Friedrich Gerstäcker
Das alte Haus
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 4.

Helene kam selten zu Hechner's hinüber, da während des Doctors öfterer Abwesenheit doch Jemand zu Hause bleiben mußte, anfragenden Kranken Auskunft zu geben, und man sich auf den Dienstboten nicht verlassen mochte. Marie ging dafür desto häufiger hinüber, und hatte auch heute wieder einmal von der Mutter Erlaubniß erhalten, ihrer älteren Freundin Gesellschaft zu leisten, während der Doctor Hetzelhofer nach einem schwer Kranken über Land gerufen war und erst spät in der Nacht zurück erwartet wurde.

Heute war übrigens in Hellburg der Tag bestimmt worden, an welchem der Proceß wegen der Quetzlinberger'schen Erbschaft durch friedliches und freundschaftliches Zusammenkommen der präsumtiven Erben in Güte und nach gemeinschaftlichem Uebereinkommen entschieden werden sollte. Marie hatte das von ihrem Oheim, dem Advocaten Hechner, gehört, und der erste März des laufenden Jahres war dazu gewählt worden.

Natürlich kam aber dadurch das Gespräch auch wieder, was seit langer Zeit nicht der Fall gewesen, auf das alte Haus und die Folgen, die der Endentscheid auf das Geheimniß desselben ausüben müsse. Dann wurden ja auch die Siegel von der Thür gelöst, und die öden Zimmer, die den größten Theil eines Jahrhunderts das Stadtgespräch in Hellburg gebildet, wurden den Blicken einer fremden Generation erschlossen.

»Ich gäbe was drum,« sagte Marie endlich, nachdem die beiden Mädchen eine Weile schweigend ihren Gedanken nachgehangen hatten – »ich gäbe was drum, wenn ich die alten Räume betreten dürfte, ehe noch ein anderer Fuß den Zauber jenes unserer Zeit gar nicht mehr angehörenden Gebäudes gebrochen. Es muß gar so wunderlich sein, die dumpfige Luft da drinnen zu athmen, und den Klang der eigenen Schritte zu hören, den die Wände so lange, lange Jahre nicht zurück gegeben haben.«

»Und Du vor allen Anderen würdest Bescheid darin wissen,« lächelte Helene; »denn so viel ich mich erinnere, bist Du die Einzige, die jene Ruine betreten hat, seit damals die Gerichte die dicken Siegel auf den Eingang drückten.«

»Aber nur im Traum,« lachte Marie.

»Was thut's! wenn der Traum nur getreu war, fändest Du Dich überall zurecht.«

»Es ist und bleibt doch immer eine merkwürdige Sache mit solchen Träumen,« sagte Marie, wieder nach einer längeren Pause, indem sie den Kopf schüttelte und sinnend dabei vor sich nieder sah, »und damals hätte ich meiner Seele Heil daran setzen wollen, daß es Wahrheit gewesen. Die Personen standen ja noch Wochen lang nachher oft so deutlich vor mir, als ob sie wirklich lebten.«

»Eigentlich ist es schade,« lächelte Helene, »daß solche Sachen nicht geschehen, und die prosaische Welt uns nur immer platte, nüchterne Wirklichkeit in Allem bietet, was uns selbst betrifft. Es mag kindisch sein, aber wie oft habe ich mir schon gewünscht, einmal einen Geist zu sehen! und doch will es nie geschehen. Und können trotzdem die Vernünftigsten von uns jeden Bezug mit einer geistigen, von uns unbegriffenen Welt abläugnen? Glauben sie nicht, sie mögen sich dagegen sträuben, so viel sie wollen, an Ahnungen, an Magnetismus, an Somnambulismus, und wie jene geheimen Bindemittel zwischen Luft und Erde alle heißen?«

»Ganz kann ich mich auch der Gedanken noch nicht entschlagen,« lächelte Marie, »und manchmal kommen Zeiten – wie heute z. B. wieder, wo ich von dem alten Hause so plötzlich reden hörte, – wo es mir wieder vorkommt, als ob es doch am Ende kein Traum gewesen und ich den wunderlichen Menschen wirklich einmal begegnet sei. Aehnlichkeiten mit ihnen hab' ich auch in der That schon mehrere Male gefunden, und das Herz hat mir dann ordentlich ängstlich geklopft, daß mir der Traum nun plötzlich in's Leben treten solle – bis ich mich selber besann und mich meiner kindischen Furcht, meines Aberglaubens wegen schämte.«

»Aber Du hast mir dabei immer von einer Frau Bause erzählt, Marie,« sagte Helene – »sie soll ja hier in der Stadt wohnen. Bist Du nie hingegangen, sie aufzusuchen?«

Marie schwieg eine Zeit lang; es war fast, als ob sie sich der Antwort schämte; endlich sagte sie leise und verlegen lächelnd:

»Ich will es Dir nur aufrichtig gestehen, ich – ich habe mich davor gefürchtet – gefürchtet, durch irgend ein zufälliges Wort irgend etwas aus jener fremden, geheimnißvollen Welt bestätigt zu hören. Wozu auch? die Zeit ist vorbei, und weßhalb die alten Träume und Thorheiten wieder aufrühren?«

»Von der Frau habe ich übrigens in Hellburg auch schon gehört,« sagte Helene, »Schwiebus hat mir davon erzählt.«

»Der Famulus?« fragte Marie erstaunt, »aber woher kennt sie der?«

»Oh, der kennt alle Menschen,« lächelte Helene. »Nicht wahr, sie legt Karten und prophezeit den Leuten ihr Schicksal aus Kaffeesatz und Bleiguß?«

»Allerdings – wenigstens behauptet die böse Welt das von ihr,« sagte Marie.

