Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Kapitel. Der »schöne Thiele«.

Wer kennt im Südwesten der Stadt Berlin den »schönen Thiele« nicht? – Die Dienstmädchen in der ganzen Gegend dort kennen ihn genau! Und die meisten unter ihnen können ein leises Herzklopfen nicht unterdrücken, wenn der Name genannt wird! Noch dazu hört dieser schöne Mann auf den sanften Namen »Heinrich«. Und »Heinrich« ist so ganz dazu geeignet, mit schmelzender Stimme und Augenaufschlag ausgesprochen zu werden! –

»Heinrich Thiele. – – – Kolonial- und Delikateßwaren – Butter und Getränke.« – Wer hat den geräumigen Laden in dem neuen Eckhause noch nicht gesehen, über dem dieses schwarze Riesenschild mit den goldgelben Buchstaben prangt? In der Mitte, über dem Eingang der Name, rechts und links von diesem das übrige. Und auf den weißen Blechtafeln, die die Thürpfeiler decken, stehen in schwarz die Verzeichnisse aller sonstigen Herrlichkeiten, die man bei Thiele und seinen drei Commis erstehen kann. Auf dem Pult vor der amerikanischen Patentkasse sitzt ein vierter Jüngling! Ist es da zu verwundern, wenn der Zulauf ein so bedeutender ist? Fünf heiratsfähige Männer in einem Geschäft, und was für hübsche! Natürlich kann sich keiner mit dem Chef selbst messen, denn der ist nicht nur ansehnlich; sondern einfach schön! –

Nebenbei hatte der Schlauberger eine Verkaufsstelle der Berliner Stadtpost, eine Vertretung einer Möbelspeditionsfirma und stets für seine Kunden Postwertzeichen, einen Adreßkalender und ein Telephon in Bereitschaft. Abgesehen von seinem liebenswürdigen Wesen, seinen schmachtenden Augen und der blitzenden Sauberkeit seines eleganten Ladens verteilte Herr Thiele an seine getreuesten Freundinnen ab und zu Seifen, kleine Flaschen mit Parfüm und Konfekt! – Welche Hausfrau darf es ihrem Mädchen übelnehmen, wenn sie Waren bekommt, die etwas teurer und um einige Schattierungen schlechter sind, als bei den andern Verkäufern in der Gegend? Alle Ermahnungen und Gegenbefehle helfen ja doch nichts! Gekauft wird doch nur bei Thiele, der die Nachteile des Einkaufs durch die Vorteile seiner Zugaben, seiner Schönheit und seiner Heiratsfähigkeit überbrückt! –

Wie Herr Heinrich Thiele seinen enormen Zulauf durch lange Jahre aufrecht erhielt, und wie er schließlich von Sonntag auf Montag zum »verzierten Ekel« und »abgesetzten König« wurde, das will ich hier erzählen. Ich weiß es von Fräulein Lotte Bach, und die hörte es aus verschiedensten, wahrheitsgetreuen Quellen. –

Thiele lehnte an seiner geöffneten Thür und spähte in wohlberechneter Pose auf die Straße. Es war noch früh am Morgen, und »seine« Zeit noch nicht gekommen. Aus dem gegenüberliegenden Hause traten, einträchtig untergefaßt, die »schwarze Berta« vom Major und Guste von der reichen Rentiere aus der ersten Etage. Sie blieben, Korb und Töpfe in der Hand, stehen und schauten die Straße entlang, um den Milchwagen von Bolle zu erwarten, der ungefähr zwanzig Häuser weiter hielt. – »Sehen Sie nur, Berta, wie der Thiele herüberlächelt. Das muß ihm doch der Neid lassen, daß er ein schöner Kerl is!« –

»Ach was« – entgegnete Guste; aber ihre Worte kamen nicht vom Herzen, sondern wurden ihr vom Verstande eingegeben – »mir kann er mit Filzparisern den Buckel langrutschen! Sie sind alle hinter ihm her. Da bildet sich so'n Kerl wunder was ein. Mich kann der noch lange nich imponieren. Ich hab's auch meinem am Sonntag gesagt!«

Berta lächelte mit leichter Ironie. Sie wußte ganz genau, daß ihre Kollegin »ihrem« sicher gern den Laufpaß gegeben hätte, wenn Thiele nur mit dem Finger gewinkt haben würde. Jedoch unterdrückte sie ihren Spott und fragte nur: »Was is Ihr Schatz eijentlich?« – – »Na, so gut wie der da drüben steht er nich in de Welt; aber er is auch nich zu verachten. Er is bei de Eisenbahn, an Askanschen Platz!« – – »Nanu, dann is er ja was Solides und zu schade für 'n Sonntagsverhältnis!« – – »Na, nu hört die Weltgeschichte auf, Berta! Was stellen Sie sich denn vor? Ich jeh doch ins dritte Jahr mit 'n, und wir sind doch 'ne feste Sache! Ich bin ein anständiges Mädchen und Eigentümerstochter!« – – »Herrje, Gusteken, rejen Se sich man nich auf. Ich wollte Ihnen nich beleidigen!« – begütigte Berta und klopfte die andere auf den Arm. – »Wenn Se schon so lange jehen, dann wer'n Se woll auch bald heiraten?«

