Friedrich Gerstäcker
Die Colonie
Friedrich Gerstäcker

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16.

Unterwegs.

Günther von Schwartzau hatte indessen seine Geschäfte in Santa Catharina rascher besorgt, als er im Anfang selbst geglaubt, und da ihn nichts weiter an den Platz fesselte, so benutzte er die erste sich ihm bietende Gelegenheit, auf einem der kleinen brasilianischen Schooner die Rückreise nach Santa Clara anzutreten.

Die Reisen auf diesen Fahrzeugen sind freilich sehr unsicher, denn so gut sie gebaut und so seetüchtig sie sein mögen, so ängstlich werden sie von den brasilianischen Seeleuten behandelt. Gegen den Wind verstehen diese gar nicht zu kreuzen, weil sie so erbärmlich und unregelmäßig steuern, und selbst bei etwas starkem, wenn auch günstigem Winde getrauen sie sich nicht in die offene See hinaus. Kommt nun noch dazu, daß der Aufenthalt auf einem solchen Schooner, was Bequemlichkeit und Reinlichkeit betrifft, ein höchst trauriger ist, so läßt es sich denken, daß sich nicht gern Jemand der Gefahr aussetzt, vielleicht zwei oder drei Wochen in solche Verhältnisse eingepfercht zu werden, wenn man irgend Gelegenheit hat, in anderer Weise fortzukommen.

Eben so unregelmäßig ist aber auch die brasilianische Dampfschiffahrt an jener Küste, und da jetzt gerade ein günstiger Südwind eingesetzt hatte und sich Günther nicht der Gefahr aussetzen wollte, vielleicht acht, ja vierzehn Tage hier liegen zu bleiben, ehe der nächste Dampfer von Rio Grande eintraf, beschloß er, die sich gerade bietende Gelegenheit zu benutzen, und schiffte sich auf einem dieser kleinen Küstenfahrer ein.

Die Reise war auch in der That eine günstige, aber der Schmutz in der engen Kajüte so furchtbar, daß ihm selbst die wenigen Tage zu einer fast unerträglichen Plage wurden, und er dankte Gott, als der Schooner am Abend des fünften Tages, nach einer ungewöhnlich raschen Reise, die Mündung des Sante Clara-Flusses sichtete.

Leider war jetzt gerade Ebbe und die Barre zu seicht, mit dem ziemlich schwer beladenen Fahrzeuge den Uebergang zu riskiren. Der »Capitain« kannte auch vielleicht nicht einmal den Kanal der Einfahrt genau und zog es vor, unter dem Schutz der südlich vorspringenden Landzunge, unter welcher er in fast ruhigem Wasser lag, vor Anker zu bleiben. Damit versäumte er aber auch die ganze Nacht und die nächste Fluth, und da die zweitnächste erst wieder Morgens zehn Uhr eintrat, und Günther unter keiner Bedingung noch eine Nacht an Bord bleiben wollte, so beschloß er, sich an Land setzen zu lassen.

Er kannte dort, von einer früheren Vermessung her, jeden Fuß breit Boden. Gar nicht weit vom Strande lag die Chagra eines Brasilianers, auf welcher er leicht ein Pferd geborgt bekommen konnte und ritt er dann kaum zwei Legoas auf dem harten Sand des Strandes hinauf und schnitt nachher quer in die Hügel, von einer andern Chagra aus, hinein, so erreichte er Santa Clara selber wenigstens drei oder vier Stunden früher, als der Schooner den Biegungen des Flusses stromaufwärts folgen konnte.

Der Abend war indessen schon zu weit vorgerückt, um heute noch an einen Ritt in stockfinsterer Nacht zu denken. Günther nahm deshalb gern die gastliche Einladung des Brasilianers an, bei ihm den Morgen zu erwarten. Mit Tagesgrauen sollte dann ein Pferd für ihn bereit stehen, mit dem er die Colonie recht gut bis etwa elf Uhr Morgens erreichen konnte.

Die hier angelegte Chagra war nicht unbedeutend, denn in den zunächst den Dünen liegenden Hügeln fanden mehrere Heerden vortreffliche Weide, während ein kleines Stück weiter im Land drinnen ein rother, fruchtbarer Lehmboden Bohnen, Mais, Maniok, ja selbst Zuckerrohr reichlich gedeihen ließ. Der Brasilianer hielt auch zur Bearbeitung des Landes und zur Beaufsichtigung seiner Heerden sechzehn bis achtzehn Sclaven beiderlei Geschlechts, und den zahlreichen Gebäuden nach zu urtheilen, unter denen besonders ein stattliches Herrenhaus hervorragte, mußte er sich in vortrefflichen Umständen befinden. Nichtsdestoweniger lebte er aber so einfach, wie nur ein Mensch in der Welt leben kann, welcher keine Ahnung von irgend einer möglichen Bequemlichkeit hat – Luxus gar nicht einmal gerechnet.

