Friedrich Gerstäcker
Das alte Haus
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel 12.

Am Morgen desselben Tages, an welchem Frau Kreis-Räthin Olekamp ihren Thé dansant angesagt hatte, um dabei einen großen Theil der Quetzlinberger'schen Erben um sich zu versammeln, auch vielleicht um noch andere Zwecke zu fördern, waren Doctor Hetzelhofer und Notar Quetzlinberger wieder von ihrer Reise, aber allem Anschein nach keineswegs in guter Laune, zurückgekehrt. Helene hatte das Mittagsmahl bereitet, das Beide, ohne ein Wort dabei mit einander zu wechseln, verzehrten. Nach Tische jedoch, als sie das Speisezimmer wieder verlassen, hörte sie, wie die beiden Männer harte Worte mit einander wechselten, und des alten Quetzlinberger Stimme besonders rauh und scharf daraus hervortönte.

Dieser griff endlich seinen Hut und Stock auf und verließ Zimmer und Haus, während sich Doctor Hetzelhofer in seine Studirstube einschloß und, ohne irgend Jemanden zu sich zu lassen, drinnen auf- und ablief und mit sich selber redete.

Schwiebus war ein stiller, aber deßhalb nichts weniger als gleichgültiger Zeuge der letzten Scene gewesen, und ging jetzt in seinem eigenen kleinen Gemach, wohin ihm heute Helene in der allgemeinen Verwirrung sein Essen geschickt, die Hände vergnügt zusammenreibend, und die kleinen Augen in einem ganz eigenen Feuer und Leben erglühend, hin und her. Manchmal pfiff er dabei, manchmal sang er kurze, abgerissene Strophen vor sich hin, und hielt nur dann und wann in diesen Aeußerungen heimlicher Freude einen Augenblick inne, um an seinem Fenster stehen zu bleiben und nach dem gegenüber liegenden alten Hause hinüber zu nicken.

»Es thut Einem wenigstens wohl, ein einziges vergnügtes Gesicht im Hause zu haben,« sagte da plötzlich Helene, die, ohne daß er es bemerkt hatte, zu ihm in's Zimmer getreten war. »Ihnen, Schwiebus, scheint doch heute wohl und leicht zu Sinne zu sein. Die Anderen sehen aus, als ob sie Stecknadeln verschluckt oder ein Verbrechen begangen hätten. Wem nickten Sie denn da drüben eben so freundlich zu?«

»Dem alten Herrn Quetzlinberger, Fräulein Helenchen,« entgegnete Schwiebus, der sich bei den ersten Worten rasch nach ihr umgedreht hatte, »dem alten Herrn Quetzlinberger.«

»Dem?« sagte Helene erstaunt. »Und seit wann sind Sie Beide denn so gute Freunde? Wohl, weil er Ihnen das Violinspielen verleidet hat?«

»Sie meinen den Doctor?« sagte Schwiebus, und es war fast, als ob sich sein Gesicht zu einem Lächeln verziehen wollte. Wenn das aber seine Absicht gewesen, erstarb es im Versuch – »Die graue Vogelscheuche, nein, Gott sei Dank!«

»Aber welchen denn?«

»Nun, den alten Herrn da drüben im alten Hause, den wir doch mitsammen morgen besuchen werden.«

»Unsinn!« sagte Helene, mit dem Kopfe schüttelnd; »wird denn das alte Haus wirklich morgen geöffnet?«

»Dazu braucht man weiter keinen Barometer, als Doctor Hetzelhofer's Gesicht,« sagte Schwiebus ruhig. »Ich könnte dabei die Minute vorher bestimmen.«

»Der unglückselige Proceß!« seufzte Helene, »Mir hat noch nie etwas Gutes daraus geahnt – und wie hat sich mein armer Bruder schon dabei geärgert!«

Schwiebus warf einen flüchtigen Seitenblick auf Helenen hinüber, griff ganz unwillkürlich nach der dicht neben ihm hängenden Violine, ohne sie jedoch vom Nagel zu nehmen, und sagte dann mit einem merkwürdigen Ausdruck um die bleichen, zitternden Lippen:

»Der arme Doctor Hetzelhofer!«

»Mich wundert nur, daß es die Advocaten noch gutwillig zu Ende gebracht haben,« fuhr Helene fort. »Wie viele von ihnen haben, wie mein Bruder sagte, eine ordentliche Versorgung davon gehabt!«

»Nun, Doctor Quetzlinberger ist nicht fett dabei geworden,« sagte Schwiebus trocken, »so viel ist sicher. – Aber – ist denn Jemand draußen auf dem Gange? ich dächte doch, ich hörte sprechen.«

»Das ist mein Bruder in seiner Stube,« sagte Helene, unruhig zur Thür hinaushorchend; »ich wollte, die ganze häßliche Geschichte wäre vorbei.«

»Er wird sich mit dem kurzen Gerippe im Glaskasten unterhalten,« meinte Schwiebus ruhig. – »Der, dem das gehörte, war halb taub, und da muß er gewöhnlich ein wenig stark schreien.«

»Ich begreife nicht, wie Sie über so etwas noch Ihren Scherz haben können, Schwiebus!« sagte Helene, wandte sich unwillig von ihm ab und verließ das Zimmer.

»Scherz!« murmelte Schwiebus halblaut hinter ihr her; »wer sagt Ihnen, daß ich überhaupt Scherz gemacht habe? 's ist eben nicht so besonders spaßig, ein solches Zwiegespräch, und den Rücken möcht's Einem eiskalt hinablaufen, wenn man es anhören muß. Aber – was geht's mich an!« setzte er nach kleiner Pause hinzu, indem er langsam dabei seinen Hausrock aus- und ein besseres Kleidungsstück dafür anzog. »Mein Dienst hier hat die längste Zeit gedauert, und wenn mich der Doctor mit Gewalt etwa wieder in eines seiner Gläser zwingen will . . .« Er hielt inne, die kleinen grauen Augen sprühten Feuer, und die Zähne biß er fest und entschlossen dabei auf einander. – »Thorheit!« unterbrach er sich selber, »Narrenspossen! – Er weiß besser, was ihm gut ist, und seit ich sein Geheimniß in Händen habe aus jener Zeit – seit die Acten selbst von jenem Falle in diesen Mauern sind, darf er es nicht wagen, seine teuflischen Mittel gegen mich anzuwenden. Warten Sie nur, mein guter Herr Doctor,« lachte er dabei still vor sich hin, während er den Hut vom Nagel nahm und mit dem rechten Rockärmel abstrich, »warten Sie nur, mein guter Herr Doctor Hetzelhofer, unsere Rechnung ist überhaupt noch nicht abgeschlossen, und wenn ich von da drüben erst das Material in Händen habe, wollen wir schon sehen, wie die Sachen stehen. Schwiebus, Famulus Schwiebus, ja wohl, das klingt ihm gut, und dabei kann er sich in's Fäustchen lachen; aber die Zeit kommt auch noch wieder, wo wir den Namen ändern und die alte faule Schale abwerfen können. – Wetter noch einmal! ich glaube wahrhaftig, der zankt sich da drinnen mit dem Gerippe; oder er ist auch vielleicht mit dem Zwerg, den er unter dem Tische in Spiritus stehen hat, zusammengerathen. Wäre mir lieb, denn der sieht gerade aus, als ob er Haare auf den Zähnen hätte.« – Er blieb einen Augenblick in Gedanken stehen und fuhr dann wieder kopfschüttelnd fort: »Schade, daß er den Doctor Quetzlinberger heute nicht die Treppe hinuntergeworfen hat – nun, vielleicht thut er's noch heute Abend – möchte das doch erst noch mit ansehen.« Und seinen Hut aufsetzend, trat er auf den Gang hinaus, rieb sich, als er doch wie scheu an des Doctors Thür rasch vorbeiglitt, schadenfroh die Hände, und stieg dann etwas langsamer und wieder in seinem gewöhnlichen Schritte die Treppe hinunter, um seinen Geschäften nachzugehen.

