Friedrich Gerstäcker
Das alte Haus
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 1.

In einer der Hauptstraßen von Hellburg stand noch vor gar nicht so langen Jahren ein steinernes, uraltes Gebäude aus früherer Zeit – wie Viele sogar behaupteten, das älteste Gebäude der Stadt – mit wunderlich geschnitzten Giebeln und Gewänden, künstlich gespannten Fenster- und Thürbogen und großen eisernen drachen- und lindwurmköpfigen Dachrinnen, die der Zeit, wie allen die Straßen auf- oder abwehenden Stürmen die langen, grimmig ausgeschnittenen Zähne gezeigt hatten, und bei heftigen Regengüssen, zum Aerger der Vorübergehenden, ganze Ströme Wassers in die Mitte der Straße sprudelten. Ueber der Thür waren zwei sonderbare Gestalten in Stein ausgehauen, die einen Türken und einen Christen vorstellten, und auch zwischen den Fenstern hatte der Baumeister, dessen Urenkel mit zu den Ahnen der jetzigen Generation gehörten, manche behelmte und bewehrte Gestalt angebracht. Nirgends aber fand sich ein Heiligenbild, nirgends ein Engelsköpfchen, das sonst mit seinen dicken Bäckchen trostbringend aus manchen Verzierungen anderer, fast eben so alter Gebäude herausbläst. Kein frommer Märtyrer mit zerrissenen Gliedern und rundem Heiligenscheine war in der ganzen Masse von Schnitzwerk zu finden; kein frommes Sprüchlein, kein Vers, kein Kreuz angebracht, selbst nicht aus dem Schilde des Ritters über der Thür.

Wie die Dachrinnen Unthiere darstellten, die nur hinten an den Schwänzen von irgend einer wohlthätigen Macht zurückgehalten und verhindert wurden, sich auf die ruhig Vorübergehenden niederzustürzen, und all ihren zähnefletschenden Grimm an ihnen auszulassen, so trugen kleine boshafte Faun- und Teufelslarven die Fenstersimse und hier und da angebrachte Nischen-Console, und ungeschlachte, halb Thier-, halb Menschenbilder stützten, die Krallenfinger in die dürren Seiten stemmend, Erker und Balcon. Jedenfalls hatte ein wunderlicher Geschmack das Haus erbaut.

Seit langen, langen Jahren nicht bewohnt, war es nach dem Tode des letzten, schon lange verstorbenen Besitzers und in Folge des darob entstandenen Rechtsstreites zwischen den außer Landes wohnenden Erben verschlossen und versiegelt worden. Darüber verging die Zeit, und wie das so mit Processen geht, erinnerten sich jetzt ganz alte Leute aus ihrer Jugendzeit noch der großen, der Thür angedrückten Siegel, zu denen sie damals mit stummer Ehrfurcht aufgeschaut. Nichtsnutzige Menschen hatten diese später einmal beschädigt – vielleicht um einen hochweisen Rath zu kränken oder den Nachtwächter zu ärgern – und jetzt waren Streifen Blech über die neu aufgedrückten genagelt worden, sie zu schützen – denn der Proceß dauerte ruhig fort.

Andere Nachtschwärmer klopften auch früher einmal in frechem Muthwillen mit dem alten eisernen Thürhammer an die versiegelte Pforte, daß der Ton hohl und markerschütternd durch die öden Räume schallte. Als aber bald darauf dumpfe Gerüchte die Stadt durchliefen, daß in der nächsten Nacht bleiche, entsetzliche Gestalten an das Lager jener Ruhestörer getreten wären, sie zu fragen, was sie an dem alten Hause gewollt, gingen von der Zeit an Kinder wie Erwachsene in stiller, unheimlicher Scheu an der verschlossenen Thür vorüber. Niemand belästigte das alte Gebäude weiter, und die Volkssage füllte gar bald jene düsteren, durch gelbe, schwerseidene Gardinen dicht verhängten Räume mit unheimlichen, spukhaften Gestalten und Wesen an.

Jahre vergingen indeß; von dem alten Hause wurde fast nicht weiter gesprochen, bis es der Nachtwächter wieder einmal in's Gerede bringen wollte. Er behauptete nämlich, und beschwur es hoch und heilig, mehrere Male Nachts zu unbestimmten Stunden Licht in einem der Fenster hinter den düstern Gardinen gesehen zu haben; aber trotz allem Wachen und Aufpassen konnte Niemand weiter etwas Aehnliches entdecken. Der Schimmer, den der Nachtwächter bemerkt haben wollte, war jedenfalls der Mond oder vielleicht auch der Wiederschein eines Lichtes aus der gegenüberliegenden Häuserreihe gewesen, und wer wußte überhaupt, was der außerdem halb blinde Mann da gesehen zu haben glaubte! Das Gerücht verlor sich, wie es gekommen.

