Friedrich Gerstäcker
Die Colonie
Friedrich Gerstäcker

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6.

Zuhbel's Chagra.

Der Direktor wandte sein Pferd, als er Könnern auf sich zukommen sah, und ritt ihm voran die schmale Straße entlang.

»Nun, wie hat Ihnen die Familie gefallen?« sagte er endlich, als sie sich weit genug vom Haus und Garten befanden, um nicht mehr von dort gehört zu werden; »nicht wahr, die Tochter ist nicht so übel?«

»Nein, ein ganz hübsches Mädchen,« sagte Könnern und schämte sich fast vor sich selber dabei, des profanen Urteils wegen, denn es schien ihm eine ordentliche Entweihung dieses schlichten, unschuldvollen Herzens. Glücklicher Weise verhinderte aber der enge Weg hier eine längere Unterhaltung. Eine Viertelstunde später zeigte ihm der Director das Thal, dem er folgen könne, um einmal den Wald und die Nachbarschaft ein wenig kennen zu lernen, bezeichnete ihm den Platz, wo er sein Pferd einstellen solle, warnte ihn noch einmal vor einem zu langen Streifzuge, damit er sich nicht doch etwa in den Bergen verirre, und setzte dann seinen eigenen Weg fort, Könnern sich selber überlassend.

Der junge Mann athmete tief auf, als er sich endlich allein im Walde sah; er fühlte das Bedürfniß, seinen Gedanken ungestört nachhängen zu können, und ein so eifriger Jäger er sonst auch sein mochte, heute vergaß er fast, weshalb er in den Wald gekommen, und ließ seinem Pferde willenlos den Zügel, einen Fußpfad zu verfolgen, der in dem Thale hinauflief. Dort oben sollte er noch eine Chagra, die letzte, erreichen, wo er sein Pferd lassen und die Jagd dann zu Fuße fortsetzen konnte, denn im Sattel ließ sich in diesen Wäldern eben gar nichts ausrichten.

Und was hatte ihm denn nur auf einmal so Kopf und Herz befangen, was durchglühte ihn plötzlich mit einem nie gekannten, kaum geahnten Gefühl? Der Anblick, das Zusammensein mit diesem einfachen, schlichten Kinde des Waldes? Könnern schüttelte selber über diese tolle Idee den Kopf und suchte ein paar Mal sogar gewaltsam das holde Bild aus seiner Erinnerung zu bannen; aber es ging eben nicht. – Wenn er hinaus in den Wald horchte, hörte er die melodischen Laute ihrer Stimme, wenn er nach irgend einem möglichen Wild umherlugte, sah er das schelmische Lächeln der Jungfrau hinter jedem Busch und Strauch, als sie ihn fragte, ob er die Blumen liebe, und aus jedem perlenden Thautropfen schauten ihm die treuen Augen Elisens entgegen.

Mit einem Worte, er war bis über die Ohren verliebt, und daß er sich das zuletzt selber nicht einmal mehr verbergen konnte, ärgerte ihn am allermeisten.

»Es ist reiner Wahnsinn,« philosophirte er vor sich hin, »reiner, blanker Wahnsinn, daß ich da hinein reite, einer jungen Brünette in die Augen schaue und darüber auf einmal den Verstand verloren haben soll! Der muß mir jedenfalls schon früher abhanden gekommen sein – oben in Costa Rica vielleicht, oder am Mississippi, oder irgendwo anders sonst – der Teufel weiß es! Aber zum Kukuk auch! Ich will doch einmal sehen, ob ich nicht Gewalt über mich habe, mir ein Mädchenbild aus dem Kopf zu schlagen, und wenn's eine Brünette mit den schönsten Rehaugen der Welt wäre – und das ist sie nicht einmal – die Nase steht ihr ein klein bischen schief – ein ganz klein bischen nur, aber sie steht doch schief, und ist für eine wirkliche Schönheit viel zu stumpf, und das Kinn müßte nothwendig ein wenig länger sein – außerdem hat sie nicht einmal ein Grübchen darin, und ich schwärme für Grübchen im Kinn.«

Und wie er sich die Fehler der Geliebten so gewaltsam vormalte, schauten über Nase und Kinn immer nur wieder jene Augen fest und tief in die seinigen; in dem Rauschen der Palmen hörte er die leise flüsternden Worte, wie sie ihm sagte: »Ich aber würde es ganz bestimmt ungern sehen, wenn Sie so bald schon wieder Abschied von uns nehmen wollten,« und jeder wehende Zweig schien ihm zuzuwinken und zu rufen: »Zurück! Zurück – hinter Dir liegt das Glück, das Du verlassen hast, hinter Dir! Und was treibst Du Dich da noch länger so einsam und allein in der weiten, öden Welt umher?«

