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13. Kapitel. Sonntagnachmittags-Ausgehetage.

»Lene, pscht, pscht!« – – »Was is 'n los?« – – »Jehste morgen wech?« – – »Ja!« – – »Wo machste hin, wieder bei deine Freundin?« – – »Nee!«

Lene machte ein Zeichen mit der Hand nach dem Treppenflur und drückte den Fensterflügel leise gegen den Rahmen. Ihre »Frau« trat in die Küche. – Emilie verstand den Wink und begab sich wieder an den Spülschrank, um das Kaffeegeschirr zu reinigen. Mit »jener ihrer,« also mit der Kanzleirätin, war nicht gut Kirschen essen; da war »ihre« denn doch weit angenehmer! Lenes »Frau« kroch mit den »Fingern« in die Winkel, wischte die Leisten entlang und kam dann mit einem Donnerwetter in die Küche, wenn sie Staub gefunden. In jeden Kochtopf guckte die »olle Schreckschraube« – – – nein, soviel wußte Emilie, bei »der« von drei Treppen hätte sie es nicht vierzehn Tage ausgehalten! Ein Abendbrot aus zwei dicken Schnitten Brot, vier durchsichtigen Wurstscheiben auf unsichtbarer Butter, nee, das war nichts für ihrer Mutter jüngste Tochter. Sie bewunderte die Kollegin. – – – Doch ja, was wollte sie denn? Lene war eine »Schlesingerin« und kam aus der Provinz. Von ihr konnte man großstädtische Manieren noch nicht verlangen! Sie würde noch lernen! –

Emilie trocknete während dieser Erwägungen die Tassen aus. Da war ihre Herrschaft doch anders! Er war den Tag über im Geschäft und verbrachte die Abende mit seinen Geschäftsfreunden in den Restaurants, im Kegelklub, bei der Skatpartie, im Turnverein! Die dumme Gans ließ sich das gefallen. Sie, die Emilie, wäre so'nem außerhausigem Gatten 'mal energisch auf die Bude gerückt. Na, des Menschen Wille ist sein Himmelreich! – – – Die Madame lag den ganzen Tag auf dem Sofa und las Leihbibliotheksromane. Abends kam der junge Schriftsteller, futterte mit ihr ganz gehörig Abendbrot und trank des Herrn Weine aus. Und dann quatschten die Beiden lauter unverständliche Sachen von Dichten und Leben nach dem Tode und freier Liebe! Als ob Liebe nicht immer frei wäre, so'n Quatsch! Sie wollte sehen, wer ihr verbieten konnte, den Friedrich Punschek, den Glasergesellen, zu lieben! – – Aber die Frau und ihr Freund hatten bei ihren Gesprächen stets glühend rote Backen und solche schummrig schwimmenden Augen. Zwischen den beiden »verdrehten Koppen« entspann sich was. Das merkte 'n Blinder!

Ihr sollte es recht sein. Die Wirtschaft war ihr ganz überlassen. Sie fragte die Frau nur noch zum Scheine, was sie kochen und einholen solle. Mit den Schmuhgroschen und den ihr heimlich vom Herrn zugesteckten »Fünfzigpfennigern« und Markstücken stand sie sich ganz gut. Von Überarbeiten war keine Rede; denn die alte Aufräumefrau, die seit fünfzehn Jahren jeden Sonnabend kam, scheuerte für ihr Leben gern. Die putzte die ganzen vier Zimmer spiegelblank. Und das hielt denn den Rest der Zeit, bis die olle Hexe wiederkam, vor. Sie brauchte nur ein bißchen mit Besen und Pinsel über die Sachen fahren. –

Emilie war wie ihre Herrin eine Leseratte. Jeder bedruckte Fetzen Papier fiel ihr zum Opfer. Alle Bücher, die ins Haus kamen, las sie mit. Nach und nach entwickelte sich daher in ihrem Kopfe ein gelindes Chaos. Gerade jetzt war sie in ein so interessantes Buch vertieft. Da heiratete ein Graf sein Dienstmädchen, das heißt die Köchin, welche im Schlosse seiner Mutter diente. Er ließ sie ausbilden und kaufte ihr die schönsten Kleider, und zuletzt mußte er die Uniform ausziehen und ging mit ihr nach Amerika. Gott, war das schön! – – – Wenn ihr doch einmal so etwas passierte! Aber wo sollte sie Barone und Grafen kennen lernen? Die kamen in ihre Kreise nicht! Und aus Berlin fort – deswegen aufs Land ziehen? – – Dazu war die Geschichte zu unsicher! – – Aber für einen vornehmen Mann würde sie den »dämlichen« Friedrich mit seinen »roten Poten« und dem »mottenzerfressenen Schnurrbart« sofort laufen lassen! Solange man aber die Taube auf dem Dache nicht ergriffen hat, darf man den Spatz nicht aus der Hand lassen. So klug war sie und hielt den hoffnungsvollen Glaser in ihrem Banne. Wer weiß, was noch kommen konnte?

Hastig stellte sie die Tassen in den Schrank, hängte die Handtücher an den Riegel und nahm die blaue Küchenschürze ab. So, nun war sie für einige Stunden fertig! Emilie holte ihr Strickzeug und den Roman vom Hängeboden, schob die Lampe zurecht und wollte sich gerade in ihre spannende Lektüre versenken. Da klirrte etwas gegen die Scheiben. Sie fuhr erschreckt zusammen und öffnete das Fenster. Es war Lene, die jetzt unbewacht war: »Biste frei?« – rief sie leise. – »Ick – – ob nich?« – »Meinen ›Drachen‹ habe ich steigen lassen, die is nu in ihrem Nähverein von de Mission, und kommt vor sieben nich' wieder. Komm doch 'n bissel in de Waschkiche. Tollens waschen, un' Marta und Minna sind unten! Willste?« – –

Emilie zögerte. Aber die Schwatzlust trug den Sieg über die Lesewut davon. Sie warf den schwarzen Tuchkragen um, wechselte die »Latschen« gegen »lederne Schuhchen« und stieg in den Waschkeller hinab. Ein dicker Wrasen, der Geruch von feuchter heißer Wäsche, scharfer Seifenlauge und Dampf mischte sich in dem Raum. In dem Steinherd unter dem riesigen Kessel knisterte ein helles Kohlenfeuer. Das Wasser brodelte in dem Gefäß, so daß die Wäscheteile in Form von dicken Leinenblasen an die Oberfläche getrieben wurden. An dem großen Faß stand die dicke Frau Humaier, seifte die schmutzigen Stücke ein und nibbelte sie kraftvoll gegen das Wellblechbrett. Minna, das Tollensche Hausmädchen, saß leicht auf dem Spülbecken und schob die triefenden Wäschestücke in die Wringmaschine. Marta drehte sie durch und warf sie in ein zweites Faß mit leicht gebläutem Wasser, in welchem durch den Krahn ein leichter Zufluß und durch ein Rohr im Boden gleichzeitig starker Abfluß war. –