»Ja, er drängt schon lange nach seine Ruhe und will, daß das Gezoddle aufhört; aber ich hab meine Jründe, es nich zu übereilen. Erst mach ich noch mal bei Vatern runter und hole mir meine Betten und Wäsche, die hat Mutter, und was meine älteste Schwester is, längst fertig. Dann warte ich och erst meinen Weihnachten ab. Den wer' ich der Ollen doch nich schenken. Sie is 'ne noble Natur, und was ich an Trinkgelder und Geschenke noch mitnehmen kann? Nich wa – –?« – – »Natürlich, dumm wären Se, wenn Se 's nich thäten! Also nobel is Ihre alte Hexe? Na, ansehen thut man sie 's nich!« – – »Trotzdem stecht was drin!« – beteuerte Guste. – »Ich habe immer den Prinzip jehabt, daß ich nur bei 'ne alleinstehende Dame zuzieh! Die hat immer Respekt vor unsereins und fürcht', daß man ihr schlecht behandelt oder gar abmurksen könnte. Un wenn man 's 'n Bisken versteht, immer so thut als ob, und dabei die Strippe nach und nach fester anzieht, dann jeht's janz jut! Sehen Se mal meine Olle an, was war das früher for'n Satan! Allens hat se sich allein einjeholt, und mits Essen wars och nich weit her. Als ich anzog, sollt ich nich bei Thielen kaufen, un nich bei Güterer in'n Jrünkram, und die Semmeln mußt' ich, wer weiß wie weit, herholen! Jetzten is des allens anderst; aber janz nach und nach hat se parieren jelernt. Man muß es eben mit so 'n ollet Wurm verstehen!« – –

»Ach was!« – rief Berta erstaunt und anerkennend. – »Vertrauen Se mich mal, wie Se des anjestellt haben?« – – »Erst hab ich mir in allens schweijend jefücht, bis sie kirre war un ihre verheiratete Kinder immer von mir vorjeschwärmt hat. Nach und nach, wie ich das hinter die Thüre jehört, habe ich die Zigel in de Hand jenommen. War se brummig, bums, war ichs och! Hat se unser Mittagbrot zu knapp bestellt, hab ich ihr an ihre Altersschwäche erinnert und se mit was Jutem überrascht. Hat se jewettert, jabs schlechte Happenpappens zu futtern! Wenn se krank war, hab ich ihr jut jepflecht, und dabei sanfteken mit meine Privatwünsche vertraut jemacht. Dann hab ich ihr erzählt, wie oft alte Damens von ihre Dienstmädchen ermordet werden, kurz, ich hab ihr klein jekriegt! – Ich kaufe un koche, was mir paßt! Die Rennereien zu de Skatpartien haben ufjehört, und bei ›uns‹ wird die Sache bis zehn Uhr jemacht. Dann hab ich wenchstens mein Trinkgeld! – Expres jeh ich bei Thiele, wenn se ans Fenster sitzt, und sie is still und mukscht innerlich. Nach außen? Ich würde ihr! Nee, ich bin zufrieden!« – –

»Ja, bei 'ne Alleinstehende kann man das woll!« – meinte die andere sinnend. – »Aber mit unsern Herrn Major is nich zu fackeln. Der hat jestern wieder Johann de Bucksen um de Ohren jesaust, daß der Staub aus des Beinkleid strömte. Na, un unsere Frau, die hat auch so 'n militärischen Anstrich wech, da kann man nich ville mucksen. Schon, daß se einem so impertnent duzen! Un das ewije Anjekloppe an de Thüren! Und jeden Bissen zujezählt, bei 'ne verschlossene Speisekammer. Den janzen Tag is man auf 'n Drapp! Ich wär längst wech, wenn nich der nette Bursche wär, un de villen Leutnants ins Haus kämen.«