Doctor Hetzelhofer war später ebenfalls ausgegangen, und kehrte gegen Abend noch mürrischer und bleicher zurück, als er fortgegangen war. Er fragte nach Quetzlinberger und Schwiebus. Keiner von Beiden war noch eingetroffen, und Helene ging in Todesangst in ihr Stübchen. – So hatte sie ihren Bruder noch nie gesehen.

Endlich kam Schwiebus und wurde von dem Doctor augenblicklich wieder auf das Rathhaus geschickt, dort einige Schriften zurückzufordern, die er aber nicht bekam, und Hetzelhofer schloß sich dann wieder in sein Zimmer ein, aus dem bald ein Geruch von verbrannten Papieren auffällig herausdrang.

Erst gegen zehn Uhr kam Doctor Quetzlinberger nach Hause und begann ohne Weiteres seinen Koffer zu packen, seine Papiere zu ordnen und sich dem Anscheine nach mit seiner allernächsten Abreise zu beschäftigen. Anderthalb Stunde mochte er in solcher Art bald still an seinem Tische mit Schreiben beschäftigt, bald im Zimmer aufräumend und zusammensuchend gewirthschaftet haben, als Doctor Hetzelhofer bei ihm eintrat.

Als er des Doctors Beschäftigung sah, blieb er in der Thür stehen, schaute ihm eine Weile zu und sagte dann endlich mit langsamer Stimme und schlecht verhehlter Bitterkeit im Tone:

»Also Sie wollen fort, Quetzlinberger?«

»Wie Sie sehen,« brummte dieser, ohne selbst den Kopf nach der Stimme umzudrehen.

»Hm, 's ist ein altes Sprüchwort, daß es ein schlechtes Zeichen für ein Schiff ist, wenn die Ratten es verlassen.«

»Den Teufel auch, Hetzelhofer!« fuhr der Notar bei diesen Worten in die Höhe. »Verdammt wenig ist an Ihnen zu nagen gewesen, ich dächte, das müßten Sie doch am besten wissen. Aber – meinetwegen lassen Sie auch den Vergleich gelten. Er hat etwas Aehnlichkeit,« setzte er nach kurzer Pause hinzu, »ich glaube wahrhaftig, das Schiff ist leck.«

»Der Rath, oder vielmehr das Schiedsgericht will die Papiere nicht wieder herausgeben,« fuhr der Doctor fort, ohne auf die letzte Bemerkung etwas zu erwidern.

»Konnt' ich mir denken,« sagte Quetzlinberger ruhig, indem er auf dem Tische einen Rock in die richtigen Falten zu bringen suchte, – »hat auch ganz Recht. – Wären Esel, wenn sie's thäten.«

Doctor Hetzelhofer fragte nicht, warum, sondern legte die Hände auf dem Rücken zusammen und ging mit langsamen Schritten im Zimmer auf und ab. In dem Augenblicke klopfte es draußen an die Thür, und auf das mürrische »Herein!« des Doctor Quetzlinberger öffnete sich diese, und Schwiebus zeigte sich darin.

»Nun?« sagte Hetzelhofer, augenscheinlich unzufrieden über die Störung, und sah ihn, wie er in seinem Marsche gerade stehen geblieben, mit halb über die Schulter gedrehtem Kopfe an, »was giebt's, daß Sie noch um Mitternacht auf den Füßen sind?«

»Nichts Besonderes – guten Abend, meine Herren,« erwiderte Schwiebus, aber mit einem so ganz ungewöhnlich leichten, unbefangenen Tone, wie ihn Doctor Hetzelhofer noch nie an ihm gewohnt gewesen. Dieser machte auch erstaunt und rasch gegen ihn Front.

»Hm?« rief er und zog die Augenbrauen in die Höhe.

