Friedrich Gerstäcker
Die Colonie
Friedrich Gerstäcker

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4.

Die »Meierei«.

Dicht über der Colonie Santa Clara, wenn man in gerader Richtung eben hätte hinauf kommen können, aber durch einen ziemlich steilen Hang, an dem nicht einmal ein Fußsteig emporführte, davon getrennt lag die Wohnung des Colonisten Meier, den der Director gegen Könnern den Einsiedler genannt hatte. Allerdings lief ein Fahrweg bis dicht an seine kleine, wenig bebaute Chagra, aber er wurde nicht häufig benutzt, da er nur zu sehr entfernten Ansiedelungen führte, und die Bewohner der ›Meierei‹ – wie man den Platz scherzweise genannt hatte – kamen nie selber in die Colonie herab. Insbesondere der Eigenthümer, der alte Herr Meier, hielt sich so von der Welt abgeschlossen, daß es eine Menge älterer Ansiedler in Santa Clara gab, die sich gar nicht erinnerten, sein Gesicht je gesehen zu haben.

Auffallend war dabei, daß er nie Briefe empfing oder schrieb, und doch mußte er sich, seinem ganzen Wesen, allen seinen Gewohnheiten nach, daheim in der besten Gesellschaft bewegt haben. Wie er aber sein kleines Haus dicht hinter den Schutz der Bäume gebaut hatte, daß es lauschig und versteckt dort lag, weder gestört, noch selbst beachtet von der Außenwelt, so hielt er sich selber und seine Familie dem regen Leben und Treiben fern, das unter ihm wogte – es nicht suchend und nicht von ihm gesucht.

Er lebte dabei ganz seiner Familie, mit der er sich einzig und allein beschäftigte und in der er vollkommenen Ersatz für die übrige Welt zu finden schien. Im ersten Jahre freilich fehlte dem an Thätigkeit gewohnten Manne eine bestimmte und ausgesprochene Beschäftigung, und er genügte dem Drange nach Arbeit nur dadurch, daß er seinen eigenen Garten anlegte, umgrub und pflanzte. Das aber konnte ihn auf die Länge der Zeit nicht befriedigen, und da er manche Tischlerarbeiten in seinem Hause zu machen hatte und einen jungen, sehr geschickten Arbeiter dazu fand, schaffte er sich selber Werkzeug an und lernte bald die verschiedenen Griffe und Vortheile dieses Handwerks. Dann kaufte er sich eine Drehbank, und nahm sich auch hierfür auf kurze Zeit einen Lehrer an. Außerdem verstand er schon daheim ein wenig von der Malerei, was er jetzt in seinen Mußestunden noch weiter ausbildete. Eine recht hübsche Bibliothek hatte er sich ebenfalls angeschafft, und da er bei allen diesen Beschäftigungen viel praktischen Verstand besaß, so richtete er sich in wenigen Jahren seine kleine Heimath so allerliebst und traulich her, daß jedes Zimmer einem Puppenstübchen glich, ohne daß er dabei aber auch nur den geringsten Luxus getrieben hätte

Nach außen vermied er jedoch Alles, was nur im Geringsten die Aufmerksamkeit eines Fremden hätte auf sich ziehen können; er wollte nun einmal mit der Welt keinen Verkehr haben, und was ihn auch dazu bewogen haben konnte, auf die geschickteste Weise wich er jeder Annäherung fremder Menschen aus.

Seine Familie bestand, wie schon erwähnt, nur aus seiner Frau und einer erwachsenen Tochter. Diese, Elise, hatte erst dreizehn Sommer gezählt, als er, vor nun sieben Jahren, die damals kaum entstandene und noch ziemlich wilde Colonie erreichte, und wenn auch ein junges Mädchen in diesem Alter wohl berechtigt ist, größere Ansprüche an das Leben zu stellen, während sie hier – obgleich von allen Bequemlichkeiten umgeben – wie auf einer wüsten Insel saß, so schien doch Elise das nie zu fühlen oder irgend einen andern Wunsch zu kennen als den, die Häuslichkeit ihrer Eltern eben zu theilen, wie sie war. Auch auf ihren Charakter hatte das stille, abgeschlossene Leben nicht den geringsten nachtheiligen Einfluß ausgeübt. Sie war immer heiter und guter Laune und eigentlich das einzige sonnige Element im Hause.

Wenn auch ihre Eltern selbst glücklich mit einander lebten und nie ein hartes oder auch nur unfreundliches Wort zwischen ihnen vorfiel, so lag doch auf des Vaters Stirn nur zu oft ein tief eingeschnittener Zug von Schwermuth, den wegzuscheuchen nur allein der Tochter, nie der Mutter gelang.