»Berta, Sie sind ein Schaf, un man merkt, daß Sie vom Lande sind! 'ne Berlinsche würde des nich erzählen, un auf den Kalmus nicht pipen! – Wissen Se denn nich, warum alle Mädchen von Major wechmachen mußten?« – Sie flüsterte der Zuhörerin etwas ins Ohr. – Diese kreischte auf: »Ach, wat Se sagen, des is ja scheißlich!« – – »Ja, in Berlin is des nu mal so. Sehen Se sich vor! Aber wo 'n Bursche ins Haus is un Militär verkehrt, is da so Mode! Das heißt, ich will nischt jesagt haben und mich die Schn – –, Se wissen doch, nicht verbrennen!« – – »Na aber, ich danke Ihnen vor den Wink, Guste, un an ersten kündje ich! Bah, 'ne Herrschaft findt man alle Tage, dafor is hier keine Sorge nich! Die kriechen uns jetzt nach!« – sagt die Mietsfrau.« – – »Un ob nich! An jute Medchen is immer Mangel!« – Sie trat einige Schritte vor. – »Da kommt der Bolle endlich! Na, Männeken, Sie müssen woll erst die Kühe zu Ihre Milch erfinden. Des dauert ja heute scheußlich!« – Mit dem Witz trat sie an den Wagen und reichte dem Bolleschen Verkäufer in seiner blauen Bluse den Milchtopf hin.

»Na, Fräulein Annchen, wollen Sie mich heute beehren?« – fragte Thiele und schritt mit einer tiefen Verbeugung hinter dem eintretenden Hausmädchen von Frau Baronin in den Laden. Das niedliche Ding wurde glühend rot. Er hatte nämlich sanft über ihre Wange streifend, die Hand zu ihrem Haar erhoben und ein Flöckchen daraus entfernt. »Nur etwas Watte, liebes Fräulein!« – meinte er beruhigend. – »Was darf es denn sein?« – – »Bitte, fünf Pfund Zucker vom besten, und drei Pfund Mehl! Ach noch ein Pfund Butter und ein halbes Sardellen!« – stotterte Annchen unter seinem Blicke verwirrt.

»Schönchen, schönchen, soll sofort besorgt werden. Karl, machen Sie der Dame alles zurecht, und packen Sie es in den Korb!« – Er blieb vor dem Mädchen in gefälliger Haltung stehen. – »Na, wie geht es Ihnen sonst, Fräulein Annchen! Ich habe so selten das Vergnügen, sonst besorgt Marta alles!« – – »Ja, gewiß! Aber die hat Zahnschmerzen.« – – »O, o!« – »Ja, der Barbier hat ihr einen gezogen, dreimal hat er angesetzt, ehe er'n raus hatte. Heute entdeckt sie, nach einer schrecklichen Nacht, daß noch ne halbe Wurzel drinsitzt!« – – »Tz, das ist ja schrecklich; wirklich, man muß nie bei die Barbiere gehen!« – sagte der Kaufmann bedauernd. Er zog seinen weichen Schnurrbart durch die Finger. – »Arme Marta! Nun, ich darf mich nicht beklagen. Des einen Unglück ist des andern Glück! Durch Martas Zahnschmerz sehe ich Sie doch einmal wieder!«

»Aber, Herr Thiele, ich hole doch so oft Marken!« – stammelte sie beglückt. – »Aber Sie sind immer eilig! Wie ist es denn mit einem Stückchen Schokolade?« – er hielt ihr eine Glasdose hin und holte ihr selbst ein Stück heraus, als sie sich zierte. – »Aber, Fräuleinchen, auf so ein Häppchen kommt es nicht an. Ich sehe Sie mit Ihren weißen Zähnen so gern knabbern! Wie steht's denn mit der Rosenseife?« – – – »Danke sehr, Herr Thiele, ich bin noch versehen!« – – »So, nun, dann später! Was ich sagen wollte, ach ja! Sie haben es immer so eilig, Fräulein Annchen, da hätten Sie nur vorhin die Berta und Auguste von drüben sehen sollen! Die wurden mit dem Schwatzen absolut nicht fertig!« – – »Ach die, p!« – meinte Anna. – »Nun ja, allerdings!« – sagte Thiele. – »Das sind, auch gewöhnigliche Mädchen für alles, und nicht von solcher Herkunft wie Sie!« – – »Es kann doch nich jeden sein Vater Stabstrompeter sind!« – – »Natürlich nicht, um Himmels willen, Fräulein, verraten Sie mich nicht; was ich Ihnen sage, sage ich auch keiner anderen!«