»Und wenn sie's thäte, was wäre so Uebles daran?« entschuldigte sie Helme. »Es ist gewiß eine arme Frau, und findet sie Menschen, die thöricht genug sind, sie um etwas zu fragen, das nur Gott wissen kann, und die ihr für solche Antworten sogar Geld bezahlen, so wird sie klug genug sein, ihren Nutzen daraus zu ziehen. – Doch fort mit der Frau Bause und all dem unheimlichen Spuk. Ich bin auch überhaupt froh, daß es mit dem alten Hause da drüben nun endlich einmal zu einer Entscheidung kommt. Mag es sein wie es will, aber es war mir doch manchmal ein unheimliches Gefühl, die dicht verhängten Fenster da drüben so Jahr nach Jahr zu sehen und die leeren, öden Räume dahinter zu wissen. In kurzer Zeit werden ja nun die Siegel geöffnet und die Zimmer wieder gelüftet und bewohnt werden.«

»Wer weiß, ob sich das der alte Herr Quetzlinberger gefallen läßt,« lachte Marie – »und ob er nicht nachher aus Aerger und Mißmuth Ketten über die Gänge schleift und in den Schlafkammern spukt! So viel weiß ich, so sehr ich mich danach sehne, das alte Haus im Inneren zu sehen – wohnen und schlafen möchte ich doch um keinen Preis darin.«

Marie war dabei von ihrem Stuhl aufgestanden, hatte sich an das Clavier gesetzt und mit leisen Fingern ein Paar Accorde angeschlagen, während Helene zum Tische trat, die Lampe anzustecken. Es war schon fast dunkel im Zimmer geworden. Da tönten plötzlich die wilden, schrillen Töne einer Geige zu ihnen herüber, und Marie fuhr fast erschreckt empor, den wunderlichen Lauten zu horchen.

»Es ist nichts,« lächelte aber Helene, indem sie die Glocke auf die noch düster brennende Lampe setzte, »Schwiebus hat einmal seinen guten Abend und musicirt.«

»Das habe ich aber noch nie gehört!« rief Marie erstaunt.

»Es kommt auch nicht oft vor,« sagte Helene, »denn meistens sitzt er auf seinem Zimmer bei fest verschlossener Thür und läßt Niemanden zu sich hinein, selbst meinen Bruder nicht.«

»Und was für wunderliche, eigenthümliche Melodieen das sind, die er spielt!«

»Ja,« sagte Helene, »er phantasirt auch nur und kennt keine Note, haßt sogar die Notenblätter; denn er sagt, die »schwarzen Dinger« lägen darauf herum, wie Knochen auf einem Kirchhofe. Wenn er einmal zu mir hereinkommt und ein Heft zufällig offen auf dem Instrumente liegt, macht er es jedes Mal zu. Heute sollten wir übrigens zu ihm hinüber gehen, denn heute giebt er, wie es der Bruder nennt, »Audienz,« und wenn wir ihn da bitten, erzählt er manchmal Geschichten zum Todt-lachen oder – Todt-fürchten – wie's ihm gerade durch den Sinn fährt.«

»Ich glaube, ich würde mich todt fürchten,« sagte Marie leise. »Der Mann, so freundlich und gutmüthig er sich mir immer gezeigt, hat für mich etwas kaum sagbar Unheimliches.«

»Das macht sein Name, der todte Famulus,« lächelte Helene. »Es giebt wirklich keinen besseren und gefälligeren Menschen auf der Welt als ihn, und was er mir oder irgend Jemandem, den er gern hat, an den Augen absehen kann, thut er gewiß. – Aber er spielt nicht mehr, sagte sie, plötzlich hinüber horchend –, und da knarrt seine Thür. Er kommt wahrhaftig herüber. Nun, da hat er einmal seinen geselligsten Tag, und den müssen wir benutzen.«

Ehe Marie etwas darauf erwidern konnte, lag eine Hand auf der Thürklinke, und als sich die Thür öffnete, trat Schwiebus, bleicher als je aussehend und allem Anscheine nach die beiden Damen gar nicht bemerkend, in's Zimmer. Er trug seine Violine mit dem Bogen unter dem linken Arm und ging langsam, ohne den Kopf nach rechts oder links zu wenden, zum Fenster.

Marie sah erstaunt Helenen an, diese aber ergriff ihren Arm und drückte ihn leise, zum Zeichen, sich ruhig zu verhalten. Die Lampe brannte noch ziemlich düster, und das Zimmer war deßhalb nur matt erleuchtet.

Der Famulus schien aber gar nicht an die Anwesenheit anderer Personen auch nur zu denken, denn er drehte den Kopf nicht ein einziges Mal dem Lichte zu. Langsam öffnete er das Fenster, in das die kalte Luft frostig herein schlug, schaute ein Paar Secunden nach den Sternen hinauf und dann nach dem gegenüberliegenden alten Hause, und beiden Mädchen kam es so vor, als ob er leise dort hinüberwinke. Dann schloß er das Fenster wieder sorgfältig mit beiden Wirbeln, nahm sein Instrument vor und begann mit leisem Bogenstrich eine sanfte, unendlich weiche Melodie zu spielen.

Die beiden Jungfrauen horchten der wunderlichen, nie gehörten, aber tief ergreifenden Weise in athemlosem Schweigen. Hatten sie aber vorher in Scherz und Muthwillen den ernsten Mann zu belauschen gedacht, so waren sie jetzt kaum im Stande, ihn zu unterbrechen, und hätten mit keinem Laut die rührenden Klänge stören mögen. Die weiche Stimmung des Famulus verlor sich jedoch bald. Scharfe, schrille Töne zuckten wie grelle Blitze über den blauen Himmel seines Liedes, und bald klangen einzelne dazwischen geworfene Tacte wie ein Selbstspott über den weichlichen Sang, der sich aber doch immer und immer wieder die Bahn frei rang.