Er griff auch ein paar Mal wirklich seinem Pferde in die Zügel, als ob er dieser wunderlichen Stimme, die ihn drängte und trieb, folgen wolle, aber es war das immer nur ein Moment. Im nächsten warf er trotzig den Kopf zurück und biß die Zähne auf einander. Aber die Traumbilder ließen ihm doch keine Ruhe, und er kam erst eigentlich ordentlich wieder zu sich selber, als er das ihm von dem Direktor bezeichnete Haus erreichte, das an der Grenze der Ansiedelung stand und wo er sein Pferd lassen wollte, um seine eigentliche Jagd zu beginnen.

Der Eigenthümer war allerdings gerade nicht zu Hause, sondern im Walde draußen, um Stämme für eine neue Scheune zu schlagen; das schadet aber nichts; die Frau öffnete ihm den kleinen Pasto, wo er sein Thier indessen frei werden lassen konnte, und mit seiner Büchsflinte auf der Schulter schritt er gerade in den Wald hinein, um sein Jagdglück, allen Gedanken und Träumen zum Trotz, in vollem Ernste zu versuchen.

Und als er nur erst einmal die letzte Umzäunung der Chagra hinter sich hatte und in den wirklichen Wald eintauchte, wobei er noch außerdem genöthigt war, sich genau die eingeschlagene Richtung zu merken, gewann der Wald um ihn her wieder seinen wirklichen Charakter, und ordentlich in der Wildniß drin erwachte auch die alte Leidenschaft zur Jagd in ihm und ließ ihn mit dem ersten besten Pfade, auf den er den Fuß setzte, auch nach Fährten oder Spuren wilder Thiere suchen.

Es ist schon an und für sich ein ganz eigenthümliches, wunderbares Gefühl, in einem fremden, unbekannten Walde mit der Büchse im Arm dahin zu schreiten, und man muß eigentlich selber Jäger sein, um das recht mitempfinden oder auch nur begreifen zu können. Jeder Laut ist fremd, selbst das Rauschen der Blätter klingt dem Ohre ungewohnt, und noch dazu in einem tropischen Walde lenkt überall eins der sich stets bewegenden riesigen Blätter das Auge des Jägers bald da-, bald dorthin und hält ihn anfänglich in fast fieberhafter Spannung.

Hier und da raschelt auch einmal das Laub – ein dürrer Ast knickt, ein Waldhuhn streicht dicht vor den Füßen des Jägers mit fremdartigem Geräusch empor und verschwindet, ehe er sich zum Schusse sammeln konnte, wieder in den Büschen, und irgend eine unbekannte Fährte fesselt plötzlich seinen Blick und lockt ihn weit von seiner Richtung ab, lange, lange Strecken in den Wald hinein.

So streifte auch Könnern heute durch die Wildniß, die er freilich mit größeren Erwartungen für die Jagd betreten hatte. Er fand wohl einmal eine Stelle, wo ein Rudel Sauen den Grund aufgebrochen hatte, er sah die Fährten einer kleinen Rothwildart und einmal sogar die eines Panthers oder einer Tigerkatze, aber zum Schusse bekam er nichts als ein paar Waldhühner, die er aus dem Gebüsch herausstörte und im Fluge mit dem Schrotlauf schoß. Das war Alles, und als er am Stand der Sonne sah, daß er nicht viel Zeit mehr zu versäumen hatte, trat er den Rückweg an und erreichte etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang das Haus jenes Ansiedlers, wo sein Pferd stand.

Der Mann war jetzt zu Hause und empfing den Fremden auf das Gastlichste, wie es überhaupt in den Ansiedelungen Sitte ist, lachte auch gerade hinaus, als Könnern erklärte, daß er heut Abend noch nach der Colonie zurück wolle.