Noth und Sorge um den Lebensunterhalt konnte das nicht sein, denn Meier war, wenn auch vielleicht nicht reich, doch keineswegs ohne die Mittel, sich eine sichere Existenz zu wahren. Konnte es Heimweh sein? – vielleicht, aber Niemand erfuhr das, Niemand hörte je eine Klage, wie er etwaigen Fremden, mit denen er trotz aller Vorsicht gelegentlich zusammentraf, wenn er nur die Schüchternheit der ersten Begegnung überwunden hatte, auch stets das nämliche freundliche Lächeln zeigte. Es lag dabei etwas in seinem ganzen Wesen, das rasch für ihn einnahm, wenn man nur kurze Zeit in seiner Nähe weilte. War es das lange, schlichte, schneeweiße Haar, das er mitten auf dem Kopfe gescheitelt trug, und das sonderbarer Weise erst hier in Brasilien diese Farbe des Alters, und zwar gleich im ersten Jahre, angenommen hatte. War es der leichte leidende Zug um den Mund, den selbst das Lächeln der feingeschnittenen Lippen nicht ganz zerstören konnte, war es sein mildes, nachgebendes Wesen, man wußte es selber nicht, aber konnte dem Manne, trotz seiner Eigenheit, nie böse sein.

Nicht ganz den freundlichen Eindruck machte seine Gattin, obgleich man auch ihr auf den ersten Blick ansah, daß sie sich stets in guter Gesellschaft bewegt habe. Sie hatte das Kalte, Zurückhaltende ihres Mannes, ohne dessen milde Freundlichkeit, und der mißtrauische Blick ihres kleinen grauen Auges, mit dem sie jeden Fremden, ja selbst Leute, die sie lange als Nachbarn kannte, betrachtete, munterte eben nicht zu einem freundlichen Zusammenleben mit ihr auf. Uebrigens war sie eine noch recht hübsche, stattliche Frau von vielleicht sieben- oder achtunddreißig Jahren, und die einzige Meinungsverschiedenheit, welche je zwischen ihr und ihrem Gatten auftauchte, war die, daß sie sich mehr dem geselligen Leben der Colonie hinzugeben wünschte.

So nachgebend dieser aber auch in jeder andern Beziehung sein mochte, an dieser Klippe scheiterte selbst jede Bitte von Frau und Tochter. Was ihnen das eigene Haus an Bequemlichkeit, ja selbst hier und da an einem versteckten Luxus bieten konnte, dazu reichte er mit Freuden die Hand und erfüllte selbst jeden nur geahnten Wunsch; aber über die Grenze seines kleinen Besitzthums ging er nicht hinaus, und sogar das zufällige Lichten der Pflanzenmauer, die seinen kleinen Klosterhof umschloß und, durch den Sturm niedergebrochen, sein Haus der Aussicht öffnete, schien ihn zu geniren und zu stören. Er versäumte wenigstens keine Stunde am nächsten Morgen, die zerrissene Lücke durch eine Anpflanzung anderer junger Palmen und Büsche zu ersetzen, die freilich jetzt Zeit brauchten, bis sie die nöthige Höhe wieder erreichten, aber doch wenigstens den untern Theil des Hauses bedeckten.

Es war an dem nämlichen Sonntag-Nachmittage, als der Director Sarno mit den beiden Freunden Könnern und Günther den schmalen Weg hinaufritt, der zu der sogenannten »Meierei« führte, und erst als sie in die Nähe des kleinen, freundlich gelegenen Hauses kamen, hielt der Director sein Pferd an und sagte, mit dem Arm in eine früher gehauene Schneuße hinein deutend:

»Sehen Sie, Herr von Schwartzau, dies ist die zweite alte Linie, die damals von jenem Stümper ausgeschlagen wurde. Wenn Sie nur Ihren Taschencompaß herausnehmen, sehen Sie schon, welchen Bock jener gescheidte Herr geschossen, der es möglich machte, die Variation auf die verkehrte Seite vom Pol zu legen. Die ganze Vermessung ist dadurch vollkommen werthlos geworden und muß neu gemacht werden. Die nächstgelegenen sechs Colonien gehören aber jenem Herrn in dem Hause da drüben, der sich einen ziemlich bedeutenden Landstrich hier erworben, nur um, wie es scheint, keinen nahen Nachbar zu bekommen, denn was er selber bis jetzt urbar gemacht, ist sehr unbedeutend. Jedenfalls müssen wir aber dessen Grenzen mit bestimmen, damit wir wissen, wo das noch freie Land beginnt, und ich möchte diesen District, wie jenen südlich von der Ansiedelung, am liebsten zuerst in Angriff genommen haben. Diesen hier nehmen Sie also vielleicht gleich morgen vor, denn von hier aus streckt sich eine ziemlich ausgedehnte Hochebene mit nur leiser Steigung dem nächsten Bergrücken zu, und Sie können hier eine tüchtige Anzahl Varas den Tag ablegen.«

»Und ist der Wald sehr dicht?«

»Nicht übermäßig. Ich will Ihnen Ihr Amt auch nicht zu schwer machen und einen zu breiten Ausschlag verlangen, gründlich müssen die Linien aber gelegt und die Bäume besonders so markirt werden, daß die hiesige Vegetation nicht die Spuren in ein paar Jahren wieder verwächst und vernichtet – wir sprechen darüber noch heut Abend, ob wir Theer mit Buchstaben von weißer Oelfarbe oder vielleicht gar Blechplatten nehmen, was freilich bedeutend mehr Kosten macht.«