Annas Herz klopfte. Sie fühlte, er liebte sie! Wie oft er sie auszeichnete, und doch warum forderte er sie nie zum Ausgehen auf? Das war doch merkwürdig. Sie wollte doch wieder mal ihr Heil versuchen. »Wissen Sie, Herr Thiele, – begann sie daher schämig – Sonntags geh ich doch immer bei meine Freundin, die Frau Posthilfsbriefträger Schlotter. Die hat früher bei Majors gedient und kennt Ihnen! Wir amüsieren uns immer sehr dort. Ihr Mann, spielt Ziehharmonika. Ein Kollege bläst wundervoll Trompete, und was sein Vetter is, der hat sogar bei Quarg ins Orchester Geige gespielt. Der ist ein netter Mensch, man kommt aus Lachen gar nich' raus! Mich mag er sehr gern!« – – »So!« unterbrach Thiele mit schmerzlichem Gesicht. Anna erbebte förmlich: »Sie – – – sollten doch – – – mal mitkommen, Herr Thiele, die Schlotter würde sich so freuen!«

»Kindchen! – er nahm seufzend ihre kleine harte Hand – Wenns im Leben nach Wünschen ginge! Aber Sie wissen ja, ich bin immer gebunden! Meine Familie, meine gute, alte Mutter!« – – »Aber so ein guter Sohn braucht man doch nich' sein. Man is doch selbst Mensch!« – – »Schon richtig; aber – – – später, Fräulein Annchen, wir werden doch noch manches Stück Seife aufwaschen oder manches Pfundchen Schokolade von Thiele vertilgen?! Sie ziehen doch nicht?« – – »Nein, um – – –, wie kommen Sie darauf?« – – »Ach, ich frage nur. Sie wissen doch, liebe Menschen läßt man nicht gern fort! – – Was ich übrigens sagen wollte, Fräulein Annchen, warum bezieht Frau Baronin ihren Spiritus und Petroleum wo anders? Meine Ware ist doch prima!« – –

»Aber natürlich, Herr Thiele, da werk ich sie sofort beim Frisieren drum bitten. Sie schlägt es mich sicher nicht ab!« – – »Schönchen, ich wußte ja, daß Sie für mich sorgen. Sagen Sie doch der gnädigen Frau, ich hätte vorzüglichen holländischen Kakao bekommen, wenn sie mal was davon braucht! Guten Morgen, Annchen!«

Karl hatte ihr das Körbchen über den Arm gehängt. Thiele klopfte sie auf die Schulter und machte eine tiefe Verbeugung. Ehe sie sich's versah, war sie auf die Straße hinauskomplimentiert. Nachdenklich schritt sie weiter. Die alte Christiane, die schon fünfundzwanzig Jahre bei der Familie Berch diente, und die ganze Gegend wie ihre eigene Tasche kannte, kam ihr entgegen.

»Morgen, Christiane, na, wo kommen Sie her?« – – »'n Tag, Anna, ich hab meinen Jungen (dies war der zweite Sohn des Hauses, ein Oberprimaner) zur Pferdebahn begleitet. Sonst steigt er vorn rauf, der leichtsinnige Bengel, und kriegt den Husten. – – »Sagen Sie mal, Christiane, wie lange ist der Thiele schon in das Geschäft?« »Warten Sie, das sind – – – drei – – – nee, vor vier Jahren verkrachte der Buttler in der Bude. Da kam der schöne Heinrich, kaufte den Kram und eine neue feine Ladeneinrichtung. Und der wird reich, denken Sie an mich!« – – »Kennen Sie eigentlich seine Familie?« – – »Nee, die wohnt im Norden, und kein Mensch kennt sie, da is was Geheimnisvolles drum rum. Er spricht immer von seine alte, kranke Mutter! Schutzmann Wolfer hat 'n mal im Theater mit sone hübsche, junge Frau gesehen. Da hat er gesagt, es wär' seine Schwägerin, von seinem Bruder die Frau!« – – »Warum der woll nich' heiratet?« – – »Der wäre dumm! Die halbe Kundschaft ginge dann weg, wenn er unvernünftig wär' und sich an son Weibsbild anhängte!« – – »Mein Jott, er is doch auch nur een Mensch und kann nich für sein Herz!« – verteidigte ihn Anna. – Christiane lachte: »Nee, Kind, der Thiele is 'n Windhund und macht mit alle schene Klapperaugen. Selbst mit mir ollen verhutzelten Scharteke. Lassen Se sich von den nichts vormachen, und komm' Se nich auf dumme Gedanken!« – – »Ich, na, da kenn Sie Aujusten schlecht, nee, ich bin 'ne kalte Mamsel! – lachte die Gewarnte etwas gewaltsam. – Nu muß ich aber rauf und meine Baronin ihre falschen Locken anstecken und pudern. Sonst kommt ihr jeliebter Jeijenspieler und findet sie in ihre unjewaschne Morjenschönheit. Da würde ihm die Sache doch etwas brennstrig werden. Und er ihr nich mehr für seine schöne Egerja, oder irgend son Quatschwort bezeichnen. So hat er sie nemlich neulich immer jerufen, als er sie aus Versehen in 'n Arm hatte und ich im Speisezimmer daneben des Frühstück aufstellte!« – – Anna hatte geschickt von sich abgelenkt. »Ja, ihre Baronin is ein toller Flick! Wie ein ausgeputzter Pfau sieht se immer aus, aber hat doch 'n gutes Gesicht! – – »Gewiß, ein Engel aus der Holzkammer! Aber nee, ich will nich undankbar sein, se is wirklich gut!« –