»Mein lieber Freund,« sagte er, »das ist reine Thorheit, und Sie verstehen es eben nicht besser. Bis Sie Ihr Pferd gesattelt haben und aus der Rodung hinaus sind, ist die Sonne unter und die Welt damit auch gleich stockdunkel, und nachher sollten Sie einmal sehen, wie Sie auf dem Hundewege mit Ihrem Pferde stecken blieben und stürzten, vielleicht obendrein noch Hals und Beine brächen. Fortreiten im Dunkeln? Denken Sie gar nicht daran, und außerdem lasse ich Sie nicht fort, wenn Sie auch wirklich wollten. Glauben Sie denn, daß uns die Fremden hier so dick zugeschneit kämen, daß wir einen, den wir einmal eingefangen, gleich wieder fliegen ließen? Gott bewahre – heut Abend wollen wir uns 'was erzählen, Sie von draußen, ich von hier, und da sollen Sie einmal sehen, wie rasch die Zeit verfliegt.«

Er ließ auch wirklich gar keine Einwendungen gelten, und da sich Könnern viel eher in der Stimmung fühlte, den Abend bei ganz fremden Leuten zuzubringen, als unter Freunden zu verplaudern, so bedurfte es keines langen Zuredens seines freundlichen Wirthes, ihn zu bestimmen, dessen Wunsch zu gewähren.

Während Könnern unter einem mächtigen Orangenbaume saß und einige der um ihn her den Boden bedeckenden Früchte verzehrte, erzählte ihm der Deutsche den größte Theil seiner Lebensgeschichte. Er hieß Heinrich Zuhbel, hatte früher einen Handel in Rio Grande gehabt und mit einem Krämerkarren verschiedene Streiftouren nach Uruguay hinein gemacht, wo er eine Menge Geld verdient haben mußte. In San Leopoldo, wohin er auch einmal gekommen war, um seine Waaren an den Mann zu bringen, brachte er sich dann selber an. Er verliebte sich nämlich – oder besser gesagt, seine jetzige Frau verliebte sich eigentlich in ihn – die Eltern hatten nichts dagegen, und er verkaufte seine ganzen Habseligkeiten an einen frisch eingewanderten Juden, übernahm die Colonie seines Schwiegervaters und wirthschaftete darauf, bis ihm der Nachbarn zu viele wurden. Damals wurde die jetzige Colonie Santa Clara, wenn auch nicht begründet, denn sie bestand schon längere Zeit, so doch frisch in Angriff genommen, und Zuhbel beschloß, hierher überzusiedeln. Überhaupt an Herumziehen in der Welt gewöhnt, wurde ihm das auch nicht schwer, und er hatte sich jetzt mit Fleiß und Ausdauer ein ganz hübsches Besitzthum gegründet und lebte, wie er meinte, gerade weit genug von der Colonie entfernt, um sich Vieh halten zu können und nicht jeden Augenblick Aerger mit den Nachbarn zu haben. Die Kinder konnte er freilich von hier aus nicht in die Schule schicken, denn das war zu weit und die Schule taugte auch nichts; deshalb unterrichteten er und die Frau sie selber, und der ›Landsmann‹ sollte sich nachher einmal überzeugen, was sie schon Alles könnten.

Der Mann plauderte so in einer Schnur fort und erzählte dem Fremden eine von den tausend Geschichten, die der Wanderer durch solche Länder fast in jeder Hütte zu hören bekommt und als eine der vielen Reiseunannehmlichkeiten eben hinnehmen muß: eine Lebensgeschichte ohne das geringste Interessante, ein alltäglicher Lebenslauf in den Colonien, voll Arbeit, und Glück und Mißgeschick bunt und ohne Zweck oder Ziel durcheinander gemischt.

Der Mann hier schien aber trotzdem keiner der gewöhnlichen Bauern zu sein, wie auch sein früherer Erwerb bewies; er war eine Art von verdorbenem Genie, der ein bischen von Allem oberflächlich gelernt hatte, das Wenige aber nach Kräften zur Geltung zu bringen suchte, wo sich ihm irgend Gelegenheit dazu bot.

Als sich die Sonne endlich hinter die Bäume senkte, lud er seinen Gast ein, in's Haus zu kommen, da der Thau schon zu fallen begann. Dort fand Könnern die Frau emsig beschäftigt den Tisch zu decken, und ein junges, hübsches Mädchen von vielleicht dreizehn Jahren, aber schon hoch aufgeschossen, half ihr dabei.

Die Frau trug nicht die deutsche Bauerntracht, sondern mehr eine Kleidung, wie sie bei Handwerkerfrauen auf dem Lande Sitte ist: ein blaugeblümtes, dunkles Kattunkleid, eine weiße Schürze und – jedenfalls dem Gaste zu Ehren – ein gelb und roth carrirtes Seidentuch um den Hals geknüpft. Sie mußte auch einmal recht hübsch gewesen sein, denn die Spuren ließen sich selbst jetzt noch erkennen, aber harte Arbeit und eine heiße Sonne reiben den Körper auf und machen ihn rasch verblühen. Sie grüßte schüchtern und verließ mit ihrer Tochter das Zimmer, sobald es Könnern betrat. Aber auch sein Wirth hatte noch draußen zu thun.