Endlich, wie von seinen Gefühlen überwältigt, sank der Mann auf einen am Fenster stehenden Stuhl nieder und barg sein Antlitz in der linken Hand. Es schien fast, als ob der ganze Körper des Armen in irgend einem schweren inneren Weh zucke und zittere, und als ob das, was in ihm tobte, nur gewaltsam zurückgehalten werden könne, hinaus in's Freie zu dringen.

Da stand Helene geräuschlos von ihrem Sitze auf, und über den weichen Teppich mit unhörbarem Fuß schreitend, glitt sie an seine Seite, blieb wenige Secunden wie scheu und furchtsam neben ihm stehen und legte dann leise und schüchtern die Hand auf seine Schulter.

»Schwiebus,« sagte sie dabei mit sanfter, bittender, kaum hörbarer Stimme, »Schwiebus, armer Schwiebus! fehlt Ihnen etwas, und kann ich Ihnen helfen?«

Der Famulus rührte sich nicht, nur das Zittern seines Körpers wurde heftiger.

»Sind Sie krank, Schwiebus?« bat Helene dringender; »sagen Sie mir, was Ihnen fehlt; ich meine es gut mit Ihnen.«

»Der verwünschte Katarrh!« brummte da plötzlich der Famulus mit seiner gewöhnlichen trockenen, etwas knarrenden Stimme, indem er sich aufrichtete und die Haare langsam mit den langen hageren Fingern aus der bleichen Stirn strich; »der verwünschte Katarrh!« wiederholte er dann, ohne die geringste Ueberraschung über die Anwesenheit der beiden Damen zu zeigen. Rasch, aber ruhig glitt sein Blick über sie hin, und er fuhr, halblaut dabei vor sich hin hüstelnd, fort: »Läßt mir nicht einmal Ruh' in meinem Zimmer, und ich kam eigentlich nur herüber, nach dem Nordstern zu sehen. Wenn der auf dem Kopfe steht, wird es immer besser. Aber guten Abend, meine Damen,« setzte er dann mit wieder freundlicher, ganz unbefangener Stimme hinzu, »hätte gar nicht geglaubt, daß Sie im Zimmer säßen.«

Der Famulus legte dabei sein Instrument und seinen Bogen neben sich auf das Spiegelschränkchen und rieb sich die langen, knochigen Hände, als ob er sie in Feuer setzen wolle.

Helene und Marie sahen sich erstaunt an. Noch vor wenigen Minuten hatten sie den wunderlichen Menschen in quälendem Seelenschmerz fast aufgelöst geglaubt, und jetzt saß er wieder mit seinem alten trockenen Humor in den Zügen so unverändert vor ihnen, als ob er weder kurz vorher seine herzzerreißenden Melodieen gespielt, noch wie in einander gebrochen gestöhnt und gezittert hätte.

»Aber was meinen Sie damit, Schwiebus?« sagte Helene endlich – wirklich verlegen, wie das Gespräch wieder zu beginnen – »wenn der Nordstern auf dem Kopfe steh? – Wie kann denn ein Stern auf dem Kopfe stehen, und wenn er's thäte, wie wären wir im Stand, das zu erkennen?«

»Der Nordstern ist ein komischer Gesell,« lachte der Famulus leise vor sich, indem er die Hände stärker zusammenrieb, daß sich die bleichen Wangen ordentlich an zu färben fingen – »komischer Gesell und macht komische Streiche – aber ich habe ihn gern. Ganz allein am Himmel steht er da droben, hat den kleinen Bären am Schwanz und schlenkert ihn sich um den Kopf Nächte lang. Ist er doch auch der Stern der Todten und schützt ihre stillen Stätten über Nacht, wenn sie der Mond oft und oft im Stiche gelassen.«

»Was Sie da wieder für tolles Zeug reden, Schwiebus!« sagte Helene kopfschüttelnd – »wenn man nicht wüßte, daß Sie Spaß machten, könnte man sich ordentlich fürchten.«

»Spaß? – ja, Spaß!« lachte der Famulus, aber es war kein wirkliches Lachen, sondern fast nur ein krampfhaftes Verziehen der Mundwinkel. Diese zogen sich in tausend und tausend kleine Fältchen zusammen, bis der Mund mit den schmalen dünnen Lippen ordentlich darin verschwand und dem bleichen Gesichte mit den sparsam rothblonden Haaren etwas entsetzlich Unheimliches gab. »Es ist unendlich spaßhaft, wenn der Nordstern da drüben so kalt und still auf ein frisches Grab niederfunkelt und wir uns dann den Todten da drinnen denken, wie er, die Hände auf der Brust gefaltet, die Glieder ausgestreckt und starr in seinem engen Hause da unten liegt und wir nicht hinunter können zu ihm – er nicht herauf zu uns.«

»Schwiebus hat heute Abend einmal wieder seine geisterhafte Laune,« lächelte Helene zu Marien hinüber. »Oh, wenn Du ihn doch da einmal könntest erzählen hören! Er weiß gar so prächtige Märchen, und ich bin da wie ein kleines Kind und wäre im Stande, ihm Nächte lang zuzuhören.«