»Nichts Besonderes im Allgemeinen, mein' ich,« ergänzte Schwiebus indessen, »im Besonderen dagegen eine ganze Menge. Da Sie doch wahrscheinlich morgen früh wieder lange schlafen, Doctor Hetzelhofer, und ich eben hörte, daß Sie noch auf wären, dachte ich, es wäre bequemer, gleich heute Abend von Ihnen Abschied zu nehmen.«

»Noch eine Ratte,« sagte Doctor Quetzlinberger, ohne von seiner Arbeit aufzusehen.

»Abschied zu nehmen?« rief Hetzelhofer – »wollen Sie fort?«

»Morgen früh.«

»Und wohin?«

»Da mein altes Logis da drüben wieder frei wird,« erwiderte Schwiebus ruhig, »so werde ich die Gelegenheit benutzen. Von da drüben wird den Herrn Doctor Quetzlinberger ja wohl mein Violinspiel nicht beunruhigen.«

»Wohin wollen Sie ziehen? in's alte Haus?« rief dieser rasch und drehte sich nach ihm um.

»Er ist einfach verrückt,« sagte Hetzelhofer ruhig. »Gehen Sie zu Bett, Schwiebus, und schlafen Sie aus, das ist das Beste, was ich Ihnen rathen kann. Verschonen Sie uns heute Abend mit Ihren Albernheiten. Wir haben andere Sachen im Kopfe und mehr zu denken.«

»Danke Ihnen, Herr Doctor,« sagte Schwiebus, ohne sich außer Fassung bringen zu lassen. »Mit zu nehmen werde ich dabei nicht viel haben. Meine Violine und den Raben trage ich selber, und meinen Koffer lasse ich morgen Mittag durch einen Arbeiter holen. Nur um meinen Kopf möchte ich Sie noch bitten.«

»Um Ihren was?« rief Quetzlinberger, und sah den Famulus mit offenem Munde an.

»Um meinen Kopf,« wiederholte Schwiebus mit dem größten Gleichmuthe. »Herr Doctor Hetzelhofer weiß schon, welchen ich meine. Als Verzierung ist er doch in einem Zimmer nicht passend, und für mich hat er immer, wie Sie mir zugestehen werden, das meiste Interesse.«

»Schwiebus,« sagte der Doctor, heute eben nicht in der Laune, auf irgend einen Vorschlag seines Famulus einzugehen, welcher Art dieser auch sein mochte, »Sie wissen, was ich Ihnen schon früher einmal gesagt habe – nehmen Sie sich vor der Zwangsjacke in Acht. Uebrigens thun Sie, was Ihnen gut dünkt. Wollen Sie meinen Dienst verlassen, meinetwegen, ich habe dann einen Narren weniger zu füttern, und daß ich Ihre Dienste entbehren kann, werden Sie mir zutrauen. Jetzt seien Sie aber so gut und lassen Sie mich zufrieden, denn ich habe Ihnen schon ein Mal gesagt, ich will heute Abend von Ihren Albernheiten nichts mehr hören.«

»Sie versprechen mir also hier in Gegenwart dieses Zeugen,« sagte Schwiebus, keineswegs gewillt, sich so abweisen zu lassen, »daß Sie mir das Verlangte morgen früh ausliefern wollen.«

»Gar nichts verspreche ich Ihnen, gehen Sie zum Teufel!« schrie Hetzelhofer wild und ärgerlich emporfahrend. »Und jetzt bitt' ich mir überhaupt aus, daß Sie mich in Ruhe lassen. Himmel Donnerwetter, noch einmal, hat man denn nicht Aerger genug über diese Albernheit und Eselei der Menschen draußen vor der Thür, daß man sich auch noch in seinen eigenen vier Wänden chicaniren lassen soll?«

»Gut!« sagte Schwiebus, der sich nicht im Mindesten außer Fassung bringen ließ, »weiter verlange ich gar nichts, als Ihre bestimmte Weigerung oder Zustimmung, das Uebrige wird sich schon finden.«

»Aber wer zum Henker hat Sie denn da drüben engagirt?« fragte Doctor Quetzlinberger, als Schwiebus eben ohne weiteren Gruß das Zimmer verlassen wollte, »und wer kann Sie brauchen?« Er drehte dabei wie unwillkürlich den Kopf dem Fenster zu, und sah nach dem alten Hause hinüber, dessen düstere Front gegen das helle, vom Monde beschienene Dach nur noch mehr und auffallender abstach.