»Und wie viel Leute glauben Sie, daß ich mit mir nehmen soll?«

»Kommen Sie, wir reiten einmal ein kurzes Stück in den Wald hinein, der sich dort hinüber ziemlich gleich bleibt,« erwiderte der Director, »Sie können es dann selber leicht beurtheilen. Sparen Sie lieber nicht mit den Leuten, wenn Sie dadurch rascher vorwärts rücken, denn Sie vermessen ja dafür auch so viel mehr, und ich garantire Ihnen, daß Sie hier, um nur das Nothwendigste fertig zu bringen, drei volle Monate scharfe Arbeit haben. Je mehr wir aber in möglichst kurzer Zeit beenden, desto besser ist es; denn wenn uns die neuen Ansiedler noch auf den Hals kommen, und ich weiß nicht, wo ich sie unterbringen soll – dann ist es mit dem Frieden hier vorbei.«

Mit diesen Worten wandte er sein Pferd und ritt in einen schmalen Seitenpfad, von Günther gefolgt, hinein, während Könnern noch in dem breiten Wege hielt und sich Meier's stille und trauliche Heimath betrachtete. Es lag ein ganz eigener Zauber über dem Platze, dem die hier vollkommen tropische Vegetation durch angepflanzte Palmen, Farrn und die wunderliche Baumform der Pinien einen noch viel größeren Reiz verlieh.

Gern wäre er auch einmal zu dem Hause hinüber geritten, die Insassen desselben kennen zu lernen, denn daß der Alte so vollkommen menschenscheu sein sollte, glaubte er noch nicht recht. Aber er durfte seine Gesellschaft nicht aus den Augen verlieren, und der Direktor wie Schwartzau waren viel zu sehr in ihr »Terrain« vertieft, um sich in diesem Augenblicke um etwas Anderes zu kümmern, als Nord und Süd und Ecken und Fronten. Günther hatte dazu seinen kleinen Compaß herausgenommen und visirte damit, als sie den Pfad entlang ritten, dicht an einer viel interessanteren Front vorüber, wie sie die bestgelegene Colonie hätte bieten können, ohne sie auch nur zu sehen, nämlich an einem reizenden jungen Mädchen, das, vielleicht sechs Schritt von dem Pfade entfernt, mit einem Buche in der Hand unter einer halb natürlichen, halb durch Kunst hergestellten Laube saß und ohne sich zu rühren, die vorbeireitenden und in tiefem Gespräche begriffenen Männer beobachtete.

Sie würde sich in der That lieber ganz zurückgezogen haben, hätte sie nicht gefürchtet, durch eine Bewegung ihre Gegenwart zu verrathen. Jetzt erst, als sie vorüber und schon halb von den Büschen bedeckt waren, richtete sie sich empor und drehte den Kopf um, ihnen nachzusehen.

In diesem Augenblicke passirte Könnern die versteckte Laube. Mit keinem solchen Interesse an der Vermessung des Bodens und in der alten Gewohnheit des Jägers, das Auge jedem sich regenden Punkte rasch zuzuwenden, entdeckte er kaum die liebliche, jetzt verlegen erröthende Gestalt, als er auch unwillkürlich sein Pferd anhielt und achtungsvoll die Jungfrau grüßte.

War aber für ihn nicht die geringste Veranlassung gewesen, hier zu halten, so besaß er entweder in dem Momente nicht Geistesgegenwart genug, seinem Thiere wieder rasch den Sporn zu geben, oder die freundliche Erscheinung fesselte ihn so, daß er sich nicht gleich wieder losreißen konnte und wollte, und nur, um sich aus einer peinlich werdenden Situation zu bringen, sagte er verlegen:

»Ich muß tausendmal um Entschuldigung bitten, Sie gestört zu haben, Señora, aber ich vermuthete hier in der That Niemanden mitten im Walde.«

»Sie haben mich nicht gestört,« erwiderte Elise mit ihrem gewinnenden Lächeln, denn die Verlegenheit des jungen Fremden war ihr keineswegs entgangen; ich fürchte nur, daß Ihre vorangerittenen Freunde den Weg verfehlt haben, denn dieser Pfad führt allein wenige hundert Schritte in den Wald hinein und endet dann in einem verworrenen, von Schlingpflanzen durchwachsenen Dickicht, durch das sie mit ihren Pferden nicht dringen können.«

»Also müssen sie wieder diesen Weg zurück?« fragte Könnern, sichtlich darüber erfreut, denn er bekam dadurch eine Entschuldigung, sie hier zu erwarten.

»Allerdings,« erwiderte das Mädchen – »wollen Sie denn zur Colonie hinunter?«

»Wenn Sie das kleine Städtchen meinen, nein. Wir kommen eben daher und sind nur auf einem Spazierritte, auf dem die beiden Herren da vorn das Terrain recognosciren, um nöthige Vermessungen vorzunehmen.«

Die Jungfrau, welche, als sie der Fremde anredete, aufgestanden war, verbeugte sich leicht und schwieg, und Könnern, der nicht den geringsten Anhaltspunkt sah, das Gespräch in schicklicher Weise fortzusetzen, grüßte noch viel verlegener als vorher, und folgte jetzt den beiden Freunden, die er gleich darauf an der von Elisen angedeuteten Stelle überholte.

Es war das der nämliche Platz, wo der Director damals die verkehrten Arbeiten des von der Frau Präsidentin herübergeschickten Vermessers unterbrochen hatte, und alle Drei wandten nun ihre Thiere, um auf den breiteren Weg zurückzukehren.