»Märchen – ja, das ist ja wohl der Name, den die Menschen für derlei haben,« sagte der Famulus, langsam dazu mit dem Kopfe nickend – »Märchen – ein ungemein bequemes Wort, und damit sind sie fertig. Märchen – das erklärt ihnen Alles, und sie zerbrechen sich den Kopf nicht weiter über Dinge, die ihnen sonst am Ende das Hirn aus einander treiben könnten. Aber sie haben auch Recht. Wozu sich das Herz schwer machen und den Kopf mit Dingen füllen, die nichts Anderes neben sich dulden und die ruhigen, friedfertigen Gedanken hinauswerfen, ihrem eigenen tollen Sein den Spielplatz frei zu halten! Märchen ist auch ein höchst charmantes Wort dafür. Im Ofen knistert und knattert das Feuer, daß die Fensterscheiben ordentlich an zu schwitzen fangen. Die Kinder und Erwachsenen rücken dicht um den Tisch, auf dem die Lampe düster brennt; draußen heult wo möglich ein Schneesturm über das Land und kost mit den Trauerweiden, bis sie verlangend und zitternd die nackten Arme hinter ihm drein strecken, pfeift in die Kamine hinunter und fegt sich die Straßen rein zum Tanz, während droben am Himmel die Wolken an der dünnen Mondessichel vorüberjagen, als ob sie zu spät zum neuen Tage kämen. – Das ist, die Zeit, ein Märchen zu erzählen, und weßhalb? – weil es draußen gleich mit spielt in Lebensgröße, an die Läden klopft und durch die gefrorenen Fenster schaut und seine wilden Weisen summt zu den drinnen gesprochenen Worten. Die Menschen rücken dann dicht zusammen im warmen Zimmer, horchen mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf das Erzählte, und freuen sich wie die Kinder über den Nervenkitzel, der ihnen eben nur leichthin über das Leben streift. Es ist ja nur ein Märchen!«

»Aber wie ich noch ein Kind war,« rief Marie lächelnd, »hab' ich wahrhaftig geglaubt, daß das Alles auch wirklich passirte!«

»So?« sagte der Famulus und fing wieder an, sich die knochigen Hände zusammen zu reiben, »so? – wirklich passirt. – Es ist doch toll, was sich die Menschen manchmal für wunderlichen Gedanken hingeben – wirklich passirt – hihihihi!«

»Wie ich ein Kind war, Schwiebus, hab' ich gesagt,« entschuldigte sich die Jungfrau dem Lachenden gegenüber, der sie ja sonst für noch immer so kindisch halten konnte – »jetzt weiß ich wohl, daß das nur Thorheit war.«

»Und doch hören wir die Märchen noch gern, wenn wir auch erwachsen sind,« sagte Helene; »es ist ordentlich wie eine Erinnerung aus der Kinderzeit, von der sich das Herz ja doch nur ungern und schwer trennt, und was früher so viel mehr den Reiz des Schauerlichen hatte, das ersetzt jetzt reichlich die Erinnerung an die vergangenen Tage.«

»Ja, es ist entsetzlich, wie gescheidt und klug wir werden mit der Zeit,« sagte der Famulus und griff wieder seine Geige auf, über deren Saiten er leise und wie herausfordernd mit dem Bogen strich – »und wir haben nachher eine Erklärung für Alles – auch für das Unerklärliche, mit dem wir eigentlich am allerleichtesten fertig werden.«

»Das Unerklärliche?« sagte rasch Helene; »allerdings giebt es dessen genug für uns arme Sterbliche hier, und ich gehöre gewiß nicht zu denen, Schwiebus, die Alles nur einfach fortläugnen, weil sie eben nicht gleich in das geheime Schaffen und Walten der Natur den Blick thun können oder dürfen, der ihnen die Räthsel derselben enthüllen würde. Ich glaube zum Beispiel an eine geheime Verbindung unserer Seelen mit einer anderen Welt, in die wir oft hineinragen, ohne es mit unseren gröberen Sinnen zu verstehen, und die uns wieder zu Zeiten berührt und mit Ahnungsschauern jenes unerforschten Reiches durchzittert, das unser Fuß nie betreten soll, bis einst der Körper im stillen Grabe schlummert.«

»Helene,« lächelte Marie, »Du darfst mich nicht mehr mit meinem Aethertraum necken und mit dem alten Herrn Quetzlinberger und der Frau Bause.«

Der Famulus zuckte bei Nennung der Namen zusammen und hörte mit Spielen auf; endlich sagte er langsam:

»Die Frau Bause? – Kennen Sie die denn auch?«

»Warum sollen wir sie nicht kennen?« sagte Helene; »wohnt sie nicht hier in der Stadt, und prophezeit sie den Leuten nicht, die zu ihr kommen?«

Schwiebus sah wohl ein Paar Minuten lang still und schweigend vor sich nieder, ohne irgend etwas darauf zu erwidern. Dann griff er sein Instrument wieder auf, und die Worte mit den leisen Tönen begleitend, fuhr er langsam fort:

»Die Frau Bause ist eine gar würdige alte Dame, die schon etwas durchgemacht hat in der Welt – mehr, als sich manche Menschen vielleicht träumen lassen. Wenn die erzählen wollte, müßte es gar interessant sein, zuzuhören, aber« – und wieder sprangen die Töne in die frühere schrille und schroffe Weise über, und er lachte dabei still und unheimlich vor sich hin – »sie darf nur nicht.«

»Und das ist auch nicht mehr als recht!« rief Marie. – »Mutter hat noch neulich davon gesprochen, daß die Polizei das Prophezeien und Kartenlegen eigentlich gar nicht dulden sollte. Einzelne, zufällig eingetroffene Sachen machen die Leute nur verwirrt. Viele setzen sich tolle Ideen in's Hirn – lassen sich ihren Todestag sagen und sterben zur prophezeiten Stunde, nur weil sie sich so entsetzlich davor gefürchtet. Andere treiben anderen Unsinn, der ihr Vermögen oder ihre Gesundheit ruinirt, um einem geweissagten Unglück auszuweichen oder ein versprochenes Glück zu erjagen. Der liebe Gott hat es gar unendlich weise eingerichtet, daß uns nicht allein die ferne Zukunft, nein, schon die nächste Stunde ein verschlossenes, unberührbares Buch bleibt. Ich würde nie die Hand danach ausstrecken, es zu öffnen.«

Schwiebus hatte das junge Mädchen indessen mit hochaufgezogenen Brauen, weit ausgespitzten Lippen und einem unendlich komischen Ausdruck in den wunderlichen Zügen stier angesehen. Die Violine stützte er dabei, um besser hören zu können, auf sein linkes Knie, während die rechte Hand mit dem Bogen auf dem anderen ruhte.