»Wer mich brauchen kann?« entgegnete Schwiebus, den die unverschämte Frage des überdies verhaßten Fremden doch zu sehr traf, um sie unerwidert einzustecken. »Da fragen Sie nur den Herrn Doctor Hetzelhofer, ich glaube, der wird Ihnen darauf die beste Antwort geben können. Er hat sich wenigstens eine geraume Anzahl Jahre damit beschäftigt. Uebrigens ist meiner Meinung nach ein guter Famulus immer noch nützlicher, als ein schlechter Advocat.«

»Alle Wetter!« sagte da plötzlich der Doctor Quetzlinberger, der die letzte Bemerkung entweder gar nicht gehört oder vollkommen mißachtet hatte – »jetzt hätte ich auch darauf schwören wollen, dort drüben im alten Hause, in der ersten Etage – ein Licht gesehen zu haben. Merkwürdige Täuschung das . . . und wahrhaftig – jetzt ist's wieder da!«

»Wo?« rief Doctor Hetzelhofer und schritt rasch zum Fenster, während Schwiebus, den die Sache ebenfalls interessirte, die Thür verließ und nach der anderen Seite der Stube hinüber ging, sich hinter Quetzlinberger zu stellen.

»Bah!« sagte Hetzelhofer, nachdem die drei Männer aufmerksam und schweigend ein Paar Minuten hinunter nach den gegenüber liegenden dunklen Fenstern gesehen hatten, »das sieht Alles so schwarz aus wie die Nacht. Vielleicht hat sich der Schimmer einer vorbeigetragenen Laterne in den alten blinden Scheiben matt abgespiegelt.«

»Dort ist es wieder!« rief da plötzlich Quetzlinberger, seine vorige Aussage damit bekräftigend, »im ersten Fenster rechts vom Erker – jetzt ist es wieder fort.«

»Ich kann nichts sehen,« sagte Hetzelhofer, noch immer ungläubig mit dem Kopfe schüttelnd. – »Wer weiß, was Ihnen vor den Augen herumblitzt! Wie sollte auch heute Licht da hinüber kommen, denn morgen früh ist erst die Uebergabe.«

»Heute früh, wenn der Herr Doctor erlauben,« sagte Schwiebus ruhig, immer noch dabei die Fenster drüben mit festem Blicke fixirend. »Es hat schon eine ganze Weile zwölf Uhr geschlagen.«

»Da – jetzt kommen Sie hier herüber!« rief Quetzlinberger rasch und eifrig – »jetzt können Sie's von hier aus sehen.«

»Ich sehe es von hier jetzt ebenfalls,« sagte Hetzelhofer, mit dem Kopfe dabei schüttelnd, ohne jedoch die Augen davon zu nehmen. »Das ist jedenfalls der Wiederschein eines auf dieser Seite vom Monde beschienenen Fensters, obgleich es täuschend so aussieht, als ob das Licht im Innern hinter den Gardinen brenne. Wenn das jetzt der alte Nachtwächter auch so sähe, wie wir, dann hätten wir morgen in der Stadt wieder die schönste Gespenstergeschichte.«

»Wiederschein,« sagte Schwiebus achselzuckend – »ich habe das Licht eben gesehen, wie es durch einen Riß in den Gardinen blitzte. Der alte Herr da drüben wird sich heute noch zum letzten Male etwas zu Gute thun wollen, und hat absichtlich keine Gesellschaft gebeten, um ungestört allein zu sein. Morgen wird's desto wilder da drüben zugehen.«