»'n Abend, Kinder, na, wie jeht's? Seid'r hibsch fleißig?« – rief Emilie laut, denn die drei Wäscherinnen waren auch nicht gerade stumm bei ihrem Thun. Die Eintretende riß die Augen auf, um die Anwesenden zu erkennen, denn ein dichter Dampfnebel hüllte die Gruppen ein. Minna stieß mit einem Holze gegen eine Klappe am Fenster. Kalte Luft drang ein. Der Rauch zog ab, und der Dunst lichtete sich. »Na, wa machens halweje! Für die Drecklumpen reißen wa uns keen Been aus!« entgegnete sie. – »Ick wer' mir hiten!« – meinte Marta. – »Ick hab' noch 'n Pfindeken Soda beijeschmissen! Wozu wechseln se bei uns so often die Wäsche? Das is wieder een Haufe, man wird jarnich fertich! Es wird und wird nich' alle! Setzen Se sich da uff die Banke, Emilie! Wischen Se aber erscht ab, sonst wird Ihre Sitzjelegenheit naß, und Se kriejen Zahnreißen drin!« – –

Alle lachten. Die Neugekommene wischte wirklich das Bänkchen trocken und nahm Platz. Gleich darauf trat Lene mit einem freundlichen »Guten Abend« ein und setzte sich zu ihr. »Reichen Se 'mal det Endeken Teppich, Minna, es is hier verdeibelt kalt uff den Steinboden« – rief Emilie. – »Und wenn's zieht, kriejt mein Hihnerauge 'n Jerstenkorn. Det wär doch uff'n Sonntag nischt!« – – »Na, da jehste doch nich' ausgeschnitten!« – erwiderte Lene vergnügt. – »Des nich! Aber ick hab ma neue Stiebel jekooft, un' die drücken denn mächtig! Ick bin aber nich for Drickeberjers injenommen!«

»Kinder, mir kaffert's! Kriejen wa heut nischt Warmes in Leib?« – brummte die Humaier und spritzte die Hände ab, sie dann an ihrer Schürze trocknend, mit deren Zipfel sie gleich das Gesicht abwischte und Nase putzte. »Na, man nich so happich, Humaiersche, hier können keene Kaffern Familjen kochen!« – meinte Emilie. Minna schrie: »Klappe zu, et zieht!« und stieß die Ventilationseinrichtung wieder zu. Marta aber eilte an den Herd, wo eine riesige Bunzlauer Kaffeekanne in einem Topf mit kochendem Wasser warm erhalten wurde. Sechs dick geschmierte Schrippen lagen in einem Korb, dessen Deckel sie zurückschlug.

»So, sind Se nu zufrieden? Das langt for uns alle, und jeder kann sogar zwee Teppchen trinken. Ick hab heut Fettlebe jemacht und de Spendierhosen anjezogen, das heißt, uff meene Olle ihre Kosten! Des seh ick doch nich' ein, wozu wir schwachen Kaffee inpumpen sollen! Nee, so hab'n wa nich' jewett'! Zwee Lot von besten à zwee zwanzig das Pfund und zwee Theelöffel voll Lorbeers Feijenkaffe bei. Det jeht durch Mark un' Pfennige!

Emilje und Lene, Se sind zum Kaffekränzchen feierlichst jeladen!« – Marta machte vor ihren Gästen eine Verbeugung und eine einladende Handbewegung. Diese nahmen dankend an. »Vor de freundliche Aufforderung muß man sich rewandjieren!« – versetzte Emilie. »Ja, Lene, du hast die jingsten Beene. Spring mal bei'n Bäcker 'rum un' hole fünf Sechsermelonen. De weeßt doch, was des is?« – – »Na, ich bin doch nich aus Dummsdorf?« – gegenfragte diese. Sie ergriff das hingehaltene Geld und verschwand. Nach einigen Minuten stürzte sie atemlos mit einer Tüte wieder herbei.

Die anderen hatten sich bereits gemütlich im Kreise niedergelassen. Die Waschfrau auf einem Schemel, und die beiden Tollenschen Mädchen auf einem umgestürzten, leeren Waschfaß. Sie tranken den heißen Kaffee und hatten für Lene ein Wasserglas mit dem braunen Getränk gefüllt. Ein Milchtopf und Zuckerschale standen auf ihrem Platz, damit sie sich selbst weiter versorgte. – Wie gemütlich das war in dem heißfeuchten Keller! Die Gespräche kamen förmlich von selbst. Jeder schlürfte und pustete das warme Labsal, biß in die bereitgehaltene Semmel und hatte die Kuchenmelone als bestes Stück noch bis zuletzt im Schoße liegen.

»Haben Sie morjen Ausjehtag, Minna?« – »Nee, Marta is am dransten! Ick hab mich meinen Karl und meine Freundin zu mir jebeten. Unse Herrschaft is ausjeladen. Karl kann so scheen Klavier spielen. Da will er uns wat zum Besten jeben. Er hat bloß Angst, deß det auf'n Flijel nich' so klappt. An so 'n jroßes Biest is er nich jewehnt. Sein Meister hat bloß 'ne Drahtkommode. Der Lümmel spielt allens nachs Jehör un' wie, an den is en Künstler verloren jejangen!« – Emilie interessierte sich für Minnas Erzählung nicht. Sie wandte sich an die Köchin: »Wo jehen Se hin?«

»Ich bin zu een musekalschen Abend aufjefordert un' will mit mein Feldwebel hin. Was meene Freundin ihr Mann is, der is ins Komtö von den Jesang-Vaein: ›Stumme Jule‹. Der hat alle Winter in Pankow een Tanzkränzchen mit Musike und Kaffepause. 's soll sehr nett sin'! Sehr! Lauter feine Leute, und jescherbelt wird mit son Aweck, bis een der Angstschweiß aus de Poren kommt. Ein Herr spielt morjen Piston, habt Ihr des schon 'mal jehört?« – »Nee, wie is des denn?« – »Ich weeß och nich! Aber Mandoline kenn ich und Ziehharmonika. Des wird och von einije Mitglieder jespielt. Schade, ich hab in meine Kommode oben 's Programm. Des könnt ich sonst zeigen Des heißt, all un' jeder kommt da nich bei, 's muß schon was Besseres sein!«

Marta zierte sich ordentlich bei diesen Worten und sprach mit scharfer Betonung: »Na, un' Sie kommen mit Ihrn Schatz rein? Schade, des Se ein nich mitnehmen könn'!« – bedauerte Emilie. – »Wenn er nich' in Uniform käme, jinge es och nich; aber 's Milletär stellt doch imma was vor, dem bleibt keene Thür vaschlossen!«

»Das stimmt! Früher jing ich och mit einem von de Maikäber, da hätten Se aber sehen sollen, wie de Kellner vor den katzenbuckelten!« – warf Minna ein.