»Die Polizei,« sagte er, als sie geendet, leise, und über die immer dunkler werdenden Züge zuckte und blitzte es in eigenen wunderlichen Lichtern – »die – die Polizei.« – Und er schüttelte sich plötzlich, ohne aber einen weiteren Laut von sich zu geben, so vor innerem Lachen, daß es ordentlich aussah, als ob ihm die Glieder locker würden.

»Nun ja, was ist denn darin so Komisches, Herr Schwiebus?« sagte Marie erstaunt; »hat denn die Polizei nicht das Recht, Leuten, die ein ordentliches Gewerbe daraus machen, leichtgläubigen Menschen das Geld aus der Tasche zu locken, das Prophezeien zu verbieten?«

Schwiebus nickte wieder und wieder rasch mit dem Kopfe, als ob ihm das innere Lachen fast die Stimme ersticke, und nur endlich sagte er heiser und von öfterem Husten unterbrochen:

»Ja – verbieten kann sie's – verbieten kann sie's, die – die Polizei. Schwiebus kann auch dem Laubfrosch verbieten, daß er bei schlechtem Wetter in's Wasser geht.«

»Aber Schwiebus,« lachte Helene, »Sie wollen doch nicht alte Frauen, die einen Erwerb daraus machen, andere Leute anzuführen, mit etwas vergleichen, dem die Natur schon den Instinct für das Wetter wenigstens gegeben hat? Ja, wenn die Frau Baust so gut prophezeien könnte wie ein Laubfrosch!«

»Hm – würde ihr sehr angenehm sein, das zu hören,« lachte der Famulus wieder auf seine stille Weise – »würde ihr ungemein angenehm sein.« Er blinzte dabei mit dem linken Auge, den Kopf halb dem Fenster zugewandt, immer nach dort hinüber, als ob da draußen Jemand säße, mit dem er sich unendlich über den Spaß freue und bei ganz einverstanden mit ihm wäre.

»Sie sind ein komischer Kauz,« sagte lächelnd Helene und schraubte die Lampe etwas höher, daß sie heller brannte. »Ob übrigens die Frau Bause prophezeien kann oder nicht, soll mich wenig kümmern, ich werde ihre Künste doch nicht in Anspruch nehmen. – Man soll mit solchen Dingen keinen Scherz treiben.«

»Scherz?« sagte der Famulus und wurde auf einmal ganz ernsthaft, »Scherz? – wer hat von Scherz gesprochen? – Wer sich einen Spaß zu machen wünscht, soll um Gottes Willen andere Sachen wählen, als die Geister einer anderen Welt zu incommodiren. Es thut nicht gut, und wir kommen mit ihnen schon weit mehr, als rathsam, in unseren Träumen zusammen.«

»In unseren Träumen?« rief Marie rasch, die in den Worten eine Art Bestätigung für Manches zu finden glaubte, dem sie sich selber, sie mochte sich dagegen sträuben, so viel sie wollte, hinzuneigen begann. – »Also halten Sie unsere Träume auch für etwas Wirkliches?«

»Unsinn!« rief Helene lachend; »wenn die etwas Wirkliches sind, so bin ich vor vierzehn Tagen vom Thurme der Dorotheenkirche über die ganze Stadt fortgeflogen und nachher in den Schwanenweiher gefallen, und wie ich aufwachte, lag ich doch warm und weich in meinem Bette.«

»Ihr Körper,« erwiderte Schwiebus trocken – »Ihr Körper lag im Bette, Fräulein Helene, und der hatte mit der Sache auch weiter nichts zu thun. Ein Körper kann, wie sich das von selbst versteht, nicht träumen, und was der Geist unter der Zeit treibt, wo er den Körper verlassen hat, davon sagt er ihm gewöhnlich nichts. Nur die Seele, die indessen natürlich zu Hause bleibt, verräth es ihm manchmal.«

»Die Seele?« riefen Helene und Marie fast zu gleicher Zeit aus; »so machen Sie einen Unterschied zwischen den Beiden, die Sie für zwei ganz verschiedene Wesen zu halten scheinen?«

»Und sind sie das nicht?« lächelte der Famulus. »Eine Seele dürfen wir selbst dem Thiere nicht absprechen, dem wir keinen Geist gestatten. Der Geist mag den Körper im Schlafe verlassen, und den Beweis haben wir, wie er in der Zeit durch ferne Räume schweift. Die Seele dagegen muß den allgemeinen Naturgesetzen nach im Körper bleiben, ob er schläft oder wacht. Sobald sie ihn verläßt, ist er todt – bis sie zu ihm zurückgekehrt« – fügte er mit leiser, kaum hörbarer Stimme hinzu.

»Aber sobald sie ihn einmal verlassen, kann sie nie mehr zurück!« rief Marie. »Todte müßten ja sonst wieder zum Leben erstehen.«

»Und geschieht das nicht bisweilen?« sagte der Famulus.