»Adieu, Anneken, stecken Se ihr man nich aus Versehen das falsche Gebiß an den Kopp und de Locken in 'n Mund! Hahaha!«

»Nee, ich werd mich hüten! Haha! Morgen, Christiane!« – Anna verabschiedete sich in rosigster Stimmung. Die alte Jungfer hielt sie nur aus Neid von dem Kaufmanne zurück. So ein armes olles Wurm konnte sich »Frühlingsgefühle« gar nicht mehr vorstellen. Nein, sie war doch glückselig, Heinrich Thiele liebte sie. Mein Himmel, sie war doch auch ein sehr hübsches Mädchen und von Männern umworben! Aber sie würde sich hüten und ihre frische Jugend an den Musiker von »Quarg« fortwerfen! Nein, jetzt wartete sie auf ihn. Er hatte ihr ja heut seine Gefühle ziemlich unverhüllt verraten. –

Inzwischen war die dicke, muntere Ida, in der Gegend und von ihrer Herrschaft nur richtig »der Dragoner« genannt, bei Thiele eingetreten. Mit ihren festen Schritten tappste sie dröhnend über die Steinmosaik bis zu dem Kaufmann und versetzte ihm laut lachend einen Rippenstoß. Seit einiger Zeit war sie halb und halb mit einem Schlossergesellen versprochen. Das gab ihr ein noch größeres Gefühl der Sicherheit als früher. Ihrer Gewohnheit nach duzte sie alle Männer, mit denen sie in Berührung kam. – Thiele war der reine Verwandlungskünstler. Sofort bei ihrem Eintritt setzte er eine andere Miene auf und verwandelte sich in den burschikosen Berliner. »Morjen, Heinrich, na, mein Sohn, wie jehts dich denn?«

»Danke, Ida, weeste, bisher zwischen mies und belämmert; aber nu, wo du in 'n Laden kommst, jeht die Sonne auf!«

»Nee, du oller Quatschkopp, mit deine Redensarten! Empfängt man die Sonne mit sone stänkrichen Düfte wie Käse und Häringer?« – – »Das liegt allens an de Einbildung, Ida, red dir doch ein, daß es Blumen wären, dann riechen dir meine Käsenelken und Sprottenglöckchen och jut, jrade wie mir!« – – »Kunststück, du Jauner! – er empfing den zweiten Stoß – Dir kann das so passen, wenn de uns mit deine schlechten Waren 's Fell über de Ohren ziehst! Schmierst uns 'n juten Dreck an! Na, det schadt nischt! Laß mich mal drei Pfund Kochbutter uffladen und drei Büchsen Konserven à zwei Pfund, sagen wa: Schoten, Sparjel und na, Pfifferlinge. – – Verstanden, na allong, Moschö Karl, hoppen Se mal mit 'n jewissen Awek un' ohne die Leidensmiene!«

Der Kommis gehorchte auf einen Wink des Chefs wortlos. Aber er und die andern Gehilfen konnten das schnoddrige Frauenzimmer nicht ausstehen. Diese plauderte unterdes geräuschvoll weiter: »Na, Heinrich, komm mal hintern Ladentisch vor, Du bist doch keene Festung!« – Er trat zu ihr. – »Na, du oller Knickstiebel, sag mal, liebste mich noch immer so unjlücklich?« – – Thiele legte den Arm um sie und kitzelte sie mit seinem Schnurrbart, indem er ihren Kopf nahe an den seinen drückte. »Laß los, du infamichter Kerl, mir fängste mit deine Wippchen nich!« – – »Red nich, Ida, du liebst mich doch!« – – »Ich wer' mir hüten, mich hältste nich zum Narren, Du! – entgegnete sie lachend – Sag mal, wieviele hast de schon mit deine Lüjen von Liebe und Ehe rinjelegt?« – – »So dumm bin ich nich, Ida, das mußte doch wissen!« – – »Janischt weeß ick!« – – »Na, sei man nich' so!«