Das große Zimmer des Haupthauses, in welchem für die Familie heut Abend der Tisch gedeckt wurde, war nicht einmal gedielt. Die hohen Fenster hatten keine Gardinen, Tische und Stühle bestanden aus einfachem weichen Holz, und das jetzt aufgelegte Tischtuch war nur ein schlechter, baumwollener Stoff und deckte weder die volle Länge noch Breite des Tisches selber. Nur an den Wänden hatte der Eigenthümer sich einem ganz wunderbaren Luxus hingegeben, der von den Händen des Schneiders und Zimmermalers Justus Kernbeutel in Santa Clara herrührte und in einem außerordentlich kühn gehaltenen Entwurfe der brasilianischen Geschichte, in Farben ausgeführt, bestand.

Das erste Bild sollte wahrscheinlich die Entdeckung Brasiliens vorstellen. Vorn, gleich rechts neben der Thür, stand wenigstens eine einzelne Palme, und an beiden Seiten daneben befand sich ein Indianerpaar, welches staunend alle vier Arme emporhob, weil ihnen gegenüber auf dem hellblauen Meere ein großes Schiff angeschwommen kam, das eine Besatzung von weißen Riesen, mit Hintansetzung jeder Perspective, an Bord hatte. Eigentlich sah diese Abtheilung aus wie ein Besuch des Kolumbus bei Adam und Eva.

Die zweite Abtheilung, welche eine ganze breite Wand einnahm, beschäftigte sich mit der Unterjochung der Indianer, welche man überall von Leuten, mit dreieckigen Hüten und Federbüschen auf, verfolgt und auf das Entsetzlichste umgebracht sah. Säbel fuhren stets bis an's Heft in den getroffenen Leib und an der entgegengesetzten Seite an einer vollkommen unmöglichen Stelle wieder heraus, Flintenkugeln sausten wie Hagel, und ein halbes Dutzend braune Leichen, welche ganz vorn lagen, hätten, wenn nicht die Wunden schon tödtlich gewesen wären, allein in ihrem eigenen Blut ertrinken müssen. Glücklicher Weise war aber gerade dieses Bild mit so vollkommen räthselhafter Zeichnung und Farbenverschwendung ausgeführt, daß man erst nach einem längeren Anschauen herausbekommen konnte, was eigentlich ein Baum und was ein Mensch sein sollte, es hätte sich sonst auch nie eine friedliche Familie dicht darunter zu Tische setzen können.

Das dritte Bild stellte wieder einen Kampf vor, aber dieses Mal unter Weißen, wahrscheinlich eine Anspielung auf die letzte Revolution. Hierbei schien es aber blutlos herzugehen. Justus Kernbeutel war Demokrat durch und durch – ein Mann in einem großen Barte, wahrscheinlich Garibaldi, sprengte auf einem keinesfalls schon entdeckten Ungethüm Brasiliens hinter den flüchtigen Truppen her, unter denen sich ein Mann, wieder mit einem dreieckigen Hut und einer Krone oben darauf, was vielleicht den Kaiser darstellen sollte, auszeichnete. Der seiner Regierung zugethane Brasilianer ahnte wahrscheinlich gar nicht den Sinn dieses republikanischen Albumblattes.

Die vierte Wand sollte – über die Folgen der Revolution hinweggehend – Brasilien in seinem jetzigen Zustande darstellen. Kaffeebau, Zuckerrohr, Reis, Mais, Maniok, Alles war auf einem unglaublich kleinen Raume lebensgroß zusammengedrängt, und vorn saß, inmitten aller dieser tropischen Erzeugnisse, ganz gemüthlich ein guter deutscher Bauer in Pelzmütze und Leinwandjacke, die mit besonderem Fleiße gemalte kurze Pfeife im Munde, aus welchem der Qualm einem arbeitenden pechschwarzen Neger gerade in's Gesicht stieg.