»Nanu?« rief die Humaier – »Se hatten woll 'n Klaps? Da hab'n Se een meckrigen, kleenen Schneider for so'n stattlichten Mann jenommen. Ihren Karl kann ja ein handfester Trompeter mit 'n ersten Schneddereteng uff'n Mond blasen!« – Die anderen lachten. Aber bei Minna schien eine wunde Stelle berührt. Sie wurde blaß und entgegnete giftig: »Na, Frau Humaier, Sie sollten doch man still sein nach Ihre Erfahrungen mit den windigen Kellner. 'ne, Jeschiedene von ein Mann, der seine Branntweinpulle mehr jeliebt als seine Frau, kann nich mitreden! Und mein Karl hat sein jutes Brod bei sein Meister. Gerson wollt'n schon lange fest als Zwischenmeister haben, so jeschickt is der Mann! – De Kleinheit thut's nich'! Der is treu wie Jold und liebt mir! Ich weiß schonst, woderdrum ich mit dem Unteroffzier brach! – – p! – –«

»Weswejen denn?« fragte Seite neugierig.

»Denken Se sich, den haben, als wa einstens zu Schramm nach Wilmersdorf scherbeln wollten, drei Mechen auf eenmal uffjelauert! Die hätt'n bald vatobakt, weil er mit se alle drei getechtelt-mechtelt hat. So'n Schandkerl! Nee, ick schlug mir dunnemals buschwärts in de Seite un' war froh, wie ich wech war! Mit's Milletär wieder zu jehen, kricht mir keen lebendiger Mensch mehr!« – »Hab'n Se recht!« – bestätigte Emilie. – »Eher noch mit 'n Offzier selber, als mit 'n Unterjebenen. Bei de Reichen hat man doch imma wenichstens noch de Hoffnung auf Alimente!« – »Na, Ihn piept's och!« – entrüstete sich die Waschfrau – »Wenn Se jleich mit so'ne Gedanken an de Männer ranjehen, könn Se 's weitbringen. Dann wer'n Se 'n Kaiser bald Soldaten schaffen! Nee, uff sowas sollt 'n anständjet Mechen janich kommen!« – »Na, Sie, thun sich man nich so dicke, Frau Humaier, 's besser, man is klug un' weeß ins Leben Bescheid. Denn fallt man och nich rin! Ich hab's jetzt wieder in meine Bicher jelesen. Mir kann keener blauen Dunst vormachen!« – »Woso?« – »Nee, ich möcht raus aus unse Kreise! Wenn 'ch nur wüßte wie! Unse Männer sind doch nischt Feines un' könn' ein' mit ihre paar Kröten och keen richtjes Verjnüjen machen. Ich hab ma schonst oft jedacht, wenn ich for meinen vorläufijen Friedrich Punscheck was Vornehmes kriegte. Ich ließ 'n laufen! Man hört un' liest doch jenug, man hat nur keene Jelegenheit, was Nettes kennen zu lern' – –«

»Se sind 'ne olle Qualmtute!« – sagte die Humaier kurz und begab sich wieder an ihre Arbeit. Die andern plauderten ungestört weiter. »Dann müssen Se nach Halensee oder Wilmersdorf!« – riet Minna. – »Dort verkehren de feinsten Herrn, Offziere in Civil, Studenten, Konfektion, allens!« – »Ach wat! Das is's ja eben! Ich kenn' mich ja nich aus hier! Solang Mutta lebte, war ich immer bei de olle Frau und hatt' keen Verhältnis nich. Mit Friedrich bin ich ewig bei de Stettiner Sänger hin. Jott ja, man lacht sich ja och über die Leute ihre Witze scheckig un' sing' thun se prachtvoll. Aba nu hockt man imma an de Tische un' wird von den Tabaksqualm wie een Bickling einjeräuchert, und denn trinkt man seine paar Jlas Bier und ißt seine Stullen zu. Fertig is de Laube. Des is 's ja! So'n einfacher Mann weß des nich!«

»Ach Unsinn, des is man Blech. Wenn wir nich' bei de ›Stumme Jule‹ jehen, wie morjen,« – warf Marta ein – »Dann waren wa im Zirkus ober jingen in Schwarzen Adler, in Lindenpark oder in de Viktoria-Brauerei schwofen. Wa haben uns imma amsiert!« – »Wir och! Mein Karl is in ein Theatervaein und seine Schwester in Witwenvaein. Da waren wa vorchten Winter oft. Im Sommer machen wa nach außerhalb, wo Milletärkonzert und tüchtig geschremmelt wird. Dann fahrn wa Boot un' Dampfer un' essen warm Abendbrot. Jott, er hat's ja dazu!« – sagte Minna wieder. – – »Ich dummes Luder hab mir immer in Familien rumjetrieben, als ich aus meine Heimat kam« – versetzte Laura nun. – »Aber nun bin ich schlauer! Man kommt in de Jahre, wo man nach Herrenbekanntschaften sehn muß. Ich will auch janich so hoch hinaus wie Emilje und bin mit 'n eenfachen Jriebsch zufrieden, wenn 'r man bloß for mir berappt un' ein heiraten will.« – »Kinder, ick lach mer 'n Ast und jrien 'n an!« – schrie Marta – »Hert doch man bloß, wie die Nulpe berlinern will un nich kann!« – »Wat brillen Se denn so, Mechen!« – ärgerte sich Frau Humaier – »Se machen eenen Radau! Wissen Se, ick hab ma mächtig vaschrocken!« – »Dann wickeln Se sich Ihre Nerven in Watte, und jeben Se se ins Klinik!« – erwiderte die Gescholtene ärgerlich.

»Morjen jeh ich mit meine Freundin, die in deselbe Lage is, zu de Vorstellung ins Passage-Panoptikum. Zu zweien is es anständig. Da kann man och eher anknüpfen! Wenn die da oben uff de Biehne rumzappeln, lacht man sich an, un' dann redt man 'n paar Worte, un' dann jeht es weiter. Guste versteht sich auf den Rummel!« – »Ich danke, wo de Passaje in de Friedrichstraße liegt!« – meinte die Waschfrau warnend. – »Se wer'n sich da 'n paar nette Ludwiche uffjrabschen!« – »Na, wa sind doch nich aus Hinterpommern!« – entgegnete das Mädchen verächtlich und mit den Achseln zuckend.

