die Leute jedoch besondere Notiz von ihm genommen hätten. Ein paar alte Frauen saßen auf den Kisten in der Ecke und lasen in ihren Gesangbüchern; die Mädchen und jungen Frauen waren fast alle mit einer oder der andern Arbeit für die Küche beschäftigt, und die Männer lagen zum Theil ausgestreckt auf den Matratzen oder auch auf dem nicht gerade überreinlichen Boden und rauchten ihre kurzen Pfeifen. Tabak war billig hier, und sie konnten sich dem Genusse mit unbeschränkter Leidenschaft hingeben.

»Nun, Leute, wie geht's?« redete Könnern einen der Männer an, der beide Beine von einander gestreckt hatte und, ein Bild der höchsten Zufriedenheit, flach auf dem Rücken lag. Nur den einen Arm hatte er als Kissen unter den Kopf geschoben und sah den Rauchwolken nach, die er mit Macht gegen die Decke blies; »Ihr scheint Euch hier ganz behaglich zu befinden?«

»Und warum nicht?« sagte der Mann, indem er die Pfeife in den einen Mundwinkel schob; »hier kann mer's aushalten, und die Schinderei geht doch noch zeitig genug an. Das Brumsilien ist ein ganz famoses Land – wären wir nur früher hergekommen.«

»Ja, mit dene Männer hat's keine Noth,« fiel hier die eine Frau ein, die mit roth erhitztem Gesichte gerade aus der Küche kam und sich mit der Schürze den Schweiß von der Stirn trocknete, »wenn die nur satt Tabak haben und auf der faulen Haut liegen können, sell freut sie und sie wollen's net besser; aber uns arme Weiberleut' derf's schinden und plagen, wie's mag.«

»Und was geht Euch ab?« fragte der Mann, faul den Kopf nach ihr umdrehend.

»Was uns abgeht?« sagte die Frau, »ein eigen Haus und ein eigener Herd, weiter nichts, daß man weiß, weshalb man sich plagt und schind't, und seine Kochtöpf' nicht auf Gottes Erdboden herum zu stoßen hat. Erst aber drei Monat das leidige Schiffsleben und nun vier Monat wieder hier in einer wahren Heidenwirthschaft – sell kann Einen freuen, und bis an den Hals steht mir's.«

Und damit griff die Frau ein am Boden sitzendes, schreiendes Kind an einem Arme auf und verschwand damit durch die offene Thür.

»Weiberleut'!« sagte der Bauer verächtlich und rauchte weiter.

Könnern behielt übrigens keine Zeit, noch weitere Forschungen anzustellen, denn der Direktor sah in diesem Augenblick in's Zimmer. Er hatte jedenfalls seinen Gast gesucht und rief jetzt:

»Nun, sieht es hier nicht liebenswürdig aus? Aber kommen Sie, Könnern, wir wollen vor Tisch noch einen kleinen Spaziergang machen – lassen Sie nur, Sie können sich nachher umziehen; es kommt bei uns nicht so genau darauf an, und Ihre Sachen habe ich schon in die für Sie bestimmte Stube stellen lassen.«

Damit nahm er ohne Weiteres Könnern unter den Arm und verließ mit ihm das Haus. Die in der Stube umher zerstreuten Einwanderer richteten sich aber, als der Direktor das Zimmer betrat, etwas überrascht auf, rückten ihre Mützen und nahmen ihre Pfeifen aus dem Munde. Sowie er ihnen aber den Rücken drehte, fielen sie in ihre alte Stellung zurück und rauchten ruhig weiter.