Plötzlich trat er hastig von ihr fort und verbeugte sich tief vor einer Dame: »Guten Morgen, gnädige Frau, guten Morgen! Was befehlen, Gnädigste?« – – »Bitte, zehn Packetfahrtmarken, drei Sechserkarten, und dürfte ich um das Adreßbuch bitten!« – – »Aber, gewiß, gnädige Frau, mit dem größten Vergnügen! So – steht sonst noch etwas zu Diensten?« – – Die Käuferin zögerte. Endlich sagte sie mit aufleuchtendem Gesichte: »Ach, ja, bitte, lassen Sie mir für meinen Enkel ein halbes Viertel Pfund Schokoladenplätzchen abwiegen! – – – Dürfte ich wohl einen Augenblick telefonieren?« – »Selbstverständlich, gnädige Frau! Hier rechts, bitte! Franz, machen Sie den Auftrag fertig!« – rief Thiele und blinzelte Ida zu. – »Siehste, Heinrich, du wirst doch ein reicher Schweinhund, schonst am frühen Morjen sone Kunden!« – sagte diese halblaut und lachte. Sie nahm ihre Tasche. – »Von feinen Leuten kommt nischt raus, die kaufen immer nur Marken oder telefonieren, das kennt man schon!« – flüsterte er leise. »Na, atchee, du schener Heinrich, lieb mir man weiter!« – – »Na ob, adieu, Ida, komm bald wieder!« – –

Sie verschwand. Andere Kunden traten ein. Alle wurden von Thiele und seinen Gehilfen so bedient, wie es in ihren Wünschen lag. Jedes Mädchen konnte sich insgeheim zu den schmachtenden Blicken aus seinen schönen Augen beglückwünschen. Diese Sendpfeile verfehlten ihre Wirkung nie: Jede glaubte sich geliebt. –

Eine zweite Dame war in den Laden getreten: »Guten Tag, Herr Thiele, bitte, senden Sie mir sechs Flaschen Malzbier, zwei Schrotbrote und eine Mandel von den besten Trinkeiern 'rüber! – – »Schönchen, soll sofort geschehen, gnädiges Fräulein, darf ich mir die Frage nach Ihren werten Befinden erlauben?« – – »Sehr freundlich, Herr Thiele, na, es macht sich 'wenigstens schon! Nur Diät muß ich noch halten: Diät ist die Hauptsache im Leben!« – – – »Haben Sie vielleicht ein paar Liebigbilder für meinen kleinen Schüler?« – – »Gewiß, gnädiges Fräulein, hier ist die letzte Serie! Das ist in der That etwas Besonderes!« – – »Tausend Dank! Sehen Sie, Herr Thiele, Sie sind doch ein so netter und wohlhabender Mann! Sie sollten heiraten. Unsere Emma ist etwas wirklich Feines! Der Vater war, der Bruder ist Lehrer. Sie ist so nett und anständig, dabei hübsch und durchaus gebildet und sauber! Das wäre etwas für Sie!« – – »Oh, gnädiges Fräulein belieben zu scherzen!« – lächelte er süß. – »Durchaus nicht!« – »Oh doch! Aber ich habe keine Eile!« – – »Nun, Sie müssen es ja wissen, Herr Thiele! Versäumen Sie nur den Anschluß nicht! – – »Oh nein! Adieu, gnädiges Fräulein!«

»Guten Tag, Fräulein Minna, was befehlen Sie?« – fragte er ein Dienstmädchen. – »Ich hab wieder meine Ausschimpfe von de Frau weg, Herr Thiele, die Butter schmeckte ihr nich und das Mehl war dumpf. Wenns wieder vorkommt, darf ich nich' wieder bei Ihn' kaufen!« – antwortete die Gefragte brummig. – – »Na aber, sowas! Da haben die Banditen wieder die Tonnen und Kasten verwechselt!« – schalt der Chef die Kommis, die verständnisvoll lächelten. – Irren Sie sich aber heute nicht wieder, sondern nehmen Sie aus A H I und Kiste prima IIa, verstanden? – Sein Befehl wurde ausgeführt. – Nun machen Sie mal ein freundliches Gesichtchen, Fräulein Minnchen, bitte, bitte! So sehen Sie gleich doppelt so niedlich aus. – Denken Sie, Kindchen, Irrtümer kommen in jedem Geschäft vor. Sagen Sie das Ihrer Frau, und ich lasse um Entschuldigung bitten. – Und hier, nehmen Sie für die unschuldig erlittene Schelte dies Fläschchen Rosenparfüm! Es riecht sehr gut und is besonders für die Sonntage!« – – »Danke sehr, Herr Thiele, meins war grade alle! – – – sagte Minna jetzt strahlend – Kommen Sie doch mal Sonntags bei de Stettiner Sänger! Die sind zum Quieken!« – – Thiele seufzte und kam wieder ganz in ihre Nähe: »Ach, wie gern Minna, liebe kleine Minna, aber meine schwerkranke alte Mutter! – – – Später, gern, doch jetzt geht es absolut nich! – – – Meine Gefühle ändern sich nich', das müssen Sie doch nun wissen!« – – Das Mädchen erglühte und nickte nur mit dem Kopf. Sie nahm ihre Einkäufe, bezahlte und hastete mit kurzem Gruße aus dem Laden. Auf der Straße aber sang sie laut vor sich hin. –