Emilie hatte inzwischen nachdenklich zu Boden gesehen. Jetzt sprang sie auf: »Kinder, denken Se nich', deß es jetzt zu kalt is for Halensee?« – »I wo denn: Bei des schöne Wetter! Och in Rixdorf jiebts scheene Lokäler. Se wissen doch: Uff den Sonntag freu ick mir, ei, da jeht et raus zu ihr – Immer mit verjniejten Sinn, Pferdebus nach Rixdorf hin!« – rief Minna lachend und wiegte sich in den Hüften. »Verkehren da seine Leute?« – »Des wenjer; aber unsereins!« – »Nee, denn mach ich nach Halensee. Ich denk nur, es is zu kalt von wejen Natur – –«

»Quatsch, bei Josty uf 'n Potsdamerplatz sitzen de Leute noch abends in Freien!« – sagte die Humaier. – »Ich fuhr jestern oben aufs Omnebus vorbei!« – – »Denn wird's woll noch jehen!« – meinte Emilie erleichtert. – »Sowas muß sich, wie bei mir ins Buch, noch vor 'n richtigen Winter entspinnen. Denn is man ausjesorgt! Soville weeß ick!« – vollendete sie triumphierend. – »Mein Friedrich Punscheck wird morjen vasetzt! 'ck sag 'n einfach: er soll alleene bei seine Mutta machen. Wa kriejen Besuch, ick komm nich' ab! – – – Und ick zieh Leine nach Ha-Ha-Ha-Ha-Halensee! Hurra!« –

»Nanu is ek aba jenug mit be Gequatsche! Nu macht, det 'r an de Arbeet kommt, Mechens, oder woll'n wa pattu den lieben Jott de Zeit wechstehlen?« – schrie die Humaier, der es zu viel wurde, entrüstet. In ihrem empörten Ton lag etwas so Zwingendes, daß die beiden Tollenschen Mädchen sich sofort zur Arbeit bereit machten. »Herrje, beißen Se man nich, jnächtiche Frau, Se machen ja een ordentlich bullenbeißriges Jesichte! – Wa jehen schonst! Ich wollt so noch den ersten Band von 'n Roman auslesen, sonst tauscht meine Olle morjen wieder de Bücher um, un' ick sitz da!« – entgegnete Emilie. Sie nahm wieder den kleinen schwarzen Umhang um und verabschiedete sich von Minna und Marta. Lene that das Gleiche. Mit kurzem Gruße und bösen Blicken gingen sie an der Waschfrau vorbei. Schon hinter der Thür hörten sie diese laut und lachend sagen:

»Jott sei Dank, det wa de beeden schnapprigen Mechens endlich los sind. De haben de reene Lippenkollera! So wat! De Emilie sind ihre Bücher och 'n Kopp jestiejen. De wird noch mechtig rinfallen mit ihr dämlichet nach Obenraus. Was 'n echter Kaferliehr is, der läßt sich doch mit sone Person nich in!« – – – »Na, die olle Schrulle wüt' sich man bloß, det wa ihr nich for unse Wäsche nehmen!« – sagte die Beredete höhnisch. – –

Abends zwischen neun und zehn Uhr drückten sich auf der andern Straßenseite, so recht im Dunkeln der Häuser, wo die Laternen am entferntesten, und die Schatten am tiefsten, verschiedene Pärchen. – Da ging die große Minna mit ihrem kleinen Schneider, der den Arm um ihre Taille gelegt! – Da wandelte Emilie dicht umschlungen mit Friedrich Punschek! – In einem dunklen Hausflur küßte der hübsche Feldwebel laut und vernehmlich seine Marta! Und Hand in Hand schwatzte ein viertes Liebespaar am Rande eines Vorgartens! – – Einige Minuten vor der zehnten Stunde, die den Hausschluß durch gestrenge Portiers mit sich bringt, nahmen die Liebenden Abschied voneinander. –

Der Glaser hastete zuerst seiner Schlafstelle in der Dennewitzstraße zu. Emilie wartete in der Nähe des Thores auf die andern. Ein Mädchen aus dem Nebenhause, die dicke Emmy, wurde als zweite von ihrem Freunde freigegeben. Sie stand einige Sekunden neben der Kollegin, die sie aus der Markthalle und von den Kaufleuten her kannte. – »Es is jemein!« – sagte sie ärgerlich. – »Mein Franz is Diener bei 'n reichen Junggesellen von de Börse. Un' nu ladt sich der verflixte Kerl zu morjen seine Freunde und zwei Theatermädels ein, un' meiner kann nich' ab. Da sitz ick nu da mit mein' freien Sonntagnachmittag und meine finf Sinne un' kann Jrillen fang'n!« – »Da wer ich Sie 'n Vorschlag machen, Emmy!« meinte Emilie leise. – »Machen Se sich sehr fein 'un komm' Se mit mich nach Halensee! Ich hab meinen zu morjen vasetzt! Man will doch 'mal sein alleiniges Pläsiervagnügen haben, nich' wa – –?« – – »Des is 'ne famose Idee, Emilie, ich bin dabei! Machen wa! Mal sehen, ob wa uns nich' mehr amsieren als mit de anjestammten Verhältnisse!« –

Die beiden Verschworenen hätten ihren Plan noch des längeren und breiteren ausgesponnen, wenn nicht der Pförtner des Hauses mit dem gewichtigen Schlüssel erschienen wäre. »Na, nu macht, daß ihr in de Klappe kommt, Kinderchen! Morgen kennt 'r weiter kakeln! 's Zeit zun Schlafen!« – rief er lachend und machte allem ein Ende. – – –