»Setzen Sie sich und machen Sie es sich bequem,« sagte er zu seinem Gaste, als er diesen in die Stube geführt hatte; »ich bin gleich wieder da, ich will Ihnen nur etwas von meinen Fabrikaten holen.«

Damit verließ er ebenfalls das Zimmer und ließ dem jungen Deutschen vollkommen Zeit, sich diese Heimath eines deutsch-brasilianischen Pflanzers mit Muße zu betrachten – und wahrlich, es schien ein wunderlicher Platz!

Das große, geräumige Zimmer mit weißen Kalkwänden nahm den ganzen vordern Theil des Hauses ein. Die Möbel bestanden großentheils aus einfachem weißen Holze. Nur ein möglicher Weise aus Deutschland mitgebrachter runder Tisch in der Ecke war aus Mahagoni; ebenso ein Stuhl, der aber nur noch drei Beine hatte und mehr zum Staate als zum wirklichen Dienste wie in Gedanken in der Ecke lehnte.

An der einen Wand stand ein Fortepiano aus Nußbaumholz; daneben aber ein angebrochener Mehlsack, aus dem wahrscheinlich der tägliche Bedarf für das Haus genommen wurde; auf dem Clavier lag ein kürzlich abgenommener Pferdezaun, denn das Gebiß war noch feucht, und in der Ecke am Fenster ein alter, zerrissener Sattel, neben dem wiederum zwei Fässer mit Bohnen und Erbsen standen. Auf dem Mahagonitisch war außerdem als Decke das etwas defecte Umschlagetuch der Frau gebreitet; die Zipfel desselben reichten aber nicht weit genug herunter, um ein Paar Halbstiefel und einige noch nicht gereinigte Frauenschuhe zu verbergen. Ein Paar abgeworfene Hosenträger lagen auf dem Umschlagetuche.

Die Familie schien außer dem Clavier aber auch sonst noch entschieden musikalisch zu sein, denn über demselben, neben einer gewöhnlichen Handwage und einem lange nicht abgestaubten Rocke, hingen noch zwei Guitarren und eine Violine – alle drei in ziemlich verwahrlostem Zustande. – Sonst aber sah es reinlich in dem Zimmer aus; die Dielen waren frisch gescheuert und an dem einen Fenster sogar ein schwacher Versuch zu einer Gardine gemacht.

Könnern lehnte seine Büchsflinte in die Ecke neben den Mehlsack und hatte gerade Zeit genug gehabt, sich in dem Zimmer ein klein wenig umzusehen, als sein Wirth mit einer Flasche Wein und ein paar Gläsern zurückkehrte.

»Nun sollen Sie auch einmal eine Flasche Santa Clara Ausbruch versuchen, ein kapitales Weinchen,« sagte er dabei, indem er die Flasche auf den Tisch stellte und entkorkte, »selbst gezogen – delicat – noch ein bischen jung vielleicht, aber famos – die Blume!«

Der Wein hatte eine Rosafarbe; als ihn Könnern aber kostete, lachte er gerade hinaus und rief:

»Sie haben sich mit der Flasche vergriffen; das ist Himbeeressig!«

»Himbeeressig?« sagte Herr Zuhbel erstaunt, indem er vorsichtig von seinem Glase kostete – »ich habe ja gar keinen – bitte um Verzeihung, das ist mein Ausbruch. Er ist ein bischen säuerlich, weil bei uns die Beeren so ungleich reifen, aber ich gebe Ihnen mein Wort, wenn man sich erst einmal an den Wein gewöhnt hat, schmeckt Einem der beste Markobrunner nicht mehr.«

»Das glaube ich auch,« sagte Könnern, der einen zweiten Versuch machte, das Glas aber dann kopfschüttelnd wieder auf den Tisch setzte – »ich bin übrigens kein Weinkenner, lieber Herr, und trinke nur Wasser. Jeder Wein steigt mir augenblicklich zu Kopfe.«