Das ging nun so bis zum ersten Oktober dieses Jahres. – Thiele berückte mit seiner Schönheit Alt und Jung. Er schmeichelte allen. Alle glaubten sich geliebt, und dennoch brachte ihn weder Haß, noch Liebe – Grobheit noch Hinterlist zu einem ernsten Entschluß, zu einer folgenschweren Aussprache! –

Der Eckladen auf der andern Straßenseite war frei geworden. Die Leute, die in ihn einzogen, machten Umzug und Einräumung bei heruntergelassenen Jalousieen in äußerster Heimlichkeit ab. Thieles ausgesandter Spion und Laufbursche erhielt von einer saubern gemütlichen Frau die Kunde, daß es ein »Tapezier und Posamentier« wäre. So beruhigte sich denn sein geängstigtes Gemüt.

Desto größer war sein Entsetzen, als er am ersten Oktober, des Morgens bei der Öffnung seines eigenen Geschäftes, in einen verlockenden Laden spähte. Über dem Eingang stand schwarz auf weiß in funkelnder Neue: »Fritz Kron. Material- und Delikateßwaren«. Ein hübscher älterer Mann stand neben einem Gestell mit Auslagekästen und schaute freundlich auf die Straße. Thiele schäumte vor Wut. Unter seinen Leuten brach beinah eine Revolution aus. Alle schwatzten durcheinander, sprachen von »Polizei und Gericht« – »gemeiner Konkurrenz und unlauterem Wettbewerb«. – Schließlich meinte Karl tröstend zu dem blassen Chef: »Lassen Sie's man gut sein, Herr Thiele, der Kron kann nix gegen Sie machen! Sie sind zu beliebt und mit Ihr schönes Gesicht wer'n Se doch so'n Duckmäuser noch tot machen können!« Er hatte Recht, der schöne Heinrich atmete auf. –

Aber der Duckmäuser stand da und lächelte unheilverheißend! –

Der Bollesche Milchwagen hielt gerade vor seinem Laden. Die Mädchen erschienen mit ihren Gefäßen, um den Saft der frommen Denkungsart zu holen. Sie blickten neugierig und lachend in das neue Geschäft und auf seinen vertrauenerweckenden Chef. Als die letzten traten wieder die »schwarze Berta« vom Major und »Guste« von der »reichen Rentiere« in der ersten Etage an. Sie blieben noch zu einem kleinen Schwatz stehen, als »Bolle« schon weitertrabte. »Guten Morgen, liebe Fräuleins, na, wollen Sie mich nich' auch einmal beehren und sich meinen Laden von innen ansehen?« – rief der neue. – – »Na, gewiß, Herr Kron, warum och nich'? Wir sind nich' schüchtern!« – entgegnete Berta mit einem Blick auf das Schild. »So, Frauchen, na, nu gieb Du mal den Damen jeder ein Gläschen Wein. Sie sind die ersten, die zu uns kommen. Sie müssen mit uns auf unser Wohl anstoßen!« Ein Lehrjunge brachte Stühle, die Gattin ein paar Likörgläschen mit Samoswein. Ehe die Mädchen zur Besinnung kamen, hatten sie bereits Krons ihre Kundschaft versprochen und mit ihm »auf gute Freundschaft« angestoßen.

»Eigentlich benehmen wir uns ja hundsjemein! – rief Guste vorwurfsvoll – Der schöne Thiele hat uns nischt jethan, sondern is immer so süß wie Zucker. Un' nu tragen wir ihm die Kundschaft wech!« – – »Aber ich bitte Sie, liebe Fräuleins, das will ich doch um Himmelswillen nich. Thun Sie, was Sie wollen! Jedoch Thiele is ein reicher Mann und hat sein Schäfchen im Trockenen. Wir fangen erst an und haben uns bisher sauer quälen müssen, nich' wa – –? Mutter! – – »Na ob nich! – entgegnete diese – Und wir haben vier Kinder aufzuziehen. Während daß Thiele 'ne reiche Frau geheiratet und man bloß ein Mädel hat!« – –

»Nee, Frau Kron, da sind Se schief jewickelt. Thiele is nich verheiratet!« – lachte Berta.