Auf der rechten Seite des »alten Hauses«, das dort hinaus gar keine Fenster zeigte, lag ein dazugehörendes kleines Grundstück, von dem Rathe der Stadt benutzt Bauholz abzulagern. Große Haufen aufgeschichteter Breter und Balken thürmten sich hier empor und waren von der Straße selbst nur durch eine hohe, weiß angestrichene Planke geschieden. Nach links zu schlossen sich dagegen die andern Gebäude der Straße dicht daran an, und das nur durch die starke Brandmauer davon geschiedene Nachbarhaus gehörte dem Regierungs- und Stadt-Rathe Hechner.

Dieser hatte allerdings schon seit mehreren Jahren versucht, die an sein Grundstück stoßenden, unbenutzt liegenden Räumlichkeiten vergleichsweise und käuflich an sich zu bringen, aber ohne Erfolg. Beide Parteien schienen den geerbten Proceß, den sie wohl verlieren, aber nicht verkaufen dürften, als eine Art Ehrensache zu betrachten.

Das Haus des Regierungs-Raths Hechner mußte übrigens mit dem sogenannten »alten Hause« in früherer Zeit, wenn nicht gerade dazu gehörig, doch in unmittelbare Verbindung gestanden haben. Auf der halben Treppe, unter der ersten Etage, befand sich nämlich noch eine alte eiserne, niedrig gewölbte und von innen verrigelte Thür. Dieser frühere Communications-Weg zeigte jedoch nach außen weder Schloß noch Drücker, nicht einmal ein Schlüsselloch, sondern nur eine glatte, mit starken Barren verwahrte Fläche, die, wenn überhaupt, nur hätte von der inneren Seite geöffnet werden können.

Aus Nachlässigkeit oder Unachtsamkeit war aber diese Thür damals nicht mit versiegelt worden; oder man hatte sie auch als mit der Wand identisch angesehen und eine gerichtliche Verwahrung derselben nicht für nöthig befunden. Beim Malen der Treppe ließ dann später der Regierungs-Rath die Haspen und Querbarren so viel als möglich mit Kalk bewerfen, um deren Erhabenheiten weniger auffallend zu machen, und die Thür mit der anderen Wand gleichmäßig anstreichen. Wer nicht wußte daß sich dort eine Thür befand, konnte es nicht leicht erkennen.

Für Fremde wäre das nun auch vollkommen ausreichend gewesen. Für die Leute im Hause dagegen schien dieses Verheimlichen der Thür eher etwas Unbehagliches zu haben, dem sie allerdings keinen bestimmten Namen geben konnten, das sie aber nichtsdestoweniger störte und beunruhigte. Ein paar der Dienstboten kündigten auch ihrer wirklich vortrefflichen Herrschaft aus dem einzigen Grunde, weil sie sich fürchteten, Abends spät an dem versteckten Eingange vorüber zu gehen. Hinter der Thür sei es, wie sie sich nicht ausreden ließen, unter keiner Bedingung geheuer, und wenn sie Abends spät mit Wasser oder Holz da vorbei müßten, könnte die alte eiserne Pforte auch recht gut einmal von selber auffliegen und ihnen den Tod vor Schrecken bringen.

Die Eine behauptete dabei, sie hätte es einmal Abends dahinter klopfen, die Andere sogar, Jemanden schwer athmen hören, bis der Regierungs-Rath, des Geschwätzes müde, sie fortjagte und andere Leute in's Haus nahm. Er ärgerte sich aber doch über das dumme, abergläubische Volk, wie er es nannte, das sich nur immer die größte Mühe gab, einen Haken zu finden, um seine albernen Ideen daran zu hängen.

Regierungs-Rath Hechner war verheirathet, hatte aber nur eine einzige Tochter, ein elfjähriges Mädchen von überdies zarter, schwächlicher Gesundheit, und lebte in seiner kleinen Familie still und zurückgezogen.