»Der nicht,« rief Zuhbel in Eifer, »der wahrhaftig nicht, und wenn Sie drei Flaschen davon tränken!« (Könnern zogen sich schon bei dem Gedanken an eine solche Möglichkeit die Eingeweide zusammen und alle Zähne wurden ihm stumpf.) »Uebrigens können Sie auch Milch bekommen, meine Weiberleute trinken auch gewöhnlich Milch, und da kommen sie schon mit dem Essen. Nun langen Sie tüchtig zu, denn Sie werden nach dem heutigen Marsch Hunger bekommen haben.«

Die Frau brachte in der That herein, was das Haus bot: delicates Brod, frische Butter, guten Käse, Milch und Eier, Alles reichlich und mit größter Reinlichkeit aufgetischt; aber sie sprach kein Wort, wenn nicht eine Frage direct an sie gerichtet wurde. Auch das junge Mädchen hielt sich scheu zurück und wagte nicht einmal ordentlich an den Tisch hinan zu rücken, an den sie weit hinüberlangen mußte. Zuhbel führte allein das Wort und erzählte ununterbrochen von seinem Leben hier zwischen den »Brasilischen«, von seinen Arbeiten und Erfolgen, wie er den Leuten hier erst habe zeigen müssen was Ackerbau sei, wie er seine Felder einrichte und bewirthschafte, was er ziehe und möglich gemacht habe und wie er es eigentlich gewesen sei, der in die Ansiedelung unten ein wenig Ordnung gebracht habe.

»Mit dem Director ist es nichts,« fuhr er fort – »gar nichts, das ist ein Grobian, wie er im Buche steht, aufgeblasen und stolz – ja, ›Dickethun ist mein Reichthum,‹ das paßt auf den. Will Alles besser wissen und hat nicht die geringste Lebensart. Da ist der Delegado ein anderer Mann – der weiß, was Höflichkeit ist und was Unsereiner versteht und giebt sich mit dem gemeinen Manne ab, daß es eine Lust ist.«

Dann kam er auf die Frau Gräfin zu sprechen, die ihn einmal »mein lieber Herr Zuhbel« genannt hatte und von der er entzückt schien. Das war eine Dame, wie sie eigentlich sein sollte, »wirklich vornehm und doch so gemein als möglich.«

Könnern ermüdete das Gespräch. Er hatte schon lange herausgemerkt, daß sein freundlicher Wirth zu den Menschen gehörte, die ihren Nachbar nur danach beurtheilen, wie sie selber von ihm behandelt sind, und den aus Grundsatz hassen, der klüger oder fleißiger ist als sie, oder wenigstens von seiner Arbeit mehr Erfolg gehabt hat. Leider giebt es solcher Leute ja genug in allen Ständen, und man braucht nicht gerade nach Brasilien zu gehen, um mit ihnen zusammenzutreffen. Zuhbel dagegen, der ebenfalls gefunden, daß sein Gast ein »Fremder« sei, und der hier draußen viel zu selten Gelegenheit bekam, seine Lichtseiten zu entwickeln, nahm jetzt die Ansiedler einen nach dem andern durch, um, wie er meinte, dem neuen Einwanderer gleich einen richtigen Ueberblick über die Verhältnisse zu gestatten.

Indessen war es vollkommen Nacht geworden, als draußen der Hufschlag eines Pferdes laut wurde und gleich darauf ein junger, kräftiger Bursche von etwa siebzehn Jahren in's Zimmer trat. Es war Zuhbel's Sohn, der den Fremden freundlich grüßte und dann, ohne von seiner Familie auch nur die geringste Notiz zu nehmen, sich zum Tische setzte und die noch übrigen Speisen verzehrte. Er leerte sogar ein Glas von dem Wein, ohne eine Miene dabei zu verziehen.

Während er aß, saß Zuhbel wie auf Kohlen; er rückte auf seinem Stuhle hin und her und sah immer nach seinem Sohne hinüber und als dieser kaum den letzten Bissen im Munde hatte und seinen Teller zurückschob, stand er auf, rieb sich die Hände und sagte:

»So, jetzt kann's losgehen – jetzt sollen Sie einmal sehen, daß wir hier im brasilianischen Walde nicht blos lauter Bauern und Holzhacker sind, sondern daß wir auch in der Kunst etwas leisten. Bist Du fertig, Junge?«

»Ja, Vater,« sagte der Sohn, stand auf, wischte sich den Mund, nahm einen kleinen Zusammenlegekamm aus der Tasche, um seine Frisur oberflächlich in Ordnung zu bringen, und griff dann ohne Weiteres nach der über dem Clavier hängenden Violine, die er zu stimmen und herauf und herunter zu schrauben begann. Es dauerte eine geraume Zeit, bis er damit fertig wurde; der alte Zuhbel hatte indessen das Clavier geöffnet und sich daran gesetzt.