»Scheintodte, ja.«

»Gut, wir nennen sie Scheintodte!« rief der Famulus kopfschüttelnd. »Der Name thut nichts zur Sache, und – sind noch keine solche Scheintodte beerdigt worden?«

»O Gott, ja!« rief Helene schaudernd – »selbst in unserer Familie haben wir ein derartiges furchtbares Beispiel.«

»In Deiner Familie?« fragte Marie überrascht; »davon hast Du mir ja noch nie erzählt!«

»Wer spricht gern von so Entsetzlichem!«

Der Famulus stemmte die Geige wieder an die Schulter, und eine neue, aber leise Melodie beginnend, um das Gespräch nicht zu stören, sagte er langsam:

»Auch das Entsetzliche wird interessant, sobald es mit dazu dient, die Kenntnisse zu vermehren, an deren Schwelle wir noch stehen – die Kenntnisse jener Welt, von der die Wenigen, die wirklich etwas davon wissen, eben nichts, oder doch so gut wie nichts, verlachen dürfen.«

»Also glauben Sie in vollem Ernst, Schwiebus,« fragte ihn Helene, »daß hier wirklich Leute auf unserer Erde, in unserer Mitte leben, die etwas von jener anderen geheimnißvollen Welt sagen könnten, wenn sie nur eben dürften?«

Der Famulus erwiderte nichts darauf, aber die Töne seiner Geige schnitten wie ein Weheruf in das Ohr der Mädchen.

»Sie wollten uns ja die Geschichte des Scheintodten erzählen,« sagte er dann plötzlich, zu Helenen gewandt. »War es Mann oder Frau?«

»Eine Tante von mir,« lautete die Antwort. »Erst wenige Jahre verheirathet, fiel sie bald nach ihrer ersten Entbindung in eine schwere Krankheit. Mein Oheim wich nicht von ihrem Lager und berief die geschicktesten Aerzte aus der Residenz, das flüchtige Leben der Sterbenden aufzuhalten. Umsonst – das Kind starb zuerst, und an dem nämlichen Tage folgte ihm die Mutter. Ihr Gatte war außer sich – er raste förmlich, warf sich über den Leichnam und schwur, daß er nicht ohne die Dahingeschiedene leben könne und wolle. Er widersetzte sich sogar den Leuten, nach denen geschickt war, die Leiche für das Begräbniß vorzubereiten, und die Aerzte, die für seinen Verstand fürchteten, drangen endlich darauf, daß er entfernt würde. Im Anfange ließ er sich das auch wirklich gefallen, schon nach der ersten Nacht aber fing er an zu toben und schrie, daß man seine Frau, von der er behauptete, sie wäre ihm im Traume erschienen, lebendig begraben wolle. Er wüthete dabei dermaßen, daß man ihn festhalten und in eine Zwangsjacke einschnüren mußte.«

»So lag er sechsunddreißig Stunden, bis er endlich ruhiger wurde oder seine Kräfte doch so aufgerieben hatte, um sich nicht weiter rühren zu können. Die Zwangsjacke wurde ihm dann allerdings wieder ausgezogen, aber Wochen vergingen doch noch, ehe ihn die Aerzte für so weit wieder hergestellt erklärten, die Anstalt verlassen zu können. Er reiste augenblicklich nach Hause, und seine Schwester, die indessen sein Haus verwaltet, fand ihn wohl noch niedergeschlagen und ernst, aber doch sonst ruhig und selbst gefaßt. Er erkundigte sich nach dem Begräbniß, wie es gehalten worden, und ob Mutter und Kind zusammen begraben wären, fragte, ob die Aerzte auch in der That jedes Mittel angewandt hätten, sich von dem wirklichen Tode der Hingeschiedenen zu überzeugen, und schien sich, als ihm alle diese Fragen genügend beantwortet worden, vollständig beruhigt zu haben.«

»Er aß zu Mittag, trank seinen Kaffee und sagte dann seiner Schwester, daß er hinaus auf den Kirchhof gehen und die Gruft, in der sein Weib und Kind ruhten, besuchen wolle. Seine Schwester wollte ihn allerdings begleiten, aber er lehnte es ab. Er wünschte allein mit seinem Schmerz zu sein, und wenn er sich da draußen ordentlich ausgeweint, werde ihm schon besser und leichter werden.«

»Es war im Januar und bitter kalt, und der Kirchhof lag etwa eine halbe Stunde von der Stadt entfernt. Mein Oheim hatte dort ein Erb-Begräbniß, ein ziemlich tiefes und geräumiges Gewölbe mit einem eisernen Gitter darüber, in dem die Särge aus der Familie beigesetzt wurden. Den Schlüssel dazu trug er bei sich, die Kirchhofs-Thür selber war über Tag offen, denn der Todtengräber wohnte draußen in der Nähe. So verging der Nachmittag, und es wurde Nacht, und mein Oheim kehrte nicht zurück. Seine Schwester ängstigte sich und wartete bis zu später Stunde auf ihn, doch umsonst. Mit Tagesanbruch aber, als er bis dahin immer noch nichts hatte von sich hören lassen, bat sie einen Mann aus dem Hause, hinaus zu gehen und sich bei dem Todtengräber nach dem Vermißten zu erkundigen. Großer, allmächtiger Gott! wie sollten sie ihn wiederfinden! Der Todtengräber ging mit dem Boten zur Gruft, deren Thür nur angelehnt war, und der Anblick, der sich hier ihnen bot, muß fürchterlich gewesen sein, ließ aber auch nicht den geringsten Zweifel über das, was hier vorgefallen. Der Sargdeckel, unter dem meine Tante damals hinaus getragen worden, war abgeworfen, der Sarg leer, und in der einen Ecke des Gewölbes, die kleine Leiche des Kindes fest in das eigene Leichentuch gehüllt, wie um es gegen die furchtbare Kälte zu schützen, kauerte der erstarrte Körper der jedenfalls lebendig Beigesetzten. Bald nach dem Begräbniß mußte sie wieder zu sich gekommen sein und war nicht mehr im Stande gewesen, ihr Gefängniß – ihr Grab wieder zu verlassen. Nur vor dem Sarge war sie geflüchtet, so weit sie konnte, und dort hatte sie, das bleiche Haupt an die eisbedeckte Wand gelehnt, der Tod ereilt. Neben ihr aber, die Arme in wilder Verzweiflung um die erstarrten Glieder der Gattin und des Kindes geschlagen, lag mit durchschnittenen Adern angefroren an den Boden und die Leichen mit dem eigenen Blute – mein Oheim!«