Als sie die Laube passirten, warf Könnern freilich den Blick hinüber, um nach der freundlichen Gestalt zu suchen; aber wie eine Erscheinung war sie verschwunden, und nur auf der Bank, auf welcher sie gesessen hatte, lagen ein paar Blumen, die sie wahrscheinlich mit heraufgenommen und in der Eile ihres Rückzuges auf dem Sitze liegen gelassen hatte.

Könnern, der jetzt voranritt, hatte die Blüthen augenblicklich bemerkt, und ehe er sich selber über das, was er that, Rechenschaft geben konnte, hielt er an, stieg vom Pferde und schnallte seinen Sattelgurt ein Loch empor. Dadurch gab er seinen Begleitern Zeit, an ihm vorüber zu reiten, und als er sie voraus sah, trat er rasch in die Laube, nahm die Blumen, legte sie in sein Taschenbuch, stieg dann wieder auf und folgte, ohne sich umzusehen, den Vorausgerittenen. – Und doch hatte ihn dieses Mal sein sonst so scharfes Auge im Stiche gelassen, denn hinter einem kleinen Dickicht der hier gerade sehr üppig wachsenden Flachs- oder Tucung-Pflanze, hinter das sich Elise zurückgezogen, um die Fremden erst vorüber zu lassen, hatten ein Paar lächelnde Augen seinen unschuldigen Raub beobachtet und folgten ihm, bis sich der Wald wieder hinter ihm schloß.

Könnern überholte seine Begleiter dicht am Hause des menschenscheuen Meier, der aber durch einen geschickt gefällten Baum die Passage so gelegt hatte, daß sie nicht unmittelbar an seinem Garten vorüberführte, sondern diesen durch sorgfältig gepflegte Büsche vollständig verdeckt hielt.

»Hier wohnt der sonderbare Kauz,« sagte der Director, mit der Hand in das Dickicht zeigend, durch welches das Dach nur undeutlich herausschimmerte. »Wenn mit dem Manne nur irgend ein Umgang wär, wollte ich vorschlagen, daß wir anhielten und ihm wenigstens guten Tag sagten. Schade um das allerliebste Mädchen, das der alte Brummbär hier wie eine Nonne gefangen hält.«

»Eine Brünette?« fragte Könnern.

»Ja,« erwiderte der Director; »aber wie, zum Teufel haben Sie das schon ausgefunden? Sie sind doch, so viel ich weiß, zum ersten Mal in der Colonie.«

»Hätten es die Herren nicht gerade so gemacht wie der vorige Landvermesser,« lachte Könnern, »und die Variation auf der verkehrten Seite der Nadel gesucht, so würden sie, nur ein paar Striche aus dem Cours, eine allerliebste junge Dame im Walde gesehen haben, die sich da draußen mit irgend einer Lectüre die Zeit vertrieb.«

»Und davon haben Sie uns kein Wort gesagt?« rief Günther.

»Ich durfte Sie doch nicht stören,« lächelte der junge Mann; »übrigens glaubte ich auch, daß wir sie auf dem Wege hierher überholen würden; sie muß sich aber auch sehr geeilt haben, um uns voraus zu kommen.«

»Merkwürdige Leute,« meinte der Direktor kopfschüttelnd; »aber jedenfalls werden Sie mit dem Alten bekannt werden, Schwartzau, denn Sie müssen ihn aufsuchen, wenn Sie auf seinem Lande die Vermessung beginnen, damit er dabei ist und die Grenzen kennen lernt. Er wird es sich auch wahrscheinlich nicht nehmen lassen, die Eckbäume selber dauernd zu bezeichnen, und das erspart Ihnen gleich eine Arbeit.«

»Dann begleite ich Sie,« sagte Könnern, »ich interessire mich für alle Originale.«

»Besonders wenn es Brünetten sind, wie mir scheint,« lachte der Director; »Sie mögen aber immerhin in diese Gegend einen kleinen Jagdzug machen, denn wenn Sie der dichte Wald nicht stört, finden Sie doch wohl hier und da ein Stück Roth- oder Schwarzwild, oder vielleicht gar einen Tapir, die hier zuweilen ebenfalls vorkommen. Jetzt aber, meine Herren, dürfen wir unsere Zeit nicht länger vergeuden, wenn wir den andern Strich ebenfalls besuchen wollen. Sobald wir weiter oben die ordentliche Straße erreicht haben, können wir auch unsere Thiere besser ausgreifen lassen.« – Und dem seinigen die Sporen gebend, trabte er, so rasch es ihm der noch ziemlich unebene Boden gestattete, auf dem schmalen Wege hin in den Wald hinein.

So wenig sie aber dabei von den Einwohnern des Platzes gesehen hatten, so waren sie doch nicht eben so unbeachtet daran vorübergeritten, denn der Eigenthümer des Hauses schien sich für alle Fremden lebhaft zu interessiren, wenn er auch nicht mit ihnen in persönliche Berührung kommen wollte.

Zu diesem Zwecke hatte er sich eine ordentliche kleine Warte gebaut, in welche die eine Ecke seines Gartens, ohne von außen bemerkbar zu sein, auslief. Das war zugleich sein Lieblingsplatz geworden, wenn er keine andere Arbeit vorhatte, und er las oder schrieb gerade dort am liebsten, da er sich hier vollkommen ungestört wußte.