»Spielen Sie?« fragte er Könnern. Dieser verneinte. »Das müssen Sie noch lernen,« fuhr Zuhbel fort, indem er einen falschen Accord griff; »es ist etwas gar Schönes für einen Colonisten, wenn er sich Abends nach der Arbeit die Zeit ein wenig mit Musik vertreiben kann – na, hast Du's bald?« wandte er sich an seinen Sohn.

»Jetzt kommt's,« sagte dieser, indem er einen Ton auf dem Clavier anschlug und seine Stimmung damit verglich. Es stimme so ziemlich – höchstens um einen halben Ton Unterschied, was zu unbedeutend war, deshalb noch einmal alle Saiten abzuschrauben. Ein Strich über die Violine war das Zeichen und ohne weitere Verabredung, als ob gar keine andere Melodie möglich sei, fielen Beide in die Fra Diavolo'sche Romanze: »Erblickt auf Felsenhöhen« ein und kratzten und hämmerten dieselbe richtig durch, der Vater natürlich nur den Baß schlagend, wobei es nicht darauf ankam, ob er manchmal um zwei oder drei Zoll daneben griff.

Dann kam ein schwermüthiges Lied: »Von der Alpe tönt das Horn«, dann »Die Fahrt in's Heu« mit allen Versen. Den Schluß bildete aber das Schrecklichste von Allem, ein Choral; denn während es bei den früheren Liedern über die Mißtöne rasch hinwegging, wurden sie hier lang und feierlich ausgehalten, und Könnern als Schlachtopfer saß in der einen Ecke und rauchte eine schlechte Cigarre, die wie der Wein eigenes Fabrikat des Tausendkünstlers war.

Aber auch das ging vorüber; das Concert war beendet, die Violine hing wieder an der Wand und das Clavier wurde geschlossen – der erste angenehme Ton, den es heute von sich gab.

»Es sind nur drei Instrumente in der ganzen Colonie,« sagte Zuhbel mit Stolz, indem er dem alten Klapperkasten freundlich auf den Rücken klopfte, als ob es ein Pferd gewesen wäre; »eins hat die Frau Gräfin, ein wahres Prachtstück; die junge Gräfin hat mir einmal selber etwas darauf vorgespielt – die spielt, und das ist ein Mädel – zum 'reinbeißen, sage ich Ihnen. Sie kennen sie aber gewiß schon?«

»Ich habe sie nur einmal im Vorbeireiten gesehen.«

»Reiten kann sie wie der Teufel – und das dritte hat der Meier – der Einsiedler, wie sie ihn unten nennen; aber ob darauf gespielt wird, kann man nicht erfahren, denn er liegt wie ein Kettenhund vor seiner eigenen Thür und läßt Niemanden hinein – das ist ein schrecklicher Mensch!«

»Er macht sich nicht viel aus Gesellschaft,« sagte Könnern gleichgültig.

»Haben Sie das auch schon gemerkt?« lachte Zuhbel; »ja, der läßt Alle abfahren, wer sie auch sein mögen, aber – es hat seinen Grund.«

»Er mag etwas menschenscheu sein; lieber Gott, Jeder von uns hat seine Schwachheiten!« sagte Könnern und dachte an das Concert.

»Schwachheiten?« fragte Zuhbel geheimnißvoll – »bei dem ist's mehr, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Dahinter steckt etwas. – Mit dem ist's nicht richtig, und daß der – ich mag keinem Menschen etwas Böses nachsagen – aber daß er wenigstens einen Mord auf dem Gewissen hat, darauf können Sie Gift nehmen. – Denken Sie denn, daß der Jemandem gerade in's Gesicht sehen kann? Gott bewahre, eine blaue Brille setzt er auf, hinter der man nie weiß ob er schläft oder zuhört, wenn man ihm 'was sagt, und daß er ein einziges Mal seine Nachbarn besucht hätte, so lange er hier in der Gegend wohnt – ist ihm noch gar nicht eingefallen.«

»Ja, aber, mein lieber Herr Zuhbel,« sagte Könnern, »nicht alle Menschen haben eben Freude an Gesellschaft!«