»Es ist, hol's der Teufel, ein Licht!« rief jetzt Quetzlinberger und drehte den Fensterflügel auf, an dem er stand. »Da unten in der Straße sind sie es ebenfalls schon gewahr geworden und sammeln sich vor dem Hause, denn dort stehen wenigstens zehn oder zwölf Menschen.«

»Im alten Hause spukt's!« rief in dem Augenblicke eine Stimme von unten nach dem geöffneten Fenster herauf – »es ist Licht drüben.«

»Dann ist auch Jemand drüben eingebrochen!« rief Hetzelhofer rasch – »oder – ha! Quetzlinberger – wenn da drüben Jemand, ehe das Gericht ein Recht hat, die Zimmer zu betreten – nach Papieren suchen sollte?«

»Was es auch ist,« rief Quetzlinberger, der sich jetzt vollkommen von der Identität des Gesehenen überzeugt hatte, »aber da drüben in dem verschlossenen Hause trägt irgend Jemand ein brennendes Licht herum. Das muß augenblicklich die Polizei untersuchen und den dort jedenfalls gewaltsam Eingebrochenen arretiren. In dieser Stunde hat noch Niemand, wer es auch sei, das Recht, jene Räume zu betreten, selbst der nächste Erbe nicht, und hat sich der allenfalls gelüsten lassen, da drüben eine Voruntersuchung zu bewerkstelligen, so kann ihm die Sache schlecht bekommen. Gehen Sie mit, Doctor?« fragte er diesen, während er selber seinen Hut ergriff.

»Ja,« sagte Hetzelhofer nach kurzem Besinnen. »Ich bin doch selber neugierig, zu sehen, was da drüben getrieben wird.«

Die beiden Männer verließen rasch das Zimmer und eilten die Treppe hinunter, während Schwiebus noch mehrere Minuten allein am Fenster zurückblieb und hinüber nach dem alten Hause schaute.

»Hm,« sagte er dabei und schüttelte nachdenkend den Kopf, »der alte Herr da drüben scheint's gar nicht erwarten zu können, daß er endlich von seiner langen Wacht erlöst werden soll, und fängt mit dem Glockenschlag Zwölf an zu wirthschaften und aufzuräumen. Glaub's, daß es wild genug bei ihm aussehen mag. Nun, mir ist's desto lieber, und wenn da drüben jetzt schon aufgemacht wird, komme ich hier jedenfalls so viel früher fort. – Und der Kopf? – Nur Geduld, Schwiebus, den wirst Du Dir schon holen!«

Damit schritt er langsam zur Thür, ging über den Vorsaal in sein eigenes kleines Zimmer und kam von dort nach wenigen Minuten mit aufgesetztem Hut, unter dem linken Arm die Violine, auf der rechten Schulter den ängstlich und erstaunt umher schauenden Raben, zurück. Wie er eben die Klinke der Treppenthür ergriff, öffnete sich am anderen Ende des Ganges Helenens Thür, und diese schaute im Nachtkleide heraus.

»Aber, Schwiebus, was um Gottes Willen ist denn vorgefallen?« rief sie, als sie den Famulus erblickte; »brennt es irgendwo in der Stadt? – Hier im Hause läuft Alles fort, und unten auf der Straße ist's so unruhig. Wollen Sie auch gehen? – wo ist denn mein Bruder?«

»Drüben im alten Hause ist illuminirt,« sagte der Famulus, »und wir sind Alle eingeladen; gehen Sie mit, Fräulein Helene?«

»Ach, Schwiebus, jetzt ist's doch keine Zeit zum Scherzen!« rief Helene, »ich bin hier in Todesangst – wo wollen Sie denn hin?«

»Ich und mein Jakob ziehen aus, Fräulein Helenchen,« sagte der Famulus, ohne sich irre machen zu lassen. »Morgen früh komme ich aber jedenfalls noch einmal herüber, Abschied zu nehmen. Gute Nacht, schlafen Sie wohl.«

»Aber was haben denn die Leute unten auf der Straße?«

»Ein Licht im alten Hause gesehen,« sagte Schwiebus, »und darüber sind sie erstaunt; das wird ihnen noch oft passiren. Aber nun komm, Jakob, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.« – Und damit stieg er rasch die Treppe nieder.