Der junge Fremde mußte jetzt vor allen Dingen dem Director von seinem Bruder erzählen, wie es ihm gehe, was er thue und treibe, und er wurde dabei nicht satt, ihm zuzuhören. Erst als jener Alles erschöpft, was er darüber zu sagen hatte, kamen sie auf die hiesigen Verhältnisse zu sprechen, und Bernard Könnern gestand dem Director, daß er, doch einmal in der Welt umherstreifend, nur nach Brasilien gekommen sei, um die Verhältnisse des Landes, über die er die verschiedensten und widersprechendsten Gerüchte gehört, einmal selber durch Augenschein kennen zu lernen und dabei für seine Mappe zu sammeln. Habe er das erreicht, dann kehre er eben wieder nach Europa zurück, denn mit allen Mängeln scheine es doch, als ob ihm das Vaterland kein anderer Ort der Welt ersetzen könne.

»Sie haben Recht,« erwiderte der Director, der ihm schweigend zugehört hatte. »Je mehr wir von fremden Ländern sehen, und wenn sie selbst ihre größte und schönste Pracht entfalten, desto mehr fühlen wir doch immer, daß sie uns die Heimath nie ersetzen können – aber um das zu fühlen, dazu gehört eine gewisse Quantität Gemüth, und es ist äußerst interessant zu beobachten, auf welche verschiedene Art und Weise sich das auch bei den verschiedenen Naturen äußert und wie es ausbricht. Jeder Mensch bildet sich nämlich dazu eine gewisse Entschuldigung, und die am meisten poetische hat stets das Gemüth der Frauen, auch wenn sie den niedrigsten Klassen angehören. Bei diesen ist es das Grab der Eltern oder das eines Kindes, die alte Dorfkirche, oder das Haus, das ihre erste Heimath bildete, zu dem sie sich zurücksehnen; der Brunnen, an dem sie Wasser holten, die alte Linde vor der Pfarrwohnung, wo sie vielleicht zum ersten Mal mit dem jetzigen Manne getanzt, und an die sie sich um so viel lieber erinnern, weil der Mann gerade damals so viel anders war, als er jetzt ist – der kleine Garten, den sie bestellt, das Vieh selber, das sie großgezogen, das alles hat seinen Anhaltspunkt noch lange nicht verloren, und ob sie Vieles hier mit der Zeit besser und bequemer finden mögen, es zieht sie doch mit einem ganz eigenen Gefühl zurück zu den alten Verhältnissen. Der Mann dagegen – ich meine hier den gewöhnlichen Bauer – hat wieder einen ganz andern Ankergrund für sein Heimweh. Er denkt, wenn er sich Deutschland in's Gedächtniß zurückruft, fast immer an seine heimische Schenke, an das Bier und eine Menge anderer prosaischer Dinge, zu denen aber doch trotzdem die alte Linde und der alte Kirchthurm den nebelhaften Hintergrund bilden. Seine »Freundschaft«, wie er die Verwandten nennt, zieht ihn weniger zurück; der Bauer lebt eigentlich nie recht in wirklichem Frieden mit seinen Verwandten, und die Sehnsucht nach ihnen ist deshalb auch nie außergewöhnlich. Den gebildeten Mann zieht dagegen mehr ein geistiges Bedürfniß als das bloße Gemüth nach der Heimath zurück.«

»Den gebildeten Mann zieht gewöhnlich das zurück,« sagte Könnern, »daß er in dem fremden und überseeischen Lande selten eine passende oder wenigstens ihm zusagende Beschäftigung findet, die ihn hinreichend ernährt. Kaufleute natürlich ausgenommen, die überall daheim sind und auch herüber und hinüber ziehen, sieht sich der, der daheim gewohnt war, mehr mit seinem Kopfe als mit seinen Fäusten zu arbeiten, in nur zu häufigen Fällen allein auf die letzteren angewiesen. Das gefällt ihm nicht, eine Quantität Gemüth kommt dazu, und das Heimweh ist fix und fertig.«