»Allerbarmer!« rief Marie, »das ist ja fürchterlich!« der Famulus aber fiel wieder in seine wilden, tollen Weisen ein, und nickte dazu, während er sich fast ganz dem Fenster zudrehte, in Einem fort mit dem Kopfe, der auf dem langen Halse ordentlich hin und wieder schwankte.

»Entsetzlich ist es,« fuhr Helene langsam fort, »wenn man sich in die Lage der Unglücklichen denkt. Sie war nun wieder zum Leben erwacht in grauenvollster Weise, alle Schrecknisse des Todes noch einmal durchzumachen.«

»Merkwürdig bleibt es aber doch,« sagte Marie, »daß der Mann vorher den warnenden Traum gehabt. Großer Gott! die Frau lebendig begraben und der Gatte, der ihr zu Hülfe eilen will, in's Irrenhaus gesperrt und in die Zwangsjacke geworfen. Kein Wunder, daß sich der Unglückliche das Leben nahm, als er das Elend, den Jammer begriff – er muß da wirklich wahnsinnig geworden sein.«

Die Töne der Violine wurden hier so furchtbar grell und laut, und klangen so wie Spott und Hohn zwischen die herauf beschworenen Bilder des Entsetzens, daß die beiden Mädchen den Famulus bestürzt ansahen. Dem aber schienen mit der Erzählung ähnliche Saiten in seiner eigenen Erinnerung berührt zu sein. Jedenfalls hatte er die Gegenwart Anderer neben sich ganz vergessen. Das Gesicht dem Tische zudrehend, warf er das rechte Bein über das linke Knie und ging plötzlich, nach einem kurzen Vorspiel seines Instrumentes, dessen Töne jetzt in der That wie Worte klangen, in eine seiner barocksten Melodieen über. Herüber und hinüber zuckten diese wie springende Gnomen und erreichten ihren Zweck, wenn sie den gehabt, auch bald vollkommen; denn seine Zuhörerinnen wurden dadurch ordentlich gewaltsam von dem Schreckensbild abgezogen, das Helenens Erzählung vor ihrem inneren Geist heraufbeschworen. Im Anfange lauschten sie nur dem sonderbaren, aber nie unmelodischen Gewirre von Tönen, und vergaßen endlich, was eigentlich diesen Sturm von Klängen hervorgerufen, in der Bewunderung über die erstaunliche Fertigkeit, ja, Kunst des Spielenden.

»Träume!«

sang da plötzlich Schwiebus mit einer so wilden, heiser knarrenden Stimme, daß die Mädchen, wie sie ihr wenige Tacte gelauscht, und trotz der schaurigen Stimmung, in der sie sich noch vor wenigen Secunden befunden, kaum das Lachen unterdrücken konnten. Ueberrascht schauten sie dabei zu dem langen fahlen Gesichte des Singenden auf, der die wunderlichsten Grimassen dazu schnitt und den ungeschickten Oberkörper, wie um den Tact zu halten, den er auch zugleich mit dem rechten übergeworfenen Beine begleitete, von einer Seite zur andern warf.

»Träume! – Träume, sitzen am Bett,
Die närrischen Burschen, und lachen,
Wissen wohl, wie es da drüben steht,
Wissen nicht, wie sie es machen.

Tanzen, tanzen können sie wohl,
Werfen die schattigen Beine;
Kriechen ins Hirn wie der Has' in den Kohl,
Dünken sich Herrn da alleine.

Plaudern können sie, geben nicht Ruh',
Haben schon Manchen betrogen.
Necken und quälen und – greift Ihr dann zu –
Hui! – sind sie blitzschnell entflogen.«

»Aber ich habe ja gar nicht gewußt, daß Sie singen können, Schwiebus,« lächelte Helene, als er die Strophen beendete und zum Schluß die neckische Melodie durch ein ganzes Chaos von Tönen führte.

»Kann ich auch nicht,« sagte der Famulus trocken, »ich mache nur eine Art von Spectakel, den manche Menschen, die es eben nicht besser verstehen, für Gesang halten.«

»Nun, schmeicheln thun Sie auch nicht,« lachte Helene, »da ist wahrhaftig Ihr Rabe galanter. Der sagt doch jedes Mal, wenn ich zu ihm hinüber komme: kluge Frau, kluge Frau!«

»Er wird es eben auch nicht besser verstehen,« lächelte Marie, und der Famulus, der keinesfalls die Worte gehört hatte, nickte ganz in Gedanken mit dem Kopfe dazu. Die Mädchen mußten jetzt wirklich laut darüber lachen.