Auf der Straße war es aber in der That unruhig und lebendig geworden. Zuerst hatte der Nachtwächter wieder den Lichtschein hinter den Gardinen entdeckt, aber eine ganze Zeit lang nicht gewagt, einen der noch hier und da Vorübergehenden darauf aufmerksam zu machen. Er war die letzten Male so darüber ausgelacht und verhöhnt worden, daß er sich dem nicht wieder aussetzen wollte. Und doch hatte er bis jetzt noch nicht einen Augenblick gezweifelt, daß er auch früher recht gesehen und das Licht sich zu verschiedenen Zeiten in den öden Räumen gezeigt habe. Hier hatte er jetzt die Bestätigung; nicht lange brauchte er zu warten, so erkannte er es so deutlich, daß es keinem Zweifel mehr unterworfen blieb, und der erste Vorübergehende, den er darauf aufmerksam machte, zerstörte seine letzte Unsicherheit.

Ein Paar Gesellschaften, die in verschiedenen Theilen der Stadt gegeben waren und ihre späten Gäste gerade in dieser Zeit nach Hause schickten, verursachten dadurch mehr Leben, als man sonst eigentlich zu so später Stunde in den Straßen von Hellburg zu finden gewohnt war. Wie ein Lauffeuer schoß das Gerücht dabei: Im alten Hause ist Licht – es spukt drinnen! von Straße zu Straße, und als die beiden Männer, Quetzlinberger und Hetzelhofer, unten aus dem Hause traten, mochten vielleicht schon dreißig oder vierzig Personen, sogar mehrere Damen darunter, dort versammelt sein, das Endresultat abzuwarten.

Polizei war natürlich auch dabei und consultirte mit dem Nachtwächter, was zu beginnen. Niemand hatte aber für einen solchen Fall Instructionen, und die nach dem »jour« habenden Actuar eiligst abgeschickten Diener der Gerechtigkeit waren noch nicht zurückgekehrt.

Hetzelhofer mischte sich nun augenblicklich unter die Zuschauer, um zu hören, was bis jetzt hier bemerkt worden, während Quetzlinberger, ohne sich auch nur einen Moment bei unnützen Fragen aufzuhalten, nach der nicht sehr entfernten Polizei eilte.

Mehrere Wagen waren indessen die Straße herunter gekommen und ebenfalls halten geblieben. Das alte Haus war in der ganzen Stadt ein viel zu sehr besprochener Gegenstand, um irgend Jemanden bei einem so außergewöhnlichen Falle gleichgültig zu lassen. Das Interesse sollte aber noch steigen, denn das Licht in den Zimmern oben, das bis jetzt nur matt und düster und kaum erkennbar heraus geglimmt hatte, wurde heller und deutlicher.

»Jetzt zündet der alte Quetzlinberger seinen Kronleuchter an,« flüsterte Einer aus dem Schwarm, halb in Spott, halb mit einem eigenen Schauer den Rücken hinunter. »Wie das hell da drinnen wird – ob sie wohl auch tanzen?«

»Ich glaube wahrhaftig, es ist Feuer,« sagte ein Anderer, aber nur halblaut zu seinem Nachbar, als ob es die da drinnen hören könnten: »wie das roth und glühend wird!«

»Wenn Feuer wäre,« erwiderte ein Dritter, »so würden doch die Gardinen vor allem Anderen aufflackern und verbrennen – Teufelsspuk ist's, am letzten Abend, ehe wieder gute Christen da einziehen sollten in die Spukzimmer – ich möchte keinen Fuß hineinsetzen, so viel weiß ich, und der Rath sollte es eigentlich von Gerichts wegen niederreißen und der Erde gleich machen lassen.«

»Da kommen sie!« rief ein Anderer wieder, als sich einige Männer in Uniform, von mehreren Bewaffneten begleitet, durch den immer mehr anwachsenden Menschenschwarm drängten. Eine Patrouille schritt zu derselben Zeit die Straße nieder und besetzte den Holzplatz, der das alte Haus auf der Westseite begränzte. Mit dieser zugleich rollte ein anderer Wagen herbei und hielt vor Hechner's Thür. Eine Dame und zwei Herren stiegen dort aus, und einer der letzteren eilte rasch der Thür des alten Hauses zu, gegen die gerade, während das Volk doch etwas scheu von der Stelle mehr zurück drängte, der erste Schlag geführt worden war, um sie zu öffnen.