Am Sonntag herrschte wundervolles Spätherbstwetter und lachender Sonnenschein. Emilie und Emmy trabten nach dem Nollendorfplatz und erkämpften einen Platz auf der Elektrischen. Ganz Berlin schien nach dem Grunewald zu wollen! – Droschken, Equipagen, Kremser, andere aufgetakelte Fuhrwerke, Radfahrerkolonnen und Fußgänger strebten in hellen Haufen und bester Laune dem gleichen Ziel zu! – Unsere beiden Freundinnen saßen in dem Wagen und schauten sich erwartungsvoll um. Sie hatten sorgfältig Toilette gemacht und kamen sich vollkommen ebenbürtig und elegant vor. – Emilie trug ein schwarzes Crepekleid mit hellrosaseidenem Einsatz, dazu ein modefarbenes Jackett, einen riesigen weichen Florentiner Hut mit weißen Federn und schwarzen Sammetschleifen. Ihre Hände steckten in prallen, hellgelben Lederhandschuhen mit zwei Knöpfen, die nur mühsam über dem Handgelenk zugezwängt waren. – – – Heimlich beaugte sie ihre Gefährtin und rümpfte ein wenig die Nase. »Nee« – dachte sie – »die Emmy sieht bei ihrer Dicke doch recht gewehnlich aus. Und for ihren Anzug fehlt sie eben der richt'je Schick!« – Emmy machte mit ihrem dunkelblauen Cheviotrock, der hellblauen Alpaccabluse mit der steifgestärkten Spitzenkrause um den fetten Hals, dem silbernen Gürtel um die eingeschnürte Taille wirklich keinen hinreißenden Eindruck. – Obendrein balancierte ihr kleiner Matrosenhut recht verwegen über dem dicken, blauroten Gesichte mit dem glatten Scheitel. Die weißwollenen Handschuhe, das dunkelrote Cape vervollständigten die Toilette, an der das Schönste entschieden die knallgelben Halbstiefel an den plumpen Füßen waren! –

Das Restaurant war sehr voll. In dem Musiktempel schmetterte eine Militärkapelle ihre elektrisierenden Weisen. Das Publikum hatte noch alle Plätze im Freien besetzt und befand sich, nach dem fröhlichen Schwatzen und Lachen zu urteilen, in bester Stimmung. Die neuen Freundinnen erspähten dicht bei dem Eingang zum Tanzsaal noch einen freien Tisch. Sie setzten sich und bestellten zwei Tassen Kaffee. – Emilie blickte in die Runde: »Wissen Se was, Emmy, wir beede nehmen uns doch unter all den Fabrik- und Jeschäftsplebs noch sehr jut aus! Man hält uns entschieden for 'was Besseres! Sehen Se doch bloß die blaßschnäbligen, aufgetakelten Frauenzimmer an! Een gebildeter Mensch fühlt sofort den Unterschied raus, was 'n anständijes Mädchen mit ungestörter Nachtruhe, und was 'n Ladentischspringer mit 'n ständijen Hausschlüssel in de Tasche is!« – – »Warraftig, Emilje, Se haben Blick for de Sache!« – – »Nu ob nich! Wa Berliner lassen uns nich an de Zunge ziepen. Ick kenn mir aus!« – entgegnete die andere stolz. – »Aber mich kommt 'ne Idee. Wozu brauchen wa jeden Menschen unter de Nase reiben, daß wa in Stellung sind? – – – Ick sag entschieden, daß ich 'ne verkrachte Jeheimratstochter oder derowejen Jouvanante bei 'ne reiche Judenfamilie bin! Natierlich, berlinern dirfen wa denn nich', sondern müssen hochdeutsch reden. – – – Ich kann des! – – – Ich – – – von meine Romane her!«

»Se sind wirklich jescheidt! Sagen Se 'mal, was soll ich denn sind?« – fragte Emmy. Emilie blickte sie aufmerksam an. – »Nehmen Se es nich' übel, aber für was Jugendschindriges sehen Se zu jesund aus! Also seien Se doch 'ne Witwe von irjend was Feines. Witwe is erstens immer schneidig, weil man eher mit – – – 'ne Lippe riskieren kann! Und dann haben Se entschieden so 'was Jediejenes wie 'ne Wittfrau!« – – »Jut; aber was war denn mein Seljer?« sann Emmy angestrengt nach. Auch Emilie überlegte! »Vielleicht Bäcker!« – – »Oach nee, Se sind jut, des is zu wenig!« – zürnte die Angeredete.

»Na, – – – wissen Se, Emmy, Fremdwörter imponier'n de meiste Leute! Sagen wa doch, Ihr Jatte war Koifföhr un 'n verkrachter poln'scher Jraf. Des is bei die oft so in Polen. Erst auf ›hohen Rossen‹ und denn, durch de Brust jeschossen‹!« – – – »Au feste, des is jut; aber wie heiß ick nu?« – – »Vor allem sprechen Sie hochdeutsch wie ich, von diese Minute ab. Nun wie denn also: na – – – Frau von – – – Ku – – –« – – »Ach nee – – nein, nich Kuh, des klingt so nach Stall un' Mist!« – – – »iwo denn – – – von Kulatschka! Des is ein richtiger polnischer Name. Ich war mal mit meine Herrschaft in ein Seebad, Kranz, da waren viele Ausländer. Daher weiß ich mit die fremden Namens eher Bescheid!«

»Mir is recht, also ich bin Frau Kiofföhr von Kulatschka!« – wiederholte Emmy selig mehrere Male und gab sich gleich ihrer Kollegin viele Mühe mit dem Hochdeutschen. Emilie hatte sie bei einem »ick« scharf angesehen und »ich«! verbessert. – – »Wenn nur ee – – einer anbeißen thäte!« sagte sie. »Man seht uns hier gar nich'!« – – »Erst abwarten und denn Thee trinken!« – erwiderte Emilie. – »Also meine Schüler Kohns wohnen in dasselbe Haus, wo Sie wohnen und Pensionäre haben, Frau von Kulatschka!«– –

Beide lachten nun doch. Sie gaben sich aber selbst unter sich Mühe, die Komödie aufrecht zu erhalten. So ging es denn: »Frau von Kulatschka« und »Fräulein Ziersch« herüber und hinüber. –

Drei junge Leute führten jetzt ihre Fahrräder in den für diesen Zweck bestimmten Aufbewahrungsort. Sie legten Sicherheitsketten mit amerikanischen Schlössern durch die Speichen, um trotz der empfangenen Nummern die Velocipede vor Diebstahl zu bewahren. – Darauf traten sie vor den Tanzsaal; aber die Gesichter dem Garten zugewandt und spähten in das Gewühl. »Mensch, habe ich dich dazu mit schweren Kosten Referendar werden lassen, daß du dein Herz, diese schillernde Perle, so nolens volens vor die Säue wirfst?« – sagte der eine. »Ihr habt gut reden!« – erwiderte der Angesprochene nervös und fuhr mit dem Taschentuch über das vom Radeln erhitzte Gesicht. – »Ihr habt ein Vergnügen davon, wenn ihr einen Abend mit Schneidermamsells oder Dienstboten vertanzt und ihnen dann auf immer Lebewohl sagt. Ich bin nun einmal anders veranlagt. Ich habe die kleine Else lieb, seit meinem ersten Semester in Berlin stehe ich zu ihr in Beziehung – – –«