»Sie haben wohl Recht,« nickte der Direktor, »und nicht allein das Heimweh, sondern auch zugleich die Unzufriedenheit mit allen sie umgebenden Dingen, die, der Meinung jener Leute nach, für sie nicht passen, während sie selber es sind, die sich nicht hineinfinden können oder wollen. Davon weiß ein armer Director am besten zu erzählen, denn gerade in meiner Colonie bin ich mit einer Klasse von Menschen geplagt, die fast alle das Jahr 1848 von Deutschland herüber gescheucht hat und die jetzt auf Gottes Welt nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen.«

»Sie scheinen hier wirklich eine Art von haute volée zu haben,« lächelte Könnern, »denn außer jener Frau Gräfin sah ich heute Morgen auch noch eine reizende junge Dame die in Carrière vorüberflog.«

»Sie wird nächstens einmal ihren reizenden Hals brechen,« meinte der Director trocken; »jene Beiden gehören aber zusammen, denn die junge Dame ist die Comtesse, die Tochter der Gräfin. Da haben Sie also gleich die Spitze der Gesellschaft gesehen. Außerdem aber sind wir noch mit einer Anzahl von Titular-Honoratioren geplagt, die voller Ansprüche stecken und weder zum Nutzen noch zur Verzierung der Colonie dienen. Doch mit diesen Herrschaften werden Sie selber wohl näher bekannt werden, wenn Sie sich länger in unserer Colonie aufhalten, und nur einen Rath muß ich Ihnen schon jetzt geben, ehe er zu spät kommt: Borgen Sie Niemandem Geld.«

Könnern lachte gerade heraus.

»Fällt Ihnen die Warnung bei den Honoratioren ein?« sagte er.

»Allerdings,« erwiderte der Director ganz ernsthaft; »der Bauer, wenn er Geld braucht, wendet sich einfach an die Regierung um Subsidien, die ihm nur in Ausnahmefällen abgeschlagen werden und für deren Rückzahlung er mit seinem Lande haftet. Unsere haute volée dagegen ist viel zu stolz, an etwas Derartiges nur zu denken, hat auch in leider sehr vielen Fällen entweder kein Land, oder doch schon eine Menge von stillschweigenden Hypotheken darauf aufgenommen.«

»Aber Sie werden doch wahrhaftig keinen wildfremden Menschen anborgen?«

»Es giebt dafür verschiedene Auswege,« meinte der Direktor, »und Menschen, die sich sonst in den einfachsten Verhältnissen nicht zu helfen wissen, entwickeln gerade in dieser Beziehung eine erstaunliche Mannigfaltigkeit.«

»Aber weshalb wandern solche Menschen,« sagte Könnern, »die doch von vornherein wissen sollten, daß sie für derartige Arbeit und Beschäftigung nicht passen, eigentlich nach einem wilden Lande aus? An Büchern fehlt es wahrlich nicht, die ihnen ziemlich deutlich sagen, was sie in der neuen Welt – ob sie nun Amerika, Australien oder sonstwie heiße – zu erwarten haben. Sie können sich darüber nicht täuschen, wenn sie überhaupt Deutsch verstehen.«

»Und doch thun sie es,« sagte der Direktor, »und zwar meist aus dem ganz einfachen und in jedem andern Falle schätzenswerthen Grunde, daß sie eine sehr gute Meinung von sich selber haben. Ich kann Alles, was ich will, sagen sie, bedenken aber dabei gar nicht, daß sie nicht Alles wollen, was sie können, denn es kann natürlich ein Jeder, wenn er nicht gerade einen überschwächlichen Körper mitbringt, Handarbeit verrichten; aber wie die Vorsätze auch daheim gewesen sein mögen, hier machen sie nicht einmal den Versuch dazu, und wenn sie ihn machen, bleibt es auch gewiß immer bei dem Versuche. Es ist und bleibt ein wunderliches Volk, und wenn ich erst einmal nicht mehr Direktor bin, was, wie ich hoffe, nicht mehr lange dauern wird, so glaub' ich, daß ich mich sogar prächtig dabei amüsiren werde, sie in ihrem eigenthümlichen Treiben und Wirtschaften zu beobachten. Jetzt aber halten sie mir die Galle fortwährend in Gährung, und dabei kann natürlich der beste Humor nicht aufkommen, ohne seine bestimmte Partie Gift mit anzunehmen. Sehen Sie, da kommt gleich Einer davon; sieht der Mensch aus wie ein brasilianischer Pflanzer?«