Kinder sind übrigens für das Uebernatürliche oder Außergewöhnliche empfänglich und geben sich demselben leichter und unbefangener hin, als Erwachsene. Ihr Geist ist noch nicht im Stande, die Grenzlinie zwischen dem Wahrscheinlichen und Unwahrscheinlichen – wir dürfen kaum sagen: dem Möglichen und Unmöglichen – für sich selber abzustecken und zu befestigen. So hatte sich auch Marie, durch ihren erregten und kränklichen Zustand noch empfänglicher dafür gemacht, viel und lebhaft mit dem alten Nachbarhause beschäftigt und, wenn die Eltern abwesend waren, das besonders mit Begierde aufgefangen, was die Mädchen im Hause darüber zu sagen wußten.

Daß in dem alten unbewohnten Gebäude dann und wann ein »Licht« umging, stellte sich ihr gegen über auch bald als feste Thatsache heraus. Eben so bezweifelte sie zuletzt, mit den Zeugnissen dreier hinter einander abgehenden Dienstleute, keinen Augenblick mehr die Existenz irgend eines unglücklichen, verbannten Wesens, das hinter der übermalten Thür an ihrer eignen Treppe sitze und mit Ungeduld schon viele Jahre lang seiner Befreiung entgegen harre. Mit kindisch schauerlichem Behagen malte sie sich dabei die stillen Stuben selber aus, wie hinter den dichten und verblichenen seidenen Gardinen die alten prächtigen Möbel standen und schwere Teppiche lagen, die dicker Staub wohl lange schon bedeckte. Und an den Wänden hingen gewiß alte, düstre, lebensgroße Bilder der frühern, jetzt still in ihren Gräbern schlummernden Bewohner des alten Hauses – Männer mit unbequem steifen Halskrausen und langen Degen, und Frauen mit großblumigen herrlichen Kleidern und hohem wunderlichem Kopfputz, die erstaunt und finster auf die zu ihnen Eintretenden niederblickten und den Fremden, wohin sie gingen, mißtrauisch und unheimlich mit den Augen folgten.

Marie hätte Gott weiß was darum gegeben, das alte Haus einmal allein betreten zu dürfen. Das war wenigstens, wenn sie sich oben in ihrem sicheren Stübchen befand, oft und oft ihr Wunsch gewesen. Kam sie aber Abends einmal von einem Besuche der in der nämlichen Straße wohnenden Tante zurück, und mußte sie an der geheimnißvollen Thür vorüber, dann schlug ihr das kleine Herz doch laut und ängstlich in der Brust, und sie drückte sich scheu und mit zurückgehaltenem Athem an der andern Seite der Treppe vorüber. Sie hätte auch darauf schwören wollen, schon selber zu verschiedenen Malen ein leises Seufzen und Klopfen hinter der Thür gehört zu haben, und einmal – sie vergaß den Schrecken in ihrem Leben nicht – war ein Stück Kalk, gerade als sie vorüber glitt, vom Anwurf über der Thür losgebröckelt und dicht neben ihr niedergefallen, als ob Jemand von innen dagegen gepreßt und dadurch den Kalk von der Wand abgedrückt hätte.

Marie war auch dieselbe Nacht noch wieder krank geworden, und das alte Haus spielte in der Zeit eine Rolle in allen ihren Träumen. Wenn sie aber aufwachte, wußte sie immer daß es eben nur ein Traum gewesen – da drüben sah es doch gewiß ganz anders aus, als sie es in ihren Phantasien gesehen und sich ausgemalt.

Wunderbarer Weise scheute sie sich dabei aus irgend einem, ihr selber nicht klaren Grunde, der Mutter, der sie sonst nichts verheimlichte, von dem sonderbaren Einflusse zu sagen, den die alte Thür auf sie ausübe. Vielleicht war es die Furcht vor dem Vater, der so bös über den Aberglauben der Dienstmädchen wurde. Aber unwillkürlich kam ihr dabei auch das Gefühl, als ob sie es irgend Jemanden recht heilig versprochen hätte, mit Niemanden, wer es auch sei, darüber zu reden, und doch wußte sie, daß ihr noch keine Seele auf der weiten Welt ein solches Versprechen abgenommen haben konnte. Hing das auch etwa mit ihren Träumen zusammen?

So wagte sie auch nicht ihre Mutter nach dem Hause und der Bewandtniß zu fragen, die es mit der Thür haben könnte, obgleich es gerade oft zwischen Vater und Mutter verhandelt worden, bis das Gespräch einmal zufällig in ihrer Gegenwart wieder darauf kam.