Günther unterhielt sich vortrefflich damit, die wunderbare Fresco-Malerei zu betrachten, bis sein Wirth wieder hereinkam und diesem eine Anzahl von Sclaven mit dem Abendbrod auf dem Fuße folgte.

Die Mahlzeit selber, an welcher der Brasilianer mit seiner Frau und zwei sehr schweigsamen jungen Damen theilnahm, war äußerst reichlich, aber auch eben so einfach, und bestand als erster Gang aus einem halben kalten Hammel, der in voller Länge aufgetragen wurde und von welchem sich die Herrschaft nur die besten Theile herunterschnitt, um das Uebrige jedenfalls der Dienerschaft zu lassen.

Der zweite Gang war das gewöhnliche brasilianische Gericht, gekochtes Schweinefleisch, etwas sehr fett, mit schwarzen Bohnen und Maniokmehl, eine außerordentlich nahrhafte und auch wirklich wohlschmeckende Kost, mit der sich Günther auch schon lange befreundet hatte. Dazu wurde Wasser getrunken.

So lange die Mahlzeit dauerte, sprach fast Niemand ein Wort, das ausgenommen, was sich unmittelbar auf das Essen bezog, und erst als die aufwartenden Mädchen die Schüsseln wieder hinausgetragen und den Kaffee hereingebracht hatten, zündeten sich die Männer ihre Cigarettos an, und der bisher schweigsame Brasilianer schien aufzuthauen. Aber er sprach auch nur über das, was ihn speciell interessirte: das Land, das in seiner Nachbarschaft lag und über das ihm sein Gast allerdings die beste Auskunft geben konnte; über die Vermessung des Coloniebodens, über günstige Lagen, welche man etwa ankaufen könne, über neue Ansiedelungen, die vielleicht nächstens in Angriff genommen würden, und die Nothwendigkeit guter Verbindungswege für das Fortbestehen und Wachsen der Colonien.

Die Frauen saßen still dabei oder unterhielten sich untereinander flüsternd, und erst als der Gast Zeichen von Müdigkeit gab, wurde ihm sein einfaches Lager angewiesen, auf welchem er seinen Kampf mit den Flöhen für die Nacht beginnen konnte.

Günther war aber nicht der Mann, sich durch solche Kleinigkeiten im Schlafe stören zu lassen. An alle Arten von Lagern schon seit manchen Jahren gewöhnt, rollte er sich in seine Decke, schlief augenblicklich ein und erwachte erst wieder, als er Morgens eine Hand auf seiner Schulter fühlte.

Noch war es stockdunkel; da aber Günther am Abend vorher den Wunsch geäußert hatte, eine Stunde vor Tag aufzubrechen, hatte der Brasilianer seinen Negern Befehl gegeben, zu der Zeit Kaffee für den Gast und ein gesatteltes Pferd bereit zu halten, was auch pünktlich befolgt war, und fünfzehn Minuten später saß der Deutsche schon auf und ritt, als eben im Osten der Tag zu grauen begann, den schmalen Pfad entlang, welcher nach dem Strande führte.

Schon hörte er, gar nicht mehr weit entfernt, das dumpfe Schlagen und Donnern der Brandung, die ihre Wogen gegen den Strand schleuderte, und nach kaum einer Viertelstunde scharfen Rittes in der kühlen, prachtvollen Morgenluft sah sich Günther unmittelbar am Rande des Atlantischen Meeres, welchem er, nach Norden zu, hier ziemlich anderthalb Legoas folgen mußte. Noch war aber glücklicher Weise Ebbe, oder die Fluth hatte doch erst seit ganz kurzer Zeit wieder begonnen zu steigen, so daß er seine Bahn auf dem sonst vom Meere gepeitschten und dadurch hart und fest gewordenen Sande halten und sein Pferd tüchtig austraben lassen konnte.

Und jetzt dämmerte der Morgen. Ueber die See herüber stahl sich das mattgraue, erste Licht des Tages und gab den aufgeworfenen Sanddünen zur Linken jene eigene gelbe Färbung, welche aus sich selber heraus zu leuchten scheint. Breiter und breiter wurde der lichte Streifen im Osten, schon erglühten zur Linken die fern gelegenen und bewaldeten Gebirgsrücken, die sich in malerischen, kühn geschnittenen Ketten gen Norden zogen, und plötzlich, ehe die Nacht noch recht geschwunden, stieg wie glühendes Gold in riesenhaftem Umfang die Sonnenscheibe aus dem Meer empor und sandte ihre Strahlen über die erwachte Erde.



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