Um die eine Ecke bog in diesem Augenblicke ein Herr, der – wenn die Sommerbeinkleider nicht ein klein wenig zu kurz gewesen wären – in dem Anzuge recht gut hätte an einem schönen Nachmittage unter den Linden in Berlin spazieren gehen können. Er trug vollkommen moderne Tuchkleidung, einen Cylinder, einen Regenschirm, der hier auch besonders gegen die Sonne benutzt wurde, und im Knopfloch den Rothen Adlerorden vierter Klasse.

Als er den beiden Herren begegnete, lüftete er den Hut mit einer förmlichen, aber auch sehr vornehmen Verbeugung, und ging dann, ohne Miene zu einem weiteren Gruße zu machen, stolz vorüber.

»Und wer war das?«

»Der Baron Jeorgy, seinem Berichte nach aus einer sehr alten Familie, der mit der Idee herüberkam, brasilianischer Pflanzer zu werden. Er übernahm eine allerliebst gelegene Colonie – Sie müssen heute Morgen daran vorbei gekommen sein.«

»Ah, das Haus da oben auf dem Berge, wo ein reizendes junges Paar von brasilianischer Abstammung wohnt?«

»Ganz recht, Köhler's Chagra, wie der Platz jetzt heißt – und er verwirtschaftete das Gut in unglaublich kurzer Zeit dermaßen, daß es zuletzt wenig mehr als eine Wildniß war. Er mußte es endlich verkaufen, denn es trug ihm nicht einmal mehr die Kosten, und natürlich konnte Niemand weiter daran schuld sein, als der Direktor, da ihm dieser noch dazu nicht einmal mehr Geld darauf vorstrecken wollte. Er ist seit der Zeit wüthend auf mich, nach Art solcher Leute aber auch um so viel höflicher geworden, und ärgert sich nur, daß ich von seinen Verleumdungen gegen mich nicht die geringste Notiz nehme.«

»Guten Morgen, Herr Director!« unterbrach in diesem Augenblick ein junger Mann das Gespräch, der sie überholt hatte und rasch an ihnen vorüberschritt. Er grüßte dabei sehr ehrfurchtsvoll, schien sich aber nicht lange in seines Vorgesetzten Nähe aufhalten zu wollen, dem er vielleicht unerwartet in den Wurf gelaufen, denn er bog rasch in die nächste Querstraße ein und verschwand in einem der Gärten.

»Der junge Herr,« sagte Könnern, »scheint stark gefrühstückt zu haben. Sein ganzes Aeußere sah wenigstens danach aus.«