Wieder hatte ihnen nämlich ein Mädchen, der alten Thür wegen, gekündigt. Die Köchin, ein braves, arbeitsames und sonst auch resolutes Frauenzimmer, war vor einigen Abenden ziemlich spät mit Geschirr-Scheuern beschäftigt gewesen, und hatte noch vor Schlafengehen, um nicht gleich am frühen Morgen danach laufen zu müssen, eine Tracht Wasser aus dem im Hofe befindlichen Brunnen heraufholen wollen.

Mit ihren beiden gefüllten Kannen – so wörtlich erzählte sie es am nächsten Morgen ihrer Herrschaft – kam sie denn auch langsam die Treppe herauf und blieb auf dem ersten Absatz gerade der Thür gegenüber, an die sie in diesem Augenblicke nicht einmal dachte, zum Ausruhen stehen. Da plötzlich – das heilige Abendmahl wollte sie darauf nehmen, daß sie die Wahrheit rede – hörte sie Jemanden dicht neben sich, so recht aus tiefster Brust aufseufzen oder stöhnen. Sie sah sich rasch und erschreckt um; obgleich aber die Laterne, die gerade über ihr auf der Treppe hing, ein ziemlich helles Licht verbreitete, konnte sie weder nach oben noch nach unten etwas erkennen. Da fiel ihr die Thür ein. Während ihr ein kalter Schauder den Rücken herunter lief, griff sie ihre Wasserkannen auf, um so rasch als möglich die sichere Küche wieder zu erreichen. Da klopfte es auf einmal stark und wie ärgerlich inwendig gegen die Thür an, und eine leise Stimme rief ihren Namen, noch dazu ihren richtigen Namen, Susanna, denn mit dem Dienst im Hause hatte sie auch den, für Köchinnen dort erblichen »Rieke« überkommen.

Mehr wußte sie aber nicht zu sagen; denn die Kannen fallen lassen, daß sich das freigegebene Wasser in rascher Fluth treppab ergoß, die Stufen hinausstürzen und die Küchenthür hinter sich in's Schloß drücken und verriegeln, war das Werk eines Augenblicks gewesen. Selbst die oben an der Treppe vergessene Lampe wagte sie nicht wieder zu holen – sie mußte ausbrennen wo sie stand, und erst im Bette, unter der bis über den Kopf heraufgezogenen Decke, hatte sie es sich überlegt, ob sie um Hülfe schreien und die Hausbewohner wecken oder es riskiren solle, da auszuharren, wo sie sich gerade befand. Unter dem Ueberlegen war sie eingeschlafen.

Am nächsten Morgen erklärte die Köchin aber ihrer Herrschaft auf das Bestimmteste, Nachts oder überhaupt nach Dunkelwerden die Spuktreppe nicht wieder betreten zu wollen, und da sich das mit ihrer Arbeit natürlich nicht vereinigen ließ, kündigte ihr der überdies gereitzte Regierungs-Rath ohne Weiteres den Dienst. Solche stockdumme Dienstleute wollte er, wie er sich ausdrückte, überhaupt nicht in seinem Hause dulden.

Rieke – oder jetzt vielmehr wieder Susanna – war denn auch noch an demselben Nachmittage, vor Dunkelwerden, abgezogen, und der Regierungs-Rath schien selber in einer Sache um Rath verlegen zu sein, die ihm schon zu viel Aerger und Verdruß gemacht hatte und noch zu machen drohte. Er konnte sie nicht gleichgültig vorübergehen lassen.

»Ich weiß bei Gott nicht was ich am Ende thun soll,« sagte er, indem er, die Hände auf dem Rücken zusammengefaßt, mit schnellen, ungeduldigen Schritten im Zimmer auf- und abging und endlich vor seiner, an ihrem Nähtische stickenden Frau stehen blieb, – Marie lehnte, noch etwas leidend, in der einen Ecke des Sopha's und blätterte in einem Bilderbuche. – »Wenn ich nicht noch immer die Hoffnung hätte, das alte Gebäude käuflich an mich zu bringen und dadurch meinen Platz hier um das Doppelte zu verwerthen, verkaufte ich wahrhaftig mein eigenes Haus und zöge in eine andere Straße, um nur nicht mehr den Wahnsinn mit anhören zu müssen.«

»Wenn man die Thür nur könnte fest und dick vermauern lassen,« erwiderte die Frau, »dann wäre dem ganzen Aberglauben gleich der Boden unter den Füßen fortgezogen.«

»Ich kann ja den Rath nicht dazu bringen,« rief der Regierungs-Rath in bittrem Unmuthe, »und hab' ich nicht einmal selbst schon einen halben Verweis bekommen, als ich es nur auf eigene Hand versuchen wollte, die alte, verwünschte Thür aufzubrechen? Weil man in früherer Zeit übersehen hatte, diesen unglückseligen Aus- oder Eingang ebenfalls zu versiegeln, mögen sie jetzt nicht daran rühren, um unangenehme Erörterungen zu vermeiden, und wünschen das Eisenblech als identisch mit der Mauer zu betrachten.«

»Dann bleibt uns doch am Ende nichts Anderes übrig, als auswendig eine Wand dagegen zu setzen,« sagte die Frau.