Das letzte Gespräch der Männer war gerade vor diesem Ausguck gehalten, und Meier, der mit einem Buche in der Hand in seiner Laube saß, dadurch auf die Fremden aufmerksam geworden. So lange sie da draußen hielten, lauschte er auch ihrem Gespräche und erst als sie ihren Weg fortgesetzt, nahm er sein Buch wieder auf. Aber er schien keine rechte Lust zum Lesen zu haben, denn er legte das Buch nach einiger Zeit wieder hin, ging eine Weile mit auf den Rücken gelegten Händen und gesenktem Haupte in seiner Laube auf und ab, seufzte ein paar Mal recht tief auf und schritt dann langsam zu seiner Wohnung und in das Zimmer seiner Frau, die, mit einer Arbeit beschäftigt, am Fenster saß.

Sein Blick suchte Elisen, aber sie war nicht im Zimmer und erst nach einer Weile kam sie durch die kleine Gartenpforte, die hinaus in den Wald führte, herein und zu der Mutter, wo sie Hut und Buch ablegte und sich still an das dort stehende Instrument setzen wollte.

»Du warst im Walde, Lieschen?« fragte der Vater.

»Ja, Papa.«

»Und bist dort Fremden begegnet?«

Das junge Mädchen sah rasch und erstaunt zu ihm auf, erröthete auch leicht, sagte dann aber lächelnd:

»Woher weißt Du das schon, Papa?«

»Und hast Du nicht den nämlichen Spaziergang hier im Garten?« fuhr der Vater fort, ohne ihre Frage zu beantworten; »ich habe Dich schon so oft gebeten, nicht dort hinaus zu gehen, wenigstens nicht an Sonntagen, wo das müßige Volk aus der Ansiedelung nur immer in der Nachbarschaft umherschwärmt!«

Die Mutter hatte bei Beginn des Gespräches ihre Arbeit in den Schooß sinken lassen, und ihre Miene verfinsterte sich mehr und mehr. Jetzt aber nahm sie für die Tochter die Antwort auf und sagte:

»Und willst Du sie nicht lieber ganz in ein Kloster sperren? Das wäre doch jedenfalls das Einfachste, damit sie wenigstens gar kein Mensch mehr zu sehen bekäme – nicht einmal einer der am Sonntag herumlaufenden Bauern.«

»Aber, Bertha!« sagte Herr Meier, erstaunt zu seiner Frau aufsehend.

»Ach was,« erwiderte diese, »was zu arg ist, ist zu arg! Das Mädel ist jetzt zwanzig Jahr alt geworden und wird versteckt gehalten, als ob wir uns schämen müßten, das junge Blut der Welt zu zeigen.«

»Aber, Bertha, Du weißt doch . . .« sagte der Mann vorwurfsvoll.

»Ach, ich weiß Alles!« erwiderte die Frau; »aber man kann eine Sache auch übertreiben, und ich bin nicht im Stande, das noch länger so ruhig mit anzusehen. Hier in diesem abgelegenen Winkel der Welt hast Du doch wahrhaftig nicht zu . . .« Sie unterbrach sich rasch und nahm ärgerlich ihre Arbeit wieder auf, die sie jedoch unschlüssig in der Hand behielt, während Elise freundlich sagte:

»Laß sein, Mütterchen; wenn dem Vater damit ein Gefallen geschieht, kann ich ja auch den kleinen Spaziergang recht gut entbehren. Er hat Recht, es ist hier im Garten wirklich eben so hübsch wie da draußen, und ich kann mir hier die nämliche Bewegung machen.«

»Ach, das verstehst Du nicht!« fuhr die einmal gereizte Frau fort; »ich hab's jetzt auch selber satt. Sieben Jahre sitzen wir nun hier, wie die Gefangenen zwischen Büsche und Bäume eingeklemmt, während die Ansiedler da unten sich ihres Lebens freuen und nur ihr fröhlicher Lärm manchmal zu uns herübertönt; sieben Jahre lang haben wir ein Leben geführt, daß es einen Stein erbarmen möchte, und ich sehe keinen Grund, weshalb wir uns jetzt noch länger wie Einsiedler in unsere Klause vergraben sollen. Ich weiß Alles, was Du mir dagegen einwenden könntest, Franz,« sagte sie, einem Blicke ihres Mannes begegnend, »ich habe mir Alles zehnmal, hundertmal überlegt, aber ich selber halte es nicht länger aus. Ich will frei sein, oder ich lasse mich lieber gleich ordentlich begraben und einen Stein mit Namen und Jahreszahl oben darauf setzen. Nachher weiß ich es einmal nicht anders, und brauche doch hier wenigstens nicht eine Ewigkeit allein zu sitzen und meinen eigenen Gedanken nachzuhängen, über die man am Ende gar noch wahnsinnig werden könnte.«

Ihr Gatte antwortete nicht. Er hatte sich gegen den Tisch gewandt, dort den Kopf auf den Arm gestützt und barg das Gesicht in der linken Hand. Endlich hob ein schwerer Seufzer seine Brust, und Elise, zu dem Vater tretend, schlang ihren Arm um seine Schulter, lehnte ihre Stirn auf sein Haupt und sagte freundlich:

»Sei nicht traurig, Papa – Mutter meint es ja nicht so böse. Dir ist nun einmal Deine Einsamkeit so lieb geworden, daß Du jede Störung darin fürchtest und Dich immer mehr in Dich selber zurückziehst. Versuch' es einmal draußen unter den Menschen, vielleicht gefällt Dir's selber bei ihnen, denn glücklich fühlst Du Dich ja hier in Deiner Einsamkeit auch nicht immer, in der ich Dich oft schon in recht trauriger und niedergeschlagener Stimmung überrascht habe. – Geh wieder zwischen die Leute – verkehre mit ihnen und lasse sie mit Dir verkehren, und wenn weiter nichts, bekommst Du doch dadurch Zerstreuung und hast für stille Stunden, in denen Du das Bedürfniß fühlst, allein zu sein, ja immer Dein trauliches Plätzchen hier oben.«

»Laß ihn gehen,« sagte die Frau unmuthig; »was liegt ihm an uns – an Dir oder an mir, wenn er sich selber nur eine Grille in den Kopf gesetzt hat, der er nachhängt, seines eigenen Vergnügens halber.«

»Und das sagst Du mir, Bertha?« fragte der Mann, erstaunt zu ihr aufsehend, »dessen klagst Du mich an?«

»Nur eine Grille ist's, weiter nichts,« erwiderte die Frau, ohne die Frage direct zu beantworten, »eine fixe Idee, die Du Dir in den Kopf gesetzt hast, und womit Du Dich und uns elend machst. So viel Verstand habe ich aber auch, daß ich einsehe, wie Du uns Alle ganz vergebens quälst, und kurz und gut, ein Leben wie das hier halte ich nicht länger aus, mag nun daraus werden, was da will.«

»Was da will,« wiederholte leise und mit einem Seufzer der Mann, stand dann auf und verließ langsam das Zimmer.

»Zanke nicht mit dem Vater, liebe Mutter,« bat Elise, als er die Thür hinter sich in's Schloß gedrückt hatte, »er ist so schon traurig genug, und das drückt ihn nachher nur noch immer mehr nieder.«

»Ach was,« erwiderte mürrisch die Frau, »ich habe das langweilige Leben endlich satt, und mehr noch Deinet- als meinetwegen!«

»Aber ich sehne mich ja gar nicht hinaus, Mütterchen, ich verlange es ja gar nicht besser, als ich es bei Euch habe.«

»Weil Du es eben nicht besser kennst und nach und nach hier eintrocknen wirst wie eine Blume zwischen Löschpapier,« lautete die Antwort. »Du bist ein junges Mädel und mußt hinaus in die Welt, das ist Dir Dein Vater, das bin ich Dir schuldig, und wenn Du nichts von der Welt verstehst, so bin ich dafür da, daß ich Deine Ansprüche vertreten muß, oder Du hättest ein Recht, mir später einmal die bittersten Vorwürfe darüber zu machen.«

»Aber der Vater . . .«

»Ist ein Träumer, der überall Gespenster sieht, weiter nichts, und der sich jetzt die Fenster verhängt und immer nur Nacht um sich haben will. Kommt erst einmal der wirkliche Sonnenschein zu ihm herein, so wird er auch einsehen, daß er nur geträumt hat. Daß Du ihm dabei noch das Wort redest, ist das Albernste, was Du thun kannst, und ich hätte von Dir gerade das Gegentheil erwartet. – Du bist alt genug, Elise, daß Du auch an eine Heirath denken kannst, und wen sollst Du denn hier in unserem Garten kennen lernen, wer kann Dich hier finden, wo Dich Dein Vater sogar vor ein Paar müßigen Spaziergängern verstecken will?«

»Aber, liebe Mutter,« sagte Elise mit tiefem Erröthen, denn sie mußte sonderbarer Weise gerade in diesem Augenblick an den jungen Fremden im Walde und an seinen Blumendiebstahl denken, »das hat denn doch wohl noch lange, lange Zeit, und wenn der Vater –«

»Ach was,« unterbrach sie die Mutter, »Du redest wie der Blinde von den Farben – Du bist zwanzig Jahre alt, Elise, und wenn wir die nächsten sieben Jahre noch so fort leben, wie die letzten, so bist Du siebenundzwanzig und kannst dann auch siebenunddreißig und siebenundvierzig werden, ohne daß sich Jemand weiter um Dich bekümmert. Nein, dafür muß ich, Deine Mutter, sorgen, und – überlaß Du mir das nur; ich werde schon mit Deinem Vater fertig.«

Damit war das Gespräch für jetzt abgebrochen. Die Mutter begann wieder an ihrer indessen vernachlässigten Arbeit, und Elise ging in ihr Stübchen hinauf, um über eine ganze Menge der verschiedensten Dinge nachzudenken, die ihr heute durch den Sinn gingen und den Kopf fast wirr machten. Sonderbar, daß ihre Gedanken dabei immer zu dem jungen Fremden zurückflogen, den sie doch nur den kurzen Augenblick gesehen! Weshalb mußte die Mutter auch gerade heute von ihrer Heirath sprechen und dabei sagen, daß es die höchste Zeit sei, an etwas Derartiges zu denken? –

Es war Abend und Nacht geworden, als die Sonne kaum hinter den hellblauen Gebirgsrücken im Westen untergegangen war und vorher noch die leichten darüber lagernden Wolkenzüge mit ihrem schönsten und rosigsten Licht übergossen hatte. Rasch erbleichten aber die nur zu momentanem Leben angehauchten Nebelbilder, und wie sie kaum erst in ein prachtvolles Silbergrau übergingen, nahm dieses schon jene todte, bleigraue Färbung an, der die Dunkelheit in den Tropen fast unmittelbar folgt.