»Ein anderer Fluch unser Colonie,« seufzte Sarno, »das war unser Schullehrer.«

»Der Schullehrer? Er kann höchstens zweiundzwanzig Jahr alt sein.«

»Und nicht einmal ist er trotzdem, sondern gerade deshalb Schullehrer,« sagte der Direktor; »unser deutscher Bauer ist nämlich von Haus aus und von klein auf so daran gewöhnt worden, den »Schulmeister« als ganz untergeordnete Persönlichkeit zu betrachten und danach natürlich auch die Erziehung seiner Kinder zu bemessen, daß ihn für diese jeder Milreis reut, den er ausgeben soll, und er förmlich gezwungen werden muß, die Kinder in die Schule zu schicken. Das Loos eines Schullehrers ist aber in keinem Lande der Welt beneidenswerth, und nur daheim, wo Leute von Jugend auf dazu erzogen werden und dann später keine andere Laufbahn mehr einschlagen können, finden sich immer genügende Kräfte. Hier dagegen, wo Jeder sein Brod weit besser und sorgenfreier verdienen kann, der nur irgend seine Knochen gebrauchen will, denkt gar Niemand daran, sich zu dem fatalen und außerdem noch schlecht belohnten Amte eines Schullehrers herzugeben, der nicht nothgedrungen muß. Das aber sind dann meist junge Leute, Studenten oder Handlungsdiener, die einen angeborenen Abscheu vor Hacke und Schaufel haben, und nur, um nicht zu verhungern, sich gerade für so lange der »Beschäftigung« eines Schullehrers unterziehen, als sie nichts Anderes und Besseres zu unternehmen wissen. Sowie sie aber etwas Besseres finden, kann man sich auch fest darauf verlassen, daß sie der Gemeinde kündigen – manchmal gehen sie sogar ohne Kündigung fort, und wie nachtheilig ein so steter Wechsel – den eigentlichen mangelhaften Unterricht nicht einmal gerechnet – auf die Kinder wirken muß, läßt sich ja denken und liegt klar zu Tage.

»Zu Zeiten trifft es sich, daß wir trotz alledem einen ordentlichen Mann, wenigstens für Monate oder ein halbes Jahr, in der Schule haben. Dieses Mal freilich meldete sich, als die Kinder schon drei Wochen ohne den geringsten Unterricht gewesen waren, ein möglicher Weise irgendwo durchgebrannter Handlungsdiener für die Stelle, die man ihm auch »auf Probe« überließ, und da der gute Mann den brasilianischen Wein merkwürdiger Weise trinken kann, benutzt er jeden freien und nicht freien Augenblick, um über die Stränge zu schlagen.«

»Und auf die Art,« lachte Könnern, »warten beide Parteien gegenseitig, ob sie einander nicht bald wieder los werden können?«

»Allerdings,« erwiderte der Direktor; »hier aber haben wir jetzt das Ziel unseres Spazierganges, das Auswanderungshaus, erreicht, das ich doch heute Morgen einmal besuchen und Ihnen gleich zeigen wollte. Hier sehen Sie die Einwanderer untergebracht, welchen, der furchtbaren Nachlässigkeit unserer Provinzialregierung zufolge, noch keine Colonie – d. h. kein eigenes Land für ihre Arbeit – angewiesen werden konnte und die hier auf Staatskosten gefüttert werden müssen, bis Ihr Freund die nöthigen Landstrecken für sie vermessen haben wird. Aber treten wir ein. Sie sehen da Alles viel besser, als ich es Ihnen sagen könnte.«

Könnern sah vor sich ein langes, fast ovales Gebäude, aus Pfählen oder eingerammten Stämmen aufgerichtet, und theils mit Schindeln, theils mit Ziegeln, an einigen Stellen sogar mit Schilf und Reisig nothdürftig gedeckt, um das herum es von den abenteuerlichsten Gestalten wimmelte. Alle waren Deutsche, darüber blieb dem Fremden auch nicht der geringste Zweifel, denn die flachsköpfigen Kinder nicht allein, Männer und Frauen selbst in ihren alten heimischen Trachten verleugneten ihr Vaterland nicht einen Augenblick.

Ihre Beschäftigung war aber ziemlich genau dieselbe wie die jenes Theiles, den der Director in seine eigene Wohnung genommen hatte, nur daß hier entschieden mehr Männer einquartiert schienen. Der innere weite Raum, wo nicht die unpraktischen riesigen Auswandererkisten aufgeschichtet standen, war mit ihnen ordentlich angefüllt, denn in der heißen Tageszeit hatten sie den Schatten des luftigen Gebäudes gesucht, während die Frauen hier in der Sonne draußen arbeiten konnten, so viel sie eben Lust hatten.