»Und was wird dann mit der Treppe?« brummte ihr Gatte. »Du weißt, daß wir unser Instrument kaum jetzt heraufgebracht haben, und stellen wir noch eine einzige Ziegeldicke dazwischen, so sind wir ganz fertig. Das einzig Mögliche wäre, diesen Theil der Treppe vollkommen zu verbauen und von der andern Seite des Vorsaales bis zu dem zweiten Absatze andere Stufen hinaufzuführen. Baulich ließe sich das machen, aber ich muß ja nachher wahrhaftig fürchten, daß ich der ganzen Stadt zum Gespötte werde und mein Haus den Namen eines Spukhauses bekommt. – Es fehlt jetzt schon nicht viel daran. Wenn der alte Major oben in der zweiten Etage nicht lauter männliche Bedienung hätte, wär' er auch schon lange ausgezogen. – Hast Du Dich schon nach einer anderen Köchin umgesehen?«

»Die Schwester will mir noch heute ein gutes, gerade freies Mädchen herüberschicken,« sagte seine Frau seufzend. »Lieber Gott! wenn es Einem nicht wirklich so schwer ankäme, die alten liebgewonnenen Räume zu verlassen, ich wollte gleich sagen: laß uns das Haus lieber heute als morgen verkaufen. Diese kleinlichen Unannehmlichkeiten reiben zuletzt den stärksten Menschen auf. Und dabei immer wieder dieselben Albernheiten; es ist ordentlich, als ob es Eine der Anderen sagte. Ein Glück nur, daß Rieke abgezogen ist, ehe das neue Mädchen eintrifft; wenn es die auch nachher erfährt, bekommt sie die unsinnige Geschichte doch nicht von dem albernen Geschöpfe selbst erzählt. – Es wäre doch am Ende besser, Hechner, Du ließest die andere Treppe einrichten. Die Leute reden allerdings kurze Zeit darüber, das ist wahr, aber bekommen es auch zuletzt satt, und wenn das mit dem Weglaufen der Dienstboten so fortgeht, macht es noch weit mehr Aufsehen, als eine bloße Veränderung der Baulichkeit.«

»Nein,« sagte der Regierungsrath, plötzlich stehen bleibend und seinen auf dem Instrumente liegenden Hut aufgreifend, »nein, ich weiß, was ich thue: der Rath darf mir meine Bitte, die Thür vermauern zu lassen, nicht länger abschlagen. Wenn er es aber doch thut, wenn er mich rücksichtslos dieser Unbequemlichkeit aussetzen will, nur um den einmal früher gemachten Fehler nicht einzugestehen, dann bin ich ihm auch keine weiteren Rücksichten schuldig. Dann erkläre ich ihm gerade heraus, daß diese unversiegelte eiserne Thür nun einmal keine Wand ist, sie mögen's drehen, wie sie wollen, und daß ich mich nicht länger dem Gerüchte aussetzen mag, von meinem Hause aus einen möglichen Eingang in das versiegelte Nachbargebäude zu haben. Ich bin mir das auch selber schuldig,« setzte er, sich mehr und mehr in den Gedanken hineinarbeitend, hinzu; »denn wenn nachher da drüben vielleicht gar das Inventarium nicht richtig befunden würde, käme natürlich auf mein Haus der Verdacht eines Mißbrauchs zuerst. Die Leute glauben von ihren Nebenmenschen ja doch immer am liebsten das Schlechteste. Der Rath mag mir einen Rathsdiener mit herschicken, oder selber eine Deputation wählen, und in deren Beisein soll der Eingang unter jeder Bedingung vermauert werden. Ich habe das Gerede satt, und endlich muß einmal mit dem Treppen-Scandal Ruhe werden.«

Er verließ rasch das Zimmer, und Marie lehnte sich auf ihr Kissen zurück und schloß die Augen, um das Gehörte ungestört von äußeren Eindrücken überdenken zu können.