»Halt! was geht hier vor?« rief Schierling, denn niemand Anderes war der letzt Gekommene. »Wer darf mitten in der Nacht in mein Eigenthum brechen, an dem noch die Siegel des Gerichtes kleben?«

»Herr Schierling?« sagte Quetzlinberger, doch etwas überrascht, gerade diesen hier draußen zu finden.

»Herr Doctor Quetzlinberger!« rief aber auch der junge Mann erstaunt, als er den Advocaten unter dem Trupp erkannte, »was fällt Ihnen ein?«

»Wir haben hier keine lange Zeit zu Erklärungen,« rief dieser rasch, »und es ist ein Glück, daß der Zufall Sie gerade in diesem Augenblick hieher geführt hat. Oben im alten Hause ist Licht – vielleicht sogar Feuer – Sie können den hellen Schein schon jetzt von hier aus da oben sehen!«

»Beim ewigen Gott!« rief Schierling, einen Schritt zurückspringend, während die Polizeidiener indessen mit einigen kräftigen Schlägen das Schloß von der ebenfalls altersschwachen Thür gesprengt hatten. Worte und Vermuthungen waren auch hier nicht mehr am Platze, und Schierling, in seinem thätigen, abenteuerlichen Seeleben an rasches und entschiedenes Handeln gewöhnt, nahm einem der Polizeidiener das Handbeil, das er trug, einem anderen die große, ziemlich hellbrennende Laterne ab, und sprang den Anderen voran, in den öden, düsteren Hausflur hinein, aus dem ihm eine dicke, unheimliche Luft entgegenwehte.

Die Polizeidiener ließen das auch ganz ungehindert geschehen. Ueber das alte Haus waren, so lange sie denken konnten, zu wilde, unheimliche Gerüchte verbreitet gewesen, als daß sie es, noch dazu unter solchen Umständen, hätten sehr gern betreten sollen. Wenn sie deßhalb auch ihre Pflicht thaten und dem Voranspringenden folgten, so war doch keiner unter ihnen, der einen besonderen Ehrgeiz gezeigt hätte, der Erste zu sein.

Wie die Schritte so schauerlich in dem öden Hause wiedertönten – und was für eigene wilde Schatten das fremde Licht an die düsteren Wände warf! – Der junge Mann, der sich ihnen zum Führer aufgeworfen, lief ihnen fast gar zu schnell, aber allein lassen durften sie ihn ja auch nicht und mußten folgen und behielten kaum Zeit dabei, mit flüchtigem Blick die wunderlichen, dicht mit Staub und Spinngeweben bedeckten Schnörkel und Schnitzereien an sich vorüber gleiten zu sehen, die das innere Haus und das Treppengeländer zierten und denselben Geschmack zu verrathen schienen, als die steinernen Fratzen und Larven draußen am Hause.

Ein Corporal mit sechs Mann Wache war ebenfalls gefolgt, die verschiedenen Ausgänge und die Treppen zu besetzen, und andere blieben indessen als Posten vor der Thür, Unberufene abzuhalten. Die Neugierigen draußen schienen aber keine besondere Lust zu haben, dem unheimlichen Geheimnisse zu nah auf den Leib zu rücken, und waren leicht zurückzuhalten. Nur drei oder vier von ihnen hatten sich gleich dem ersten Trupp der Polizeidiener mit angeschlossen. Unter ihnen Schwiebus und Hetzelhofer.



 << zurück weiter >>