»Am Ende bleibst du wie so viele an dieser kleinen Feuerwehrmannstochter hängen und heiratest sie. Dann addio: alte Lebensgewohnheiten! – – Nichts ist gefährlicher als Verhältnisse mit diesen sogenannten kleinen Mädchen, wenn sie durch Jahre andauern. Gewöhnung, Mitleid, Sympathie, alles vereinigt sich, und man bleibt kleben!« – – »Ja, lieber Max, kein Mensch kann seinem Schicksal, und das ist mir Else, entgehen!« – antwortete der Referendar seufzend. – »Das ist einfach lachhaft, Willi!« – mischte sich jetzt der Dritte ein. – »Dazu haben wir Energie mitbekommen! Schwing dich auf und mach der Sache ein Ende! Schon um der Krabbe willen, die an deiner Seite auch ein deplaciertes Leben haben wird! Denn das gestehst du mir doch zu, daß Ehen auf solchen Grundlagen nie glücklich werden können?« – –

»Warum nicht? Lächerlich! Ich werde in irgend einem Nest Amtsrichter, heirate meine Else und führe ein stilles, glückliches Dasein! Im übrigen wißt Ihr beide doch, daß an dieser Sache nichts zu ändern ist! Ich bin bereits mit meiner Ehre engagiert!« – – »Donnerwetter!« – entfuhr es dem ersten, einem jungen Maler: Max Sorben. Er blickte den Freund mitleidig an. – »Wenn du solche Angelegenheiten, die sich mit Geld gut machen lassen, so tragisch nimmst, dann ist dir allerdings nicht zu helfen! In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne!« – fügte er hinzu. – – »Adieu, Kinder, da kommt sie mit ihrer Mutter!« – rief der Referendar Willi Schönbecker verstimmt. – »Wartet nicht auf mich!«

Er schwang flüchtig seine Radlermütze und schritt den Ankommenden entgegen. Das blasse liebliche Gesichtchen der niedlichen Else erstrahlte bei seinem Anblick im Sonnenglanz des hellsten Glückes. Er begrüßte die Frauen, reichte der Geliebten den Arm und führte sie durch die Massen zu einem entfernten Tische. – Stumm hatte ihm Max Sorben und Hans Leithold nachgeschaut. Dann blickten sie sich an und lächelten. »Unsinn!« – meinte der Maler. – »Wozu brauchen wir uns durch seine Dummheit die Laune nehmen zu lassen? Wem nicht zu raten ist, ist nicht zu helfen!« – – »Gewiß lassen wir ihn laufen, Max! Ich habe die größte Lust, heute eine verrückte Kiste mit Schiebedeckel loszulassen, so 'ne rechte wilde Zicke!« – – »Glückspilz, der Monat ist zu Ende, hast du noch Geld?« – – »Ich bin der reine Bleichröder. Dieser harte und dafür auch letzte Thaler muß für heute reichen! Tauchen wir in die niedrigen Gefilde der Seligen, wo eine Wurst mit Kartoffelsalat und ein baumwollenes Seidel Helles das Höchste der Gefühle ist!« – – »Ich bin in ähnlicher Lage wie du!« – erwiderte Leithold lachend. – »Nur besitze ich noch fünf Märker. Eine schenke ich dir, denn du mußt doch ein Tanzabonnement nehmen oder hast du Lust, für jedesmal rum einen Groschen zu hinterlegen? Dabei kommst du schlecht weg!« – – »Danke, du großmütiger Referendar! Man sieht doch sofort, was die Jurisprudenz einbringt!« – antwortete der hübsche Sorben und nahm ruhig das Geld. Sie lebten meist aus gemeinsamem Beutel. – »Nun suchen wir uns unsere ›Rippenstücke‹ aus!« –

Wieder blickten sie nach rechts und links. – »Du!« – – »Au, was ist los!« – – »Da müssen wir uns ranmachen. Sieh bloß diese aufgegangene Pastete in der hellblauen Blouse mit dem dummen Nudelgesicht. Neben ihr – – – da, Hans! – – – sitzt eine verzierte Rieke in schwarz! Sie kokettieren fortwährend hierher. Ach! Hans, ich lach mir 'n Ast!« – – »Die Hand, die Samstag den Besen führt, wird Sonntags dich am besten karessieren! – sagt Goethe.« – – »Komm, Mensch, ich hab' ne gottvolle Idee! Schnell, ehe andere uns die beiden nehmen. Die Zicke beginnt!« – – Sorben zog Leithold am Arme fort bis zu dem Tisch, wo die beiden Verschworenen saßen. Der Maler verbeugte sich tief vor den errötenden Mädchen: »Die Damen gestatten? Sind die Stühle frei?« – – »Aber gewiß doch, bitte sehr!« – sagte Emilie geziert. Ihr Herz klopfte. – Mit unheimlicher Gewandtheit brachte Sorben, ein Gespräch in Gang. Eine ganze Weile plauderte man hin und her über Wetter und Halensee, Menschen und Berlin.

Plötzlich sprang Sorben auf: »Die Damen wollen gütigst gestatten, daß wir uns vorstellen!« – sagte er verbindlich, dem Freunde einen Fußtritt versetzend, – »dies ist mein Vetter Graf Goethe, ein Sohn des berühmten Dichters. Mein Name, ist: Baron Cooks von de Gasanstalt« – Leithold biß sich auf die Lippen und verneigte sich tief, damit man sein verlachtes Gesicht nicht sehen sollte. Emilie puffte Emmy. – Emmy kniff Emilie. Beide machten große Augen. Nun erhob sich die letztere ihrerseits, knixte und meinte: »Sehr angenehm, meine Herren! Dies ist meine Freundin, Frau von Kulatschka, einem polnischen Grafen seine Wittfrau. Ich bin leider nur eine einfache Gouvernante und heiße Ziersch. Emilie Ziersch. Mein lieber toter Papa ist Geheimrat ins – – – ins – – – Kriegsministerium gewesen!« –

Leitholt prustete, dunkelrot vor verhaltenem Gelächter, jetzt doch los. »Sehen Sie nur, diese komischen Erscheinungen!« – stieß er hervor und wies auf einen gänzlich harmlosen Gemeinen in Uniform, der seinen Schatz am Arm führte. Die Mädchen schauten sehr erstaunt auf die Herankommenden, bei denen sie absolut nichts Lächerliches fanden. Aber da doch die vornehmen Adligen lachten, fühlten sie sich verpflichtet, das gleiche zu thun und wieherten vor unbekannter Wonne. Als sie sich beruhigten, begann Emilie mit ihrer Bildung zu protzen: »Also Sie sind ein Sohn des berühmten Dichters, Herr Graf?« – fragte sie hoch atmend. – »Ist das der Herr, wo in Marmor in die Königgrätzerstraße steht, bei den Tiergarten in die Nähe?« – – »Ja, dort steht der liebe Alte!« – rief der junge Goethe gleich. »Man setzte ihm das Denkmal, als er damals für den Wallenstein den Schillerpreis von Bismarck überreicht bekam!«