»Ach was,« rief der Mann, »der ist keines Menschen Freund, wie sein eigener, und ich weiß nicht einmal, ob er sich selber 'was aus sich macht. Nein, bleiben Sie mir mit dem Herrn Meier vom Leibe, und mit seiner ganzen Familie, der alten, knuffnäsigen Frau, die Einen immer ansieht, als ob sie Einen beißen wollte – lieber Gott, ich thu' ihr nichts! – und dem bleichsüchtigen Ding von Mädchen. Und mit seinem Reichthum soll's auch nicht so weit her sein – mich kauft er nicht aus, so viel weiß ich, und mein Land gäbe ich nicht für ein Dutzend solcher Chagras hin, wie er eine hat.«

Der Mann war im Zuge und ließ Könnern nur insofern Ruhe, daß er nicht von ihm verlangte, ebenfalls zu reden. Er hechelte die Colonie wieder von oben bis unten durch, und das Resultat blieb, daß er der Einzige von Allen sei, der wirklich etwas vom Ackerbau verstehe und eine Musterwirthschaft eingerichtet habe, auf der er den Colonisten einmal zeigen wolle, was man aus dem Lande machen könne, wenn man es eben richtig angriffe. Könnern war froh, als er sich endlich mit der späten Stunde, und Müdigkeit vorschützend, entschuldigen konnte, um sein Lager zu suchen.

Auch hier war Alles für ihn durch die Frauen auf das Sauberste hergerichtet, und in einer der oberen Kammern fand er ein, wenn auch ein wenig hartes, doch frisch überzogenes Bett, mit Waschzeug, Handtuch und frischem Wasser, und außerdem noch einen Teller mit Maniokmehl und einen Korb voll Orangen, die bei dem brasilianischen Landmanne einen nicht unbedeutenden Theil seiner Nahrung bilden.

Die Frau leuchtete ihm hinauf. Sie sprach kein Wort dabei, setzte ihm das Licht in die Stube und sah sich dann noch einmal um, ob auch Alles in Ordnung sei. Dann ging sie wieder eben so schweigend zur Thür zurück, drehte sich noch einmal um, sah Könnern ruhig an und sagte:

»Glauben Sie kein Wort von dem, was er Ihnen sagt. Es ist Alles nicht wahr. Gute Nacht, schlafen Sie wohl!« und damit verschwand sie draußen in dem dunkeln Gange.

Könnern lachte still vor sich hin, aber er war durch das furchtbare Schwatzen seines Wirthes so geistig müde geworden, daß er an dem Abend nicht einmal mehr denken konnte. So suchte er denn sein Lager und hatte sich kaum darauf ausgestreckt, als er auch in einen tiefen Schlaf fiel und erst am hellen Morgen neu gestärkt erwachte.

Nun wollte er allerdings gleich zur Ansiedelung zurückkehren, weil er fürchtete, daß der Direktor vielleicht seinetwegen in Sorge sein könne; aber Zuhbel ließ ihn nicht. Erst mußte er frühstücken und dann seine Felder besehen, ohne das kam er nicht los.

Könnern war nun nichts weniger als Oekonom und verstand nicht das Geringste von der Landwirthschaft, das schadete aber nichts; Zuhbel schleppte seinen Gast mit einem wahren Feuereifer über geackerte und ungeackerte Felder und zeigte ihm, was er hier bauen wollte, und was er da gebaut hatte, wie jener Graben dort und dieser da gezogen sei, und wie alt der oder jener Pfirsichbaum wäre, und wo er die jungen Stämme herbekommen habe – Dinge, die den jungen Maler auch nicht im Geringsten interessirten. Endlich hatten sie Alles gesehen, keine Heckenpflanzung von Quittenbäumen, kein Reis- oder Maisfeld war mehr übrig und der Fremde durfte endlich den Wunsch aussprechen, sein Pferd zu satteln. Das aber besorgte ihm der junge Zuhbel, der zum zweiten Frühstück aus dem Felde hereingekommen war und Könnern athmete hoch auf, als er endlich wieder auf dem schmalen Pfade, das Thal hinab, der Ansiedelung zutraben konnte.

Und dennoch schlug er nicht den nächsten Weg dorthin ein, sondern lenkte links ab, an Meier's Chagra vorüber, – und weshalb? Er hatte Anfangs ein unbestimmtes Gefühl, als ob er die beiden geschossenen Waldhühner, die an seinem Sattelknopfe hingen, Elise bringen wolle – aber das ging nicht. Er durfte dem alten Manne nicht lästig fallen – nicht jetzt schon wieder sein Haus betreten – und doch, mit wie schwerem Herzen ritt er an der dichten Hecke vorüber, die Alles umschlossen hielt, was seinem Herzen lieb und theuer war. – Vergebens suchte er auch nur einen Blick in die Umzäunung zu gewinnen; der alte Meier hatte schon dafür gesorgt, daß kein neugieriges Auge in sein Heiligthum dringen könne, und tief aufseufzend ließ er seinem Pferde endlich wieder den Zügel, um den Weg zu verfolgen, der ihn hinunter nach Santa Clara brachte.