Als der Direktor übrigens mit dem Fremden den innern Raum betrat, erhoben sich die Meisten von ihrem rauhen Lager und nahmen die Mützen ab, denn der »Herr Director« war ja die erste Person in der Colonie, und mit dem durften sie es also schon nicht verderben.

»Nun, Leute,« sagte Sarno nach der ersten flüchtigen Begrüßung, »nun werdet Ihr bald Euer Land bekommen können, denn heute hat die Regierung endlich Jemanden hergesandt, der Euren Grund und Boden vermessen soll. Haltet Euch nur bereit, daß einige Familien von Euch gleich ausrücken können, sowie eine Anzahl von Colonien vermessen ist. Ihr werdet das Herumliegen hier wohl auch satt haben?«

»Na, es geht, Herr Direktor,« lachte der eine Mann; »wenn wir's im Leben nicht schlechter kriegen, läßt sich's aushalten – aber froh wollen wir doch sein, wenn wir einmal wieder für uns arbeiten dürfen. Das faule Leben hat auch keine rechte Art – und eigentlich schon ein bischen zu lange gedauert.«

»Hier geht's auch schmählich eng zu,« sagte ein Anderer, »beinah wie auf dem Schiff und der Müller da drüben, der macht sich mit seiner Familie auch noch so breit, daß wir Anderen lieber hinaus vor die Thür möchten, damit der große Herr nur Platz hat.«

»Ja, Du darfst auch noch räsonniren, Du Lumpenkerl,« erwiderte eine tiefe Baßstimme aus der Ecke, »wenn wir lauter solch Gesindel wären, wie . . .«

»Ruhe!« unterbrach ihn der Direktor, »haltet mir Frieden hier, das sag' ich Euch, denn der Erste, der Streit anfängt, wird ohne Weiteres auf das nächste Schiff gesetzt und wieder aus der Colonie geschickt. Wir wollen hier Frieden haben und wer sich dem nicht fügen will, mag gehen.«

»Aber der Müller . . .«

»Schweigt!« fuhr ihn der Director an; »wenn Ihr eine gegründete Klage habt, so wißt Ihr, an wen Ihr Euch damit wenden sollt, und zu welcher Zeit, und daß Ihr dann Eure Zeugen mitzubringen habt. Einfache Klatschereien will und werd' ich nicht anhören. Was fehlt denn der Frau da, die dort in der Ecke liegt?«

»Schlecht ist ihr's,« sagte eine andere Frau, die neben ihr saß und ihr gerade aus einem großen Topfe zu trinken gab; »sie hat sich den Magen verdorben an den vielen Apfelsinen.«

»Ist denn der Doctor heute noch nicht hier gewesen?«

»Der Doctor? Ja, der kommt schon lange nicht, wenn man ihm nicht erst das Haus einläuft,« sagte eine andere Frau; »meine Kathrine, der war's gestern auch so elend zu Muthe – daß er auch nur einmal nach ihr gesehen hätte – und wie ich ihn darum gebeten habe!«

»So?« sagte der Director, »nun, in einer halben Stunde soll er hier sein, das verspreche ich Euch – wie viele von Euch haben denn in der Woche mit an dem Wege gearbeitet?«

Keine Antwort – die ihm Nächsten schienen die Frage eben nicht gern zu hören.

»Nun? Kann Keiner den Mund aufthun?«

»Na, der Niklas,« sagte die eine Frau, »hat zwei halbe Tage, und der Christoph, der hat gestern Nachmittag angefangen, und Schultze's Elias, der muß schon den Donnerstag oder Freitag hinausgegangen sein.«