»Na aber, Fräulein, ich muß es doch wissen. – trumpfte Frau Kron – Meine Schwester wohnt doch in ein Haus mit Thiele. Im Norden, in de Brunnenbergerstraße 206, eine Treppe hoch. 'Ne bildhübsche Frau hat er. Seine Mutter wohnt bei ihm. Und zwei Dienstmädchen halten sie sich! Ich wer's doch wissen. Wir haben dieselbe Schneiderin, die für uns beide näht!«

Die beiden Zuhörerinnen waren starr. »Nee! – ermannte sich Guste endlich – Und doch is es bestimmt een Andrer. Was unser »schöner« Thiele is, der wohnt dort oben in die Dachstube, wo die Holzläden vor sind; denn die beiden Zimmer ans Geschäft braucht er für't Lager!« – – »Haben Sie ihn schon mal dort oben besucht oder da Licht brennen sehen?« – fragte Kron pfiffig – – »Nee, erschtens thu ick sowas nich', und finftens is die Bude da oben immer zu!« – antwortete Guste.

»Das glaube ich gern!« – beteuerte Kron, – »Denn abends fährt er immer mit den letzten Omnisbus runter und kommt meist erst um zwölfen nachts zu Haus. Die ganzen Mieter wundern sich über der Geduld von die Frau. Sie hat garnichts von ihrem Mann und sitzt 'n halben Sonntag allein. Nur abends geht er dann mit ihr in de feinsten Theaters, in die königlichen, und sitzt Parquet!« – – »Und das ist och keen Schwindel, sondern gewißlich wahr?« – –

Noch einmal mußten Krons die ganzen Einzelheiten zum Besten geben und mit Beweisen belegen, sogar die Namen nennen. Die Mädchen schäumten vor Wut über das »verzierte Ekel«, das »sie« alle so lange ein »x forn u« vorgemacht hatte. Schnaubend und rachedürstend erklärten sie, nicht eher ruhen zu wollen, ehe nicht alle Mädchen in der Umgegend bei Krons, anstatt bei Thiele kaufen würden! Darauf stürzten sie sofort zu dem »schönen Heinrich«, wo schon vier Mädchen als Käuferinnen standen und mit ihm verächtlich über die neue Konkurrenz scherzten. Auch Anna von der Frau Baronin war wieder zugegen.

»Na, Fräulein Bertchen, was befehlen Sie?« – fragte Thiele honigähnlich die ihm zunächst stehende Berta. – – »Für heute nur 'ne Sechserkarte!« – – »Schönchen, sofort! Paul, geben Sie dem Fräulein eine Karte. – – – Na, und Sie, Fräulein Auguste?« – – »Ich begleit' nur meine Freundin« – meinte die Angeredete und hob ihre scharfe Stimme, daß sie den ganzen Laden durchdrang – aber ich wollte Ihnen doch mal fragen, was Ihre hübsche Frau Lotte, geborene Zinkus, und Ihre kleine Tochter Erna macht?« – Sie betonte jede Silbe. –

Thiele wurde kreideweiß. Es wurde totenstill! Alle drängten sich um die Sprecherin. Selbst die Kommis hielten in ihren Beschäftigungen erstaunt inne. »Donner und Doria!« murmelte Karl.

»Ja eben, Herr Thiele, worum denn ziehen Se mit Ihre Familie in de Brunnenbergerstraße 206? Das is doch so weit und es jiebt hier in de Jegend doch och Wohnungen in de erste Etage!« – rief Berta höhnisch. Dann legte sie ihren Sechser hin und verschwand mit ihrer Vertrauten. –

Thiele stand stumm. Erst nach einigen Minuten versuchte er, etwas zu stammeln. Aber alle waren fortgeeilt. Das letzte, was er sah, waren die vorwurfsvollen, thränengefüllten Augen der hübschen, kleinen Anna. Sie nahm mit diesem Blick von ihm Abschied. –

Alles Fluchen half nichts! Alle Anstrengungen waren vergebens! – Wie ein Lauffeuer durchrannte die Kunde von Thieles geheimer Ehe die ganze Gegend. Viele heimliche Thränen wurden geweint. Viele innerliche Flüche gesprochen. Äußerlich lachten die Betrogenen über den »dummen Patron«. Sie versicherten insgesamt, daß sie ihn von jeher mit seinem »Friseurkopf unbedeutend und verziert« gefunden hätten. Seine Waren schienen Plötzlich unter aller Kritik. Man freute sich, Kron, den ehrlichen braven Mann, als Ersatz in der Nähe zu haben. Alle schwenkten zu ihm über. Seine Mienen klärten sich von Tag zu Tag auf. Die Sorgen flohen von seiner Schwelle! – Der schöne Thiele hat, wie man hört, zu Ostern seinen Laden gekündigt.


 << zurück weiter >>