Die Comtesse Baulen hatte ihr Zimmer noch nicht wieder verlassen und ging, die Arme auf der Brust gekreuzt, das Kinn auf die feine Korallenschnur gesenkt, die ihren Hals schmückte, mit raschen, unruhigen Schritten in dem kleinen Gemache auf und ab. Sie sah dabei nicht einmal, daß es dunkelte und nach und nach völlig Nacht geworden war; sie hörte nicht, daß ihre Mutter draußen schon zweimal angeklopft und ihren Namen gerufen hatte. Nur die eigenen unruhigen Gedanken beschäftigten ihren Geist, nur das eigene unruhig pochende Herz hielt sie oft krampfhaft mit beiden Händen fest, bis sie sich endlich, körperlich ermattet, in einen Stuhl warf und dort wohl wieder eine volle Stunde lang in dumpfem Brüten saß.

Aber die Dunkelheit wurde ihr zuletzt unerträglich. Sie stand auf, zündete Licht an und griff dann das erste beste Buch auf, um sich zu zerstreuen und ihre Gedanken in eine andere Bahn zu lenken. Da plötzlich horchte sie auf, denn aus dem Garten, wenigstens aus den Büschen, die ihn dicht umschlossen, trafen die melodischen Töne einer Violine ihr Ohr.

Es war die leise und klagend zum Herzen sprechende Melodie des Thüringer Volksliedes: »Ach, wie ist's möglich dann, daß ich dich lassen kann,« und wie mit einem scharfen Weh durchzuckte sie das einfache, rührende Lied. Aber wer spielte da? Zuerst glaubte sie, daß es Jemand aus der Ansiedelung sei, der da zufällig vorübergehe – aber der Spieler blieb auf derselben Stelle, und durch das offene Fenster klangen die Töne, so leise er auch spielte, voll und klar herein. –

Jetzt war Alles ruhig – nur die Grillen zirpten und aus dem Walde heraus tönte das Gequak der Frösche.

Helene athmete ordentlich tief auf, als die schwermüthige Melodie geendet hatte; es war, als ob eine Last von ihrer Seele genommen wäre, und sie trat an das Fenster, um in die wundervolle, sternenhelle Nacht hinaus zu schauen. Da quollen auf's Neue die Töne von derselben Stelle herauf, aber dieses Mal in einem wilden Capriccio, von einer Meisterhand gespielt, das in die tollsten Variationen überging und sich doch immer wieder zuletzt in das einfache, zuerst angeschlagene Thema des Volksliedes auflöste.

Helene trat scheu und erschreckt vom Fenster zurück. Galt das ihr? Und wer war es denn, der ihr hier auf solche Weise seine Huldigung brachte? Vollrath vielleicht? aber sie wußte genau, daß er gar nicht Violine spielte – und wer dann? Der junge Schulmeister im Orte, der sie oft mit seiner Aufmerksamkeit geärgert hatte, war ein Violinspieler, aber ein Stümper, und diese Saiten belebte eine Meisterhand.

Ohne recht zu wissen, was sie that, löschte sie das Licht aus, um dadurch die Aufmerksamkeit des Unbekannten wieder von ihrem Fenster abzulenken – aber das gelang ihr nicht. Der räthselhafte Spieler ließ sich dadurch nicht stören; nur das Capriccio zerschmolz nach und nach in immer weichere Melodien, bis die Töne zuletzt mehr und mehr verhallten und wieder, wie vorher, das Schweigen der Nacht auf dem Walde lag.

Helene wußte selber nicht, wie ihr geschah. Daß jenes Ständchen ihr galt, konnte sie sich nicht verhehlen, und in dem melodischen Spiele, in den vaterländischen Weisen schmolz der starre Trotz des schönen Mädchens. Als die Melodie da draußen schon lange verklungen war, saß sie noch immer, von der Gardine gedeckt, am offenen Fenster, und fühlte nicht einmal, wie ihr die Thränen zwischen den zarten Fingern durch voll und schwer in den Schooß tropften.

Unten im Hause war der geheimnißvolle Musiker indessen auch nicht unbeachtet geblieben. Oskar, der noch bis Dunkelwerden seinen ›neuen Sklaven‹ – wie er Jeremias nannte – angelernt hatte, sein Pferd zu behandeln, lag unten in der Stube auf dem Sopha lang ausgestreckt und pfiff, zum Aerger seiner Mutter, ohne sich dadurch aber im Geringsten stören zu lassen, einen Walzer, als jenes eigenthümliche Ständchen begann.