»Ja, ja,« sagte aber der Famulus, ernsthaft dabei vor sich hinnickend – »lacht nur, lacht nur, so lange Ihr jung seid und keine weiteren Sorgen, keine Gedanken habt, die Euch quälen und peinigen dürfen. Die Zeit, wo das anders wird, kommt doch noch früh genug.«

»Aber es braucht gar nicht anders zu werden, Herr Schwiebus,« sagte Marie freundlich. »Wie vielen Menschen hat nicht Gott ein glücklich, friedlich Loos beschieden, dem stillen Wasser gleich, das aus sanfter Ebene, unter Blumen hin der Ewigkeit entgegen quillt! Warum sollen wir das nicht auch für uns erhoffen dürfen und uns die schönen Tage jetzt mit Sorge und Noth nutzlos verkümmern? Es geht uns gut auf der Welt, das wollen wir also mit dankbarem Herzen genießen und die finsteren und traurigen Gesichter denen überlassen, die eben Ursache haben, traurig zu sein, und welchen allen wir ja doch nicht helfen können.«

»Marie hat Recht,« bat da auch Helene, »lassen Sie die trüben Bilder, Schwiebus, machen Sie wieder ein freundliches Gesicht und erzählen Sie uns etwas Lustiges – aus Ihrem eigenen Leben vielleicht. Sie haben es mir schon lange versprochen, und heute Abend hätten wir so treffliche Zeit. Halten Sie Ihr Wort.«

»Etwas Lustiges aus meinem Leben?« sagte der Famulus achselzuckend; »wäre nicht übel, möchte nur wissen, wo ich's gleich hernehmen sollte. Etwas Lustiges vom Famulus Schwiebus – Famulus bei'm Doctor – Hetzelhofer« – und er sprach den letzten Namen mit leiser, scheuer, kaum hörbarer Stimme.

»Oh, Sie wissen gewiß etwas,« bat Helene, »wenn Sie sich nur recht besinnen wollten. Ich selber könnte Ihnen etwas angeben.«

»So?« sagte der Famulus, und sein Gesicht zog sich wieder in jene tausend Falten, in denen man nie im Stande war zu erkennen, ob er lache oder weine; denn selbst Thränen wären in jenen zahllosen Gruben spurlos verschwunden. »Sie also wüßten etwas Lustiges aus meinem Leben?« wiederholte er nach kleiner, nachdenkender Pause – »gut, so nennen Sie's, Fräulein Helene, und wenn ich's nicht vergessen habe, will ich's erzählen.«

»Gewiß?« rief Helene rasch und streckte ihm die Hand zum Einschlagen entgegen.

»Gewiß,« sagte der Famulus, ihr selber neugierig dabei in's Auge schauend.

»Gut!« rief Helene, der Freundin zublinzelnd, »dann erzählen Sie uns heute Abend, Schwiebus, wie Sie – mit meinem Bruder bekannt wurden.«

Der Mann zuckte zusammen, als ob er von einem elektrischen Schlage getroffen wäre, und sein Blick flog rasch und unstät von dem Antlitz der vor ihm Stehenden nach dem Fenster hinüber und wieder zurück. Als er aber die Augen Helenens in jubelnder Lust, ihn so weit überlistet zu haben, auf sich ruhen sah, war es fast, als ob ein eigen wilder Humor über ihn komme. Er griff den Bogen wieder auf und schaute mehrere Minuten lang still und schweigend vor sich nieder. Dann lachte er aber plötzlich so laut und hell auf, daß die beiden Mädchen ordentlich zusammenfuhren. So herzlich hatten sie ihn noch nie lachen hören, und doch lag auch wieder etwas gar so Unheimliches in dieser wilden, fast unnatürlichen Fröhlichkeit.

»Und weßhalb glauben Sie, meine Damen, daß das etwas Lustiges ist?« sagte er endlich, nachdem er einen förmlichen Lachkrampf überwunden hatte und wieder zu sich gekommen war; »wer hat Ihnen überhaupt je davon erzählt?«

»Erzählt? eigentlich noch Niemand,« sagte Helene, »aber mein Bruder hat doch schon mehrere Male, selbst wenn Sie dabei zugegen waren, darauf angespielt und dann jedes Mal so herzlich dabei gelacht.«

»Herzlich gelacht? – so?« – sagte der Famulus, jetzt wieder vollkommen ruhig, indem er die auf's Knie gestellte Violine dabei stimmte; »also herzlich gelacht hat er darüber?– ist ein gar lustiger Mann, der . . . der Doctor Hetzelhofer.«

»Und wollen Sie es uns erzählen?« fragte Marie.

»Ob ich will? Gewiß will ich!« lachte der Famulus wieder; »habe ich es Fräulein Helenen nicht in die Hand versprochen? Ich halte immer Wort – das thut ja sogar mein Rabe, und ich werde mich doch nicht etwa gar von dem beschämen lassen. Aber – es wird ein wenig lang werden, das – Märchen. – Die ganze Geschichte ist auch überhaupt weiter nichts,« setzte er, still und heimlich vor sich hinlachend, hinzu – »und habe sie wahrscheinlich nur irgendwo ein Mal geträumt.«

»Desto besser, Schwiebus!« rief Helene, der Freundin vergnügt dabei zunickend, denn nun verging ihnen der Abend gewiß rasch und angenehm.

»Aber ich begreife nur nicht, wie es ein Märchen sein kann,« sagte Marie.

»Kein Märchen!« wiederholte der Famulus kaum hörbar, und sah Momente lang still und stier vor sich nieder. Sein Gesicht war dabei wo möglich noch fahler geworden, und die Augen lagen ihm tief in ihren Höhlen. Das dauerte aber nicht lange – er legte sein Instrument neben sich nieder, bog sich im Stuhl zurück, stützte, den linken Ellenbogen auf das Fensterbret und den Kopf in die Hand, daß sein, Blick zuweilen die Sterne draußen suchen konnte, und begann dann mit leiser, aber vollkommen deutlicher, ruhiger Stimme:



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