»Da haben Sie's!« sagte der Director zu Könnern; »Monate lang liegen die Menschen hier auf der faulen Haut und leben von den Subsidien oder Unterstützungen, die ihnen der Staat verabreicht, also von Geldern, die sie nach fünf Jahren wieder zurückerstatten müssen. Wo ich ihnen aber eine Gelegenheit geboten habe, selber für sich etwas zu verdienen, wenn sie nur die faulen Knochen rühren wollten, glauben Sie, daß da Einer gutwillig mit angriffe? Gott bewahre! Wenn ihnen der Polizeidiener nicht auf dem Nacken sitzt, rühren sie kein Glied, und wenn es eine Arbeit wäre, die sie nur zu ihrem eigenen Besten thun sollen und noch außerdem extra bezahlt bekommen. 's ist, weiß es Gott, eine Freude, mit solchen Menschen zu thun zu haben!«

»Herr Director,« sagte in diesem Augenblick ein kleiner ältlicher Mann in einem wunderlichen Costüm, das er von allen Ständen der menschlichen Gesellschaft zusammengeborgt zu haben schien, indem er den Director an einem Aermel zupfte, »das Essen ist gleich fertig – Sie möchten nach Hause kommen.«

»Ah, Jeremias,« sagte Sarno, sich nach ihm umdrehend; »schickt Dich die Kathrine herüber?«

»Ja, Herr Director,« sagte der Mann, einen hohen Seidenhut, um den eine Art von Livréeband befestigt war, unter den Arm drückend, »und das Schiff ist auch unten.«

»Das Schiff? Was für ein Schiff?«

»Nun, das Schiff mit den neuen Landsleuten.«

»Neue Auswanderer?« rief der Director erschreckt.

»Die Gesina,« nickte der Mann; »der Herr Director haben ja schon lange davon gesprochen, sie ist gerade vor der Barre gesehen worden und der Capitain wird heut Abend heraufkommen.«

»Na, das hat gerade noch gefehlt!« seufzte Sarno; »das Haus hier ist schon zum Ueberlaufen voll, und dazu noch eine frische Gesellschaft, eine neue Zufuhr – das wird angenehm!«

»Und die Suppe?«

»Darf nicht kalt werden. Du hast Recht, Jeremias. Sag' nur der Kathrine, daß wir den Augenblick hinaufkommen. Ist der fremde Herr schon da?«

»Eben angekommen. Er sitzt oben in der Stube.«

»Gut – also melde nur, daß wir gleich kommen und – halt, spring hinüber zum Doctor – ich lasse ihm sagen, augenblicklich hierher zu kommen. Verstanden?«

Auf das Wort drehte sich das kleine Männchen um. machte noch eine ganz eigenthümliche Krümmung des Körpers, die als Verbeugung gelten sollte, und verschwand dann blitzschnell durch die Thür. Könnern hatte nur eben noch Zeit, zu bemerken, daß seine Beinkleider jedenfalls für eine andere Person zugeschnitten und gemacht sein mußten – wonach sie die andere Person denn auch so lange getragen haben mochte, wie ihr gut dünkte. Für Jeremias waren sie aber viel zu lang und unten in einem wahren Wulst umgelegt und aufgekrempelt. Er besaß außerdem – wenigstens glaubte es Könnern bei seinem ersten Erscheinen – brennend rothes Haar von einer ganz auffallenden Färbung, und als die kleine Gestalt sich zwischen den verschiedenen Gruppen der Auswanderer, zwischen Kochtöpfen, Kisten und in Betten eingepackten Kindern wie ein Ohrwurm durchwand, leuchtete sein Haar ordentlich irrwischartig, bis er draußen in den Büschen verschwand.

»Da haben wir's!« sagte aber der Director, mit ganz anderen Gedanken beschäftigt; »jetzt geschieht, was ich schon lange befürchtet habe. Das Auswanderungshaus, selbst meine eigene Wohnung gefüllt, – keinen Fuß breit Land vermessen, den neuen Colonisten einen eigenen Fleck Grundeigenthum anweisen zu können, da kommt noch eine Schiffsladung frischer Kräfte dazu, und was ich indessen mit denen machen soll, weiß Gott!«