Im Anfange hatte er ebenfalls geglaubt, daß es irgend Jemand aus der Ansiedelung sei, der mit seiner Violine da vorüber ginge. Als die Musik aber immer auf derselben Stelle blieb, erst eine Weile schwieg und dann wieder begann, schöpfte er Verdacht, daß das am Ende gar ein Ständchen sein könne, was seiner Schwester gebracht würde, und sein Muthwille ließ ihm natürlich keine Ruhe, dem auf die Spur zu kommen.

Als er zuerst aus dem Fenster horchte, täuschte ihn der laute Ton gerade wie Helenen, und er vermuthete den Spieler im Garten selber. Er schlich sich also erst aus dem Hause hinaus hinter die nächsten Büsche, und hinter diesen, von seiner dunkeln Kleidung begünstigt, immer weiter vor. Zuletzt aber kam er an die Hecke und fand jetzt, daß sich der Virtuose allerdings außer seiner Gerichtsbarkeit, aber doch nicht außer seinem Bereiche befand, denn er erkannte durch die Hecke durch beim Sternenlichte eine ebenfalls dunkel gekleidete Gestalt, die dort an einer jungen Palme lehnte.

Das Gesicht selber konnte er freilich nicht erkennen, denn einestheils beschattete es der Hut und dann auch der Wipfel der niederen Palme selber; aber das blieb sich auch gleich und um einen muthwilligen Streich auszuüben, dazu war ihm Freund und Feind gleich gut genug.

Im Zimmer seiner Schwester hatte außerdem noch kurz vorher Licht gebrannt und das Fenster war offen, ein Beweis, daß sie den Ständchenbringer begünstigte und deshalb Grund genug für ihn, ihm jeden Schabernack zu spielen, der nur in seinen Kräften stand. Vorsichtig und rasch schlich er zum Hause zurück und traf hier eben noch Jeremias, der seine Arbeit beendet hatte und gerade seine eigene Heimath – eine Dachkammer bei einem der Ansiedler – aufsuchen wollte.

»Heh, Jeremias, Du mußt mir noch einen Eimer Wasser holen,« redete er diesen rasch und heimlich an.

»Die Pferde haben gesoffen,« sagte Jeremias, »zu viel schadet Vieh und Menschenkind.«

»Ich will's nicht für die Pferde; dort steht der Eimer, aber ein bischen rasch.«

»Befindet sich allerdings nicht in unserem Contract,« meinte Jeremias, »aber was thut der Mensch nicht aus Gefälligkeit, junger Herr? Sollen Ihren Eimer Wasser haben,« und seine Aermel aufkrämpelnd, ergriff er den Eimer und ging zu dem Brunnen vor dem Hause, von dem er ihn bald gefüllt zurückbrachte.

»So,« sagte Oskar, indem er einen Theil des Wassers wieder abschüttete, »das ist ein bischen zu viel und wirft sich schlecht. Jetzt nimm einmal den Eimer, Jeremias, und komm mit mir an die Hecke da drüben, wo der verrückte Kerl die Violine quält – hörst Du den Musikanten da drüben?«

»Ja,« sagte Jeremias und sah den jungen Grafen erwartungsvoll an.

»Schön,« lachte der junge Bursche, »dem wollen wir einmal den Eimer über den Hals gießen, um den holden Schwärmer etwas abzukühlen.«

»So?« sagte Jeremias, ohne sich von der Stelle zu rühren.

»Na, vorwärts!« rief Oskar, auf den Eimer zeigend; »mach' schnell, ich zeig' Dir den Platz, wo er steckt, meine alte Jeremiade.«

»Wissen Sie,« sagte Jeremias, ohne nur eine Hand zu regen oder eine Miene zu machen, als ob er dem Befehl Folge leisten wolle, »davon steht auch nichts in unserem Contract.«

»Contract? Esel,« brummte Oskar, »wenn ich Dir sage, das thust Du, so thust Du es, das ist unser Contract, weiter nichts.«

»So?« meinte Jeremias, der den ›Esel‹ als selbstverständlich hinnahm – »anderen Leuten Wasser in die Violine zu gießen, widerstreitet aber meinen Grundsätzen, und wenn sich der Herr Graf eine Tracht Schläge für unbefugtes Löschen, wo's gar nicht brennt, holen wollen – mit dem größten Vergnügen – da steht der Eimer; Jeremias hat aber heute seinen Sonntagsrock an und ist diesen Morgen in der Kirche gewesen – was andere Leute vielleicht nicht von sich sagen können. Wünsche allerseits einen guten Abend« – und die Hände wieder in die Taschen schiebend, ging er um den Eimer herum und zur Thür hinaus, ohne sich um den Grafen weiter zu bekümmern.

Oskar sandte ihm einen herzhaften Fluch nach, sah aber auch ein, daß er mit dem dickköpfigen Burschen nichts ausrichten könne. Nicht gesonnen jedoch, den einmal gefaßten Plan so rasch aufzugeben, nahm er jetzt selbst den Eimer und schlich damit in den Garten. Ehe er übrigens die Stelle erreichte, wo der nächtliche Musiker gestanden, verstummte die Violine. Die letzten Töne waren verklungen und der Platz leer. Oskar horchte noch eine Weile in die stille Nacht hinaus, aber das Concert war jedenfalls vorbei, das Zimmer seiner Schwester blieb dunkel, und mit einem Fluche das Wasser über die nächsten Beete gießend, nahm er den leeren Eimer zum Hause zurück.



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