Die Mutter blieb noch eine lange Zeit schweigend und ihren Gedanken nachhängend bei ihrer Arbeit sitzen, endlich sah sie nach dem auf dem Sopha lehnenden Kinde hinüber und sagte leise:

»Schläft Du, Marie?«

»Nein, Mama – ich dachte an das alte Haus« sagte Marie fast unwillkürlich, und erschrak ordentlich, als sie das Wort gesprochen.

Die Mutter schüttelte mit dem Kopfe und sagte halb lachend, halb verdrießlich:

»Was hast du mit dem alten Hause zu thun? Du fürchtest Dich doch nicht etwa auch davor?«

»Nein, Mama.«

Es entstand eine Pause. Die Mutter nahm ihre Nadel wieder auf und stickte weiter; endlich murmelte sie halblaut vor sich hin, und mehr mit sich selber, als zu der Tochter redend:

»Der alte Herr Quetzlinberger hätte auch etwas Gescheidteres thun können, als ohne ordentliches Testament zu sterben. Zeit hatte er doch wahrhaftig genug gehabt sein Leben lang.«

»Wer ist der Herr Quetzlinberger, Mama?« fragte Marie.

»Der Herr Quetzlinberger? nun, der letzte Besitzer des Hauses, nach dessen Tode es eben verschlossen und versiegelt wurde. Jetzt können sich die Erben noch, wer weiß wie lange! darum streiten, und ihr Geld darauf verprocessiren.«

»Hast Du ihn gekannt, Mama?«

»Den Herrn Quetzlinberger? nein, mein Kind,« lachte die Mutter, »der ist gestorben, ehe ich geboren wurde; aber Deine Großmama hat ihn noch gekannt. – Wir wohnten damals gerade gegenüber in dem gelben Hause mit den hohen Fenstern, wo Postrath Meiers jetzt wohnen. Mutter hat uns oft und viel von ihm erzählt.«

»Ich möchte auch so gern etwas von ihm hören, Mama.«

»Lieber Himmel! das ist jetzt so lange her,« sagte die Mutter, »daß ich mich nur noch auf sehr wenig zu erinnern weiß. Nur das schwebt mir noch vor, daß Herr Quetzlinberger ein kleines, wunderliches, vertrocknetes Männchen gewesen sein soll, das ganze Tage lang in einem gelbseidenen Schlafrocke mit grellrothen Aufschlägen in seinem Erker da drüben gesessen und in einem großen Buche mit gelben Beschlägen gelesen habe. Dann und wann, erzählte Mutter, hätte er aber auch aus dem Fenster gesehen und den unten Vorübergehenden zur Kurzweil Gesichter geschnitten.«

»Und hat Herr Quetzlinberger ganz allein in dem alten Hause gewohnt?« fragte Marie leise, »ist Niemand weiter bei ihm gewesen, der ihn pflegte, als er krank wurde, und bei ihm blieb, als er starb?«

»Oh, doch wohl,« sagte die Mutter, – »eine Haushälterin besorgte Alles, was er brauchte, kochte sein Essen und wusch und scheuerte, und soll das alte Haus inwendig sehr blank und reinlich gehalten haben. Wie aber der Besitzer starb, war die alte Frau auch spurlos verschwunden, und obgleich man sie im Verdacht hatte, daß sie mit Geld und Geldeswerth durchgegangen sei, konnte sie doch nirgendsmehr aufgefunden werden.«

»Und war Niemand weiter bei den beiden Leuten?« fragte Marie nach einer längeren Pause, in der sie sich ordentlich Muth sammelte zu der neuen Frage.

»Darüber gingen ebenfalls wunderliche Gerüchte,« sagte die Mutter. »Es war ein Knabe in der Wohnung des alten Herrn Quetzlinger gesehen worden, sollte aber einen Tag vor dessen Tode mit der Wirthschafterin davon gefahren sein. Ueberhaupt erzählten damals die Leute wohl eine Menge Geschichten; denn wo sich irgend Jemand von ihnen zurückzieht, und gar etwas geheim hält, sind sie gleich mit eigener Auslegung und Erklärung da. So viel war gewiß, die alte Wirthschafterin blieb verschwunden, und man weiß wohl bis auf den heutigen Tag noch nicht, was aus ihr geworden.«

Marie hatte bei Erwähnung des Knaben leise und langsam mit dem Köpfchen genickt, als ob sie das auch wisse und Alles ganz in der Ordnung sei. Sie erwiderte aber kein Wort und schloß nur, wie vorher, die Augen. Die Mutter arbeitete indessen weiter und glaubte, daß die Tochter eingeschlafen sei.



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