Noch hatte er aber das Ende der Umzäunung nicht erreicht, als er plötzlich Musik zu hören glaubte. Er griff seinem Thiere rasch in den Zügel und lauschte. Richtig – im Garten selber hörte er die melodischen Töne einer Zither. Eine Weile horchte er, aber er war hier noch zu weit entfernt, um die Melodie deutlich zu unterscheiden; nur die einzelnen, höheren Töne drangen zu ihm herüber, und ehe er noch zu einem rechten Entschluß gekommen, was zu thun, war er schon abgestiegen und hatte sein Pferd am Zügel.

Ein Weg führte dort allerdings nicht hinein, aber die Büsche waren doch nicht so dicht, daß er nicht hindurch gekonnt hätte, und einen Augenblick stand er unschlüssig, ob er das Pferd hier draußen am Wege anbinden solle. Aber vom Hause aus konnte Jemand daherkommen und ihn beim Horchen ertappen – besser, er nahm es mit, und es vorsichtig führend, näherte er sich mehr und mehr dem Spielenden, bis endlich ganz deutlich und gar nicht weit entfernt das Lied zu ihm herübertönte.

Hier aber hemmte eine hohe und vollkommen dichte Hecke jedes weitere Vordringen; zu nahe durfte er überhaupt nicht hinan, daß ihn der Schritt des Pferdes nicht verrieth – er blieb stehen und lauschte der Melodie, die eine Meisterhand aus den Saiten lockte – aber wer spielte hier? Der alte Meier selber vielleicht? Der Direktor hatte ihm schon gesagt, daß er sehr musikalisch sei. Es war eine jener schwermüthigen deutschen Volksweisen, an denen wir so reich sind, und ein tiefes, inniges Gefühl schien die Saiten zu beleben.

Jetzt war das Lied beendet und alles ruhig – hatte sich der Spieler wieder entfernt? Es war so still geworden, daß er sich ordentlich fürchtete den Platz zu verlassen, weil ihn das durch das Pferd verursachte Geräusch verrathen mußte.

Da plötzlich wurden wieder einzelne Accorde angeschlagen, erst leise und wehmüthig, dann in eine mehr heitere Weise übergehend. Zwei oder drei der kleinen allerliebsten steyrischen Ländler folgten, dann plötzlich in eine andere Tonart überspringend, intonirte der Spieler eine dem Zuhörer fremde Melodie, und jetzt – das Herz schlug ihm auf einmal wie ein Hammer in der Brust, begann eine glockenreine Mädchenstimme ein kleines Lied, vom dem er deutlich jede Silbe verstehen konnte:

    Die Herzen wachsen alle dort
Im blauen Himmelsfeld,
Und immer zwei beisammen, eng,
Die eine Schale hält.

    Vielliebchen gleich, so keimen sie
Je zwei und zwei selband,
Und sind sie reif, nimmt sie der Herr
Und streut sie über's Land.

    Eins pflanzt er einem Jüngling ein,
Das and're einer Maid,
Und spricht: Mein Segen ruht auf Euch,
Wenn Ihr vereinigt seid.

    Die beiden Hälften suchen nun
Sich in der Welt daher.
Und selig, wer sein halbes find't.
Oh dreimal selig der!

    Das halbe Herz, Du lieber Gott.
Kann doch auch halb nur schlagen –
Wer meine and're Hälfte hat.
Ich wollt', er thät' mir's sagen.

Könnern lauschte dem Liede mit glühenden Wangen, kaum aber war es beendet, als er – er wußte kaum, was er that – die beiden geschossenen Waldhühner vom Sattelknopfe nahm und mit keckem Wurf über die Hecke hinweg in den Garten schleuderte.

Er hörte noch drinnen einen leisen Aufschrei, aber weiter nichts, in wilder Flucht trieb er sein Pferd wieder durch den Busch zurück auf den Weg, sprang in den Sattel und jagte mit einem ganzen Sturm tobender Gefühle im Herzen in die Ansiedelung zurück.



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