– – »O, wie interessant!« sagte die Ziersch. – »Des kann ich morgen gleich meine Schülerinnen erzählen. Wir lesen viel von Ihren Herrn Papa in die Schulstunden!« – – »Darf ich fragen, welches Werk das letzte war?« – interessierte sich der liebende Sohn. – Emilie war verzweifelt. Sie hatte neulich etwas vom »Veilchenfresser« gehört, den ihre Herrschaft im Theater angesehen. Darum stieß sie tapfer hervor: »Nun eben den Wallenstein und den Veilchenfresser! – – – Ihr Herr Papa dichtet wirklich famos! Man ist imma ganz hin!« – Um abzulenken, fuhr sie schnell fort. – »Arbeiten Sie auch in die Dichtkunst, Herr Graf!« – – »Ein wenig!« – lächelte dieser. – »Die hohe Dichterschule, den Weihenstephan in Weimar, habe ich bereits absolviert. Vor einigen Wochen wurde im königlichen Schauspielhause mein erstes Stück: ›Hamlet‹ mit großem Erfolge aufgeführt!« – – »Ach, da war meine Frau auch!« – schrie Emilie selig. – »Frau Kohn war ganz begeistert und sprach noch nächsten Mittag fortwährend von Hamlet. So was! So was! Nein, das ist ja eine hohe Ehre, mit solchen großen Leuten zusammenzukommen!« – – »O bitte!« – wehrte Leithold bescheiden ab und rückte beiseite, Sorben trat ihm fast den Fuß ab.

»Was sind Sie eigentlich, Herr Baron!« – fragte Emmy jetzt eifersüchtig über die Größe von Emiliens Partner. »Ich kann mich mit meinem Vetter allerdings nicht messen, was Berühmtheit anbetrifft, verehrte Gräfin von Kuhlatsch! Ich bin nur ein simpler Leutnant des ersten Pleitegarderegiments der Indiafasergarnison seiner Majestät des Fürsten von Bulgarien, abgeordnet zum Suitedienst der Nasenfutteralschoner-Bewahrer seiner Majestät. Einen Posten, den die Barone Cooks von de Gasanstalt seit der Erfindung der Rhinocer-Kryptogam mit höchster Ehr ausgefüllt haben!

Er rasselte diese Erklärung in rasendster Geschwindigkeit herunter und überwältigte die Zuhörerinnen gänzlich. Trotzdem fühlte sich Emmy über die Verunstaltung ihres polnischen Namens etwa beunruhigt, wagte aber nichts zu entgegnen. »Haben Sie keine Uneform, Herr Baron?« – meinte Emilie. – »O gewiß, aber ich ziehe Civil vor, weil die blitzenden Orden und die fremdländische Uniform Aufsehen machen würden. Bedenken Sie, daß wir inkognito in geheimer Mission hier sind!« – – Emilie war ganz verwirrt: »Was wollen Sie denn in Berlin?« – fragte sie ratlos. – »O, eigentlich ist das Geheimsache! Aber Damen wie Ihnen kann man es schon anvertrauen!« – entgegnete der Baron. – »Ich soll versuchen, für meinen Fürsten ein Taschentuch in Waschseide aufzutreiben, das groß genug ist für sein Forum gurkanum! – Ferner suche ich mir unter den Töchtern Deutschlands eine Gemahlin. Da ich aber nicht vom Glanz geblendet sein will, noch selbst blenden mit meinem Range, so sind Graf Goethe und ich mitten ins Volk gedrungen und kamen hierher!«

»Sie sprechen aber für einen Ausländer deutsch, Herr Baron!« – wagte Emmy zu sagen, in der Angst, daß auch dieses »hohe Tier« zu Emilien übergehen könnte. – »Aber ich bitte Sie, meine beste Gräfin Kuhlatsch, ich bin ja mit den deutschen Höfen verwandt! Erste Seitenflügellinie rechter Hand, zweiter Aufstieg!« – – Leithold konnte nicht mehr stillsitzen. Er hatte genug und war schon fast krank von dem ewigen, verkniffenen Gelächter. Innerlich bewunderte er Sorben, der ganz ernst und unerschüttert schien. – – »Ich höre des Flügels lockende Weisen erklingen!« – sagte er hastig. – »Auch wird es kühl, und man kann sich erkälten! Wollen wir nicht lieber etwas in den Saal gehen und tanzen?« –

»O ja, gern!« – entgegnete die selige Emilie. »Jewiß doch, Herr Baron!« – meinte Emmy und reichte Sorben die dicke Hand, welche er unter den Arm zog.

»Das ist eine herrliche Idee, Graf!« – versicherte der lose Schelm. – »Aber wir wollen doch den Kaffee bezahlen!« – – »O derowegen keine Sorge!« – bat Emilie. – »Die Kellner sind hier frech genug, sich von alleinsitzende Damens sofort zahlen zu lassen. Man ist zu Herren hier viel netter!« – – »Das ist bedauerlich!« – entgegnete Goethe-Leithold und bot ihr den Arm. Die beiden Paare schritten in den Saal. –

Da es kühl wurde und erheblich dunkelte, leerte sich das Restaurant sehr. Die Nachmittagsausflügler fuhren in die Stadt zurück. Was dablieb, begab sich in die geschlossenen Restaurationsräume oder in den Tanzsaal. Es waren nur »tanzwütige Verhältnisse.« – – Leithold und Sorben ließen ihre Damen die Garderobe abgeben und nahmen bei dem Tanzmeister ein Abendabonnement à eine Mark. Ein Walzer war gerade fertig getanzt. Der Maitre wanderte mit dem Teller zu den einzelnen Herren und empfing den landesüblichen Groschen. Bei verschiedenen Pärchen zahlte auch die begüterte weibliche Hälfte, welchem Thun die betreffende männliche ruhig zuschaute. – Wie manche schwitzten und fächelten mit den Taschentüchern die glühenden roten Gesichter! – Die Hauskapelle, ein verhungert dreinschauender Klavierspieler, stand neben dem Flügel und labte sich an einer Käsestulle und einem Glase Bier, beides hatte irgend ein verschwenderisch veranlagter Gast spendiert. –