»Und ist denn das nicht Sache des Präsidenten der Provinz,« fragte Könnern, »stets Land genug vermessen zu haben, um die Einwanderer unterbringen zu können?«

»Allerdings ist es das, aber unser Präsident – ein braver, guter Mann, der es wirklich ehrlich meint – ist schon seit längerer Zeit schwer krank, und seine Frau – ein intriguantes, kokettes Frauenzimmer – regiert indessen nach Herzenslust und hat eine Masse nichtsnutziger Protegés, die sie unter jeder Bedingung unterbringen will und unterbringt. So schickte sie mir vor sechs Monaten einen Kerl hierher – ich habe keinen andern Namen dafür – der das Land vermessen sollte und nicht mehr davon verstand wie der Junge da. Glücklicher Weise faßte ich gleich Verdacht, paßte ihm auf und jagte ihn, als ich merkte, was an ihm war, wieder zum Teufel; er hätte uns sonst hier eine Heidenverwirrung angerichtet. Die Frau Präsidentin ist aber natürlich jetzt wüthend auf mich.«

»Und leidet das die Regierung in Rio?«

»Lieber Gott, einestheils erfährt sie nie den wahren Thatbestand, und dann ist es auch wirklich für sie schwer, gegen einen einmal eingesetzten höhern Beamten ernstlich einzuschreiten, so lange nicht directe Anklagen vorliegen. Jetzt verklagen Sie aber einmal von der Colonie Santa Clara aus den Präsidenten, der in Santa Catharina sitzt, oben in Rio de Janeiro – die Geschichte wäre gleich von vornherein so weitläufig, daß man sie doch in Verzweiflung aufgeben würde, wenn man auch wirklich hoffen dürfte, etwas auszurichten – was man aber außerdem nicht darf. Doch unsere Suppe wird wahrhaftig kalt und die Kathrine nachher böse – also vor allen Dingen zum Essen« – und Könnern's Arm ergreifend, führte er ihn rasch der eigenen Wohnung zu.

Nur ein einziges Mal unterwegs blieb Könnern stehen, und den Arm gegen einen der kleinen Hügel ausstreckend, sagte er:

»Sehen Sie nur, was für ein wunderbar romantisches Plätzchen sich jener Ansiedler dort gewählt hat, dessen kleines Haus nur eben aus dem dunkeln Grün der Büsche auf jenem Hügel da drüben herausblickt.«

»Ah, Sie meinen unseres Einsiedlers Villa,« lächelte der Direktor; »die Aussicht von seinem Hause hat er übrigens ganz zufällig bekommen, denn eine Palmengruppe verdeckte den Platz so vollständig, daß man von unten aus keine Ahnung hatte, dort oben sei eine menschliche Wohnung. Neulich nun warf der Sturm die kleinen Palmen um, und das Haus bekam dadurch, wahrscheinlich vollkommen gegen den Willen seines Eigenthümers, eine reizende Aussicht.«

»Gegen seinen Willen?«

»Ich glaube, ja. Der Mann heißt Meier und lebt mit Frau und Tochter, einem jungen Gärtner und einer alten Dienstmagd, die sie hier angenommen, fast ganz abgeschieden von der Colonie und verkehrt mit Niemandem. Jammerschade noch dazu, denn es wäre in der That eine Familie, mit der man einen angenehmen Umgang haben könnte; aber man darf sich doch auch nicht aufdrängen, und da er mich, obgleich ich drei- oder viermal oben bei ihm war, noch nicht ein einziges Mal wieder besucht hat, so muß ich wohl annehmen, daß er es lieber sieht, wenn ich meine Besuche nicht wiederhole, und den Gefallen habe ich ihm denn auch gethan. – Aber da sind wir – sehen Sie, da oben steht die Kathrine schon am Treppenfenster – ja, ja, Alte, wir kommen schon. Was so eine alte Person für eine Tyrannei ausübt, wenn man einmal ein paar Minuten zu spät zum Essen kommt!«



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