Leithold und Sorben eroberten eine Ecke und ließen für sich und die Damen Bier kommen. Die Mädchen zierten sich erst, tranken dann aber schwatzend und mit durstigen Zügen. Sie fühlten sich durch ihre vornehmen Bekanntschaften erhoben und glücklich wie im Paradiese. Und wie diese Adligen tanzten! Nein, das war unbeschreiblich! Als eine Polka gespielt wurde, da flogen sie Brust an Brust geschmiegt, durch den Saal! Leider forderten der Graf und der Baron auch andere Damen auf. Herr und Vater, man konnte das auch nicht anders verlangen! Schließlich kehrten sie doch immer zu ihnen zurück. Und es fanden sich auch fremde Tänzer für sie, die auf ihre adligen Eroberungen wartenden Damen. –

Ein Walzer war abgetanzt: »Sie tanzen göttlich, gnädigste Gräfin Kuhlatsch!« – flüsterte Sorben schmachtend. – »So etwas giebt es am bulgarischen Hofe nicht. Diese merkwürdige Art der Kniezermalmung, dieses marmorähnliche gewichtige Aufstützen, es ist noch nicht dagewesen! Ich sage Dir, Goethe, unberufen, das ganze Kapitol samt der Venus! Ich ruhe nicht eher, bei dem nächsten Walzer engagierst du die Gräfin, und ich bitte das gnädige Fräulein!« Er verneigte sich vor Emilie. – Leithold lachte und drohte ihm, sich abwendend. Emmy fühlte doch, daß hinter dieser feurigen Schmeichelei ein verborgener, ihr unverständlicher Hohn lag: »Des ist aber doch nicht nett von den Herrn Baron, daß Sie sich über mir lustig machen!« – sagte sie vorwurfsvoll. – »Aber ich bitte Sie, Gräfin, da muß ich Cooks entschieden in Schutz nehmen. Gerade die ›von de Gasanstalt‹ haben etwas so Lichtvolles, Erwärmendes, denen liegt jede Verdunkelung fern!« – verteidigte der junge Goethe. Und nun war es Sorben, der ins Taschentuch biß, als habe er einen Krampf.

»Finden Sie es nicht auch sehr heiß in den Saal?« – meinte Emilie, mit dem Zaunpfahl winkend. Das sah sie denn doch nicht ein, so reiche Leute konnten blechen. – – »Die Zunge hängt ein' fast aus 'n Hals!« – – »Gewiß, gnädiges Fräulein. Sie müssen durchaus etwas trinken. Befehlen Sie Selter oder Bier?« rief Sorben schnell. »Wenn Sie so gut sein wollen – – – Bier!« – entgegnete sie hold lächelnd. Er bestellte wieder zwei helle. Leithold that das gleiche.

»Diese Weiber haben einen einnehmenden Zug zwischen Nase und Kinn!« – flüsterte Max leise Willi zu. – »Garderobe, drei Seidel Bier schon für jede, das macht beinah 'ne Mark. Nun bedenke, daß wir auch noch leben wollen, und was die zum Abendbrot vertilgen werden!« – – »Laß mich nur machen!« – war die tröstliche Antwort. –

Man tanzte, tanzte, tanzte! –

Der heiße Saal, der Dunst, Tabak und Bier, die Begeisterung für ihre vornehmen Tänzer und die vielen Drehungen brachten bei den beiden Mädchen eine fast bacchantische Stimmung hervor. Die Schranken der Ziererei und Verstellung fielen. Immer urwüchsiger und berlinischer wurde ihre Art. Von »Gräfin« und »Gouvernante« blieb nur noch wenig übrig. Schließlich waren sie die ersten, welche die Herren streichelten und küßten. Die beiden Freunde amüsierten sich wie die Götter! – – Plötzlich rief Emmy: »Nee, Jungekens, nu is aberst jenug jeschwoft. Nu macht mal de Portmonnexe uff, und spendiert 'n Happenpappen. Ick hab 'ne menschliche Riehrung um 'n Magen un for was seid Ihr Jrafens un Barons?!« – – »Die Gräfin hat recht!« – bestätigte Sorben-Cooks. – »Auch ich habe Appetit! – Man hat mir bei Hofe soviel von Bockwurst mit Salat erzählt! Das soll ja göttlich schmecken! Also essen wir diese Ambrosia! Kellner, vier Bockwürste mit Salat!« – –

Die Mädchen waren etwas enttäuscht. Diese Speise war für sie nichts neues. Sie genossen fast allsonntäglich das gleiche. Aber ihre »Schätze« spendeten diese Gerichte aus Mangel an Kasse. – »Ihre Adligen« dagegen aus Mangel an Kenntnis! Das imponierte ihnen doch und versöhnte sie! –

Das Verlangte wurde gebracht, bezahlt und verzehrt. Die Laune war auf dem Höhpunkt. Begeistert ging man wieder an die »Scherbelei«. Ungefähr eine Stunde verging. Da rief Sorben seinen Freund Leithold einen Augenblick auf die Seite. – »Eil dich, Referendarius, hetzen wir in die Garderobe, schwingen wir uns auf unsere Stahlrosse und auf und davon!« – – »Warum?« – – »Schnell, frag nicht! Die Kuhlatsch muß einmal austreten und die Ziersch begleitet sie. Die Minuten sind kostbar, sonst ist es zu spät! Die Pastete hat nämlich eben erklärt, daß sie bereits wieder Hunger hat. Und dieser zweiten menschlichen Rührung hält meine Kasse nicht mehr stand. Ich habe nur noch zwanzig Pfennige!« – – »Laßt uns fliehen!« – jubelte nun auch der andere. – »Denn die Ziersch sah auch bereits wieder so verfressen aus!«

Die beiden: »Graf Goethe und Baron Cooks von de Gasanstalt« flohen wirklich und sausten wirklich auf ihren Rädern nach Berlin zurück durch die dunkle Nacht!

Emmy und Emilie kamen zurück. Sie suchten den Saal ab, sie fragten jeden Menschen nach ihren Freunden. – – – Vergebens, der Erdboden schien sie verschlungen zu haben. Dann forschten sie in den Garderoben. Und nun dämmerte in ihnen die Wahrheit auf! Erst schimpften sie wie die Rohrspatzen, dann trauerten sie wie zwei verlassene Ariadnen. Zuletzt fuhren sie gedrückt und verstimmt heimwärts!

Über diesen Sonntagnachmittags-Ausgehtag thaten beide stets sehr geheimnisvoll und schwiegen sich darüber aus! Sie hatten denn doch wohl gemerkt, daß man sich mit ihnen einen kleinen Scherz erlaubt hatte! Aber jede gestand sich innerlich zu: »Schön war es doch! Schade, daß der Traum nicht zur Wahrheit wurde!«


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